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Eduard von Keyserling: Fürstinnen Erstdruck: Berlin, S. Fischer, 1917. Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors. Herausgegeben von Karl-Maria Guth. Berlin 2015. Umschlaggestaltung von Thomas Schultz-Overhage unter Verwendung des Bildes: Marie Bracquemond, Drei Damen mit Sonnenschirm, 1880. Gesetzt aus Minion Pro, 11 pt.

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Produktbeschreibung
Eduard von Keyserling: Fürstinnen Erstdruck: Berlin, S. Fischer, 1917. Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors. Herausgegeben von Karl-Maria Guth. Berlin 2015. Umschlaggestaltung von Thomas Schultz-Overhage unter Verwendung des Bildes: Marie Bracquemond, Drei Damen mit Sonnenschirm, 1880. Gesetzt aus Minion Pro, 11 pt.

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2017

Keine Entwicklung für Prinzessinnen

Porträt seiner Klasse im Niedergang: Eduard von Keyserlings letzter Roman "Fürstinnen" erschien vor hundert Jahren, doch wie die Neuausgabe zeigt, hat er uns immer noch viel zu sagen.

Die "Fürstinnen" sind die verwitwete Adelheid von Neustatt-Birkenstein und ihre Töchter, die drei Prinzessinnen Roxane, Eleonore und Marie. Sie haben sich nach dem frühen Tod des lebenslustigen Fürsten aufs Land zurückgezogen, auf die Herrschaft Gutheiden "im Osten des Reiches". Die Hauptbeschäftigung der Frauen liegt, umgeben von einer - gemessen an den Ansprüchen bei Hofe - bescheidenen Entourage, im Ausfüllen beschäftigungsloser Tage. Der Ablauf ist genau reglementiert, von Déjeuner bis Diner. Einziges Ziel der Fürstin muss die Einheirat der Töchter in ein ebenbürtiges Geschlecht sein. Das gelingt ihr auch bei den zwei älteren: Roxane wird nach St. Petersburg vermittelt und Eleonore an einen anderen angemessenen Bewerber. Nach dem Glück der jungen Frauen fragt erwartungsgemäß niemand.

Die "Fürstinnen" erschienen zuerst 1917, im Jahr vor Eduard von Keyserlings Tod, noch im großen Krieg, und mit einer erstaunlich hohen Startauflage von 6300 Exemplaren, wie Jens-Malte Fischer in seinem ebenso klugen wie diskreten Nachwort zur Neuausgabe erwähnt. Keyserling, einem baltischen Adelsgeschlecht entstammend, lebte damals schon länger mit zwei seiner Schwestern in München in der Ainmillerstraße; ihnen diktierte er seine Texte. Über die Hintergründe seiner Jugend ist nur wenig bekannt. Er war, so viel weiß man, schon früher an Syphilis erkrankt und inzwischen erblindet. Nur noch seine Imagination leitete ihn, und diese Vorstellungskraft trieb eine späte Blüte. Was er 1915, als er die "Fürstinnen" schrieb, synästhetisch evoziert an freier und domestizierter Natur in und mit jedem Sinn - gemeinhin impressionistisch oder symbolistisch genannt -, ist von hoher literarischer Delikatesse.

Die jüngste Tochter Marie, von kränklicher Konstitution, aber lebens- und liebeshungrig, wird zur Hauptfigur neben ihrer schönen Mutter, die wohl noch in ihren Dreißigern ist, aber unfähig, die ihr auferlegten Zwänge abzustreifen. Wenngleich es ihren Berater, den unverheirateten Grafen Donalt von Streith, gibt, der den höfischen Dienst Anfang seiner Vierziger aufgegeben hat, um sich eine ländliche Idylle nahe Gutheiden aufzubauen. Adelheid kann nicht aus ihrer sehnsüchtigen Haut im Standeskorsett. Sie kann nur hilflos zusehen, wie unstandesgemäße Personen und Verhältnisse in diese gefährdete Welt im Niedergang eindringen. Marie unternimmt noch beinah kindliche Fluchtversuche, als ihre älteren Schwestern aus dem Haus sind. Sie vertut sich in ihrer Zuneigung für den leichtlebigen gräflichen Nachbarsjungen Felix von Dühnen und wird von ihm bald bitter enttäuscht.

Keyserlings letzter Roman ist das Zeugnis einer tiefen Resignation. Seine Hellsicht brilliert in den atmosphärischen Schilderungen der immergleichen öden Vergnügungen, ohne denunziatorisch zu sein, und blitzt auf in den Dialogen seiner Personen. So wenn Marie, noch erhitzt von einem verbotenen Treffen mit Felix, hofft, in ihrer zunächst anscheinend ausbruchswilligen Freundin Hilda von Üchtlitz eine Verbündete zu finden. "Sie sind so lebensvoll und angeregt", stellt Hilda fest. ",Wirklich?', fragte Marie. ,Vielleicht habe ich mich entwickelt?' Hilda zuckte leicht mit den Schultern: ,Ach nein, Prinzessinnen entwickeln sich nicht.' Das kränkte Marie, sie wurde ganz rot: ,Warum sollen wir uns nicht entwickeln? Natürlich, Krankenpflegerin oder Postfräulein will ich nicht werden, deshalb kann ich mich doch entwickeln.'"

