Es ist Sommer. Die Eltern sind auf Reisen und schicken ihren Kindern täglich eine Ansichtskarte von den exotischen Plätzen dieser Welt. Der Großvater liest daraus vor, was er lesen möchte, und das ist meist das Gegenteil dessen, was dort geschrieben steht. Für die Kinder Anlass genug, sich selbst das Lesen beizubringen. Lesen kann man angeblich auch von den Vögeln lernen. Und Fliegen! "Fau ... wie in Sieg, Fau wie in Vogel, und Fau, wie die Vögel fliegen!", ruft ihnen der Großvater zu und streckt dabei Zeige- und Mittelfinger in die Luft. Ja, fast jeder in diesem Roman fliegt auf irgendeine Weise: Die Fliegerin, die in ihrem bohnenförmigen Fluggerät eine Schar von Vögeln in ihr Winterquartier begleitet. Die Kinder mit ihren selbstgebauten Flugmaschinen aus Federn, Papier und Draht. Und der Großvater, der einmal ein großer Pilot gewesen ist und das Flugzeug einer geheimnisvollen Japanerin repariert hat. Zumindest behauptet er das in seinen hochstaplerischen Geschichten aus früher Zeit. Die Kinder hängen an den Lippen des Großvaters und seine Geschichten werden immer phantastischer: Und das ist fürs Fliegenlernen gewiss die beste Voraussetzung.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kein Kitsch in diesem Buch von Teresa Präauer, versichert Jutta Person. Möglichkeiten dazu bieten sich allerdings reichlich, wenn ein Chaplinesker Großvater seinen Enkeln den Traum vom Fliegen vorträumt und von Amouren mit japanischen Jagdfliegerinnen erzählt, vom Vogelflug und tollkühnen Aviatoren, und das alles in poetisch barocker Weise. Ein belustigender Ton erhebt das Traumtänzerische des Romandebüts laut Person in weniger niedliche oder elegische Sphären, groteske Bruchlandungen inklusive.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2012Dein Leben, das ist ein Schweben
Teresa Präauers schrullig-poetische Flugschrift „Für den Herrscher aus Übersee“
Wer bei Flugphantasien zuerst an Hexensalbe, Sigmund Freud oder Erica Jongs Erotikschmonzette „Angst vorm Fliegen“ denkt, muss sich in diesem Fall ein bisschen umorientieren. Teresa Präauers Debütroman „Für den Herrscher von Übersee“ handelt zwar in obsessiver Weise von Fliegerinnen, Vögeln, Fluglehrgängen und Schwebezuständen – allerdings in einer poetischen (und weniger erotischen) Variante, die den Menschheitstraum vom Fliegen als etwas Federleichtes, manchmal auch Tragikomisches präsentiert. Obwohl auch der erotische Höhenflug seinen Auftritt hat: Der Großvater nämlich, der in dieser Geschichte den exzentrischen Haudegen gibt, erzählt Seltsames vom Krieg. Als junger Flieger lernt er eine japanische Pilotin kennen, deren Flugzeug schwer reparaturbedürftig auf ihn, den Retter, wartet. Im Liebesrausch rollt er mit ihr über die Notlandungswiese – so lange, bis sich ihre Trampelpfade ins Gras graben wie eine Schreibschrift. Schreiben, Schleifenziehen, Formationen fliegen – das alles wird eins in dieser wunderlichen Flugschrift.
Zunächst aber lernt man ein Geschwisterpaar kennen, das bei den Großeltern lebt, vom Fliegen träumt und mit Inbrunst die Zier- und Nutzvögel des Hofes versorgt. Während die verreisten Eltern jeden Tag eine Postkarte von fernen Kontinenten schicken, gibt eben jener Großvater-Haudegen Flugstunden, als ob die Kinder mit ihren angeschnallten Flügeln und Propellern tatsächlich abheben könnten. Dass die Kinderperspektive nicht ins Kitschige kippt, liegt am kunstvoll-belustigten Ton, den Teresa Präauer diesem Geschwisterpaar andichtet. Wenn etwa die Großmutter zornrauchend mit der Flinte vom Hof verschwindet, sagen die beiden: „Oh Herr, wir begehren ihre Rückkehr“; wenn eine Mahlzeit ausfällt, stellt der kleine Bruder fest: „Betrogen bin ich um mein Abendessen“.
