Bei den Demonstrationen im Jahr 2000 gegen die Rechtsregierung in Wien ging immer ein junges Paar. Sie trugen ein Plakat mit sich: »Gegen die tägliche Beleidigung« stand auf den Deckel einer Obstkiste geschrieben. Sie trugen das Plakat gemeinsam, eng aneinadergelehnt. Gegen die Verächtlichkeit von Macht ging es da. Gegen die sichtbare Beleidigung aller außerhalb der Gemeinschaft der Mächtigen. Aber wie kommt es zu Macht? In welchen Verhüllungen und Verkleidungen tritt sie auf? Marlene Streeruwitz übersetzt in einem Streifzug durch Texte der Hochkultur und des Trivialen diese Texte ins Wörtliche und kommt so der Architektur der Macht auf die Spur. Das ist eine leidenschaftliche Reise mit Hilfe von Verlangsamung und Untertönung, die Frage entlang, wie die Erzählung von der Macht weitergegeben wird. Das Ergebnis ist eine vorsichtige Eroberung ertragbarer Unsicherheiten und die Erkenntnisse daraus. Der Band versammelt Vorlesungen und Vorträge aus den Jahren 2000 bis 2004.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2005Entspinatzifierung
Kurzsatzmuster: Eine Novelle und Essays von Marlene Streeruwitz
Geraldine, eine Frau Ende Fünfzig, geht bei eisigem Nordwind am Neusiedlersee spazieren. Immer wieder muß sie den Schal fixieren, und diese Geste unterbricht regelmäßig die Überlegungen und Erinnerungen, mit denen sie auf das Wasser zugeht. Die Gedanken kreisen um die Geschichte ihres bürgerlichen Elternhauses, um ihre behutsam-asketische Ehe mit einem Arzt, der bereits vor einiger Zeit gestorben ist, und um Besuche in einem Altersheim, wo sie aus der Zeitung vorliest. So zeichnet sich allmählich das Leben einer ausgebildeten Opernsängerin ab, die keinen Ton je öffentlich gesungen hat. Ein Schmerz, den moderner Jargon wohl ein Trauma nennte, hält sie davon ab.
Verstummen, Essensverweigerung und Herzanfälle resultieren aus einer Schlüsselszene am elterlichen Mittagstisch: "Wenn alles ruhig war . . . Dann mußte der Großvater. Dann hatte er sich in Erinnerung bringen müssen. Der Großvater war kein Mensch wie die Eltern gewesen. Der Großvater war immer seine Weltvorstellung gewesen. In jedem Augenblick war er davon bestimmt. Er hatte nicht einmal Spinat essen können, ohne ein Nazi zu sein." Jedesmal hebt der Vater zur Erwiderung an, doch immer schweigt er, während die Mutter auf inzestuöse Weise zum Vater ihres Mannes hält.
Das Verstummen der Sängerin ist Fortsetzung und Umdeutung dieses Schweigens. Ihre Atemnot verweigert den entsühnenden Auftritt als lyrischer Sopran: "Ihre Stimme hätte von diesen Qualen berichten sollen. Damit die Masken wieder weinen konnten und wieder zu normalen Gesichtern. Nachdem die Stimme der Sängerin gebrochen. Nachdem die Sängerin das Leben gestanden hatte. Und alle Schrecklichkeiten, die möglich. Und es waren nicht ihre . . . Es waren die Untaten aller vor ihr. Es waren ewige Erbschaften. Es war der Großvater, der die Pläne für die Transporte gemacht hatte." Wenn nun Geraldine zuletzt auf die dunkle Wasserfläche des Sees blickt, bleibt offen, ob ihr Herz an Kälte bricht oder ob sie sich ins Dunkel hineinwirft, wie sie es zuvor auf dem Weg gewünscht hatte: "Es sollte ihr leicht von der Hand gehen."
