Heutzutage erscheint Dating so einfach wie Carsharing, ein paar Klicks, ein paar Algorithmen, gesucht, gefunden. Manfred Hügel etwa sucht ausschließlich Frauen unter 60 Kilogramm. Die Architektin, die ihm eine Seitensprungagentur präsentiert, wiegt deutlich mehr. Warum fühlt er sich mit ihr gegen seinen Willen wohler als je zuvor? Gerlinde Wagner ist in Rente und versucht, ihre Einsamkeit durch festgelegte Rituale zu bannen. Auf einem Datingportal lernt sie Rudi kennen. Mit ihm entdeckt sie ihre eigene Stadt neu. Doch Rudi ist fast 30 Jahre jünger. „Für eine Nacht oder fürs ganze Leben“ erzählt davon, wie die Liebeswahl auch in Zeiten der Singlepartys, der digitalen Kontaktbörsen, der gesellschaftlichen Freiheit unberechenbar bleibt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2015Oma in Tschernobyl
Der zweite Abend von "Literatur im Römer"
Oskar geht betteln: auf der Gucci-Straße. Die Zürcher Bahnhofstraße mit ihren Luxusläden sei der richtige Ort, um seine Impulskontrolle zu überprüfen, meint sein Psychotherapeut. Eigentlich nicht seiner, sondern der von Viktor. Denn der beste Freund hat ein Eheproblem, aber keine Zeit für die Therapie. Deshalb soll Oskar ihn vertreten. So geht es an der Goldküste des Zürichsees zu, wo der Schweizer Schriftsteller Philipp Tingler logiert. Jetzt hat sich der offenbar gutbetuchte Autor in den sozialen Brennpunkt Frankfurt begeben, um sein Buch über "Schöne Seelen" (Kein & Aber) vorzustellen. Im Gespräch mit Alf Mentzer vom Hessischen Rundfunk amüsierte er das Publikum am zweiten Abend von "Literatur im Römer", der Veranstaltung, mit der die Stadt traditionell ihre Bürger zur Buchmesse beglückt. Tingler präsentiert ein Völkchen, das mit gelifteten Seelen sein Unglück auf hohem Niveau bejammert.
In Zürich ist alles besser: zum Beispiel das Licht zum Lesen. Jedenfalls musste sich der Autor ziemlich verrenken, ehe er sein eigenes Buch entziffern konnte. Auch mancher Gast in der VIP-Loge rutschte ungeduldig hin und her, weil es von hinten jedes Mal eisig hereinzog, wenn sich das Tor zu den Römerhallen öffnete und schloss. Aber das Kommen und Gehen ist typisch für den Leseabend mit acht Autoren im Viertelstundenrhythmus, den Mentzers Kollegin Cécile Schortmann regelmäßig überzog - zum Bedauern all derer, die ihre Rückenmuskeln auf den lehnenlosen Bierzeltbänken schmerzhaft spürten. Dabei konnte noch froh sein, wer rechtzeitig einen Sitzplatz ergattert hatte. Viele Besucher, wenn auch nicht mehr so viele wie am ersten Abend, standen sich auch in diesem Jahr die Beine in den Bauch - sogar die schon etwas betagteren. Das ist immer wieder bewundernswert.
Immerhin: Der zweite Abend war kurzweiliger als der erste. Das war neben Tingler vor allem Alina Bronsky zu verdanken. Nach einer peinlichen Selbstdarstellung Friedrich Anis mit seinem Groschenroman "Der namenlose Tag" (Suhrkamp) hievten Katharina Hacker und Feridun Zaimoglu die Veranstaltung auf seriöseres Niveau. Die deutsche Schriftstellerin mit dem Faible für Israel hat ein Buch über einen Mann verfasst, dessen Gespür für Sterbende ihn stets an den rechten Ort führt, um Beistand zu leisten, ob Mensch oder Tier. "Skip" (S. Fischer), der, wie sein Name sagt, manches überspringt, erinnert an den biblischen Bileam, der von seiner hellsichtigen Eselin geadelt wird. Zaimoglus poetisch dichter Achthundertseitenroman über das "Siebentürmeviertel" (Kiepenheuer & Witsch) von Istanbul lässt zwischen 1939 und 1949 archaische Mythen durch ein deutsches Flüchtlingskind raunen.
