Kann es das geben, einen guten, linken Populismus? Chantal Mouffe vertritt die Auffassung, dass dies möglich und sogar notwendig ist - eine Position, die ihr auch Kritik eingetragen hat. Führt das nicht zu einer gefährlichen Emotionalisierung? Läuft das nicht ebenfalls auf eine Unterscheidung zwischen gutem Volk und bösem Establishment hinaus? Politik, so Mouffe, funktioniere nun einmal über konfrontative Wir/sie-Konstruktionen; und ja, es gebe eine Art »Oligarchie«, die eine Verwirklichung demokratischer und ökologischer Ziele verhindere. Dies mache klare politische Alternativen und neue progressive Allianzen erforderlich. Eine so präzise wie provokante Intervention, die angesichts der Krise sozialliberaler Parteien und der Debatte um »Identitätspolitik« für Gesprächsstoff sorgen wird.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2018Der Arbeiter muss doch links wählen!
Für sie ist jetzt der Moment gekommen, die neoliberale Hegemonie aufzubrechen: Chantal Mouffe redet einem linken Populismus das Wort und setzt dabei auf Emotionen statt auf Ideen.
Wie bestellt zum Start der Sammlungsbewegung "Aufstehen" publiziert Chantal Mouffe, die belgische Theoretikerin der "radikalen Demokratie", ein Pamphlet, das da verheißt: Nur Linkspopulismus kann Rechtspopulismus kleinkriegen - und der Linken zur großen Mehrheit verhelfen. Das klingt simpel, ist deswegen aber nicht falsch. Es ist auch gar nicht anders zu erwarten bei einem Buch, das sich ausdrücklich als strategische Handreichung versteht. Mouffe will sich nicht mit der "fruchtlosen akademischen Debatte" über das Phänomen Populismus aufhalten; sie will auch niemanden von linken Ideen überzeugen. Hier wird eine quasiempirische These aufgestellt, wer wen heute politisch wie schlagen kann.
Mouffe und ihr 2014 verstorbener Ehemann, der Argentinier Ernesto Laclau, wurden Mitte der achtziger Jahre berühmt mit einem Frontalangriff auf Marxisten, die mechanisch politische Positionen aus der wirtschaftlichen Stellung verschiedener Gruppen ableiteten. Eine derart auf Industriearbeiter verengte Perspektive, so Mouffe und Laclau seinerzeit, könne das Potential der neuen sozialen Bewegungen nicht in den starren Blick bekommen. Stattdessen galt es von dem italienischem Kommunisten Antonio Gramsci zu lernen: Nur wer eine über die Arbeiterschaft hinausgehende kulturelle Deutungshoheit erringe, sei langfristig auch politisch siegreich.
Diese Lektion wurde verstanden - aber nicht von der Linken. In einem mit "Vom Thatcherismus lernen" überschriebenen Kapitel kann Mouffe ihre Bewunderung für neoliberale Revolutionäre kaum kaschieren. Ihr größter Erfolg, so Thatcher einmal, sei Tony Blair gewesen: Ihr vermeintlicher Gegner hatte den Neoliberalismus de facto übernommen, hochumstrittene Theorien darüber, wie Wirtschaft funktioniert oder was eigentlich Freiheit bedeutet, waren zu einem neuen Common Sense geworden.
Für Mouffe lautet die Antwort auf die Frage "Wer hat uns verraten?" schlicht: "Sozialdemokraten". Blairs "Dritter Weg" zwischen rechts und links führte nicht nur zur einer opportunistischen Anpassung an den Finanzkapitalismus. Wer auf ihm wandelte, so Mouffe, vergaß auch, dass es bei Demokratie nicht um einen technokratischen Konsens gehe, sondern um Konflikt und echte Wahlmöglichkeiten.
In diesem Gedanken erschöpft sich zumindest in diesem Buch das Radikale an der "radikalen Demokratie". Der linken Konkurrenz - beispielsweise Antonio Negri -, die mit den Prinzipien der repräsentativen Demokratie ganz Schluss machen will, widerspricht Mouffe vehement und preist die Vorzüge charismatischer Führung. Gleichzeitig möchte sie nicht, dass bei ihrer "agonistischen" Betonung von Konflikt irgendwer auf falsche Gedanken kommt. Der Kontrahent sei nicht wie bei Carl Schmitt ein existentieller Feind, sondern ein Gegner, dem man die Legitimität nicht absprechen dürfe. Das ist völlig richtig, aber im Grund nur eine philosophisch aufwendige Neubeschreibung von liberaler Demokratie. Und neu nur für diejenigen, welche so naiv waren, die strategische Rede von "Alternativlosigkeit" für bare Münze zu nehmen.