Nimmt man den Titel des Buches beim Wort? Streeruwitz selbst überträgt ihr mißverständliches Latein mit "Sterben. In Leichtigkeit"? so scheint die Antwort klar. Weit unklarer ist die Deutung des Erzählten. Sollen wir Mitgefühl mit einem späten Opfer der NS-Ideologie haben, oder kritisiert diese als Krankengeschichte kenntlich gemachte Erzählung eine Frau, die ihr Unglück zur "Kategorie" erhoben hat und bei Altersheimbesuchen weiter am Beschweigen des Todes mitwirkt? Der Rezensent empfiehlt, alles Mitgefühl der leidenden Frau zu schenken, jedoch gleichzeitig das Spinatnazigroßvater-Syndrom als Parodie echten Leidens an der Vergangenheit zu lesen: Geraldine interessiert sich nur für sich, nie für die anderen als Opfer.
Solche Ambivalenz sucht man in Marlene Streeruwitz' Vorlesungen vergebens. Alle sind Nazis, ganz Österreich ist ein klerikofaschistischer Komplex, an dem achtundzwanzig Jahre sozialdemokratischer Kanzlerschaft offenbar nichts geändert haben. Nur eine stellt sich dagegen. Bei einer Miss-Wahl muß sie an die Selektion in Auschwitz denken, und das Halten von Hamstern dient in ihren Augen dazu, österreichische Kinder an den Tod und an Bushs Irak-Krieg zu gewöhnen. Leider laufen Streeruwitz' argumentative Mittel leer. Das dämliche Gesudel eines Pornofilms wird umständlich analysiert, aber Heimito von Doderers "Merowinger" werden ganz platt kritisiert: Daß Doderers Protagonist Childerich durch Heiraten und sexuelle Verbindungen die "totale Familie" herstellen will, wird zum chauvinistischen Nennwert genommen, statt die Funktion dieses Konstrukts für Doderers Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus zu untersuchen.
Dialektik ist Streeruwitz fremd; die Vorlesungen sind voll von abstrusen Argumentationen. Am Satz "Ohne Nationalgefühl gibt es dann auch keine Möglichkeit, eine Kollektivschuld zu formulieren" ist sowohl die Prämisse wie das Ergebnis falsch. Sozial, institutionell und ideologisch ist Österreich nur allzugut definiert, und es braucht schon gar nichts Völkisches, um historische Schuld zu tragen? Von "Kollektivschuld" zu schweigen, die von Deutschlands Historikern mit guten Gründen als Begriff abgelehnt wird. Wie blind der Affekt machen kann, zeigt der Bericht, den Streeruwitz Berliner Studenten von einem Akademietheater-Besuch gibt. Auf ein und derselben Seite kritisiert Streeruwitz Thomas Bernhards häufigen Gebrauch des Wortes Nazi in den Peymann-Dramoletten und behauptet umgehend, daß die applaudierenden Zuschauer "sich durchaus faschistisch zu einer Masse zusammenballen und dabei beim Wort Nazi in hysterisches Freudengebrüll ausbrechen". Es fällt Streeruwitz weder auf, daß sie dieselbe pauschale Geste macht, die sie kritisiert, noch erwähnt sie die Pointe, daß Bernhard mit diesem Text Peymann zum Amtsantritt das Scheitern im österreichischen "Staatstheater" vorhergesagt hatte.
Insgesamt ergibt sich der Eindruck, daß Marlene Streeruwitz durch grelle Effekte an der Befestigung ihrer literaturpolitischen Position arbeitet. Die These "Wir können auf keine kritische Tradition zurückgreifen" ist absurd: Eine ganze Bibliothek österreichischer Nachkriegsliteratur steht dagegen. Der Rezensent ist wie zahllose andere Österreicher in sehr jungen Jahren am "Herrn Karl" von Qualtinger und Merz über den trüben "Nationalcharakter" und seine Geschichte aufgeklärt worden. Nirgends ist literarische Kritik notwendiger, aber auch nirgends reicher vorhanden als in Österreich. Und nirgends ist daher auch die Last größer, aus dem Schatten von Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek zu treten.
