Pirkko ist 19 Jahre jung und hat Träume. Gerade hat sie ihr Abitur gemacht und will die Welt sehen, v. a. ihr Traumland Schweiz. Und da macht sie ihre ersten Gegenlicht-Erfahrungen: die Schweiz mag durchaus ein Gegenentwurf zu Finnland sein, aber ein Traumland ist sie nicht. Frauen dürfen hier nicht
wählen, die Schulbücher erzählen dummes Zeug über die Finnen, und den Nationalstolz der Schweizer…mehrPirkko ist 19 Jahre jung und hat Träume. Gerade hat sie ihr Abitur gemacht und will die Welt sehen, v. a. ihr Traumland Schweiz. Und da macht sie ihre ersten Gegenlicht-Erfahrungen: die Schweiz mag durchaus ein Gegenentwurf zu Finnland sein, aber ein Traumland ist sie nicht. Frauen dürfen hier nicht wählen, die Schulbücher erzählen dummes Zeug über die Finnen, und den Nationalstolz der Schweizer empfindet sie als arrogant.
Auch ihr Lebenstraum muss ein scharfes Gegenlicht aushalten. Sehr humorvoll erzählt Pirkko Saisio von ihrem Traum, ein Schweizer Waisenhaus in idyllischer Lage zu leiten, wo sie von den lieben Kindern abgöttisch verehrt wird. Die Wirklichkeit sieht anders aus: das Haus, in dem sie ein Praktikum ableistet, ist alles andere als ein idyllischer Ort, sondern geprägt von Konkurrenzdenken, Egoismus und oft lieblosem Umgang mit den Kindern.
Die radikale Ernüchterung führt dazu, dass sie sich von ihrem romantischen Ideal einer umschwärmten Waisenhausmutter verabschiedet und ihre eigentliche Stärke entdeckt: das Beobachten von Menschen und das Schreiben über Menschen. Und dann fällt ein so wunderbarer Satz über ihre Erkenntnis: „denn ihre Welt, das hat sie noch immer nicht erkannt, besteht aus Menschen, spinnennetzfeinen Fäden: raschen Blicken; […] unausgesprochenen Worten und ausweichenden oder nachgebenden Gesten; endlosem Rätselraten und tastenden Interpretationen.“
Das ist nur ein Beispiel für ein „Gegenlicht“, dem die junge Pirkko ausgesetzt ist. Ihre Jugend wird quasi durchzuckt von Gegenlichtern: ihre Hinwendung zur Religion, ihr Interesse für Literatur und Kunst in einem Elternhaus, in dem lediglich die Werke von Stalin und Lenin im Regal stehen, die zögernde Entdeckung ihrer sexuellen Identität und schließlich der Wunsch, Schriftstellerin zu werden.
Das alles erzählt Pirkko Saisio mit einer Leichtigkeit und Ehrlichkeit, die den Mief der 50er und 60er im kommunistisch orientierten Finnland noch deutlicher hervortreten lassen. Immer wieder springt sie zwischen den Zeitebenen hin und her und wechselt von der Ich-Erzählung zum reflektierten, beobachtenden Sie-Erzählen.
Damit schafft sie eine Distanz zwischen ihren beiden Ichs, dem der Jetzt-Zeit und ihrer Situation als bekannteste Autorin Finnlands, und dem Ich der erzählten Zeit ihrer Jugend. Ein witziger Kunstgriff gelingt ihr, wenn ihre beiden Ichs in einen kurzen Dialog eintreten. Sie betrachtet sich selber und ihre kommunistische kleinbürgerliche Familie mit einem scharfen Blick, aber vor allem einen wunderbar leichten und menschenfreundlichen Humor. Und das alles in assoziativen Splittern, die jede Chronologie aufbricht bzw. erst im Nachhinein deutlich werden lässt.
Großes Lese-Vergnügen!