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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Aus der Perspektive der indigenen Bevölkerung, nicht der Eroberer: Camilla Townsend erzählt die Geschichte der Azteken.
Eine neue Betrachtung der Aufstiegs- und Glanzzeit des Aztekischen Reiches und seines Untergangs ab 1519 steht dem deutschen Buchmarkt gut an. 1996 erschien die relativ kurze Darstellung "Die Azteken" von Hanns J. Prem, später folgten kritische, auf den Aussagen frühkolonialer Quellen beruhende Überblicksarbeiten von Berthold Riese und Ulrich Köhler. Gerade die archäologische Forschung zum Alltagsleben, zu urbanen Entwicklungen, Handels- und Austauschnetzwerken, Mobilität und Kommunikation, nicht zu vergessen die Erforschung autochthoner Schriften aus der Zeit der Azteken (dreizehntes bis frühes sechzehntes Jahrhundert), haben in den vergangenen zwanzig Jahren Erkenntnisse zutage gefördert, die eine aktualisierte Darstellung lohnen.
Nun hat die amerikanische Historikerin Camilla Townsend mit "Fünfte Sonne" eine dem Untertitel zufolge "neue Geschichte der Azteken" vorgelegt. Gleichwohl sei angemerkt, dass der amerikanische Markt schon einige wichtige Überblicksarbeiten zum Thema kennt, wie etwa die Werke des Archäologen Michael Smith oder die Arbeiten der Ethnohistorikerin Frances Berdan. Townsends Buch erstreckt sich über acht Kapitel und beruht hauptsächlich auf der Datensynthese frühkolonialer Quellen zur Geschichte der Mexica, zur spanischen Eroberung und zur Etablierung des spanischen Kolonialregimes aus dem Blickwinkel Nahua-sprachiger Akteure.
Das erste Kapitel behandelt die Vorgeschichte im Tal von Mexiko (heute Mexiko-Stadt) bis zum Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Hier wird ein großer historisch-archäologischer Bogen gewählt, denn die Autorin verknüpft die Geschichte Zentralmexikos mit der Weltgeschichte. Sie flicht die Einwanderung der Menschen auf den amerikanischen Kontinent in ihre Darstellung ein, die Nutzbarmachung von Pflanzen, die Entstehung von Schrift- und Notationssystemen - und sie verbindet die Entwicklungen auf dem amerikanischen Kontinent mit denen anderer Weltregionen, etwa Mesopotamien. Hier fragt sich, warum ein solch großer Bogen gespannt werden muss, während gleichzeitig die eigentlich prägende Vorgeschichte Mexikos mit den vorausgehenden imperialen Entwicklungen von Teotihuacán und Tula kaum Beachtung findet.
Anschließend zeichnet Townsend die dynastische Geschichte und den Aufstieg der Azteken nach. Zwar versteht sie es, Beschreibungen von Städten, Regionen und Alltagsaktivitäten mit historischen Personen zu verbinden, die sie erzählen lässt. Auf diese Weise wird dem Leser die aztekische Lebensrealität nähergebracht. Doch zugleich sind die Ausführungen von überraschenden Themenwechseln gekennzeichnet. Die Autorin schaut in der Geschichte allzu eilig vor und zurück; ebenso flott widmet sie sich den komplexen dynastischen Verbindungen zwischen einzelnen Fürstentümern. Wer hier keine Vorkenntnisse mitbringt, dürfte nur mit Mühe folgen können. Karten, die bei den vielen fremdartig klingenden Orts- und Personennamen Orientierung geboten hätten, wurden zudem viel zu wenig integriert. Es gibt nur eine Karte, eine Übersicht zur dynastischen Geschichte sowie die Kapitel einleitenden Abbildungen.
In den Kapiteln vier bis acht ändert sich die Erzähldynamik. Mit der Geschichte der Eroberung und der frühen Kolonialzeit werden die beschreibenden, durchaus romanhaften Einschübe länger. Hier kann Townsend mit ihrer Quellenkenntnis stimmungsvolle Bilder rund um die zentralen Akteure wie Moctezuma und die Spanier zeichnen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Beschreibung der ersten Jahrzehnte nach der Eroberung mit der brutalen Etablierung der Kolonialmacht und den indigenen Reaktionen, allen voran am Beispiel des Lebens des indigenen Historikers Chimalpahin (spätes sechzehntes und frühes siebzehntes Jahrhundert). Im Epilog schließlich geht die Autorin in einem kurzen Abriss auf die folgenden Jahrhunderte ein und verbindet die Geschichte der Mexica mit der mexikanischen Gegenwart.
