Liebe, Freiheit, Geld. Und auch Empathie. Von manchen Dingen kann man vermeintlich nie genug haben. Wir schätzen sie so hoch, dass uns etwaige Nachteile aus einem Übermaß derselben kaum vorstellbar erscheinen. Doch so, wie man durchaus zu viel lieben kann – und dabei sich selbst oder die Autonomie des Geliebten missachtet –, ist auch mehr Mitgefühl nicht automatisch besser. Bisweilen macht es uns im Gegenteil blind für drängendere Nöte, errichtet Mauern im Kopf oder fördert unmoralisches Handeln. Diese auf den ersten Blick verblüffende These stellt unser Titelthema ab S. 12 auf. Der Begriff Empathie hat eine spannende Karriere hinter sich. Was wir heute damit meinen, bezeichnete man jahrhundertelang als Sympathie (von lateinisch für "gemeinsam leiden"). Dann sprach der Psychologie-Pionier Theodor Lipps (1851–1914) erstmals von "Einfühlung", um damit unser ästhetisches Empfinden zu erklären. Dies wiederum übersetzte sein britisch-amerikanischer Kollege Edward Titchener (1867–1927) als jene Empathie, die man dank des wissenschaftlichen Beiklangs bald ins Deutsche zurückimportierte. Das Wort reduzierte nicht nur die Sympathie auf reine Zuneigung, sondern stieg selbst auf zum Inbegriff von Fairness und Hilfsbereitschaft. Nur wer sich in andere einfühlen könne, handle altruistisch – wem es dagegen an Empathie mangelt, der sei nicht bloß hartherzig, sondern gestört. Das jedenfalls unterstellt man Psycho-, Sozio- und sonstigen "Un-Sympathen" allzu gerne. Allerdings sind diese oft empathischer, als es den Anschein hat. Und umgekehrt ist längst nicht alles, was Empathie erfordert, gut und richtig.