Hinschauen ohne nachzusehen. Oder: Geschwätzige Belanglosigkeiten und selbstvergessene Kritik.
Ich habe dieses Buch von einer in Deutschland lebenden Chinesin empfohlen bekommen. Als Beispiel für einen typischen deutschen Blick auf China. Deswegen habe ich meine Skepsis gegenüber dieser Art von
Literatur mit griffigem Titel, die verspricht, zu unterhalten und dabei alles zu erklären, beiseite…mehrHinschauen ohne nachzusehen. Oder: Geschwätzige Belanglosigkeiten und selbstvergessene Kritik.
Ich habe dieses Buch von einer in Deutschland lebenden Chinesin empfohlen bekommen. Als Beispiel für einen typischen deutschen Blick auf China. Deswegen habe ich meine Skepsis gegenüber dieser Art von Literatur mit griffigem Titel, die verspricht, zu unterhalten und dabei alles zu erklären, beiseite geschoben und angefangen zu lesen.
Immerhin, der Einstieg ist gelungen: Strittmatters Buch enthält eine Gebrauchsanweisung für sich selbst: Es warnt vor Pauschalurteilen und Klischees (Chinesisch. Oder: Fremde Zeichen). Es veranschaulicht die Doppeldeutigkeit von Begriffen (Kompass. Oder: Am Ende trifft man sich doch; Kommunismus; Menschenrecht). Oder ordnet überzeichnete Urteile über China im Westen, zwischen Verdammung und Schwärmerei, als Ergebnis eines Aneinander-vorbei-Guckens (Der Ausländer. Oder: Wenn Völker sich verständigen). Das sind seine besten Passagen.
Doch verliert sich der Autor schließlich in Anekdoten. Unterhaltsam, gewiss. Aber letztlich leben deren Pointen von eben jenen Vereinfachungen, vor denen der Autor warnt. Natürlich wird klar: China ist fremd, voller Widersprüche. Und der Leser erfährt, was genau andere vor ihm merkwürdig fanden. Der Gebrauchswert dieser Beobachtungen ist unbestreitbar, doch bleibt er letztlich begrenzt.
Doch ist Strittmatters Anspruch keinesfalls drauf beschränkt, bloß unterhalten zu wollen. Strittmatter schreibt auch über Geschichte, Ideologie, Herrschaft oder Wirtschaft. Völlig zu Recht schlägt er dabei nachdenkliche Töne an. Bringt Kritik an. Doch hier scheitert Strittmatter, denn er verlässt den Horizont der eigenen Weltsicht nicht. Das ist dann doch immer wieder eine große Enttäuschung: Frappierend, wie die schillernde Niedriglohn-Konsumwelt in den höchsten Tönen gelobt wird (Helden der Arbeit. Oder: Dem Volke dienen). Und zugleich die Auswüchse der Ungleichheit im Turbo-Kapitalismus chinesischer Prägung kritisiert werden (Mätresse). Sind das nicht zwei Seiten derselben Medaille? Desselben Wirtschaftssystems, dessen Auswüchse wir in Europa, in unterschiedlichen Graden, seit knapp 200 Jahren erleben? Wie den Chinesen staatlich indoktrinierte Geschichtslosigkeit bescheinigt wird. Und zugleich die ebenso staatlich indoktrinierte Erinnerung an den Umgang der westlichen Mächte mit China seit dem 19. Jahrhundert als Propagandamasche abgetan wird. Ist das nicht Geschichtspolitik, wie sie uns sehr vertraut ist? Wie der Widerspruch zwischen Hochglanzfassaden und Konsumfetisch auf der einen, Selbstbezogenheit und menschlicher Leere auf der anderen zu immer neuer Kritik Anlass gibt. Kommt das nicht vielen Menschen überall auf der Welt bekannt vor?
Ein einseitiger, vielleicht gar (neo-) kolonial zu nennender Blick. Nur dass er sich heute auf ein kraftstrotzendes, (zu) selbstbewusstes China richtet, das sich anschickt, eigene imperiale Ambitionen umzusetzen.
Immerhin wird, beiläufig nur, daran erinnert wird, dass die Masse der Chinesen vornehmlich weiterhin nichts anderes tut als für den "weißen Mann" zu arbeiten und den von ihm erfundenen Mechanismen und Ideologien nachzueifern. Das bleibt, für den Moment, eine Schieflage.
Wer sich damit begnügt, anekdotenhaft einer fremden Welt zu lesen und sich die zu den eigenen Vorurteilen passenden Geschichten herauszusuchen, der kommt mit diesem Buch auf seine Kosten. Alle anderen können ihre Zeit leicht besser nutzen.