Auf ihren barocken Sprachstelzen erobern die Kinder einen Kosmos, in dem es von selbst auszubrütenden Kuckuckseiern und vorläufig unbekannten Buchstaben wimmelt. Das V bringt ihnen der Großvater so bei: „Fau wie in Sieg, Fau wie in Vogel, und Fau, wie die Vögel fliegen“. Allmählich rückt der Fliegerheld – ewig krakeelend (seine Flugbefehle brüllt er durchs Megafon), stark angeprollt (seine Zigarettenkippen schnippt er durchs Zimmer) und neurotisch zackig (seine Enkel nennt er Schwächlinge) – mit seiner japanischen Liebesgeschichte heraus. Eine Figur wie Hans Albers und Charlie Chaplin, die trotz oder wegen ihres Formbewusstseins immer über sich selbst stolpert. Und sich dabei als Tragikomiker entpuppt: Die geliebte Japanerin hatte ein SOS in die Wiese geplättet. Und war dann irgendwann weg.
Neben der Kinder- und der Japanerinnen-Geschichte kommt aber noch eine dritte Ebene dazu, die den Vogelflug am geschicktesten zwischen Traum, Technik, Ornithologie und Freiheitsrhetorik ansiedelt. Eine nicht näher benannte Fliegerin begleitet „in ihrem bohnenförmigen Fluggerät“ eine Vogelschar auf deren Weg ins Winterquartier – und beobachtet dabei die buschigen Federn, die großen Leiber, die auf- und zuklappenden Glubschaugen, als ob sie Naturkundlerin und Dichterin zugleich sein wollte. Mit dieser Pilotin paradiert der Roman elegant an den Säulenheiligen der Aviatik und Ornithologie entlang: von Ikarus über Leonardo da Vinci und Otto Lilienthal bis zu Konrad Lorenz, Amelia Earhart oder Johnny Depp (als Fluggerätebastler im Film „Arizona Dream“).
Von Konrad Lorenz übernimmt die Fliegerin die Versuchsanordnung, die Vögel auszubrüten und sie damit auf sich zu konditionieren; von der legendären Pilotin Amelia Earhart könnten der Helm und die Befreiungstheologie stammen, völlig losgelöst und ohne Heldenbegleitschutz unterwegs zu sein (Dietmar Dath hat in seinem vorletzten Roman ebenfalls auf Amelia Earhart als weibliche Überfliegerin gesetzt). Teresa Präauer, geboren 1979 in Linz, hat Malerei und Germanistik studiert – und scheint sowohl literarisch als auch zeichnerisch auf Vögel spezialisiert zu sein. Für Wolf Haas hat sie das Kinderbuch „Die Gans im Gegenteil“ bebildert, sie hat „Taubenbriefe von Stummen an anderer Vögel Küken“ veröffentlicht und ein illustriertes Langgedicht mit dem Titel „Die Hand voll mit Vögeln schreiben“. Für ihr Romandebüt wurde sie kürzlich mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet.
„Für den Herrscher aus Übersee“ ist übrigens die Widmung, die der Großvater als Schmuckschrift auf die Marmeladenglasetiketten für jenes ferne Herrscherphantom pinselt – ein Luftgott und ein Fliegerphantasma auch er. Bei all diesen schön geschwungenen, traumtänzerischen Zierschleifen könnte man argwöhnen, dass der Niedlichkeitsfaktor irgendwann überhand nimmt. Tut er aber nicht: Der magische Traum vom Fliegen kennt auch die groteske Bruchlandung, und die Sprache dieses Flugromans kennt den Dreh, der das Kindliche vor dem Naiven rettet und das Fliegerische vor dem Elegischen. Wie gut, dass ab und zu auch ein Dumbo mit Elefantenohren angeflogen kommt.