Aufatmen nach dieser gewöhnungsbedürftigen Rhapsodie samt kleinem Werwolf. Alina Bronsky erzählt in ihrem Roman "Baba Dunjas letzte Liebe" (Kiepenheuer & Witsch) von einer Ukrainerin, die auf ihre alten Tage nach Tschernobyl zurückkehrt. Dass die Tomaten verstrahlt sind, kümmert sie nicht, Hauptsache, der aufdringliche Hahn der Nachbarin landet im Kochtopf. Woher die junge russische Autorin die Erfahrungsweisheit, die Gelassenheit und den selbstkritisch trockenen Witz ihrer Ich-Erzählerin nimmt, bleibt ihr Geheimnis, aber sie gibt zu: "So eine Oma hätte ich gern gehabt."
Als Matthias Nawrat "Die vielen Tode des Opa Jurek" (Rowohlt) zur Hand nahm, war der Brezelkorb der Zuhörer leer. Konstantin, der gesottene Hahn, hatte offenbar den Appetit angeregt, nun aber stand "Todeshunger" an. Der deutsche Autor polnischer Herkunft hat seinem Großvater genau zugehört, und der hat ihm von Auschwitz erzählt. Nach solch schwerer Kost lieferte die Literaturkritikerin Ursula März einen albernen Kontrast. In ihrem Buch "Für eine Nacht oder fürs ganze Leben" (Hanser) erzählt sie von Leuten, die im Internet nach Partnern suchen - ein schwacher Abgesang.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der zweite Abend von "Literatur im Römer"
Oskar geht betteln: auf der Gucci-Straße. Die Zürcher Bahnhofstraße mit ihren Luxusläden sei der richtige Ort, um seine Impulskontrolle zu überprüfen, meint sein Psychotherapeut. Eigentlich nicht seiner, sondern der von Viktor. Denn der beste Freund hat ein Eheproblem, aber keine Zeit für die Therapie. Deshalb soll Oskar ihn vertreten. So geht es an der Goldküste des Zürichsees zu, wo der Schweizer Schriftsteller Philipp Tingler logiert. Jetzt hat sich der offenbar gutbetuchte Autor in den sozialen Brennpunkt Frankfurt begeben, um sein Buch über "Schöne Seelen" (Kein & Aber) vorzustellen. Im Gespräch mit Alf Mentzer vom Hessischen Rundfunk amüsierte er das Publikum am zweiten Abend von "Literatur im Römer", der Veranstaltung, mit der die Stadt traditionell ihre Bürger zur Buchmesse beglückt. Tingler präsentiert ein Völkchen, das mit gelifteten Seelen sein Unglück auf hohem Niveau bejammert.
In Zürich ist alles besser: zum Beispiel das Licht zum Lesen. Jedenfalls musste sich der Autor ziemlich verrenken, ehe er sein eigenes Buch entziffern konnte. Auch mancher Gast in der VIP-Loge rutschte ungeduldig hin und her, weil es von hinten jedes Mal eisig hereinzog, wenn sich das Tor zu den Römerhallen öffnete und schloss. Aber das Kommen und Gehen ist typisch für den Leseabend mit acht Autoren im Viertelstundenrhythmus, den Mentzers Kollegin Cécile Schortmann regelmäßig überzog - zum Bedauern all derer, die ihre Rückenmuskeln auf den lehnenlosen Bierzeltbänken schmerzhaft spürten. Dabei konnte noch froh sein, wer rechtzeitig einen Sitzplatz ergattert hatte. Viele Besucher, wenn auch nicht mehr so viele wie am ersten Abend, standen sich auch in diesem Jahr die Beine in den Bauch - sogar die schon etwas betagteren. Das ist immer wieder bewundernswert.
