Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Von der Kriegstaktik zum Management: Johann Chapoutot über die Karrieren des Reinhard Höhn
Zu Beginn des Sommersemesters 1934 betrat der dreißigjährige, frisch habilitierte Privatdozent für Staatsrecht Reinhard Höhn die Heidelberger Universitätsbuchhandlung und verlangte eine angemessene Präsentation seiner Veröffentlichungen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, hatte der Dozent, der seit zwei Jahren auch für Reinhard Heydrichs Sicherheitsdienst (SD) arbeitete, die SS-Uniform angelegt. Einem so ehrgeizigen und zugleich eitlen Mann kam man besser nicht in die Quere.
Das hätte auch Carl Schmitt wissen müssen, auf dessen Empfehlung Höhn 1934 von Jena nach Heidelberg gewechselt war. Zwei Jahre später wurde Schmitt von seinem einstigen Protegé mit Hilfe des SD kaltgestellt: zu katholisch, zu zaghaft, zu stark auf den Staat als Souverän fixiert, so die Vorwürfe. Inzwischen arbeitete Höhn von Berlin aus an einer neuen deutschen Staatsrechtslehre, in der der herkömmliche Staatsbegriff abgeschafft und durch das Prinzip der "Volksgemeinschaft" ersetzt werden sollte. Kaum ein anderer Jurist war so erfolgreich wie er bei dem Versuch, politische Propaganda in die Sprache des Rechts zu übertragen.
Nach Ausbruch des Krieges begann Höhn, juristische Grundlagen für die Eroberung und Verwaltung des neuen "Lebensraums" auszuarbeiten. "Der Kampf um die Wiedergewinnung des deutschen Ostens" lautete der Titel seines Beitrags in der "Festgabe" für Heinrich Himmler im Frühjahr 1941. Als Experte für Wehr- und Polizeirecht befasste er sich jetzt zunehmend mit Fragen des totalen Kriegseinsatzes. Die Befreiungskriege gegen Napoleon dienten ihm dabei als historische Vorlage; nach der Niederlage Preußens 1806 habe General von Scharnhorst gezeigt, wie sich Kriegsbegeisterung dauerhaft durch alle Schichten etablieren lasse. Diesen Enthusiasmus wollte Höhn 1944 mit einem Werk zur preußischen Militärgeschichte wiederbeleben. Es war seine - vorerst - letzte Publikation.
Für den französischen Historiker Johann Chapoutot gehört Reinhard Höhn in die erste Reihe jener "kriminellen Nazis", die als intellektuelle Vordenker, Juristen und Verwaltungsfachleute "ganze Bevölkerungen umsiedelten, ganze Landstriche aushungerten und die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft bis zur völligen Erschöpfung befürworteten". Die Technokraten der Ideologie setzten auf Entschlusskraft und mahnten, man dürfe sich weder mit bürokratischen Vorschriften noch mit theoretischen Erwägungen allzu lange aufhalten. "Ihr seid vollkommen auf Euch gestellt, daher keine Beschwerden und Hilferufe nach oben", hatte einer von ihnen seinen Leuten pünktlich zum Überfall auf die Sowjetunion als Richtlinie mit auf den Weg gegeben.
Man folgte dem Subsidiaritätsprinzip: Probleme sind möglichst vor Ort zu lösen, bei der kleinsten Einheit, auf der untersten Ebene. Im preußischen Generalstab, der dieses Prinzip früh perfektioniert hatte, wurde diese Delegation von Verantwortung schlicht "Auftragstaktik" genannt. Hatte Höhn deren Grundsätze 1944 noch zu verallgemeinern und zu aktualisieren versucht, um die Fronten zu stabilisieren, so schaltete er sich nur wenige Jahre später mit einem Buch unter dem Titel "Scharnhorsts Vermächtnis" in die Debatte um den Aufbau der künftigen Bundeswehr ein. Das Manuskript war bei Kriegsende weitgehend abgeschlossen und musste für die Veröffentlichung 1952 nur sprachlich noch ein wenig den veränderten Verhältnissen angepasst werden.
Diese intellektuelle Kontinuität, der reibungslose Übergang von einem System in das andere, ist das Thema der Studie von Chapoutot. Es bedurfte weder besonderer Verwandlungskünste noch geheimer Netzwerke, dass Höhn Ende 1952 bei der "Volkswirtschaftlichen Gesellschaft" eingestellt wurde, einer Gründung Hamburger Unternehmer zur Weiterbildung von Mitarbeitern und Führungskräften. Vier Jahre später errichtete die Gesellschaft für ihn eine eigene Akademie in Bad Harzburg. Als "Harzburger Modell" verkaufte Höhn dort bis in die frühen achtziger Jahre den Spitzen der deutschen Wirtschaft die Grundsätze effizienter Führung, die er sich in seinen juristischen und militärhistorischen Studien angeeignet hatte. "Aldi, BMW, Hoechst, Bayer, Telefunken, Esso, Krupp, Thyssen . . . sie alle und über 2000 weitere Unternehmen schickten ihre Manager nach Bad Harzburg."
Weder seine Verurteilung zur Zahlung von 12 000 D-Mark am Ende eines langwierigen Spruchkammerverfahrens 1958 noch die einige Jahre später im DDR-"Braunbuch" veröffentlichten Enthüllungen konnten die Position des ehemaligen SS-Oberführers nachhaltig erschüttern. Zwar zogen sich einige Unternehmen zurück, und auch der Verteidigungsminister kündigte im Mai 1972 auf Druck von Bernt Engelmann die Zusammenarbeit mit Höhn. Der rapide Niedergang des Harzburger Modells in den siebziger Jahren hatte jedoch andere Ursachen. Die an Scharnhorst orientierte "elastische Kriegführung" mit Hilfe von "Stäben" galt in den Führungsetagen deutscher Konzerne als nicht mehr zeitgemäß; das Modell "Delegation von Verantwortung" wurde abgelöst durch das amerikanische Zielvereinbarungsmodell ("Management by Objectives").
Johann Chapoutot hat die ideologischen Kontinuitäten zwischen dem Nationalsozialismus und der Bundesrepublik essayistisch pointiert und damit in Frankreich einen außergewöhnlichen Erfolg erzielt. Ähnliche Aufmerksamkeit wünscht man dem Buch auch hierzulande, umso mehr, als bei uns neuerdings verstärkt statt der Kontinuitäten die Zäsuren der deutschen Geschichte betont werden.
Leider hat sich der deutsche Verlag bei der Titelformulierung vertan. Aus "Libres d'obéir" wurde, in offenkundiger Analogie zur berüchtigten Toraufschrift, "Gehorsam macht frei". Das mag griffig sein, wird dem Buch aber nicht gerecht. Es ist nämlich nicht der Gehorsam, der Loyalität herstellt und zu Leistungen anspornt. Vielmehr entsteht Effizienz erst in jenen von der Führung geschaffenen Freiräumen, in denen der Mitarbeiter auf eigenes Risiko agiert. Um die Herstellung solcher Handlungsspielräume geht es in Chapoutots Studie. Ließe sich Effizienz durch bloßen Befehlsgehorsam erreichen, hätten die Technokraten des "Dritten Reichs" über die Delegation von Verantwortung nicht so gründlich nachdenken müssen.
THOMAS KARLAUF
Johann Chapoutot: "Gehorsam macht frei". Eine kurze Geschichte des Managements - von Hitler bis heute.
Aus dem Französischen von Clemens Klünemann. Propyläen Verlag, Berlin
2021. 176 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main