Ein alarmierender Appell gegen Menschenhass und den erstarkenden Antisemitismus in Deutschland.
»Wenn du heute wieder nicht lustig bist, landest du im Aschenbecher!« »Mein Vater ist auch im KZ gestorben, besoffen vom Wachturm gekippt.« »Musst du nicht weg? Der letzte Zug nach Auschwitz fährt doch gleich.« »Juden wollen immer Mitleid!« Das sind nur ein paar der Sätze, die der Autor dieses Buches tagtäglich in Deutschland zu hören bekommt. Andere Menschen werden auf offener Straße angegriffen, weil sie eine Kippa tragen. Jüdische Schüler werden beschimpft. Antisemitische Rapper hingegen bekommen Preise. Einem jüdischen Restaurantbesitzer wird seine bloße Anwesenheit vorgeworfen: »Wir wollen euch hier nicht in Deutschland.« »Euch«, das meint die Juden. All das zeigt: Deutschland hat ein Problem mit ihnen. In eindringlichen Worten appelliert Oliver Polak für eine klare Haltung: Wenn wir eine liberale Gesellschaft sein wollen, müssen wir uns endgültig von unseren Ressentiments befreien!
»Wenn du heute wieder nicht lustig bist, landest du im Aschenbecher!« »Mein Vater ist auch im KZ gestorben, besoffen vom Wachturm gekippt.« »Musst du nicht weg? Der letzte Zug nach Auschwitz fährt doch gleich.« »Juden wollen immer Mitleid!« Das sind nur ein paar der Sätze, die der Autor dieses Buches tagtäglich in Deutschland zu hören bekommt. Andere Menschen werden auf offener Straße angegriffen, weil sie eine Kippa tragen. Jüdische Schüler werden beschimpft. Antisemitische Rapper hingegen bekommen Preise. Einem jüdischen Restaurantbesitzer wird seine bloße Anwesenheit vorgeworfen: »Wir wollen euch hier nicht in Deutschland.« »Euch«, das meint die Juden. All das zeigt: Deutschland hat ein Problem mit ihnen. In eindringlichen Worten appelliert Oliver Polak für eine klare Haltung: Wenn wir eine liberale Gesellschaft sein wollen, müssen wir uns endgültig von unseren Ressentiments befreien!
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2018Magst du Juden?
Lange hat Oliver Polak Witze über sich selbst gemacht. Jetzt macht er mit dem Appell gegen Antisemitismus ernst
Wir können nicht mit Sicherheit sagen, welches Ereignis der letzten Monate es konkret war, das den Comedian, Autor und Moderator Oliver Polak dazu gebracht hat, ein Buch mit dem unzweideutigen Titel "Gegen Judenhass" zu schreiben. War es Björn Höckes Forderung nach einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" oder Björn Höcke als solcher, war es bereits der AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl 2017, waren es die immer erschreckender ausfallenden pro-palästinischen Proteste wie zuletzt bei der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, bei denen mehrheitlich junge Deutsche mit türkischen und arabischen Wurzeln israelische Fahnen verbrannten und dabei "Jude, Jude, feiges Schwein!" und "Kindermörder Israel" grölten? War es der Gürtel-Angriff auf einen Kippa-Träger im Berliner Prenzlauer Berg, der gleich doppelte Angriff auf den israelisch-amerikanischen Professor Yitzhak Melamed im Hofgarten der Universität Bonn, waren es die immer und immer wieder erscheinenden antisemitischen Karikaturen in renommierten Tageszeitungen, oder waren es die schamlos verbreiteten anti-jüdischen Ressentiments des Rappers Kollegah, die auch einer Verleihung des Echo offensichtlich nicht im Wege standen?
Nun, Alexander Gaulands Bezeichnung der NS-Diktatur als Fliegenschiss, sein jüngstes öffentliches Zitieren aus dem "Handbuch der Judenfrage", der Angriff auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz, die Formierung eines weiteren BDS-Auswuchses namens #DJsForPalestine oder die groteske, leicht durchschaubare Bildung der Gruppe "Juden in der AfD" können es nicht gewesen sein - das war ja alles gerade eben erst, da war Polak mit dem Schreiben wahrscheinlich schon durch.