JUTTA PERSON
Teresa Präauer: Für den Herrscher aus Übersee. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 138 Seiten, 16,90 Euro.
Teresa Präauer.
FOTO: LEV LEDIT
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Teresa Präauers schrullig-poetische Flugschrift „Für den Herrscher aus Übersee“
Wer bei Flugphantasien zuerst an Hexensalbe, Sigmund Freud oder Erica Jongs Erotikschmonzette „Angst vorm Fliegen“ denkt, muss sich in diesem Fall ein bisschen umorientieren. Teresa Präauers Debütroman „Für den Herrscher von Übersee“ handelt zwar in obsessiver Weise von Fliegerinnen, Vögeln, Fluglehrgängen und Schwebezuständen – allerdings in einer poetischen (und weniger erotischen) Variante, die den Menschheitstraum vom Fliegen als etwas Federleichtes, manchmal auch Tragikomisches präsentiert. Obwohl auch der erotische Höhenflug seinen Auftritt hat: Der Großvater nämlich, der in dieser Geschichte den exzentrischen Haudegen gibt, erzählt Seltsames vom Krieg. Als junger Flieger lernt er eine japanische Pilotin kennen, deren Flugzeug schwer reparaturbedürftig auf ihn, den Retter, wartet. Im Liebesrausch rollt er mit ihr über die Notlandungswiese – so lange, bis sich ihre Trampelpfade ins Gras graben wie eine Schreibschrift. Schreiben, Schleifenziehen, Formationen fliegen – das alles wird eins in dieser wunderlichen Flugschrift.
Zunächst aber lernt man ein Geschwisterpaar kennen, das bei den Großeltern lebt, vom Fliegen träumt und mit Inbrunst die Zier- und Nutzvögel des Hofes versorgt. Während die verreisten Eltern jeden Tag eine Postkarte von fernen Kontinenten schicken, gibt eben jener Großvater-Haudegen Flugstunden, als ob die Kinder mit ihren angeschnallten Flügeln und Propellern tatsächlich abheben könnten. Dass die Kinderperspektive nicht ins Kitschige kippt, liegt am kunstvoll-belustigten Ton, den Teresa Präauer diesem Geschwisterpaar andichtet. Wenn etwa die Großmutter zornrauchend mit der Flinte vom Hof verschwindet, sagen die beiden: „Oh Herr, wir begehren ihre Rückkehr“; wenn eine Mahlzeit ausfällt, stellt der kleine Bruder fest: „Betrogen bin ich um mein Abendessen“.
Auf ihren barocken Sprachstelzen erobern die Kinder einen Kosmos, in dem es von selbst auszubrütenden Kuckuckseiern und vorläufig unbekannten Buchstaben wimmelt. Das V bringt ihnen der Großvater so bei: „Fau wie in Sieg, Fau wie in Vogel, und Fau, wie die Vögel fliegen“. Allmählich rückt der Fliegerheld – ewig krakeelend (seine Flugbefehle brüllt er durchs Megafon), stark angeprollt (seine Zigarettenkippen schnippt er durchs Zimmer) und neurotisch zackig (seine Enkel nennt er Schwächlinge) – mit seiner japanischen Liebesgeschichte heraus. Eine Figur wie Hans Albers und Charlie Chaplin, die trotz oder wegen ihres Formbewusstseins immer über sich selbst stolpert. Und sich dabei als Tragikomiker entpuppt: Die geliebte Japanerin hatte ein SOS in die Wiese geplättet. Und war dann irgendwann weg.
Neben der Kinder- und der Japanerinnen-Geschichte kommt aber noch eine dritte Ebene dazu, die den Vogelflug am geschicktesten zwischen Traum, Technik, Ornithologie und Freiheitsrhetorik ansiedelt. Eine nicht näher benannte Fliegerin begleitet „in ihrem bohnenförmigen Fluggerät“ eine Vogelschar auf deren Weg ins Winterquartier – und beobachtet dabei die buschigen Federn, die großen Leiber, die auf- und zuklappenden Glubschaugen, als ob sie Naturkundlerin und Dichterin zugleich sein wollte. Mit dieser Pilotin paradiert der Roman elegant an den Säulenheiligen der Aviatik und Ornithologie entlang: von Ikarus über Leonardo da Vinci und Otto Lilienthal bis zu Konrad Lorenz, Amelia Earhart oder Johnny Depp (als Fluggerätebastler im Film „Arizona Dream“).
