Klara ist überstürzt nach Utrecht gezogen. Hier will die Ex-Berlinerin, die eine zerbrochene Beziehung und eine gescheiterte Karriere als Kneipenwirtin hinter sich lässt, ein neues Leben anfangen. In Zeiten, wo Flüchtlingsströme durch Europa ziehen, verarbeitet sie ihre persönliche 'Flucht' im Kleinen. In einem >dagboek< hält sie die verwirrenden Unterschiede zwischen ihrem alten und neuen Leben fest. So hat sie nicht nur der deutschen Sprache und Kultur, sondern auch Hauke den Rücken gekehrt. Zwar war diese Trennung längst überfällig, doch erst als sie von Erinnerungen übermannt wird, beginnt sie sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Eine wichtige Rolle für den Neubeginn spielt ihre Zuneigung zum jungen Thijs. Doch ihre Selbstbestimmung findet sie durch ihn nicht. Als sich die Lage zuspitzt, wird ihr klar, dass sie sich ihre Freiheit erobern muss - und Geborgenheit nur in sich selbst finden kann. Ein kluger Roman über die manchmal unerträgliche Leichtigkeit des Seins im heutigen Europa.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2019Was die alles weiß!
Dozieren statt erzählen: Julia Trompeters Roman "Frühling in Utrecht"
In einer Buchhandlung des Amsterdamer Flughafens begutachtet Klara die Auslage: Goethe, Thomas Mann, Ferdinand von Schirach, Uwe Tellkamp, Beate Zschäpe. Diese Reihe, so ihre Diagnose, veranschauliche den "stetigen Verfall der deutschen Kultur". Dann entdeckt sie ein Buch von Wladimir Kaminer, in dem man, nächste Diagnose, auf "Allgemeinplätze über Berlin" stoße. Was hat Klara, diese leidenschaftliche Diagnostikerin, ihrerseits über Berlin zu sagen? Zum Beispiel, dass sich, ganz wie in den Niederlanden, vor den "Eismanufakturen (so heißen sie heute, diese hippen, alternativen Geschäfte, in denen so exotische Mischungen wie Birne-Feige-Parmesan aus natürlich selbst gemachtem Bio-Eis nichts Besonderes mehr sind) bei schönem Wetter ebenfalls gern bunte, gierige Schlangen bilden".
Dieser kolumnenhafte, abgegriffene Plauderton gibt zuverlässiger Auskunft über Klara als ihr Verhalten oder ihre ästhetischen Vorlieben. Sie ist eine ungefiltert schwadronierende, jeden noch so nebensächlichen Gedanken herausleiernde Schwatzbase, die den Leser von oben herab zum nickenden Bewunderer degradieren möchte. Statt zu erzählen, kommentiert sie. Was für ein Weltbild trägt so eine Figur mit sich herum? Ein "radikalpazifistisches, antinational-sozialstaatliches, antikapitalistisch-fortschrittliches, emanzipatorisch-inklusives". Hinter diesem progressiven Biss steckt vor allem ein um Banalitäten kreisendes Sendungsbewusstsein: Media-Märkte sind hässlich, Fitnessjunkies peinlich, Videoüberwachungsanlagen problematisch.
Klara ist die Protagonistin von Julia Trompeters zweitem Roman "Frühling in Utrecht". Ebendort arbeitet die Autorin an der Universität, ihre Figur hingegen in einer Teestube. Weil Klara als Servicekraft intellektuell nicht ausreichend gefordert ist, führt sie ein Tagebuch, in das sie ihre mäandernden Reflexionen hineingießt. Das schließt viel Frust ein, denn sie ist überstürzt von Berlin ins Zentrum der Niederlande gezogen. Auslöser war die Beziehung zu ihrem Freund Hauke, die schon seit Jahren ein angeschlagenes Gewohnheitsarrangement gewesen ist, sich am Ende jedoch in einen regelrechten Unglückskatalysator verwandelte. Nun also neue Stadt, neues Land, neuer Mann. Er heißt Thijs, ist schön, gut trainiert und hat Ähnlichkeit mit Martin Luther auf dem Gemälde von Lucas Cranach. Solche Bilder kennt Klara, denn sie hat mal sehr flüchtig Kunstgeschichte studiert - neben Psychologie, Germanistik und Soziologie.