Zu diesem Zweck hat Marlene Streeruwitz ein stilistisches Markenzeichen generiert: den fragmentarischen Satz und die starke Interpunktion. Die Stoßrichtung dieses Stilmittels geht gegen die "kitschigste" Weltsicht durch Sprache, das heißt: "Der ganze Satz, der Hierarchien herstellt, aus denen kein Entkommen. Der ganze Satz, der dann, zum politischen Text geronnen, Zusammenhänge konstruiert, in denen das ,als ob' zur Wirklichkeit des Textes erhoben wird." Das Gegenteil ist der Fall. Nur vollständige Sätze lassen sich überprüfen, widerlegen, dekonstruieren. Der Kurzsatz stellt nicht die beschädigte Wirklichkeit authentisch dar, sondern er insinuiert, er deutet und herrscht an. Nicht von ungefähr erinnern die Satzstummel an die Basta-Sprache und die verdummenden Kurzsätze der Politik, an das "Denk' ich, sag' ich mal" der Talk-Shows. Ein punktiertes "Also.", wie Streeruwitz es gern verwendet, läßt unwillkürlich an ein folgendes "Na, wird's bald!" denken.
Nur ungern überläßt man solcher Sprache die richtigen Ziele: Emanzipation und Aufklärung. "Der täglichen Beleidigung", der politischen Lüge und der Erniedrigung der Frau durch Werbung, Pornographie und unfaire Spielregeln wird mit solchen mechanischen Empörungsformeln nicht beizukommen sein.
THOMAS POISS
Marlene Streeruwitz: "Morire in levitate". Novelle. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 96 S. geb., 17,90 [Euro].
Marlene Streeruwitz: "Gegen die tägliche Beleidigung". Vorlesungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 192 S. geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kurzsatzmuster: Eine Novelle und Essays von Marlene Streeruwitz
Geraldine, eine Frau Ende Fünfzig, geht bei eisigem Nordwind am Neusiedlersee spazieren. Immer wieder muß sie den Schal fixieren, und diese Geste unterbricht regelmäßig die Überlegungen und Erinnerungen, mit denen sie auf das Wasser zugeht. Die Gedanken kreisen um die Geschichte ihres bürgerlichen Elternhauses, um ihre behutsam-asketische Ehe mit einem Arzt, der bereits vor einiger Zeit gestorben ist, und um Besuche in einem Altersheim, wo sie aus der Zeitung vorliest. So zeichnet sich allmählich das Leben einer ausgebildeten Opernsängerin ab, die keinen Ton je öffentlich gesungen hat. Ein Schmerz, den moderner Jargon wohl ein Trauma nennte, hält sie davon ab.
Verstummen, Essensverweigerung und Herzanfälle resultieren aus einer Schlüsselszene am elterlichen Mittagstisch: "Wenn alles ruhig war . . . Dann mußte der Großvater. Dann hatte er sich in Erinnerung bringen müssen. Der Großvater war kein Mensch wie die Eltern gewesen. Der Großvater war immer seine Weltvorstellung gewesen. In jedem Augenblick war er davon bestimmt. Er hatte nicht einmal Spinat essen können, ohne ein Nazi zu sein." Jedesmal hebt der Vater zur Erwiderung an, doch immer schweigt er, während die Mutter auf inzestuöse Weise zum Vater ihres Mannes hält.