Von Konrad Lorenz übernimmt die Fliegerin die Versuchsanordnung, die Vögel auszubrüten und sie damit auf sich zu konditionieren; von der legendären Pilotin Amelia Earhart könnten der Helm und die Befreiungstheologie stammen, völlig losgelöst und ohne Heldenbegleitschutz unterwegs zu sein (Dietmar Dath hat in seinem vorletzten Roman ebenfalls auf Amelia Earhart als weibliche Überfliegerin gesetzt). Teresa Präauer, geboren 1979 in Linz, hat Malerei und Germanistik studiert – und scheint sowohl literarisch als auch zeichnerisch auf Vögel spezialisiert zu sein. Für Wolf Haas hat sie das Kinderbuch „Die Gans im Gegenteil“ bebildert, sie hat „Taubenbriefe von Stummen an anderer Vögel Küken“ veröffentlicht und ein illustriertes Langgedicht mit dem Titel „Die Hand voll mit Vögeln schreiben“. Für ihr Romandebüt wurde sie kürzlich mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet.
„Für den Herrscher aus Übersee“ ist übrigens die Widmung, die der Großvater als Schmuckschrift auf die Marmeladenglasetiketten für jenes ferne Herrscherphantom pinselt – ein Luftgott und ein Fliegerphantasma auch er. Bei all diesen schön geschwungenen, traumtänzerischen Zierschleifen könnte man argwöhnen, dass der Niedlichkeitsfaktor irgendwann überhand nimmt. Tut er aber nicht: Der magische Traum vom Fliegen kennt auch die groteske Bruchlandung, und die Sprache dieses Flugromans kennt den Dreh, der das Kindliche vor dem Naiven rettet und das Fliegerische vor dem Elegischen. Wie gut, dass ab und zu auch ein Dumbo mit Elefantenohren angeflogen kommt.
JUTTA PERSON
Teresa Präauer: Für den Herrscher aus Übersee. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 138 Seiten, 16,90 Euro.
Teresa Präauer.
FOTO: LEV LEDIT
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2012Den Dingen Schwingen schenken
Mit Anlauf den Hügel hinunter: Die Wiener Künstlerin und Autorin Teresa Präauer folgt in ihrem Romandebüt den Vögeln und lehrt den Leser das Fliegen. Es ist alles nur eine Frage der Perspektive.
Von Swantje Karich
Wer diesen kleinen, schmalen Prosaband öffnet, erlebt eine warme, aber kräftige Sprachwindböe und wird in die Höhe getragen. "Unter ihnen ist das Land geteilt in Felder, gelb und braun, dazwischen sind kleine Seen und Flüsse." Das Buch empfängt den Blick wie ein Gemälde von Pieter Brueghel: "Bäume, die Früchte tragen, und solche, an denen das Laub schon rot ist." Was unten zu sehen ist, wird detailreich beschrieben, der Überblick genießt die eigene Anmut.
Protagonisten im Relief: "Der Großvater und die Großmutter wohnen in einem Haus auf einem Hügel. In ihrem Garten wohnen viele Vögel, von denen wir schreiben und lesen lernen. Unsere Eltern sind fort. Sie reisen um die Welt und schicken uns jeden Tag eine Karte." "Wir" - das sind zwei Geschwister. Dann gibt es noch eine Japanerin - und natürlich die "Fliegerin". "In einem bohnenförmigen Fluggerät, unten drei Räder, hinten ein Propeller, oben ein weißer Schirm, der geschnitten ist wie ein Lindenblütenblatt, sitzt, den Helm über den Kopf gezogen, die Handschuhe über den Fingern, ein Tuch um den Mund, die Fliegerin." Wir begleiten sie, stets in einem Schwarm Vögel aufgehoben. Die historischen Assoziationen sind klar, Amelia Earhart zum Beispiel, denn irgendwann kommt eine Postkarte mit einer "Fliegerin" und Autogramm. Aber diese Zuschreibungen verblassen, wenn man selbst zu fliegen beginnt.