Vermutlich wüsste er es selbst nicht so genau zu sagen, er, Sohn deutscher Juden, zur Welt gekommen und aufgewachsen in der einzigen jüdischen Familie der norddeutschen Kleinstadt Papenburg, gut dreißig Jahre nachdem sein Vater unter den Nationalsozialisten mehrere Internierungslager überlebt hatte. Wahrscheinlich war es die Wahrnehmung eines konstant anschwellenden Brodelns innerhalb der Gesellschaft, im Zuge dessen immer häufiger vergiftete Worte über den Rand des Sagbaren schwappten.
Nun also ist dieses kleine kämpferische Büchlein gegen Ressentiment und Vorurteil da, dieser Versuch der Aufklärung gegen das nie endende Raunen und das Gerücht über die Juden. Mit seiner reduzierten Suhrkamp-Ästhetik und dem grellen neonpinkroten Einband springt es einem unmittelbar als das Alarmsignal in die Augen, als das es wahrgenommen werden will. Hintendrauf steht sein Anliegen in großen weißen Lettern: "Wir müssen uns gegen Judenhass erheben - jetzt!"
Gerade einmal 128 Seiten hat es, von denen weniger als die Hälfte tatsächlich bedruckt sind. Das liegt an der überraschenden Form, die Polak für sein Anliegen wählt - so findet der Leser auf den ersten 74 Seiten lediglich einzelne rhetorische Fragen und Versatzstücke wie, gleich zu Beginn, "Magst du Juden?", gefolgt von "Interessant, und warum?". Und wenige Seiten weiter: "Wem kannst du am ehesten vertrauen? a) Juden, b) ISIS, c) Katzen?" - und dann als Antwort auf der nächsten Seite: "Du kannst niemandem vertrauen." Für manch einen mag das ja bereits ein Schock sein.
Mehr als die Hälfte des Buches geht das so, Polak spielt mit den Vorurteilen seiner Leser, und nach jeder Frage, nach jeder Anmerkung, bleibt bis zur übernächsten Seite alles weiß; offenbar sollen diese Leerstellen gefüllt werden mit dem, was da so im eigenen Kopf an Verschüttetem herumirrt. Es ist ein Spiel mit den klassischen Stereotypen und allgemeinen Wissenslücken: Sind Juden raffgierig? Sind Juden ein Volk oder eine Religion? Wie sehen Juden aus? Oder auch: "Warum denkst du über Israel nach?" Letzteres ist eine Einladung zu konkreter Selbstkritik, es meint: Warum denkst du immer wieder über die vermeintlichen Verfehlungen des israelischen Staates nach, während dich Verfehlungen anderer Staaten so sehr auf die Palme bringen wie - sagen wir mal - die Außenpolitik Andorras?
Polaks Buch fängt in puncto Aufklärungsarbeit bei null an, es ist der Versuch, ein Minimalverstehen in Gang zu setzen. So erklärt er auf die Frage, warum Juden immer wieder mit Geld assoziiert würden: "Im Mittelalter durften sie weder Land besitzen noch verkaufen noch christliche Berufe ausüben. Somit war ihre Tätigkeit auf das Geldleihgeschäft beschränkt." Es scheint, als müsse man tatsächlich noch einmal sehr grundsätzlich werden. Das mag dann für den einigermaßen Informierten nicht viel Neues bereithalten, aber sollte sich "Gegen Judenhass" ob seiner Einfachheit künftig auch für den Schulunterricht eignen, wäre damit ja nicht weniger gewonnen.
Auf die 74 Seiten lange Frage-und-Antwort-Runde folgen 50 weitere, in denen Polak seine Beweggründe darlegt: "Dieser Text ist keine Anklage. Keine Meinung. Und nicht verhandelbar. (. . .) Ich habe mich entschlossen, das Wort zum Thema Antisemitismus zu ergreifen, da die Aktualität es mir nicht ermöglicht, nicht darüber zu schreiben."