Mouffe sieht nun einen "populistischen Moment" gekommen; die neoliberale Hegemonie sei verwundbar. Symptom dafür sei der allerorten reüssierende Rechtspopulismus. Die Linken müssten auch die Demokratie zurückfordern, welche man vermeintlich dem Volk genommen habe. Nur natürlich mit einem anderen Vokabular, das aber auch klare Fronten zieht zwischen "Volk" und "Oligarchie"; und Emotionen schürt, denn die, so Mouffe, seien in der Politik auch ganz wichtig.
So weit, so offensichtlich - oder vielleicht doch nicht. Waren die Erfolge Jörg Haiders und Jean-Marie Le Pens wirklich Zeichen eines Aufstands gegen den Neoliberalismus? Es ist heute weitgehend vergessen, dass sowohl Front National als auch FPÖ in den achtziger Jahren ausgesprochen marktfreundlich, ja sogar proeuropäisch waren. Und mit der eher banalen Beschwerde über Mangel an Gefühl bei Habermasianern und anderen "rationalistischen Linken" wird eine unbewiesene empirische These eingeschmuggelt, wonach es immer die Nation sei, die mobilisiere. Wer da ein Vakuum hinterlasse, so Mouffe, dürfe sich nicht wundern, dass es von den Rechtspopulisten gefüllt werde.
Wer die politische Rhetorik systematisch auf "Volk zuerst" umkodiert, landet stets bei Fragen nach Zugehörigkeit und Abgrenzung. Da kann man noch so sehr betonen, man wolle um Gottes willen keinen homogenen Volksbegriff, sondern einen pluralistischen, irgendwann hat man wie beispielsweise Podemos Slogans à la "Das Vaterland bist Du." Ja, und wer ist es dann nicht? Ist das der Königsweg, um die von Mouffe hochgehaltenen Ideale von Gleichheit wieder groß zu machen?
Einzelne Wahlen widerlegen keine politische Theorie. Aber wer Strategien verkauft, darf nach konkreten Erfolgen gefragt werden. Mouffe hat Podemos und Jean-Luc Mélenchons France Insoumise beraten. Wie der französische Sozialwissenschaftler Eric Fassin betont hat, war vor allem Mélenchon ganz Ohr. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 pflegte Mélenchon noch einen ganz universalistischen Diskurs, 2017 hingegen waren die roten Flaggen zugunsten der Tricolore verschwunden, es wurde die Marseillaise statt der Internationale gesungen. Das Resultat? Ungefähr drei Prozent von Front-National-Wählern liefen zu France Insoumise über.
Das sät Zweifel an der These, man müsse den Wählern rechtspopulistischer Parteien nur mal mit Geduld oder auch Gefühl erklären, dass ihr wahrer Gegner der Banker und nicht der Migrant sei. Mouffe scheint in ebenjene Falle von "Klassenessentialimsus" zu gehen, vor der sie und Laclau einst gewarnt hatten: Der Arbeiter muss doch links wählen! Dabei, so Fassin, vergesse sie ganz die Nichtwähler. Die warteten vielleicht nicht auf eine nette linke Erzählung über die Nation, sondern wollten ehrliche sozialdemokratische Politik - wie bei Jeremy Corbyn. Der nennt den Konflikt zwischen den "Vielen" und den "Wenigen" beim Namen, braucht aber keine "Konstruktion des britischen Volkes" - und auch keine Sotto-voce-Kritik an Einwanderung.
Chantal Mouffe betont, der Linkspopulismus würde in verschiedenen Kontexten ganz unterschiedliche Formen annehmen, deswegen könne sie keine allgemeinen Inhalte liefern. Wie aber soll Hegemonie ohne Ideen erobert werden? Margaret Thatcher stand einst bei einer Parteikonferenz auf und knallte mit den Worten "Daran glauben wir!" ein Buch auf den Tisch. Es handelte sich um Friedrich von Hayeks "Verfassung der Freiheit". Wer so etwas auf der Linken nicht kann, sollte vielleicht erst mal sitzen bleiben und weiter nachdenken.