Was ist neu an der Darstellung? Insbesondere hebt Camilla Townsend die Rolle der Frauen hervor - Ehefrauen, Mütter, Konkubinen als Angehörige der Elite oder der einfachen Bevölkerung. Die romanhaften Einschübe sind oftmals aus der Perspektive von Frauen geschrieben und stellen, so sie mit der Schilderung historischer Akteure und Kontexte verwoben werden, in Bezug auf die präkolumbische Geschichte eine Neuerung dar.
Die Autorin bietet zudem zahlreiche Zitate aus den zeitgenössischen Quellen und verbindet somit den Ton der fiktiven Abschnitte mit Originalaussagen. Deutschen Lesern werden dabei viele historische Quellen überhaupt erst näher bekannt, da es an Übersetzungen mangelt. Außerdem liefert die Autorin einen Überblick über die Arbeitsmethoden der Ethnohistorie sowie eine kommentierte Bibliographie der wesentlichen Quellen. Die Endnoten bieten weiterführende Informationen.
Noch eine Anmerkung zu den Bezeichnungen indigener Völker im Buch. In den meisten Fällen verwendet die Autorin die Eigenbezeichnungen, die ins Deutsche übertragen werden können. Wenn der Text sich in allgemeinerer Form auf die Ureinwohner Amerikas bezieht, wird der englische Begriff "Native Americans" genutzt. In den Kapiteln zur Eroberung und frühen Kolonialzeit wechseln sich die Begriffe "Indigene" und "Indios" ab. Während ersterer heute ein Terminus ist, der im amerikanischen Englisch ("indigenous") wie im Deutschen die Rechte der amerikanischen Völker als erste Siedler auf dem Kontinent sichtbar zu machen sucht, ist "Indio" in und auch außerhalb Lateinamerikas ein Schimpfwort geworden. Warum die Autorin (oder sind es die beiden Übersetzer?) diesen Begriff kommentarlos verwendet, ist bei den vielen Vorzügen des Buchs nicht nachvollziehbar. ANTJE GUNSENHEIMER
Camilla Townsend: "Fünfte Sonne". Eine neue Geschichte der Azteken.
Aus dem Englischen von Anna Leube und Wolf Heinrich. C. H. Beck Verlag, München 2023. 412 S., Abb., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Börsenblatt
"Zeigt wie sich die Überlebenden arrangierten, sich vermischten, wie sie ihr Eigenes bewahrten und wie sie Neues lernten."
Deutschlandfunk Kultur, Arno Orzessek
"Empathisch und spannend erzählt. Ein Muss für alle an diesem Volk Interessierten."
P.M. History
"Akribisch recherchierte und glänzend geschriebene Abhandlung."
Stuttgarter Nachrichten, Michael Bienert
"Das Buch ist ein wichtiger Schritt hin zu einem besseren Verständnis der Welt - egal ob der heutigen oder jener der Azteken."
literaturnova
"Camilla Townsend begeistert durch ihre Herangehensweise und Perspektive."
seitenhinweis.com, Kate Rapp
"Durch ihren Zugang über die »Nahuatl-Annalen« zeigt Townsend, dass es sich lohnt, die »europäische Brille« abzulegen."
spektrum.de, Martin Schneider
"Der Kosmos, der sich hier öffnet, ist spannend, faszinierend und ein neues Stück. Dieses Buch ist eine Schatzkammer für Interessierte an außereuropäischer Geschichte."
Fr. Seybold's Sortiments-Buchhandlung, Bernhard Meye
"Methodisch und sachlich weitgespannte, ausgewogen reflektierende Beurteilung der Dokumente und deren Erforschung. ... Eine anregende Lektüre."
Archäologie in Deutschland, Jochen Haas