Polak schildert Episoden aus seinem Leben, erzählt von türkischen Taxifahrern, die ihm sagen "Ich bin nicht gegen diese Juden, aber die Juden beherrschen die Welt"; von Momenten aus seiner Jugend voller Hass und Ablehnung; von Mitschülern, die ihm zurufen, er habe "Juden-Aids"; von Moderatoren, die - um besonders witzig zu sein - ihn im Reißen von Judenwitzen noch zu übertrumpfen suchen; von Veranstaltern, die ihm scherzhaft drohen: "Wenn du heute wieder nicht lustig bist, landest du im Aschenbecher"; von Journalisten, die über Israel twittern, ohne jemals dort gewesen zu sein; von arabisch-stämmigen Rappern und Comedians, die besonders stolz Juden-Klischees in Stellung bringen und so weiter - die Liste ist lang. Beim Lesen bekommt man einen sehr unmittelbaren Eindruck davon, was dieses Raunen über "die Juden" in der Realität bedeutet, wie es sich durch ständiges Wiederholen im Großen wie im Kleinen immer wieder revitalisiert und so alles verseucht.
Das Buch ist nicht zuletzt eine Abrechnung mit erstarrter Erinnerungskultur, mit dem Einweihen von Denkmälern, mit dem floskelhaften Sprechen, er schreibt: "Anders als viele denken, war der Antisemitismus in Deutschland aber nie weg. Es gab, auch anders als gerne behauptet wird, nie ein christlich-jüdisches-irgendetwas Verhältnis. (. . .) Die christlich-jüdische Gemeinschaft wird heute von Typen wie Söder, Seehofer und der AfD behauptet und benutzt, um den Islam zu denunzieren." Es ist Polak anzurechnen, dass er trotz zahlreicher Beispiele muslimisch geprägten Antisemitismus zu keiner Zeit in ein Islam-Bashing verfällt. Ganz im Gegenteil: "Die einheimische Antisemitismus-Variante finde ich aufgrund der deutschen Historie, des deutschen Wohlstands und der Säkularisierung übrigens noch verstörender und befremdlicher als die importierte."
Hingegen nicht ganz nachvollziehbar bemängelt er den Umstand, vornehmlich als jüdischer Künstler wahrgenommen und vermarktet zu werden - so kritisiert er seinen ehemaligen Agenten, der ihm zu verstehen gibt, das Judentum sei nun einmal sein "Unique Selling Point". Und so sehr man den Ärger über derlei marketingtechnische Eindimensionalität auch verstehen kann, haben wir es hier tatsächlich nur mit den banalen Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie zu tun, die stets auf das Griffigste, das Naheliegendste verweist.
Das Abarbeiten an der eigenen Biographie, sein Jüdischsein, es war nun einmal mit Beginn seiner Stand-up-Laufbahn der verlässliche Aufhänger. Einer seiner klassischsten Gags geht so: "Hallo, mein Name ist Oliver Polak, ich bin Jude. Ihr müsst aber trotzdem nur lachen, wenn es euch gefällt." Der Witz funktionierte stets verlässlich, denn über nichts lacht der Mensch ja so schallend wie über das Gefühl des Ertapptseins bei gleichzeitiger Absolution - und Polak hat ihnen diese stets gern erteilt, beziehungsweise tat er so, als ob. Dieses Herstellen von makabrer Ambivalenz, gerade auf Grundlage seines Judentums, macht sein Stand- up aber auch besser als das der meisten anderen deutschen Comedians, denn der maximale Schmerz, das Erkennen der Selbstlüge, die Möglichkeit zum Kippen ins Horrorhafte war immer Teil der Inszenierung.