Immerhin: Der zweite Abend war kurzweiliger als der erste. Das war neben Tingler vor allem Alina Bronsky zu verdanken. Nach einer peinlichen Selbstdarstellung Friedrich Anis mit seinem Groschenroman "Der namenlose Tag" (Suhrkamp) hievten Katharina Hacker und Feridun Zaimoglu die Veranstaltung auf seriöseres Niveau. Die deutsche Schriftstellerin mit dem Faible für Israel hat ein Buch über einen Mann verfasst, dessen Gespür für Sterbende ihn stets an den rechten Ort führt, um Beistand zu leisten, ob Mensch oder Tier. "Skip" (S. Fischer), der, wie sein Name sagt, manches überspringt, erinnert an den biblischen Bileam, der von seiner hellsichtigen Eselin geadelt wird. Zaimoglus poetisch dichter Achthundertseitenroman über das "Siebentürmeviertel" (Kiepenheuer & Witsch) von Istanbul lässt zwischen 1939 und 1949 archaische Mythen durch ein deutsches Flüchtlingskind raunen.
Aufatmen nach dieser gewöhnungsbedürftigen Rhapsodie samt kleinem Werwolf. Alina Bronsky erzählt in ihrem Roman "Baba Dunjas letzte Liebe" (Kiepenheuer & Witsch) von einer Ukrainerin, die auf ihre alten Tage nach Tschernobyl zurückkehrt. Dass die Tomaten verstrahlt sind, kümmert sie nicht, Hauptsache, der aufdringliche Hahn der Nachbarin landet im Kochtopf. Woher die junge russische Autorin die Erfahrungsweisheit, die Gelassenheit und den selbstkritisch trockenen Witz ihrer Ich-Erzählerin nimmt, bleibt ihr Geheimnis, aber sie gibt zu: "So eine Oma hätte ich gern gehabt."
Als Matthias Nawrat "Die vielen Tode des Opa Jurek" (Rowohlt) zur Hand nahm, war der Brezelkorb der Zuhörer leer. Konstantin, der gesottene Hahn, hatte offenbar den Appetit angeregt, nun aber stand "Todeshunger" an. Der deutsche Autor polnischer Herkunft hat seinem Großvater genau zugehört, und der hat ihm von Auschwitz erzählt. Nach solch schwerer Kost lieferte die Literaturkritikerin Ursula März einen albernen Kontrast. In ihrem Buch "Für eine Nacht oder fürs ganze Leben" (Hanser) erzählt sie von Leuten, die im Internet nach Partnern suchen - ein schwacher Abgesang.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.01.2016Wahlweise Liebe
„Für eine Nacht oder fürs ganze Leben“ – die Journalistin und Autorin Ursula März nähert
sich in ihrem neuen Buch in fünf Geschichten dem Wesen des Dating
VON CHRISTIANE LUTZ
Wenn eine Ursula März ein Buch über Dating schreibt, ist das in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst deshalb, weil sie Journalistin ist und Journalisten nicht automatisch auch gute Bücher schreiben. Da schauen vor allem die anderen Journalisten ganz genau drauf. Zum anderen, weil März, 58, nicht unbedingt die erste ist, die einem als Expertin für Dating einfällt. Bei „Für eine Nacht oder fürs ganze Leben“ aber gelingt ihr beides: ein gutes Buch zu schreiben und ein gutes Buch über Dating zu schreiben.
Angefangen hatte ihr Interesse für das Thema mit einem Reportageauftrag über Dating für die Zeit – und mit der persönlichen Erkenntnis, dass es in ihrem Umfeld viele Menschen gab, denen nicht der Zufall den Partner vor die Füße rochierte. Partnervermittlungen on- und offline, bei Reisen und speziellen Single-Angeboten ersetzen sie heute das, was früher die Familie und die Gesellschaft an Vermittlungsarbeit geleistet hat, so ihre Überzeugung. Also sprach sie gezielt mit Menschen über deren Suche nach der Liebe und destillierte aus einigen der Geschichten die Essenz für die fünf Charaktere ihres Buches. In „Für eine Nacht oder fürs ganze Leben“ (Hanser) spitzt sie zu, reichert Erfahrungen an und lässt weg, „aber jede Geschichte hat einen großen Anteil Realität“.
