David Van Reybrouck geht es um demokratische Partizipation. Alle Menschen müssen sich in Politik und Entscheidungsfindungen einbringen, deshalb: Mehr Populismus! Besserer Populismus! Populismus gilt, gerade in Zeiten des zunehmenden Nationalismus, als negativer Begriff, doch in ganz Europa haben populistische Bewegungen starken Zulauf. David Van Reybrouck, selbst Historiker und Archäologe, sieht den Grund dafür in einer immer größeren Kluft zwischen Menschen mit akademischer Ausbildung und Menschen bildungsfernerer Schichten. Während die Riege der Akademiker durchaus die Vorteile der Globalisierung sieht und Toleranz für das Fremde fordert, verbinden Menschen in ungelernten Jobs und mit schlechterer Bezahlung mit dem Wort Globalisierung oft zuallererst Ängste, auch Konkurrenzängste. In Regierungen sind Nichtakademiker oder die sogenannten einfachen Leute aber mittlerweile völlig unterrepräsentiert. Sie von demokratischen Entscheidungsprozessen auszugrenzen kann aber fatale Folgen haben und sie zu radikalen Positionen treiben. Nach "Gegen Wahlen" legt Van Reybrouck erneut eine streitbare Schrift vor, die Demokratie und Regierungsbeteiligung für alle fordert: auch und gerade für diejenigen, die in medialen und gesellschaftlichen Debatten oft nicht zu Wort kommen und sich deshalb fatalerweise Parteien zuwenden, die populistisch den Nationalismus und rechtsradikale Bewegungen stärken. Van Reybroucks Plädoyer dagegen: Populismus nicht fürchten, sondern zur Stärkung der Demokratie nutzen!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2017Vorteil
Volksvernetzung
David Van Reybrouck plädiert
für einen positiven Populismus
Was die Sozialmischung der Mandatsträger unter der Reichstagskuppel betrifft, gibt es nichts zu deuteln: „Der Bundestag repräsentiert ohne Zweifel nicht die Bevölkerungsstruktur Deutschlands.“ So formulierte es 2013 der SPD-Parlamentarier und Politikwissenschaftler Rolf Mützenich. Sein Forschungskollege Armin Schäfer sprach vom „Akademikerparlament“, denn: „Arbeiter sind im Bundestag deutlich unterrepräsentiert.“
Andere Geokoordinaten, gleiche Lage: Der belgische Historiker David Van Reybrouck diagnostiziert für seine Heimat und die benachbarten Niederlande eine „Diplomdemokratie“, in der Geringqualifizierte den Kürzeren ziehen, obwohl sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Deshalb, so Van Reybrouck, prosperiert der „dunkle Populismus“, machen Demagogen mit Ressentiments Wahlkampf – und irgendwann Politik.
Dagegen macht sich sein schmales, im Original bereits 2008 erschienenes Plädoyer „Für einen anderen Populismus“ stark. Die Analyse des Istzustands wiederholt allerdings nur sattsam Bekanntes. Demnach wirkt sich die Asymmetrie der Bildungschancen auf Lebens- und Berufswege aus und zeichnet indirekt vor, ob jemand den Sprung in eine Volksvertretung wagt oder nicht. Generell wachsen die Unterschiede, polarisieren weltanschauliche und kulturelle Differenzen die ganze Gesellschaft. Allerdings sitzt der Autor bisweilen genau den Klischees auf, die er andernorts kritisiert. So wenn er Reisegewohnheiten und Schichtzugehörigkeit kurzschließt: Gutverdiener bevorzugen den Abenteuertrip, Minderbemittelte das All-inclusive-Pauschalpaket. Wenn dem so wäre, hätten die mittelmeerischen Luxusressorts ein Problem, und die Campingplätze am Ostseestrand auch.
Reizvoll argumentiert Van Reybrouck, sobald er die Ebene der Symptome verlässt und die Ursachen einkreist: Warum, lautet die entscheidende Frage, schlagen sich Leute überhaupt ins radikale Lager? Weil sie Angst haben, in der politischen Klasse und im Parlamentsbetrieb aber niemanden finden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt und ihnen Aufmerksamkeit statt Affektzensur entgegenbringt. Das ist zwar auch keine brandneue Erkenntnis, aber Van Reybrouck verpackt sie prägnant: „Populisten erkennen diese Angst an“ – das ist ihr Schlüssel zum Erfolg.
Indes treiben sie meistens Schindluder mit der Angst und schüren sie noch weiter. Dafür müssen die Zündler natürlich die Rote Karte kriegen, nicht aber ihre Klientel. Stattdessen wirbt Van Reybrouck für einen positiv gewendeten, einen aufgeklärten Populismus: Volksvernetzung statt Volksverhetzung sozusagen. Wer wäre dafür besser geeignet als die guten alten Volksparteien?