Das Verstummen der Sängerin ist Fortsetzung und Umdeutung dieses Schweigens. Ihre Atemnot verweigert den entsühnenden Auftritt als lyrischer Sopran: "Ihre Stimme hätte von diesen Qualen berichten sollen. Damit die Masken wieder weinen konnten und wieder zu normalen Gesichtern. Nachdem die Stimme der Sängerin gebrochen. Nachdem die Sängerin das Leben gestanden hatte. Und alle Schrecklichkeiten, die möglich. Und es waren nicht ihre . . . Es waren die Untaten aller vor ihr. Es waren ewige Erbschaften. Es war der Großvater, der die Pläne für die Transporte gemacht hatte." Wenn nun Geraldine zuletzt auf die dunkle Wasserfläche des Sees blickt, bleibt offen, ob ihr Herz an Kälte bricht oder ob sie sich ins Dunkel hineinwirft, wie sie es zuvor auf dem Weg gewünscht hatte: "Es sollte ihr leicht von der Hand gehen."
Nimmt man den Titel des Buches beim Wort? Streeruwitz selbst überträgt ihr mißverständliches Latein mit "Sterben. In Leichtigkeit"? so scheint die Antwort klar. Weit unklarer ist die Deutung des Erzählten. Sollen wir Mitgefühl mit einem späten Opfer der NS-Ideologie haben, oder kritisiert diese als Krankengeschichte kenntlich gemachte Erzählung eine Frau, die ihr Unglück zur "Kategorie" erhoben hat und bei Altersheimbesuchen weiter am Beschweigen des Todes mitwirkt? Der Rezensent empfiehlt, alles Mitgefühl der leidenden Frau zu schenken, jedoch gleichzeitig das Spinatnazigroßvater-Syndrom als Parodie echten Leidens an der Vergangenheit zu lesen: Geraldine interessiert sich nur für sich, nie für die anderen als Opfer.
Solche Ambivalenz sucht man in Marlene Streeruwitz' Vorlesungen vergebens. Alle sind Nazis, ganz Österreich ist ein klerikofaschistischer Komplex, an dem achtundzwanzig Jahre sozialdemokratischer Kanzlerschaft offenbar nichts geändert haben. Nur eine stellt sich dagegen. Bei einer Miss-Wahl muß sie an die Selektion in Auschwitz denken, und das Halten von Hamstern dient in ihren Augen dazu, österreichische Kinder an den Tod und an Bushs Irak-Krieg zu gewöhnen. Leider laufen Streeruwitz' argumentative Mittel leer. Das dämliche Gesudel eines Pornofilms wird umständlich analysiert, aber Heimito von Doderers "Merowinger" werden ganz platt kritisiert: Daß Doderers Protagonist Childerich durch Heiraten und sexuelle Verbindungen die "totale Familie" herstellen will, wird zum chauvinistischen Nennwert genommen, statt die Funktion dieses Konstrukts für Doderers Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus zu untersuchen.
Dialektik ist Streeruwitz fremd; die Vorlesungen sind voll von abstrusen Argumentationen. Am Satz "Ohne Nationalgefühl gibt es dann auch keine Möglichkeit, eine Kollektivschuld zu formulieren" ist sowohl die Prämisse wie das Ergebnis falsch. Sozial, institutionell und ideologisch ist Österreich nur allzugut definiert, und es braucht schon gar nichts Völkisches, um historische Schuld zu tragen? Von "Kollektivschuld" zu schweigen, die von Deutschlands Historikern mit guten Gründen als Begriff abgelehnt wird. Wie blind der Affekt machen kann, zeigt der Bericht, den Streeruwitz Berliner Studenten von einem Akademietheater-Besuch gibt. Auf ein und derselben Seite kritisiert Streeruwitz Thomas Bernhards häufigen Gebrauch des Wortes Nazi in den Peymann-Dramoletten und behauptet umgehend, daß die applaudierenden Zuschauer "sich durchaus faschistisch zu einer Masse zusammenballen und dabei beim Wort Nazi in hysterisches Freudengebrüll ausbrechen". Es fällt Streeruwitz weder auf, daß sie dieselbe pauschale Geste macht, die sie kritisiert, noch erwähnt sie die Pointe, daß Bernhard mit diesem Text Peymann zum Amtsantritt das Scheitern im österreichischen "Staatstheater" vorhergesagt hatte.