Doch wie dieses Entwickeln schaffen, wenn eine Prinzessin, gemäß dem Gesetz ihrer Kaste, gar nicht erst etwas lernen darf? Keyserling ist da nicht sarkastisch, er beschreibt die Lage als meisterhafter Chronist, der er ist. Es gibt nur Verlierer - vor allem Verliererinnen. Zu ihnen gehört auch das begabte, anziehende Mädchen Britta, Tochter der wegen einer Affäre geschiedenen Frau von Syrman. Britta muss mit ihrer Mutter buchstäblich am Rand der Gesellschaft hausen, abseits denkbarer Entfaltungsmöglichkeiten in der Stadt, an der Grenze zu den Wäldern des Grafen von Streith.

Um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert dienten zumal junge Frauen als männliche Projektionsflächen; sie waren, kurz gefasst, fragil oder fatal. Dagegen schrieben Autorinnen an wie Gabriele Reuter oder Lou Andreas-Salomé, aus der Sicht eines bürgerlichen Lagers. Und schon 1901 hatte Thomas Mann, übrigens ein Verehrer von Keyserlings Kunst, einen anderen Niedergang, den der hanseatischen Kaufmannsbourgeoisie, in den "Buddenbrooks" verfolgt. Während Keyserling - an der Oberfläche - beim Schicksal einer Aristokratie bleibt, die nichts mehr zum Herrschen hat, verleiht er allerdings den Frauen in diesem Feld eine bemerkenswerte Tiefe. Er schafft es, aus deren Perspektive das Leiden zu schildern, das mit dem verschlossenen Zugang zur gesellschaftlichen Wirklichkeit verbunden ist. Auch für die "Fürstinnen" ist das Fin de Siècle verweht, die Moderne ist unaufhaltsam, aber sie dürfen nicht teilhaben. Das Dröhnen des Ersten Weltkriegs ertönt im Hintergrund, die Männer lesen Zeitungen in der östlichen Provinz, die Frauen sollen unter der Decke der Kenntnisfreiheit gehalten werden.

Als 1911, sechs Jahre vor den "Fürstinnen", Keyserlings Roman "Wellen" erschien, gönnte er seiner Protagonistin Doralice noch den Ausbruch. Doralice hat den standesgemäß gräflichen Gatten verlassen, aus Liebe zum mittellosen Künstler Hans Grill. Auch die "Wellen", die nicht in der inneren Provinz, sondern am Meer spielen, das symbolisch für Freiheit wie für Unberechenbarkeit steht, enden in unerfüllter Hoffnung. Da war aber immerhin das Wagnis einer lebenshungrigen jungen Frau, die brüchigen Rollenmuster zu durchbrechen, wenngleich sie, auch auf der anderen Seite, keine sinnerfüllte Gegenwart und schon gar kein Glück findet. In den "Fürstinnen" wird der bröckelnde ständische Schutzwall noch einmal errichtet von der unverheiratet gebliebenen Prinzessin Agnes. Die Schwester des verstorbenen Fürsten ist zu Besuch bei ihrer Schwägerin auf Gutheiden, und ihre Sätze sind direkt an die verwitwete Adelheid gerichtet; denn selbst Graf Donalt von Streith entspricht nicht dieser letzten hartleibigen Bastion: "Wenn heute eine Frau Schulze oder eine Frau Müller eine geborene Prinzessin Soundso oder eine Fürstin Soundso sein können, dann wird nächstens auch eine Fürstin Soundso eine geborene Schulze oder Müller sein können."

In der Prognose der ältlichen Agnes schlägt Keyserling scharfsichtig zu. Seine Ironie lächelt milde - und genauso ist es ja längst gekommen. Doch damals bleiben die schönen, klugen, wissbegierigen Frauen - Fürstin oder Prinzessin oder Kleinadlige - auf der Strecke. Sie können nur noch zusehen, wenn der Sarg von einem, der schon ein Auto besaß, hinter einem Vierspänner vorüberzieht.

Wen gehen solche Geschichten heute noch an? Jeden, den eine Prosa erreicht, die sich nicht an der Oberfläche erschöpft. Eduard von Keyserlings Sprache ist pure Modernität. Er spielte in seiner eigenen Liga, bestimmt nicht der Dekadenz seines eigenen Stands halber, sondern wegen seiner Beschreibungsintensität. Anders als sein, freilich zwei Jahrzehnte jüngerer, Zeitgenosse Hugo von Hofmannsthal, der die Sprachskepsis in seinen besten Werken zelebriert, vertraut Keyserling seiner Sprache völlig. Er nimmt sie her und blickt, selbst erblindet, in den Spiegel sinnentleerter Existenz. Ihm ist psychologische Tiefe attestiert worden. Aber seine Kunst besteht darin, maximale Distanz zu aller Psychologisierung zu halten. Ständig wechselt er die Erzählperspektive von einer seiner Figuren zur anderen, manchmal innerhalb eines Absatzes von einem Satz zum nächsten. In den "Fürstinnen" treibt er das auf die Spitze. Sein letzter Roman ist wie eine hauchdünne Haut, unter der das Aufbegehren drängt. Eduard von Keyserling hat das verstanden.

ROSE-MARIA GROPP

Eduard von Keyerling: "Fürstinnen". Roman.

Manesse Verlag, München 2017. 320 S., geb., 19,95 [Euro].

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