Leider ist es im Showgeschäft schwer, seinem Klischee zu entfliehen. Polaks erstes Bühnenprogramm hieß "Jud Süß Sauer", gefolgt vom Buch "Ich darf das, ich bin Jude", gefolgt von seinem zweiten, dann gar nicht mehr so lustig gemeinten, seine schwere Depression nachvollziehenden Buch "Der jüdische Patient". Auf dessen Cover war das Prädikat "jüdisch" durchgestrichen - man konnte das bereits als Versuch lesen, sich der Einordnung wieder zu entziehen. Dazwischen aber gab er in einem Musikvideo der Band K.I.Z auch noch einen versifften Hartz-IV-Adolf-Hitler.
Es sind bis zu einem gewissen Grad die Geister, die er rief, weil er vielleicht hoffte, den Deutschen das Vergessen durch dauerhaft gelingende Pointen zu verunmöglichen - Pointen wie: "Wir machen einen Deal. Wir verzeihen euch die blöde Sache mit dem Holocaust, und ihr verzeiht uns Michel Friedman." Nun aber schreibt er nicht weniger zu Recht: "Mein Judentum ist kein Glitzerlogo für Federmäppchen. Meine Auseinandersetzung mit dem Judentum und meiner kulturellen Herkunft ist keine strategisch getroffene Marketingentscheidung, die mir irgendeinen Vorteil unter den professionellen Humoristen verschafft."
Man kann "Gegen Judenhass" daher auch als Kehrseite seiner eigenen Gag-Historie lesen. Als Polak 2010 mit dem Hamburger Musiker Erobique den Song "Lasst uns alle Juden sein" herausbrachte, sprangen er und seine Freunde im Musikvideo als Ghostbusters verkleidet noch fröhlich durch die Stadt und verwandelten Menschen und Tiere in schläfenbelockte Juden - es hatte etwas ausgesprochen Leichtes und Spielerisches und war getragen vom Optimismus, die Schrecken der Vergangenheit eines Tages tatsächlich loswerden zu können; von der Vision, dem Judentum eines Tages mit einem handelsüblichen Maß an Indifferenz zu begegnen - jenseits aller Zuschreibung, Überhöhung und Herabwürdigung. Polak deutet das in seinem Buch durchaus an: "Man will versuchen, die jüdische Kultur unter die Leute zu bringen. Man sollte aber eher damit beginnen, das Judentum zu entdämonisieren." Tatsächliche Normalisierung in Form einer selbstverständlichen, wohlwollenden Gleichgültigkeit, wie sie dem modernen Menschen doch eigentlich bestens bekannt ist, wäre vermutlich der größte Gewinn, der sich überhaupt denken ließe.
Dieser Optimismus ist, das muss man jetzt, da "Gegen Judenhass" erschienen ist, erscheinen musste, größtenteils entschwunden - jetzt geht es doch wieder nur darum, den Scherbenhaufen einigermaßen beisammenzuhalten und Schlimmeres zu verhindern.
TIMON KARL KALEYTA
Oliver Polak: "Gegen Judenhass". Suhrkamp, 128 Seiten, 8 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lange hat Oliver Polak Witze über sich selbst gemacht. Jetzt macht er mit dem Appell gegen Antisemitismus ernst
Wir können nicht mit Sicherheit sagen, welches Ereignis der letzten Monate es konkret war, das den Comedian, Autor und Moderator Oliver Polak dazu gebracht hat, ein Buch mit dem unzweideutigen Titel "Gegen Judenhass" zu schreiben. War es Björn Höckes Forderung nach einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" oder Björn Höcke als solcher, war es bereits der AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl 2017, waren es die immer erschreckender ausfallenden pro-palästinischen Proteste wie zuletzt bei der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, bei denen mehrheitlich junge Deutsche mit türkischen und arabischen Wurzeln israelische Fahnen verbrannten und dabei "Jude, Jude, feiges Schwein!" und "Kindermörder Israel" grölten? War es der Gürtel-Angriff auf einen Kippa-Träger im Berliner Prenzlauer Berg, der gleich doppelte Angriff auf den israelisch-amerikanischen Professor Yitzhak Melamed im Hofgarten der Universität Bonn, waren es die immer und immer wieder erscheinenden antisemitischen Karikaturen in renommierten Tageszeitungen, oder waren es die schamlos verbreiteten anti-jüdischen Ressentiments des Rappers Kollegah, die auch einer Verleihung des Echo offensichtlich nicht im Wege standen?