Da ist Thomas Lüttich, Arzt, Ende dreißig, der sich vollkommen im Partnerbörsenuniversum verloren hat, auf der Suche nach der perfekten blonden Frau, die es wahrscheinlich nicht gibt. Da ist Maja Feldkirch, eine strahlende Lebenskünstlerin, allzeit umschwärmt, die sich ausgerechnet, welch’ Klischee, auf Kuba verliebt und in der darauf folgenden pragmatischen Heirat glücklicher wird, als von der Gesellschaft gedacht. Der Leser wird in fünf Geschichten durch One-Night-Stands, Affären, Single-Partys und verklemmte erste Dates geführt und kommt einmal mehr zu der Erkenntnis, dass der Beginn einer Liebe so knifflig wie magisch ist. Die Autorin ist dabei eine fragestellende Ich-Instanz, die Szenen wirken wie Gesprächssituationen, ohne dabei journalistisch zu sein.
Je mehr sie sich Gedanken machte, desto klarer wurde Ursula März, „dass das Arrangieren der Liebe zurückgekehrt ist. Früher gab es so was wie informelle Liebesmärkte: die Bar, die große Essenseinladung. Da haben sich Menschen schon immer nicht nur getroffen, um über Politik zu sprechen, sondern auch, um eventuell jemanden kennen zu lernen. Ich glaube, das funktioniert heute weniger als früher. Junge Menschen gehen heute ganz selbstverständlich aus. Sie tanzen, trinken. Der flirrende Reiz ist weniger in der Luft. Gerade, weil man heute überall jemanden kennen lernen kann.“ In Jane Austens Romanen gingen die Damen mit rotgekniffenen Wangen auf den einen Ball, die Tanzkarte in der Hand und in größter Hoffnung, mit einer Verlobung nach Hause zu kommen. Und heute? „Wer geht denn bitte heute mit der Aussicht auf Verlobung zur Buchmesse?“
Vor einigen Jahren hat Ursula März selbst Online-Dating ausprobiert. Sie gab schnell wieder auf: „Das funktioniert ja am Anfang viel über Mail-Austausch. Wenn ich eine Mail bekam, schaute ich sie unwillkürlich an wie eine Deutschlehrerin. Abgesehen davon, dass mir das selbst nicht gefiel, ist es natürlich ungünstig.“ Aber für ihr Buch schaute sie sich zu Recherchezwecken erneut Partnerbörsen im Netz an um zu verstehen, wie sie funktionieren. „Mein Misstrauen gegenüber Online-Dating war früher viel größer als heute. Früher dachte ich noch wie manche Soziologen der Frankfurter Schule, die im Online-Dating eine Art Ausverkauf des Ich beklagen. Heute bin ich wohlwollender. Und verständnisvoller.“
Dating über digitale Kanäle sei eine neue Kulturtechnik, mit der wir lernen müssen, vernünftig umzugehen. Ehrlich und maßvoll. „Außerdem kenne ich eine Reihe sehr glücklicher Paare, die sich im Netz kennengelernt haben. Es ist absolut lächerlich, bei einem glücklichen Paar in der Küche zu stehen und zu tadeln: Liebe Leute, im Sinne der Entfremdungstheorie habt ihr etwas gemacht, das nicht ganz in Ordnung ist!“
Es ist Ursula März wichtig, keine Kulturpessimistin zu sein. Das führe nur in eine Sackgasse. Das Neue solle eine Chance bekommen. Gleichwohl ist sie sehr zufrieden mit der Tatsache, selbst noch nie bei Amazon oder Ebay eingekauft zu haben. Ihre Bücher schreibt sie, „Beinchen hoch“, auf der Couch mit einem Stift in ein großes weißes Heft. „Da kann ich durchstreichen und korrigieren und fühle mich viel intimer mit den Sätzen, die ich da fabriziere.“