JAN-WERNER MÜLLER
Chantal Mouffe: "Für einen linken Populismus". Wider die kosmopolitische Illusion.
Aus dem Englischen von Niels Neumeier. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 169 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für sie ist jetzt der Moment gekommen, die neoliberale Hegemonie aufzubrechen: Chantal Mouffe redet einem linken Populismus das Wort und setzt dabei auf Emotionen statt auf Ideen.
Wie bestellt zum Start der Sammlungsbewegung "Aufstehen" publiziert Chantal Mouffe, die belgische Theoretikerin der "radikalen Demokratie", ein Pamphlet, das da verheißt: Nur Linkspopulismus kann Rechtspopulismus kleinkriegen - und der Linken zur großen Mehrheit verhelfen. Das klingt simpel, ist deswegen aber nicht falsch. Es ist auch gar nicht anders zu erwarten bei einem Buch, das sich ausdrücklich als strategische Handreichung versteht. Mouffe will sich nicht mit der "fruchtlosen akademischen Debatte" über das Phänomen Populismus aufhalten; sie will auch niemanden von linken Ideen überzeugen. Hier wird eine quasiempirische These aufgestellt, wer wen heute politisch wie schlagen kann.
Mouffe und ihr 2014 verstorbener Ehemann, der Argentinier Ernesto Laclau, wurden Mitte der achtziger Jahre berühmt mit einem Frontalangriff auf Marxisten, die mechanisch politische Positionen aus der wirtschaftlichen Stellung verschiedener Gruppen ableiteten. Eine derart auf Industriearbeiter verengte Perspektive, so Mouffe und Laclau seinerzeit, könne das Potential der neuen sozialen Bewegungen nicht in den starren Blick bekommen. Stattdessen galt es von dem italienischem Kommunisten Antonio Gramsci zu lernen: Nur wer eine über die Arbeiterschaft hinausgehende kulturelle Deutungshoheit erringe, sei langfristig auch politisch siegreich.
Diese Lektion wurde verstanden - aber nicht von der Linken. In einem mit "Vom Thatcherismus lernen" überschriebenen Kapitel kann Mouffe ihre Bewunderung für neoliberale Revolutionäre kaum kaschieren. Ihr größter Erfolg, so Thatcher einmal, sei Tony Blair gewesen: Ihr vermeintlicher Gegner hatte den Neoliberalismus de facto übernommen, hochumstrittene Theorien darüber, wie Wirtschaft funktioniert oder was eigentlich Freiheit bedeutet, waren zu einem neuen Common Sense geworden.
Für Mouffe lautet die Antwort auf die Frage "Wer hat uns verraten?" schlicht: "Sozialdemokraten". Blairs "Dritter Weg" zwischen rechts und links führte nicht nur zur einer opportunistischen Anpassung an den Finanzkapitalismus. Wer auf ihm wandelte, so Mouffe, vergaß auch, dass es bei Demokratie nicht um einen technokratischen Konsens gehe, sondern um Konflikt und echte Wahlmöglichkeiten.
In diesem Gedanken erschöpft sich zumindest in diesem Buch das Radikale an der "radikalen Demokratie". Der linken Konkurrenz - beispielsweise Antonio Negri -, die mit den Prinzipien der repräsentativen Demokratie ganz Schluss machen will, widerspricht Mouffe vehement und preist die Vorzüge charismatischer Führung. Gleichzeitig möchte sie nicht, dass bei ihrer "agonistischen" Betonung von Konflikt irgendwer auf falsche Gedanken kommt. Der Kontrahent sei nicht wie bei Carl Schmitt ein existentieller Feind, sondern ein Gegner, dem man die Legitimität nicht absprechen dürfe. Das ist völlig richtig, aber im Grund nur eine philosophisch aufwendige Neubeschreibung von liberaler Demokratie. Und neu nur für diejenigen, welche so naiv waren, die strategische Rede von "Alternativlosigkeit" für bare Münze zu nehmen.
Mouffe sieht nun einen "populistischen Moment" gekommen; die neoliberale Hegemonie sei verwundbar. Symptom dafür sei der allerorten reüssierende Rechtspopulismus. Die Linken müssten auch die Demokratie zurückfordern, welche man vermeintlich dem Volk genommen habe. Nur natürlich mit einem anderen Vokabular, das aber auch klare Fronten zieht zwischen "Volk" und "Oligarchie"; und Emotionen schürt, denn die, so Mouffe, seien in der Politik auch ganz wichtig.