Nun, Alexander Gaulands Bezeichnung der NS-Diktatur als Fliegenschiss, sein jüngstes öffentliches Zitieren aus dem "Handbuch der Judenfrage", der Angriff auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz, die Formierung eines weiteren BDS-Auswuchses namens #DJsForPalestine oder die groteske, leicht durchschaubare Bildung der Gruppe "Juden in der AfD" können es nicht gewesen sein - das war ja alles gerade eben erst, da war Polak mit dem Schreiben wahrscheinlich schon durch.
Vermutlich wüsste er es selbst nicht so genau zu sagen, er, Sohn deutscher Juden, zur Welt gekommen und aufgewachsen in der einzigen jüdischen Familie der norddeutschen Kleinstadt Papenburg, gut dreißig Jahre nachdem sein Vater unter den Nationalsozialisten mehrere Internierungslager überlebt hatte. Wahrscheinlich war es die Wahrnehmung eines konstant anschwellenden Brodelns innerhalb der Gesellschaft, im Zuge dessen immer häufiger vergiftete Worte über den Rand des Sagbaren schwappten.
Nun also ist dieses kleine kämpferische Büchlein gegen Ressentiment und Vorurteil da, dieser Versuch der Aufklärung gegen das nie endende Raunen und das Gerücht über die Juden. Mit seiner reduzierten Suhrkamp-Ästhetik und dem grellen neonpinkroten Einband springt es einem unmittelbar als das Alarmsignal in die Augen, als das es wahrgenommen werden will. Hintendrauf steht sein Anliegen in großen weißen Lettern: "Wir müssen uns gegen Judenhass erheben - jetzt!"
Gerade einmal 128 Seiten hat es, von denen weniger als die Hälfte tatsächlich bedruckt sind. Das liegt an der überraschenden Form, die Polak für sein Anliegen wählt - so findet der Leser auf den ersten 74 Seiten lediglich einzelne rhetorische Fragen und Versatzstücke wie, gleich zu Beginn, "Magst du Juden?", gefolgt von "Interessant, und warum?". Und wenige Seiten weiter: "Wem kannst du am ehesten vertrauen? a) Juden, b) ISIS, c) Katzen?" - und dann als Antwort auf der nächsten Seite: "Du kannst niemandem vertrauen." Für manch einen mag das ja bereits ein Schock sein.
Mehr als die Hälfte des Buches geht das so, Polak spielt mit den Vorurteilen seiner Leser, und nach jeder Frage, nach jeder Anmerkung, bleibt bis zur übernächsten Seite alles weiß; offenbar sollen diese Leerstellen gefüllt werden mit dem, was da so im eigenen Kopf an Verschüttetem herumirrt. Es ist ein Spiel mit den klassischen Stereotypen und allgemeinen Wissenslücken: Sind Juden raffgierig? Sind Juden ein Volk oder eine Religion? Wie sehen Juden aus? Oder auch: "Warum denkst du über Israel nach?" Letzteres ist eine Einladung zu konkreter Selbstkritik, es meint: Warum denkst du immer wieder über die vermeintlichen Verfehlungen des israelischen Staates nach, während dich Verfehlungen anderer Staaten so sehr auf die Palme bringen wie - sagen wir mal - die Außenpolitik Andorras?