"Für den Herrscher aus Übersee" heißt das Prosadebüt der Wiener Autorin und Künstlerin Teresa Präauer. Man darf sich als Leser vollkommen unbelastet nähern, sollte das Buch in die Hand nehmen, hin und her wiegen, das Titelbild studieren. Es zeigt zwei Kinder, rotzfrech das eine, schüchtern, skeptisch das andere. Mehrere Stimmen also, ein Spektrum, das der Band vereint, wunderbar zum Vorlesen geeignet. Präauer formt ihre lyrische Sprache wie ein Stück Ton, dreht und wendet sie, eigen, manchmal aufdringlich, dann fast unangenehm schlicht getaktet, wenn es heißt: "Die Früchte tragen", "die Fliegerin fliegt", "der Wind bläst" und "der Großvater brummt". Horcht man dem länger nach, intoniert sie so beiläufig verwundet-sanft - ganz ohne ein Adjektiv und stets mit wunderbar gesetzten Wendungen -, wie der Flugwind das Gesicht streift.
Ihr Prosagemälde zeigt den Hof, die zwei zurückgelassenen Kinder, wie sie die Felder hinablaufen, mit einer aufgeschnallten Flugmontur, Anlauf nehmen zum Abheben, stürzen, weiterwollen.
Der Großvater erzählt dann den Erschöpften, wie er einmal im Krieg mit seinem Flugzeug abstürzte und auf eine Japanerin traf. Wir sehen sie in der Wiese der Liebe folgen, den Großvater den Verstand verlieren, im Hintergrund ihre herabgefallenen, rauchenden Flugzeuge. Der rüde Großvater hat etwas sonderbar Reales, er spricht und handelt, wie ihn eine Schriftstellerin vom Jahrgang 1979 gekannt haben kann: Diese knorrigen alten Männer, wie es sie heute fast nicht mehr gibt, die sich gern eher brüsk als verzärtelnd um ihre Enkel kümmern. Er jedenfalls sagt stolz von sich, er sei der "Dunkelste und Tapferste". Die Großmutter in ihren bunten Kleidern jagt ihn dann auch mal mit der Flinte. Die Kinder balancieren durch diese unschuldige Träumerei und verwirrte Alterssorge überlegen hindurch. Sie wollen nur eins: fliegen, herunterschauen, frei sein. Wie einst der Großvater. Der gibt also Flugstunden mit Teller und Besteck und stürmt "den Hügel hinunter".
Teresa Präauer nimmt sich Zeit für Nebendinge, und doch packt sie in wenige Worte ganz große Schwüre. Das "Ich" ist eines der Kinder. "Der Bruder und ich sind zwei. Wir sehen einander ähnlich, obwohl der Bruder jünger ist. Wir haben die gleichen Haare, die gleichen Augen, die gleichen Finger, die gleichen Zehen, und unter den Nägeln sind wir gleich schwarz, wenn wir aus dem Garten kommen und uns an den Küchentisch setzen." Sie lernen vom Fasan, wie man sich am Ende eines großen Gusses richtig schüttelt, "und bald, sagen wir weiter, werden wir die besten Flieger des Landes sein".
Schlaglichtprosa erhellt diese Welt, in der die Kinder in den großen Weltahnungen des Großvaters leben, in der Wirklichkeit aber zugleich Zigaretten holen. Sie wissen: "Wenn die Kartenpanoramen um unser Zimmer im Kreis verlaufen und sich ihre Reihe schließt, kommen die Eltern wieder." Auf den Postkarten sind Motive von überall, "manchmal ist die Luft voll mit Sternen, manchmal mit Mücken, manchmal mit Staub. Und manchmal können auch die Kinder auf diesen Karten fliegen, und manchmal liegen ein paar Frauen splitternackt im Gras, und wir müssen uns selbst zusammenreimen, was das alles miteinander zu tun hat."