Insgesamt ergibt sich der Eindruck, daß Marlene Streeruwitz durch grelle Effekte an der Befestigung ihrer literaturpolitischen Position arbeitet. Die These "Wir können auf keine kritische Tradition zurückgreifen" ist absurd: Eine ganze Bibliothek österreichischer Nachkriegsliteratur steht dagegen. Der Rezensent ist wie zahllose andere Österreicher in sehr jungen Jahren am "Herrn Karl" von Qualtinger und Merz über den trüben "Nationalcharakter" und seine Geschichte aufgeklärt worden. Nirgends ist literarische Kritik notwendiger, aber auch nirgends reicher vorhanden als in Österreich. Und nirgends ist daher auch die Last größer, aus dem Schatten von Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek zu treten.
Zu diesem Zweck hat Marlene Streeruwitz ein stilistisches Markenzeichen generiert: den fragmentarischen Satz und die starke Interpunktion. Die Stoßrichtung dieses Stilmittels geht gegen die "kitschigste" Weltsicht durch Sprache, das heißt: "Der ganze Satz, der Hierarchien herstellt, aus denen kein Entkommen. Der ganze Satz, der dann, zum politischen Text geronnen, Zusammenhänge konstruiert, in denen das ,als ob' zur Wirklichkeit des Textes erhoben wird." Das Gegenteil ist der Fall. Nur vollständige Sätze lassen sich überprüfen, widerlegen, dekonstruieren. Der Kurzsatz stellt nicht die beschädigte Wirklichkeit authentisch dar, sondern er insinuiert, er deutet und herrscht an. Nicht von ungefähr erinnern die Satzstummel an die Basta-Sprache und die verdummenden Kurzsätze der Politik, an das "Denk' ich, sag' ich mal" der Talk-Shows. Ein punktiertes "Also.", wie Streeruwitz es gern verwendet, läßt unwillkürlich an ein folgendes "Na, wird's bald!" denken.
Nur ungern überläßt man solcher Sprache die richtigen Ziele: Emanzipation und Aufklärung. "Der täglichen Beleidigung", der politischen Lüge und der Erniedrigung der Frau durch Werbung, Pornographie und unfaire Spielregeln wird mit solchen mechanischen Empörungsformeln nicht beizukommen sein.
THOMAS POISS
Marlene Streeruwitz: "Morire in levitate". Novelle. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 96 S. geb., 17,90 [Euro].
Marlene Streeruwitz: "Gegen die tägliche Beleidigung". Vorlesungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 192 S. geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
" Ausgesprochen unzufrieden ist Rezensent Thomas Poiss mit diesen Vorlesungen, die seiner Ansicht nach nicht nur voller abstruser Argumentationen und mechanischer Empörungsformeln sind, sondern ihm gelegentlich auch Beispiele liefern, wie blind der Affekt die Autorin für die von ihr beschriebenen Phänomene machen kann. Auch die sehr stilisierte Sprache - der fragmentarische Satz und die starke Interpunktion - stößt dem Rezensenten sauer auf. Den Zweck dieser Stilmittel, nämlich die Manipulation der Wirklichkeitswahrnehmung durch die Sprache zu problematisieren, sieht Poiss gerade verfehlt. "Nur vollständige Sätze lassen sich überprüfen, widerlegen, dekonstruieren." Streeruwitz-Sätze stellen die beschädigte Wirklichkeit aus seiner Sicht gerade nicht authentisch dar. Eigentlich geht das radikale Sprachkonzept für den Rezensenten sogar nach hinten los, denn die Satzstummel erinnern ihn nicht von ungefähr an die "Basta-Sprache und die verdummenden Kurzsätze" von Politikern und Talkshows. Insgesamt hat der Rezensent den Eindruck, dass Marlene Streeruwitz in diesen Texten mittels greller Effekte an der Festigung ihrer literaturpolitischen Position arbeite.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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