Polaks Buch fängt in puncto Aufklärungsarbeit bei null an, es ist der Versuch, ein Minimalverstehen in Gang zu setzen. So erklärt er auf die Frage, warum Juden immer wieder mit Geld assoziiert würden: "Im Mittelalter durften sie weder Land besitzen noch verkaufen noch christliche Berufe ausüben. Somit war ihre Tätigkeit auf das Geldleihgeschäft beschränkt." Es scheint, als müsse man tatsächlich noch einmal sehr grundsätzlich werden. Das mag dann für den einigermaßen Informierten nicht viel Neues bereithalten, aber sollte sich "Gegen Judenhass" ob seiner Einfachheit künftig auch für den Schulunterricht eignen, wäre damit ja nicht weniger gewonnen.
Auf die 74 Seiten lange Frage-und-Antwort-Runde folgen 50 weitere, in denen Polak seine Beweggründe darlegt: "Dieser Text ist keine Anklage. Keine Meinung. Und nicht verhandelbar. (. . .) Ich habe mich entschlossen, das Wort zum Thema Antisemitismus zu ergreifen, da die Aktualität es mir nicht ermöglicht, nicht darüber zu schreiben."
Polak schildert Episoden aus seinem Leben, erzählt von türkischen Taxifahrern, die ihm sagen "Ich bin nicht gegen diese Juden, aber die Juden beherrschen die Welt"; von Momenten aus seiner Jugend voller Hass und Ablehnung; von Mitschülern, die ihm zurufen, er habe "Juden-Aids"; von Moderatoren, die - um besonders witzig zu sein - ihn im Reißen von Judenwitzen noch zu übertrumpfen suchen; von Veranstaltern, die ihm scherzhaft drohen: "Wenn du heute wieder nicht lustig bist, landest du im Aschenbecher"; von Journalisten, die über Israel twittern, ohne jemals dort gewesen zu sein; von arabisch-stämmigen Rappern und Comedians, die besonders stolz Juden-Klischees in Stellung bringen und so weiter - die Liste ist lang. Beim Lesen bekommt man einen sehr unmittelbaren Eindruck davon, was dieses Raunen über "die Juden" in der Realität bedeutet, wie es sich durch ständiges Wiederholen im Großen wie im Kleinen immer wieder revitalisiert und so alles verseucht.
Das Buch ist nicht zuletzt eine Abrechnung mit erstarrter Erinnerungskultur, mit dem Einweihen von Denkmälern, mit dem floskelhaften Sprechen, er schreibt: "Anders als viele denken, war der Antisemitismus in Deutschland aber nie weg. Es gab, auch anders als gerne behauptet wird, nie ein christlich-jüdisches-irgendetwas Verhältnis. (. . .) Die christlich-jüdische Gemeinschaft wird heute von Typen wie Söder, Seehofer und der AfD behauptet und benutzt, um den Islam zu denunzieren." Es ist Polak anzurechnen, dass er trotz zahlreicher Beispiele muslimisch geprägten Antisemitismus zu keiner Zeit in ein Islam-Bashing verfällt. Ganz im Gegenteil: "Die einheimische Antisemitismus-Variante finde ich aufgrund der deutschen Historie, des deutschen Wohlstands und der Säkularisierung übrigens noch verstörender und befremdlicher als die importierte."
Hingegen nicht ganz nachvollziehbar bemängelt er den Umstand, vornehmlich als jüdischer Künstler wahrgenommen und vermarktet zu werden - so kritisiert er seinen ehemaligen Agenten, der ihm zu verstehen gibt, das Judentum sei nun einmal sein "Unique Selling Point". Und so sehr man den Ärger über derlei marketingtechnische Eindimensionalität auch verstehen kann, haben wir es hier tatsächlich nur mit den banalen Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie zu tun, die stets auf das Griffigste, das Naheliegendste verweist.