Das Lesen müssen sie noch dem Großvater überlassen, der munter dichtet, was nicht dort steht, die Sache damit aber interessanter für alle macht. Das Vorbild liebt dann den Exkurs: "Ich bin in den Himmel hinauf geflogen und habe mit dem Zählen der Tage aufgehört." Die Liebesgeschichte zwischen dem Großvater und der Japanerin zeigt jedoch: Es ist keine heile, einfache Welt. Wunsch und Vorstellung zu bewahren macht Arbeit. Übertreiben, Flunkern, Legendenbauen - all das ist nötig, eine Trennung vom Leben, eine von vielen: "Dass der Bruder und ich zwei sind, schadet manchmal."
Über solche Mühen erhoben, unantastbar, gleiten die Vögel durch den Text. Sie sind die besten Flieger und haben "für jeden Halbkreis der Welt seitlich am Kopf ein Auge angebracht".
Teresa Präauers Text blickt mit dieser Art Auge: ein peripheres Sehen, das, zur Schrift gebracht, sanft berührt und viel verspricht.
Teresa Präauer: "Für den Herrscher aus Übersee". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 140 S., geb., 17,49 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Anlauf den Hügel hinunter: Die Wiener Künstlerin und Autorin Teresa Präauer folgt in ihrem Romandebüt den Vögeln und lehrt den Leser das Fliegen. Es ist alles nur eine Frage der Perspektive.
Von Swantje Karich
Wer diesen kleinen, schmalen Prosaband öffnet, erlebt eine warme, aber kräftige Sprachwindböe und wird in die Höhe getragen. "Unter ihnen ist das Land geteilt in Felder, gelb und braun, dazwischen sind kleine Seen und Flüsse." Das Buch empfängt den Blick wie ein Gemälde von Pieter Brueghel: "Bäume, die Früchte tragen, und solche, an denen das Laub schon rot ist." Was unten zu sehen ist, wird detailreich beschrieben, der Überblick genießt die eigene Anmut.
Protagonisten im Relief: "Der Großvater und die Großmutter wohnen in einem Haus auf einem Hügel. In ihrem Garten wohnen viele Vögel, von denen wir schreiben und lesen lernen. Unsere Eltern sind fort. Sie reisen um die Welt und schicken uns jeden Tag eine Karte." "Wir" - das sind zwei Geschwister. Dann gibt es noch eine Japanerin - und natürlich die "Fliegerin". "In einem bohnenförmigen Fluggerät, unten drei Räder, hinten ein Propeller, oben ein weißer Schirm, der geschnitten ist wie ein Lindenblütenblatt, sitzt, den Helm über den Kopf gezogen, die Handschuhe über den Fingern, ein Tuch um den Mund, die Fliegerin." Wir begleiten sie, stets in einem Schwarm Vögel aufgehoben. Die historischen Assoziationen sind klar, Amelia Earhart zum Beispiel, denn irgendwann kommt eine Postkarte mit einer "Fliegerin" und Autogramm. Aber diese Zuschreibungen verblassen, wenn man selbst zu fliegen beginnt.
"Für den Herrscher aus Übersee" heißt das Prosadebüt der Wiener Autorin und Künstlerin Teresa Präauer. Man darf sich als Leser vollkommen unbelastet nähern, sollte das Buch in die Hand nehmen, hin und her wiegen, das Titelbild studieren. Es zeigt zwei Kinder, rotzfrech das eine, schüchtern, skeptisch das andere. Mehrere Stimmen also, ein Spektrum, das der Band vereint, wunderbar zum Vorlesen geeignet. Präauer formt ihre lyrische Sprache wie ein Stück Ton, dreht und wendet sie, eigen, manchmal aufdringlich, dann fast unangenehm schlicht getaktet, wenn es heißt: "Die Früchte tragen", "die Fliegerin fliegt", "der Wind bläst" und "der Großvater brummt". Horcht man dem länger nach, intoniert sie so beiläufig verwundet-sanft - ganz ohne ein Adjektiv und stets mit wunderbar gesetzten Wendungen -, wie der Flugwind das Gesicht streift.