Fabriziert hat sie jede Menge kluge und komische Sätze über die uns alle verbindende Sehnsucht nach Zuneigung. Sie macht sich Gedanken über geschlechterspezifisches Beziehungsverhalten, ohne zu sehr in Klischees herumzurühren. Sie denkt über Liebe in der Ehe nach, über Liebe im Alter. Und ganz nebenbei präsentiert sie ihren Lesern eine sechste Protagonistin: sich selbst. Sie erweitert die kommentierende Erzählperspektive regelmäßig, um von eigenen Liebesdramen und romantischen Vorstellungen zu berichten. „Das hat – nicht nur, aber auch – einen erzählmoralischen Grund. Ich rücke meinen fünf Figuren dicht auf die Pelle und komme dabei sehr nah an die empfindlichsten Stellen des Menschen: Liebe, Entbehrung, Ablehnung. Das Buch sollte nicht die Perspektive einer Insektenforscherin haben, die sich über das Terrarium beugt. Es ist demokratischer und humaner, wenn ich mich selbst mit ins Terrarium setze.“
Einmal dafür entschieden, genoss es März ungemein, auch mal über sich selbst sprechen zu dürfen. Und ja, sowohl die Vorliebe für schwarze Locken und die kopflose Liebe zu einem sizilianischen Aufschneider seien wahr. Und wie sieht es liebestechnisch heute bei ihr aus, Mutter einer erwachsenen Tochter? „Ich lebe nicht ohne Liebe, aber nach anstrengenden Jahre genieße ich es, morgens allein in meiner Küche zu stehen und meinen Kaffee zuzubereiten.“
Für eine Nacht oder fürs ganze Leben, Lesung mit Ursula März, Di., 26. Januar, 19.30 Uhr, Seidlvilla, Nikolaiplatz 1B, ☏ 381 89215
Die in Herzogenaurach geborene 58-jährige Journalistin und Autorin Ursula März schreibt vor allem für die Wochenzeitung Die Zeit.
Foto: Peter Peitsch/ peitschphoto.com
Immer neue Begegnungen: Speed-Dating als Drehbuchidee – eine Szene aus Ralf Westhoffs Film „Shoppen“ von 2006.
Foto: dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Für eine Nacht oder fürs ganze Leben“ – die Journalistin und Autorin Ursula März nähert
sich in ihrem neuen Buch in fünf Geschichten dem Wesen des Dating
VON CHRISTIANE LUTZ
Wenn eine Ursula März ein Buch über Dating schreibt, ist das in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst deshalb, weil sie Journalistin ist und Journalisten nicht automatisch auch gute Bücher schreiben. Da schauen vor allem die anderen Journalisten ganz genau drauf. Zum anderen, weil März, 58, nicht unbedingt die erste ist, die einem als Expertin für Dating einfällt. Bei „Für eine Nacht oder fürs ganze Leben“ aber gelingt ihr beides: ein gutes Buch zu schreiben und ein gutes Buch über Dating zu schreiben.
Angefangen hatte ihr Interesse für das Thema mit einem Reportageauftrag über Dating für die Zeit – und mit der persönlichen Erkenntnis, dass es in ihrem Umfeld viele Menschen gab, denen nicht der Zufall den Partner vor die Füße rochierte. Partnervermittlungen on- und offline, bei Reisen und speziellen Single-Angeboten ersetzen sie heute das, was früher die Familie und die Gesellschaft an Vermittlungsarbeit geleistet hat, so ihre Überzeugung. Also sprach sie gezielt mit Menschen über deren Suche nach der Liebe und destillierte aus einigen der Geschichten die Essenz für die fünf Charaktere ihres Buches. In „Für eine Nacht oder fürs ganze Leben“ (Hanser) spitzt sie zu, reichert Erfahrungen an und lässt weg, „aber jede Geschichte hat einen großen Anteil Realität“.
Da ist Thomas Lüttich, Arzt, Ende dreißig, der sich vollkommen im Partnerbörsenuniversum verloren hat, auf der Suche nach der perfekten blonden Frau, die es wahrscheinlich nicht gibt. Da ist Maja Feldkirch, eine strahlende Lebenskünstlerin, allzeit umschwärmt, die sich ausgerechnet, welch’ Klischee, auf Kuba verliebt und in der darauf folgenden pragmatischen Heirat glücklicher wird, als von der Gesellschaft gedacht. Der Leser wird in fünf Geschichten durch One-Night-Stands, Affären, Single-Partys und verklemmte erste Dates geführt und kommt einmal mehr zu der Erkenntnis, dass der Beginn einer Liebe so knifflig wie magisch ist. Die Autorin ist dabei eine fragestellende Ich-Instanz, die Szenen wirken wie Gesprächssituationen, ohne dabei journalistisch zu sein.
