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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Eine Bestandsaufnahme über die Gegenreaktion auf den Feminismus und die Emanzipation
Der Hass gegen Frauen zeigt sich immer wieder unverhohlen. In Iran etwa, wo die Proteste von Frauen und ihren Unterstützern nach dem durch Polizeigewalt herbeigeführten Tod einer jungen Frau gewaltsam niedergeschlagen werden. In Afghanistan, wo die Taliban Frauen mehr und mehr von Arbeit und Bildung ausschließen und sogar weibliche Schaufensterpuppen verhüllen. Aber auch wenn Attentäter wie Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen ermordete, in seinem Manifest frauenfeindliche Thesen vertritt, ihnen etwa die angebliche Zerstörung der norwegischen Gesellschaft anlastet. Oder wenn in den USA ein Präsidentschaftskandidat sich öffentlich zu Aussagen wie "Grab 'em by the pussy" bekennt - und trotzdem gewählt wird.
Woher kommt dieser Hass auf Frauen? Abram de Swaan beleuchtet in seinem Buch "Gegen die Frauen: Der weltweite Kampf gegen die Emanzipation" die Gegenreaktion auf den Feminismus. Der niederländische Soziologe, Jahrgang 1942, spricht sich selbst für die Emanzipation und eine Welt aus, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, nicht das Geschlecht. Zunächst wirft de Swaan aber einen Blick zurück auf die patriarchalen Verhältnisse, die jahrhundertelang unsere Gesellschaft und das Zusammenleben von Männern und Frauen bestimmt haben. Er zeichnet nach, dass Männer nicht einfach nur von ihrer körperlichen Stärke profitierten, sondern im Laufe der Jahrhunderte ein System zur Unterdrückung von Frauen etablierten, dass er als "Schreckensherrschaft", gar "Terror" charakterisiert.
Was zunächst übertrieben drastisch klingt, kann der niederländische Soziologe aber überzeugend ausführen: Wenn er den Mord an neugeborenen Mädchen beschreibt, die wegen der teuren Mitgift als weniger wert angesehen wurden, wenn er beschreibt, wie junge Mädchen mit ihren Vergewaltigern verheiratet wurden, wie abweichendes Verhalten mit Säureattacken oder gar mit dem Tod geahndet wurde und teils bis heute wird. Schutz vor solchen Gefahren versprach perfiderweise die Heirat mit einem Mann, das Abhängigkeitsverhältnis war perfekt.
Erst seit durch Automatisierung körperliche Kraft an Relevanz verloren hat, seit Frauen Zugang zu Bildung und Verhütung haben, erfolgte ihr Aufstieg - dafür aber rasant. Immer wieder haben Frauen in vergangenen Jahrzehnten unter Beweis gestellt, dass sie den Männern praktisch in nichts nachstehen: Sie können Ärztinnen sein und Unternehmen führen, sie können ins Weltall fliegen und Länder regieren. Selbst wo Frauen noch nicht waren, steht inzwischen außer Frage, dass sie auch dazu in der Lage sind. In Deutschland gab es bislang noch nie eine Bundespräsidentin oder eine Bundesfinanzministerin, wer heute behauptet, das liege an weiblichem Unvermögen, verrät mehr über sich selbst als über das Können von Frauen.
Die bisherigen Machtverhältnisse wurden dadurch außer Kraft gesetzt. Frauen beanspruchen sowohl privat als auch beruflich Gleichstellung mit den Männern - und rufen damit Widerstand hervor. Besonders extrem zeigt sich das im Dschihadismus - aber eben nicht nur. De Swaan arbeitet aus, wie orthodoxe Strömungen auch in anderen Weltreligionen den Aufstieg der Frauen ablehnen.
Wie etwa evangelikale Christen in den USA nicht nur innerhalb ihrer Gemeinde an traditionellen Rollenbildern festhalten, sondern auch die Politik in ihrem Sinne beeinflussen, jüngst etwa in der Debatte um Abtreibungsrechte. Er zeigt auch, wie nationalistisches Gedankengut mit Frauenhass verknüpft ist: Denn für den Fortbestand des weißen Volkes braucht es weiße Babys und Mütter, die sie groß ziehen, während der Mann sie vor den vermeintlichen Eindringlingen beschützt. Wenn die Frauen da nicht mitmachen, weil sie eine eigene Karriere anstreben, werden sie mitverantwortlich gemacht für die Zerstörung des eigenen Volkes. In Internetforen treffen schließlich Männer zusammen, die Frauen zwar begehren - aber ihre Ablehnung fürchten und sich durch den Feminismus in ihrer Männlichkeit bedrohen sehen.
Genau hier liegt die Stärke des Buches: Aufzudecken, dass Frauenhass nicht nur fanatisch-religiösen Randgruppen zuzuschreiben ist, sondern in nahezu allen gesellschaftlichen Gruppen und Weltanschauungen zu finden ist - und Dschihadisten und Rechtsnationalisten in diesem Punkt gar nicht so viel unterscheidet. De Swaan beschreibt es als "Allgemeines menschliches Muster": "Keine herrschende Gruppe gibt ihre überlegene Position widerstandslos auf." Der Verlust durch Macht wird eben oft auch als Verlust von Ehre wahrgenommen. Frauen müssen also wieder dahin zurück, wo sie hingehören: an den Herd! Durch diesen breiten Blick fallen die Betrachtungen der verschiedenen Gruppen allerdings kurz aus, immer wieder bleibt das Gefühl, nur an der Oberfläche gekratzt zu haben - während gleichzeitig das Gefühl der Ohnmacht zunimmt: Was tun gegen den Frauenhass? Antworten auf diese Frage liefert De Swaan nicht, zeigt sich stattdessen überzeugt, dass der Aufstieg der Frauen sich ohnehin nicht verhindern lässt.
"Gegen die Frauen" ist vor allem eine kritische soziologische Bestandsaufnahme, zuweilen etwas aufgelockert durch einen sarkastischen Ton - der den Blick auf die eigenen Vorstellungen von Geschlechterbildern lenkt: Gibt es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen - oder profitieren nicht alle mehr von einer Welt, in der wir Menschen individuell begegnen? JULIA ANTON
Abram de Swaan: Gegen die Frauen. Der weltweite Kampf gegen die Emanzipation
Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 256 S., 26,- Euro.
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