Editorial. Zweimal im Jahr wird der kollektive Rausch ein paar Wochen lang Teil meines Alltags. Dann sind die Abteile der Stuttgarter S-Bahn nach Feierabend voller lauter – und meist fröhlicher – Menschen in Dirndl und Lederhose. Es wird gekichert, gesungen, geschnarcht und gepöbelt und der Duft der vielen erfolgreich geleerten Maßkrüge liegt in der Luft. Solche "rauschhafte Vergemeinschaftungen ", wie sie die Soziologin Yvonne Niekrenz nennt, treten nicht nur bei Volksfesten wie dem Cannstatter Wasen, sondern auch beim Fasching, auf Festivals oder bei Fußballspielen auf. Ihnen gemeinsam ist: Ausgelassenheit, Enthemmung und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. In jeder Gesellschaft gibt es Enklaven, in denen die üblichen Konventionen des Alltags außer Kraft gesetzt werden, sagt Niekrenz, die über den rheinischen Karneval promoviert hat. Dafür hat sich die aus Norddeutschland stammende Forscherin selbst in den Kölner Straßenkarneval begeben, mit feiernden Jecken geredet, Prunksitzungen besucht und als Mitglied einer Prinzengarde an einem Festumzug teilgenommen. Im Interview ab S. 20 spricht sie mit meinem Kollegen Steve Ayan über die Funktion des Rauschs und die Frage, ob er einen geregelten Rahmen und Rituale benötigt. Auch der Neurowissenschaftler Robin Carhart-Harris erforscht das Thema, allerdings mit einer völlig anderen Herangehensweise und einem anderen Ziel. Er verabreicht Freiwilligen im Dienst der Wissenschaft Halluzinogene und untersucht, was anschließend im Gehirn passiert. Denn unter dem Einfluss der Drogen wird das Denken schrankenlos, die Grenze zwischen Ich und Umwelt verschwimmt. Carhart-Harris hofft, durch seine psychedelischen Experimente das Wesen des menschlichen Bewusstseins, jenes große Rätsel der Hirnforschung, besser zu verstehen. Auch dazu kann der Rausch offenbar gut sein. Eine berauschende Lektüre wünscht Liesa Klotzbücher, Redaktion Gehirn&Geist.