Je mehr sie sich Gedanken machte, desto klarer wurde Ursula März, „dass das Arrangieren der Liebe zurückgekehrt ist. Früher gab es so was wie informelle Liebesmärkte: die Bar, die große Essenseinladung. Da haben sich Menschen schon immer nicht nur getroffen, um über Politik zu sprechen, sondern auch, um eventuell jemanden kennen zu lernen. Ich glaube, das funktioniert heute weniger als früher. Junge Menschen gehen heute ganz selbstverständlich aus. Sie tanzen, trinken. Der flirrende Reiz ist weniger in der Luft. Gerade, weil man heute überall jemanden kennen lernen kann.“ In Jane Austens Romanen gingen die Damen mit rotgekniffenen Wangen auf den einen Ball, die Tanzkarte in der Hand und in größter Hoffnung, mit einer Verlobung nach Hause zu kommen. Und heute? „Wer geht denn bitte heute mit der Aussicht auf Verlobung zur Buchmesse?“
Vor einigen Jahren hat Ursula März selbst Online-Dating ausprobiert. Sie gab schnell wieder auf: „Das funktioniert ja am Anfang viel über Mail-Austausch. Wenn ich eine Mail bekam, schaute ich sie unwillkürlich an wie eine Deutschlehrerin. Abgesehen davon, dass mir das selbst nicht gefiel, ist es natürlich ungünstig.“ Aber für ihr Buch schaute sie sich zu Recherchezwecken erneut Partnerbörsen im Netz an um zu verstehen, wie sie funktionieren. „Mein Misstrauen gegenüber Online-Dating war früher viel größer als heute. Früher dachte ich noch wie manche Soziologen der Frankfurter Schule, die im Online-Dating eine Art Ausverkauf des Ich beklagen. Heute bin ich wohlwollender. Und verständnisvoller.“
Dating über digitale Kanäle sei eine neue Kulturtechnik, mit der wir lernen müssen, vernünftig umzugehen. Ehrlich und maßvoll. „Außerdem kenne ich eine Reihe sehr glücklicher Paare, die sich im Netz kennengelernt haben. Es ist absolut lächerlich, bei einem glücklichen Paar in der Küche zu stehen und zu tadeln: Liebe Leute, im Sinne der Entfremdungstheorie habt ihr etwas gemacht, das nicht ganz in Ordnung ist!“
Es ist Ursula März wichtig, keine Kulturpessimistin zu sein. Das führe nur in eine Sackgasse. Das Neue solle eine Chance bekommen. Gleichwohl ist sie sehr zufrieden mit der Tatsache, selbst noch nie bei Amazon oder Ebay eingekauft zu haben. Ihre Bücher schreibt sie, „Beinchen hoch“, auf der Couch mit einem Stift in ein großes weißes Heft. „Da kann ich durchstreichen und korrigieren und fühle mich viel intimer mit den Sätzen, die ich da fabriziere.“
Fabriziert hat sie jede Menge kluge und komische Sätze über die uns alle verbindende Sehnsucht nach Zuneigung. Sie macht sich Gedanken über geschlechterspezifisches Beziehungsverhalten, ohne zu sehr in Klischees herumzurühren. Sie denkt über Liebe in der Ehe nach, über Liebe im Alter. Und ganz nebenbei präsentiert sie ihren Lesern eine sechste Protagonistin: sich selbst. Sie erweitert die kommentierende Erzählperspektive regelmäßig, um von eigenen Liebesdramen und romantischen Vorstellungen zu berichten. „Das hat – nicht nur, aber auch – einen erzählmoralischen Grund. Ich rücke meinen fünf Figuren dicht auf die Pelle und komme dabei sehr nah an die empfindlichsten Stellen des Menschen: Liebe, Entbehrung, Ablehnung. Das Buch sollte nicht die Perspektive einer Insektenforscherin haben, die sich über das Terrarium beugt. Es ist demokratischer und humaner, wenn ich mich selbst mit ins Terrarium setze.“
Einmal dafür entschieden, genoss es März ungemein, auch mal über sich selbst sprechen zu dürfen. Und ja, sowohl die Vorliebe für schwarze Locken und die kopflose Liebe zu einem sizilianischen Aufschneider seien wahr. Und wie sieht es liebestechnisch heute bei ihr aus, Mutter einer erwachsenen Tochter? „Ich lebe nicht ohne Liebe, aber nach anstrengenden Jahre genieße ich es, morgens allein in meiner Küche zu stehen und meinen Kaffee zuzubereiten.“
Für eine Nacht oder fürs ganze Leben, Lesung mit Ursula März, Di., 26. Januar, 19.30 Uhr, Seidlvilla, Nikolaiplatz 1B, ☏ 381 89215
Die in Herzogenaurach geborene 58-jährige Journalistin und Autorin Ursula März schreibt vor allem für die Wochenzeitung Die Zeit.