So weit, so offensichtlich - oder vielleicht doch nicht. Waren die Erfolge Jörg Haiders und Jean-Marie Le Pens wirklich Zeichen eines Aufstands gegen den Neoliberalismus? Es ist heute weitgehend vergessen, dass sowohl Front National als auch FPÖ in den achtziger Jahren ausgesprochen marktfreundlich, ja sogar proeuropäisch waren. Und mit der eher banalen Beschwerde über Mangel an Gefühl bei Habermasianern und anderen "rationalistischen Linken" wird eine unbewiesene empirische These eingeschmuggelt, wonach es immer die Nation sei, die mobilisiere. Wer da ein Vakuum hinterlasse, so Mouffe, dürfe sich nicht wundern, dass es von den Rechtspopulisten gefüllt werde.
Wer die politische Rhetorik systematisch auf "Volk zuerst" umkodiert, landet stets bei Fragen nach Zugehörigkeit und Abgrenzung. Da kann man noch so sehr betonen, man wolle um Gottes willen keinen homogenen Volksbegriff, sondern einen pluralistischen, irgendwann hat man wie beispielsweise Podemos Slogans à la "Das Vaterland bist Du." Ja, und wer ist es dann nicht? Ist das der Königsweg, um die von Mouffe hochgehaltenen Ideale von Gleichheit wieder groß zu machen?
Einzelne Wahlen widerlegen keine politische Theorie. Aber wer Strategien verkauft, darf nach konkreten Erfolgen gefragt werden. Mouffe hat Podemos und Jean-Luc Mélenchons France Insoumise beraten. Wie der französische Sozialwissenschaftler Eric Fassin betont hat, war vor allem Mélenchon ganz Ohr. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 pflegte Mélenchon noch einen ganz universalistischen Diskurs, 2017 hingegen waren die roten Flaggen zugunsten der Tricolore verschwunden, es wurde die Marseillaise statt der Internationale gesungen. Das Resultat? Ungefähr drei Prozent von Front-National-Wählern liefen zu France Insoumise über.
Das sät Zweifel an der These, man müsse den Wählern rechtspopulistischer Parteien nur mal mit Geduld oder auch Gefühl erklären, dass ihr wahrer Gegner der Banker und nicht der Migrant sei. Mouffe scheint in ebenjene Falle von "Klassenessentialimsus" zu gehen, vor der sie und Laclau einst gewarnt hatten: Der Arbeiter muss doch links wählen! Dabei, so Fassin, vergesse sie ganz die Nichtwähler. Die warteten vielleicht nicht auf eine nette linke Erzählung über die Nation, sondern wollten ehrliche sozialdemokratische Politik - wie bei Jeremy Corbyn. Der nennt den Konflikt zwischen den "Vielen" und den "Wenigen" beim Namen, braucht aber keine "Konstruktion des britischen Volkes" - und auch keine Sotto-voce-Kritik an Einwanderung.
Chantal Mouffe betont, der Linkspopulismus würde in verschiedenen Kontexten ganz unterschiedliche Formen annehmen, deswegen könne sie keine allgemeinen Inhalte liefern. Wie aber soll Hegemonie ohne Ideen erobert werden? Margaret Thatcher stand einst bei einer Parteikonferenz auf und knallte mit den Worten "Daran glauben wir!" ein Buch auf den Tisch. Es handelte sich um Friedrich von Hayeks "Verfassung der Freiheit". Wer so etwas auf der Linken nicht kann, sollte vielleicht erst mal sitzen bleiben und weiter nachdenken.
JAN-WERNER MÜLLER
Chantal Mouffe: "Für einen linken Populismus". Wider die kosmopolitische Illusion.
Aus dem Englischen von Niels Neumeier. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 169 S., br., 14,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Eigentlich findet der rezensierende SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Hellmich dieses Buch dü
»[Es] steht außer Zweifel, dass die vorliegende Programmschrift ein innovatives Deutungsmuster der politischen Landschaft offenbart und Anstoß für noch zu führende Debatten über die Zukunft des (Post-)Politischen bietet.« Raffael Hiden soziologieblog - Ein Wissenschaftsblog des Soziologiemagazins 20190225