Das Abarbeiten an der eigenen Biographie, sein Jüdischsein, es war nun einmal mit Beginn seiner Stand-up-Laufbahn der verlässliche Aufhänger. Einer seiner klassischsten Gags geht so: "Hallo, mein Name ist Oliver Polak, ich bin Jude. Ihr müsst aber trotzdem nur lachen, wenn es euch gefällt." Der Witz funktionierte stets verlässlich, denn über nichts lacht der Mensch ja so schallend wie über das Gefühl des Ertapptseins bei gleichzeitiger Absolution - und Polak hat ihnen diese stets gern erteilt, beziehungsweise tat er so, als ob. Dieses Herstellen von makabrer Ambivalenz, gerade auf Grundlage seines Judentums, macht sein Stand- up aber auch besser als das der meisten anderen deutschen Comedians, denn der maximale Schmerz, das Erkennen der Selbstlüge, die Möglichkeit zum Kippen ins Horrorhafte war immer Teil der Inszenierung.
Leider ist es im Showgeschäft schwer, seinem Klischee zu entfliehen. Polaks erstes Bühnenprogramm hieß "Jud Süß Sauer", gefolgt vom Buch "Ich darf das, ich bin Jude", gefolgt von seinem zweiten, dann gar nicht mehr so lustig gemeinten, seine schwere Depression nachvollziehenden Buch "Der jüdische Patient". Auf dessen Cover war das Prädikat "jüdisch" durchgestrichen - man konnte das bereits als Versuch lesen, sich der Einordnung wieder zu entziehen. Dazwischen aber gab er in einem Musikvideo der Band K.I.Z auch noch einen versifften Hartz-IV-Adolf-Hitler.
Es sind bis zu einem gewissen Grad die Geister, die er rief, weil er vielleicht hoffte, den Deutschen das Vergessen durch dauerhaft gelingende Pointen zu verunmöglichen - Pointen wie: "Wir machen einen Deal. Wir verzeihen euch die blöde Sache mit dem Holocaust, und ihr verzeiht uns Michel Friedman." Nun aber schreibt er nicht weniger zu Recht: "Mein Judentum ist kein Glitzerlogo für Federmäppchen. Meine Auseinandersetzung mit dem Judentum und meiner kulturellen Herkunft ist keine strategisch getroffene Marketingentscheidung, die mir irgendeinen Vorteil unter den professionellen Humoristen verschafft."
Man kann "Gegen Judenhass" daher auch als Kehrseite seiner eigenen Gag-Historie lesen. Als Polak 2010 mit dem Hamburger Musiker Erobique den Song "Lasst uns alle Juden sein" herausbrachte, sprangen er und seine Freunde im Musikvideo als Ghostbusters verkleidet noch fröhlich durch die Stadt und verwandelten Menschen und Tiere in schläfenbelockte Juden - es hatte etwas ausgesprochen Leichtes und Spielerisches und war getragen vom Optimismus, die Schrecken der Vergangenheit eines Tages tatsächlich loswerden zu können; von der Vision, dem Judentum eines Tages mit einem handelsüblichen Maß an Indifferenz zu begegnen - jenseits aller Zuschreibung, Überhöhung und Herabwürdigung. Polak deutet das in seinem Buch durchaus an: "Man will versuchen, die jüdische Kultur unter die Leute zu bringen. Man sollte aber eher damit beginnen, das Judentum zu entdämonisieren." Tatsächliche Normalisierung in Form einer selbstverständlichen, wohlwollenden Gleichgültigkeit, wie sie dem modernen Menschen doch eigentlich bestens bekannt ist, wäre vermutlich der größte Gewinn, der sich überhaupt denken ließe.
Dieser Optimismus ist, das muss man jetzt, da "Gegen Judenhass" erschienen ist, erscheinen musste, größtenteils entschwunden - jetzt geht es doch wieder nur darum, den Scherbenhaufen einigermaßen beisammenzuhalten und Schlimmeres zu verhindern.
TIMON KARL KALEYTA
Oliver Polak: "Gegen Judenhass". Suhrkamp, 128 Seiten, 8 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein gerade wegen seiner Knappheit wirkungsvoller Appell kommt vom deutschen Comedian Oliver Polak. Seine Streitschrift Gegen Judenhass ist ein lakonisch gehaltenes Dokument der geradezu obsessiven deutschen Fixierung auf das Jüdischsein.« Tobias Sedlmaier Neue Zürcher Zeitung 20181105