Ihr Prosagemälde zeigt den Hof, die zwei zurückgelassenen Kinder, wie sie die Felder hinablaufen, mit einer aufgeschnallten Flugmontur, Anlauf nehmen zum Abheben, stürzen, weiterwollen.
Der Großvater erzählt dann den Erschöpften, wie er einmal im Krieg mit seinem Flugzeug abstürzte und auf eine Japanerin traf. Wir sehen sie in der Wiese der Liebe folgen, den Großvater den Verstand verlieren, im Hintergrund ihre herabgefallenen, rauchenden Flugzeuge. Der rüde Großvater hat etwas sonderbar Reales, er spricht und handelt, wie ihn eine Schriftstellerin vom Jahrgang 1979 gekannt haben kann: Diese knorrigen alten Männer, wie es sie heute fast nicht mehr gibt, die sich gern eher brüsk als verzärtelnd um ihre Enkel kümmern. Er jedenfalls sagt stolz von sich, er sei der "Dunkelste und Tapferste". Die Großmutter in ihren bunten Kleidern jagt ihn dann auch mal mit der Flinte. Die Kinder balancieren durch diese unschuldige Träumerei und verwirrte Alterssorge überlegen hindurch. Sie wollen nur eins: fliegen, herunterschauen, frei sein. Wie einst der Großvater. Der gibt also Flugstunden mit Teller und Besteck und stürmt "den Hügel hinunter".
Teresa Präauer nimmt sich Zeit für Nebendinge, und doch packt sie in wenige Worte ganz große Schwüre. Das "Ich" ist eines der Kinder. "Der Bruder und ich sind zwei. Wir sehen einander ähnlich, obwohl der Bruder jünger ist. Wir haben die gleichen Haare, die gleichen Augen, die gleichen Finger, die gleichen Zehen, und unter den Nägeln sind wir gleich schwarz, wenn wir aus dem Garten kommen und uns an den Küchentisch setzen." Sie lernen vom Fasan, wie man sich am Ende eines großen Gusses richtig schüttelt, "und bald, sagen wir weiter, werden wir die besten Flieger des Landes sein".
Schlaglichtprosa erhellt diese Welt, in der die Kinder in den großen Weltahnungen des Großvaters leben, in der Wirklichkeit aber zugleich Zigaretten holen. Sie wissen: "Wenn die Kartenpanoramen um unser Zimmer im Kreis verlaufen und sich ihre Reihe schließt, kommen die Eltern wieder." Auf den Postkarten sind Motive von überall, "manchmal ist die Luft voll mit Sternen, manchmal mit Mücken, manchmal mit Staub. Und manchmal können auch die Kinder auf diesen Karten fliegen, und manchmal liegen ein paar Frauen splitternackt im Gras, und wir müssen uns selbst zusammenreimen, was das alles miteinander zu tun hat."
Das Lesen müssen sie noch dem Großvater überlassen, der munter dichtet, was nicht dort steht, die Sache damit aber interessanter für alle macht. Das Vorbild liebt dann den Exkurs: "Ich bin in den Himmel hinauf geflogen und habe mit dem Zählen der Tage aufgehört." Die Liebesgeschichte zwischen dem Großvater und der Japanerin zeigt jedoch: Es ist keine heile, einfache Welt. Wunsch und Vorstellung zu bewahren macht Arbeit. Übertreiben, Flunkern, Legendenbauen - all das ist nötig, eine Trennung vom Leben, eine von vielen: "Dass der Bruder und ich zwei sind, schadet manchmal."
Über solche Mühen erhoben, unantastbar, gleiten die Vögel durch den Text. Sie sind die besten Flieger und haben "für jeden Halbkreis der Welt seitlich am Kopf ein Auge angebracht".
Teresa Präauers Text blickt mit dieser Art Auge: ein peripheres Sehen, das, zur Schrift gebracht, sanft berührt und viel verspricht.
Teresa Präauer: "Für den Herrscher aus Übersee". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 140 S., geb., 17,49 [Euro].
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