Und das merkt man. Bei diesem Roman hätte sich ein Personenverzeichnis tatsächlich gelohnt. Mit von der Partie sind unter anderem Sigmund Freud und Yves Klein, Pieter Bruegel der Ältere und Robert Walser, Andy Warhol und Aristoteles, Bernardo Bertolucci und Oskar Loerke, Gilles Deleuze und Félix Guattari. Außerdem ist von Korybantentänzern und Nichtorten die Rede, es geht um jenen Gemütszustand, der im Altgriechischen als "Apatheia" bezeichnet wird, um "funktionale Pragmatik" und den Mehrwert der "soziallinguistischen Erfahrungswelt". Klara erinnert daran, dass es zu Weihnachten oft zu "intrafamiliären und intrapersonalen Krisen" kommt, sie doziert über modernen Stoizismus und ist ganz besoffen von ihrer Sprachsensibilität. So beendet sie eine Überlegung mit dem bescheidenen Vermerk: ". . . worüber ich schon wieder eine philosophisch-linguistische Abhandlung hätte verfassen können." Was ist die Botschaft dieser akademischen Grillen? Vielleicht das Medium? Marshall McLuhan wird zwar nicht namentlich genannt, aber dafür zitiert.
Insgesamt ist "Frühling in Utrecht" ein Roman im Konjunktiv. Was wäre, was hätte, was könnte? Unablässig spielt Klara Möglichkeiten durch. Nach einem Exkurs über den Wind fragt sie sich, ob ihre Beziehung zu Hauke anders verlaufen wäre, wenn es in Berlin so kräftige Böen gäbe wie in den Niederlanden. Dann erregt eine alte Reisetasche am Wegesrand ihre Aufmerksamkeit. Gehörte sie vielleicht Bob Dylan? Wäre er mit ihr nach Woodstock gereist, wenn er sich dorthin getraut hätte? Hat er sie auf einem Flohmarkt in Notting Hill verkauft? An einen Touristen mit Schlapphut und Bart, der Hannes Wader ähnelte? Und so fort. Klara möchte über die versierte Beobachtungsgabe des Flaneurs verfügen, mutet aber an wie dessen Pappmachévariante. Ihren Gedanken fehlt die flirrende Leichtigkeit, der subversive Charme, der gezierte Dreh, der aus Alltäglichem etwas Besonderes macht. Einmal sinniert sie über ihr Tagebuch und gelangt zu dem Ergebnis: "Und so war es vielleicht gut, dass ich nur ein simples dagboek schrieb und nicht etwa einen Roman." Diese Einsicht hätte man sich auch von Julia Trompeter gewünscht.
KAI SPANKE
Julia Trompeter: "Frühling in Utrecht". Roman.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019.
264 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dozieren statt erzählen: Julia Trompeters Roman "Frühling in Utrecht"
In einer Buchhandlung des Amsterdamer Flughafens begutachtet Klara die Auslage: Goethe, Thomas Mann, Ferdinand von Schirach, Uwe Tellkamp, Beate Zschäpe. Diese Reihe, so ihre Diagnose, veranschauliche den "stetigen Verfall der deutschen Kultur". Dann entdeckt sie ein Buch von Wladimir Kaminer, in dem man, nächste Diagnose, auf "Allgemeinplätze über Berlin" stoße. Was hat Klara, diese leidenschaftliche Diagnostikerin, ihrerseits über Berlin zu sagen? Zum Beispiel, dass sich, ganz wie in den Niederlanden, vor den "Eismanufakturen (so heißen sie heute, diese hippen, alternativen Geschäfte, in denen so exotische Mischungen wie Birne-Feige-Parmesan aus natürlich selbst gemachtem Bio-Eis nichts Besonderes mehr sind) bei schönem Wetter ebenfalls gern bunte, gierige Schlangen bilden".
Dieser kolumnenhafte, abgegriffene Plauderton gibt zuverlässiger Auskunft über Klara als ihr Verhalten oder ihre ästhetischen Vorlieben. Sie ist eine ungefiltert schwadronierende, jeden noch so nebensächlichen Gedanken herausleiernde Schwatzbase, die den Leser von oben herab zum nickenden Bewunderer degradieren möchte. Statt zu erzählen, kommentiert sie. Was für ein Weltbild trägt so eine Figur mit sich herum? Ein "radikalpazifistisches, antinational-sozialstaatliches, antikapitalistisch-fortschrittliches, emanzipatorisch-inklusives". Hinter diesem progressiven Biss steckt vor allem ein um Banalitäten kreisendes Sendungsbewusstsein: Media-Märkte sind hässlich, Fitnessjunkies peinlich, Videoüberwachungsanlagen problematisch.
