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Wer ist dieser Herr, und wenn ja, wie viele? Bernhard Schlink, Schriftsteller, Jurist, Leser und Vorleser, versucht sich im Nachdenken über das Schreiben.
Von Alexander Kosenina
Ich will mir eigentlich keine Gedanken über das Schreiben machen, nicht über mein eigenes Schreiben und auch nicht über das Schreiben anderer. Ich will schreiben."
Diese Schlussbemerkung in Bernhard Schlinks 2010 gehaltenen Heidelberger Poetikvorlesungen ist keine Koketterie, keine hintersinnig selbstbezügliche Kapriole, keine Undankbarkeit gegenüber den Gastgebern. Es ist ein vollkommen ehrlicher Satz nach vielen persönlichen, manchmal auch anekdotischen Bekenntnissen. Sie zeigen, dass dieser Erfolgsautor nicht gerne theoretisch über Wesen und Entstehung von Literatur reflektiert. Das ist grundsätzlich kein Makel. Doch der - wohl von Veranstalter und Verlag verantwortete - Untertitel "Poetikvorlesungen" stellt etwas anderes in Aussicht.
Nennen wir die dreiteiligen Überlegungen zum Schreiben über die Themen Vergangenheit, Liebe und Heimat also lieber Essays. Dann gehören so grundlegende Fragen über Wahrheit, Wahrscheinlichkeit, Möglichkeit, Fiktion oder erzählte Vergangenheit nicht auf die Goldwaage der Poetikgeschichte seit Aristoteles. Gelegentliche Unbedarftheit oder gar Belanglosigkeit können Schlink dann weniger leicht vorgeworfen werden, da er sich der Auseinandersetzung mit solchen Traditionen enthält. Vielmehr spricht er zu seinem großen Publikum, als hätte dieses stets nur gelesen, ohne je darüber nachzudenken, wie das Geschriebene eigentlich gemacht ist, was es bewirken kann und will. Der Mut, über Einfaches wie Schwieriges immer ganz einfach zu sprechen, verdient jedenfalls Respekt.
Schlink orientiert sich stark an Fragen seines Stammpublikums, das immer wissen will, wie viel Wahrheit in den Texten steckt, wie stark das Geschilderte selbst erlebt ist, wie es der Autor mit der Liebe hält, wie er zu seinen Figuren und Lesern steht, welche Rolle Heimat und Fremde für ihn spielen. Besonders brisant ist die erste Vorlesung, in der er sich implizit mit der harschen Kritik an seinem Erfolgsroman "Der Vorleser" auseinandersetzt, Hannas Analphabetismus suggeriere eine verminderte Schuldfähigkeit für ihre Verbrechen während der Nazizeit und damit eine subtile Entlastung von Verantwortung. Mit Seitenblicken auf jüngere populäre Filme wie "Das Leben ist schön", "Zug des Lebens" oder "Das Leben der Anderen" verteidigt Bernhard Schlink das Recht auf Fiktionalisierungen von Holocaust und Überwachungsstaat, auf Märchen vom Guten im Bösen, auf verkürzte, aber signifikante Ausschnitte der Wirklichkeit. Hier deutet sich die Forderung einer deutschen Sonderpoetik an, die einer doppelten Wahrheit - der des wirklichen Geschehens und eines spezifischen Gefühls - zu folgen habe. Darüber hätte man gern mehr erfahren, vor allem mit klarerer Unterscheidung zwischen Nationalsozialismus und DDR.
Schlink bemerkt einmal, er liebe das Schreiben, "weil die Welt der Literatur anders als die Welt der Wissenschaft ist" - also nicht erschöpfend, nicht systematisch. Hier spricht sicher auch der Professor für Dogmatik des öffentlichen Rechts, dessen kühl abwägende, gerechte Haltung viele seiner Urteile über Literatur grundiert. Als Autor möchte er von seinem Hauptberuf wie von aller Theorie indes so frei wie möglich sein. Deshalb fällt ihm die poetische Rechenschaftserklärung eher schwer, der Zugang zum großen Publikum aber so leicht.
Bernhard Schlink: "Gedanken über das Schreiben".
Heidelberger Poetikvorlesungen.
Diogenes Verlag, Zürich 2011. 87 S., geb., 18,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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