Foto: Peter Peitsch/ peitschphoto.com
Immer neue Begegnungen: Speed-Dating als Drehbuchidee – eine Szene aus Ralf Westhoffs Film „Shoppen“ von 2006.
Foto: dpa
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"Das ausgeprägte Stilgefühl macht die 'Dates' zu einem so vergnüglichen wie intelligenten Leseerlebnis." Cornelia Staudacher, Stuttgarter Zeitung, 22.01.16
"Entstanden ist ein Liebespanorama unserer Zeit, informiert, voller Witz, empathisch und trotzdem mit der nötigen Distanz." Ulrike Längle, Die Presse, 10.10.15
"Statt voyeuristisch hinterm Paravent hervorzulinsen, nimmt sich die Autorin mit hinein ins ratlose Single-Geschehen. Dabei gelingen ihr ebenso erhellende wie stil- und geschmackssichere Einblicke in das Paarungsverhalten der Gegenwart. Bei Ursula März fließt Autobiografisches in anekdotischer Form ein, aber das macht ihr Buch umso glaubwürdiger.Und dafür müsste man sie eigentlich küssen." Christopher Schmidt, Süddeutsche Zeitung, 19./20.09.15
"Auf anregende Art und Weise verknüpft Ursula März die Techniken der Recherche mit essayistischer Finesse. Von Verblüffungen und Ratlosigkeiten handeln die Geschichten der klugen Literaturkritikerin und gewieften Erzählerin." Harry Nutt, Frankfurer Rundschau, 08.08.15
"Ein hochmodernes Sittengemälde unserer seltsamen Zeit." Nils Minkmar, Spiegel, 03.08.15
"Die Liebesgeschichten sind lehrreich und unterhaltsam, manchmal auch bestürzend komisch. Ursula März zeigt sich auch in dem neuen Buch als glänzende Erzählerin." Friedmar Apel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.07.15
"Ursula März trifft mit ihrem Buch einen Nerv." ZDF Aspekte, 24.07.15
"Entstanden ist ein Liebespanorama unserer Zeit, informiert, voller Witz, empathisch und trotzdem mit der nötigen Distanz." Ulrike Längle, Die Presse, 10.10.15
"Statt voyeuristisch hinterm Paravent hervorzulinsen, nimmt sich die Autorin mit hinein ins ratlose Single-Geschehen. Dabei gelingen ihr ebenso erhellende wie stil- und geschmackssichere Einblicke in das Paarungsverhalten der Gegenwart. Bei Ursula März fließt Autobiografisches in anekdotischer Form ein, aber das macht ihr Buch umso glaubwürdiger.Und dafür müsste man sie eigentlich küssen." Christopher Schmidt, Süddeutsche Zeitung, 19./20.09.15
"Auf anregende Art und Weise verknüpft Ursula März die Techniken der Recherche mit essayistischer Finesse. Von Verblüffungen und Ratlosigkeiten handeln die Geschichten der klugen Literaturkritikerin und gewieften Erzählerin." Harry Nutt, Frankfurer Rundschau, 08.08.15
"Ein hochmodernes Sittengemälde unserer seltsamen Zeit." Nils Minkmar, Spiegel, 03.08.15
"Die Liebesgeschichten sind lehrreich und unterhaltsam, manchmal auch bestürzend komisch. Ursula März zeigt sich auch in dem neuen Buch als glänzende Erzählerin." Friedmar Apel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.07.15
"Ursula März trifft mit ihrem Buch einen Nerv." ZDF Aspekte, 24.07.15