DORION WEICKMANN
Warum schlagen sich Menschen
ins radikale Lager?
David Van Reybrouck:
Für einen anderen Populismus. Ein Plädoyer. Aus dem Niederländischen von Arne Braun.
Wallstein Verlag, Göttingen 2017, 96 Seiten, 12,90 Euro.
E-Book: 9,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Volksvernetzung
David Van Reybrouck plädiert
für einen positiven Populismus
Was die Sozialmischung der Mandatsträger unter der Reichstagskuppel betrifft, gibt es nichts zu deuteln: „Der Bundestag repräsentiert ohne Zweifel nicht die Bevölkerungsstruktur Deutschlands.“ So formulierte es 2013 der SPD-Parlamentarier und Politikwissenschaftler Rolf Mützenich. Sein Forschungskollege Armin Schäfer sprach vom „Akademikerparlament“, denn: „Arbeiter sind im Bundestag deutlich unterrepräsentiert.“
Andere Geokoordinaten, gleiche Lage: Der belgische Historiker David Van Reybrouck diagnostiziert für seine Heimat und die benachbarten Niederlande eine „Diplomdemokratie“, in der Geringqualifizierte den Kürzeren ziehen, obwohl sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Deshalb, so Van Reybrouck, prosperiert der „dunkle Populismus“, machen Demagogen mit Ressentiments Wahlkampf – und irgendwann Politik.
Dagegen macht sich sein schmales, im Original bereits 2008 erschienenes Plädoyer „Für einen anderen Populismus“ stark. Die Analyse des Istzustands wiederholt allerdings nur sattsam Bekanntes. Demnach wirkt sich die Asymmetrie der Bildungschancen auf Lebens- und Berufswege aus und zeichnet indirekt vor, ob jemand den Sprung in eine Volksvertretung wagt oder nicht. Generell wachsen die Unterschiede, polarisieren weltanschauliche und kulturelle Differenzen die ganze Gesellschaft. Allerdings sitzt der Autor bisweilen genau den Klischees auf, die er andernorts kritisiert. So wenn er Reisegewohnheiten und Schichtzugehörigkeit kurzschließt: Gutverdiener bevorzugen den Abenteuertrip, Minderbemittelte das All-inclusive-Pauschalpaket. Wenn dem so wäre, hätten die mittelmeerischen Luxusressorts ein Problem, und die Campingplätze am Ostseestrand auch.
Reizvoll argumentiert Van Reybrouck, sobald er die Ebene der Symptome verlässt und die Ursachen einkreist: Warum, lautet die entscheidende Frage, schlagen sich Leute überhaupt ins radikale Lager? Weil sie Angst haben, in der politischen Klasse und im Parlamentsbetrieb aber niemanden finden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt und ihnen Aufmerksamkeit statt Affektzensur entgegenbringt. Das ist zwar auch keine brandneue Erkenntnis, aber Van Reybrouck verpackt sie prägnant: „Populisten erkennen diese Angst an“ – das ist ihr Schlüssel zum Erfolg.
Indes treiben sie meistens Schindluder mit der Angst und schüren sie noch weiter. Dafür müssen die Zündler natürlich die Rote Karte kriegen, nicht aber ihre Klientel. Stattdessen wirbt Van Reybrouck für einen positiv gewendeten, einen aufgeklärten Populismus: Volksvernetzung statt Volksverhetzung sozusagen. Wer wäre dafür besser geeignet als die guten alten Volksparteien?
DORION WEICKMANN
Warum schlagen sich Menschen
ins radikale Lager?
David Van Reybrouck:
Für einen anderen Populismus. Ein Plädoyer. Aus dem Niederländischen von Arne Braun.
Wallstein Verlag, Göttingen 2017, 96 Seiten, 12,90 Euro.
E-Book: 9,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dorion Weickmann lässt sich vom belgischen Hismeroetoriker David van Reybrouck in dessen fast zehn Jahre altem Buch einen anderen Populismus erklären. Vom Istzustand - der Asymmetrie von Bildungschancen, Reisegewohnheiten und Berufswegen - gelangt der Autor laut Rezensentin zu den Ursachen. Hier findet Weickmann ihn besonders lesenswert. Die Frage, warum jemand radikal wählt, kann ihr der Autor beantworten, nicht mit brandneuen Erkenntnissen, aber in "prägnanter" Form. Eine Werbung für einen aufgeklärten Populismus, die bei der Rezensentin ankommt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»gerade deshalb lesenswert, weil er den Populismus nicht schmäht« (Ingo Arend, Deutschlandfunk Kultur, 21.09.2017)