Klara ist die Protagonistin von Julia Trompeters zweitem Roman "Frühling in Utrecht". Ebendort arbeitet die Autorin an der Universität, ihre Figur hingegen in einer Teestube. Weil Klara als Servicekraft intellektuell nicht ausreichend gefordert ist, führt sie ein Tagebuch, in das sie ihre mäandernden Reflexionen hineingießt. Das schließt viel Frust ein, denn sie ist überstürzt von Berlin ins Zentrum der Niederlande gezogen. Auslöser war die Beziehung zu ihrem Freund Hauke, die schon seit Jahren ein angeschlagenes Gewohnheitsarrangement gewesen ist, sich am Ende jedoch in einen regelrechten Unglückskatalysator verwandelte. Nun also neue Stadt, neues Land, neuer Mann. Er heißt Thijs, ist schön, gut trainiert und hat Ähnlichkeit mit Martin Luther auf dem Gemälde von Lucas Cranach. Solche Bilder kennt Klara, denn sie hat mal sehr flüchtig Kunstgeschichte studiert - neben Psychologie, Germanistik und Soziologie.
Und das merkt man. Bei diesem Roman hätte sich ein Personenverzeichnis tatsächlich gelohnt. Mit von der Partie sind unter anderem Sigmund Freud und Yves Klein, Pieter Bruegel der Ältere und Robert Walser, Andy Warhol und Aristoteles, Bernardo Bertolucci und Oskar Loerke, Gilles Deleuze und Félix Guattari. Außerdem ist von Korybantentänzern und Nichtorten die Rede, es geht um jenen Gemütszustand, der im Altgriechischen als "Apatheia" bezeichnet wird, um "funktionale Pragmatik" und den Mehrwert der "soziallinguistischen Erfahrungswelt". Klara erinnert daran, dass es zu Weihnachten oft zu "intrafamiliären und intrapersonalen Krisen" kommt, sie doziert über modernen Stoizismus und ist ganz besoffen von ihrer Sprachsensibilität. So beendet sie eine Überlegung mit dem bescheidenen Vermerk: ". . . worüber ich schon wieder eine philosophisch-linguistische Abhandlung hätte verfassen können." Was ist die Botschaft dieser akademischen Grillen? Vielleicht das Medium? Marshall McLuhan wird zwar nicht namentlich genannt, aber dafür zitiert.
Insgesamt ist "Frühling in Utrecht" ein Roman im Konjunktiv. Was wäre, was hätte, was könnte? Unablässig spielt Klara Möglichkeiten durch. Nach einem Exkurs über den Wind fragt sie sich, ob ihre Beziehung zu Hauke anders verlaufen wäre, wenn es in Berlin so kräftige Böen gäbe wie in den Niederlanden. Dann erregt eine alte Reisetasche am Wegesrand ihre Aufmerksamkeit. Gehörte sie vielleicht Bob Dylan? Wäre er mit ihr nach Woodstock gereist, wenn er sich dorthin getraut hätte? Hat er sie auf einem Flohmarkt in Notting Hill verkauft? An einen Touristen mit Schlapphut und Bart, der Hannes Wader ähnelte? Und so fort. Klara möchte über die versierte Beobachtungsgabe des Flaneurs verfügen, mutet aber an wie dessen Pappmachévariante. Ihren Gedanken fehlt die flirrende Leichtigkeit, der subversive Charme, der gezierte Dreh, der aus Alltäglichem etwas Besonderes macht. Einmal sinniert sie über ihr Tagebuch und gelangt zu dem Ergebnis: "Und so war es vielleicht gut, dass ich nur ein simples dagboek schrieb und nicht etwa einen Roman." Diese Einsicht hätte man sich auch von Julia Trompeter gewünscht.
KAI SPANKE
Julia Trompeter: "Frühling in Utrecht". Roman.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019.
264 S., geb., 22,- [Euro].
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»Julia Trompeter schreibt schöne, bildhafte und schlaue Sätze.«Margarete Stokowski, taz