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Stiftungsprofessuren gegen universitäre Autonomie: Christian Kreiß kritisiert verdeckte Einflussnahmen der Wirtschaft auf die Wissenschaft
Der Diesel-Skandal wäre vermutlich nie aufgeflogen, hätten nicht zwei Mitarbeiter einer gemeinnützigen Organisation die wissenschaftlich beglaubigten Messungen der Autoindustrie nachgeprüft und in Frage gestellt. Aus Angst vor dem Verlust von Industrieaufträgen, zitiert Christian Kreiß in seinem Buch "Gekaufte Wissenschaft" einen der beiden Aufklärer, habe damals kein universitäres Labor gewagt, die Prüfungen durchzuführen. Kreiß führt das als einen von vielen Belegen für den weitreichenden Einfluss der Wirtschaft auf die Wissenschaft an, wobei sich im Fall des Diesel-Skandals die gesundheitlichen und ökonomischen Folgen besonders deutlich abzeichneten. Betrug wird allerdings nur bekannt, wenn Mechanismen der Geheimhaltung versagen. Die Skandale, die in den vergangenen Jahren ans Tageslicht kamen, sind für Kreiß nur die Spitze des Eisbergs.
Auf dem ersten Blick ist der Einfluss der Wirtschaft auf die Universitäten gering. Wirtschaftsgelder machen nur rund achtzehn Prozent der Drittmittel aus. Angesichts der Tatsache, dass gut zwei Drittel der Forschungsausgaben auf die Industrie und nur rund achtzehn Prozent auf die öffentlich finanzierte Wissenschaft fallen, kann man aber die Frage stellen, ob diese nicht ganz frei von wirtschaftlichem Einfluss sein sollte.
Faktisch ist sie es nicht. Ein Universitätsmediziner beispielsweise kann heute seine Forschungsziele nicht ohne Industriegelder erreichen. Um Abhängigkeit zu vermeiden, müsste der Staat für bessere Grundausstattung sorgen oder darauf achten, dass bei der Zusammenarbeit die Unabhängigkeit der Wissenschaft garantiert ist. Das tut er nach Ansicht von Kreiß nicht in ausreichendem Maß. Der Aalener Wirtschaftsprofessor, der mehrere Publikationen zum Thema vorgelegt hat, ist ein hartnäckiger, engagierter und rigoroser Kritiker, der mit juristischen Klagen selbst zur Aufdeckung von Korruptionsfällen beitrug. Als ehemaliger Investmentbanker macht er sich keine Illusionen darüber, dass börsennotierte Unternehmen nicht das Gemeinwohl im Auge haben. Er fordert nicht die Einstellung wirtschaftlich finanzierter Forschung, aber Rahmenbedingungen, die der Wissenschaft ihre Unabhängigkeit sichern.
Mehrere Skandale haben in den vergangenen Jahren deutlich gemacht, wie wenig das von manchen Universitäten beherzigt wird. Als Vollstrecker wirtschaftlicher Wünsche trat in besonderer Weise die TU München hervor, die sich von der Dieter-Schwarz-Stiftung, der Muttergesellschaft des Lidl-Konzerns, zwanzig Wirtschaftsprofessuren sowie von der Spionierplattform Facebook ein Ethik-Institut finanzieren lässt. Dass sich einer der mit diesen Geldern finanzierten Professoren kritisch gegenüber den mitunter skrupellosen Geschäftspraktiken der Geldgeber äußern wird, darf bezweifelt werden, umso mehr als sich Facebook vertraglich hat zusichern lassen, seine Zahlungen jährlich stoppen zu können. Da das Unternehmen mit Einwilligung des TU-Präsidiums selbst über den Gründungsdirektor bestimmte, der ohne die Zustimmung des Konzerns auch nicht abgewählt werden kann, ist es von Beginn an unwahrscheinlich, dass Themen gewählt werden, die Facebook nicht gefallen. Besonders dreist macht diesen Ausverkauf der Wissenschaftsfreiheit dessen Ausweisung als Ethik-Beitrag.
Der Autor bleibt nicht bei der Betrachtung einzelner Fälle stehen. Er sieht in der wachsenden Zahl der Stiftungsprofessuren insgesamt eine Ablenkung der Wissenschaft von kritischen oder genuin wissenschaftlichen Interessen, da die Weichenstellungen auch dann erhalten blieben, wenn die Universitäten die Lehrstühle nach fünf Jahren übernähmen.
Das gelte auch für das Tübinger Cyber Valley, das zwar zu neunzig Prozent vom Staat finanziert wird, aber die Schlüsselstellen in den Gremien Vertretern der beteiligten Konzerne zugesichert hat, von denen zwei auf der Gehaltsliste von Amazon stehen. Mit geringem finanziellen Aufwand könnten die Wirtschaftspartner, bei denen es sich neben Amazon um Automobilkonzerne handelt, über die Ausrichtung der Forschung im Sinn ihrer Interessen bestimmen. Zu Recht zieht der Autor in Zweifel, dass hier Wissenschaft im öffentlichen Interesse betrieben werde. Auch das Argument der geringen Zahl lässt er nicht gelten. Da die Unternehmen über ausreichend Finanzkraft verfügen, können ihre Protegés leicht in wissenschaftliche Schlüsselpositionen gebracht werden.
Im Prinzip wäre es für die Kooperationspartner leicht, Zweifel zu entkräften. Doch die Verträge werden unter Hinweis auf das Betriebsgeheimnis regelmäßig geheim gehalten. Das gilt dem Autor zufolge auch für die wachsende Zahl von Promotionen und anderen Qualifikationsarbeiten, die besonders an den Fachhochschulen in Unternehmen geschrieben werden und dort, wie Kreiß aus Erfahrung berichtet, häufig nicht wissenschaftlichen, sondern unternehmerischen Zielen dienten. Man kann dagegen einwenden, dass gerade die angewandte Wissenschaft den Kontakt zur Wirtschaft braucht, um nicht im leeren Raum zu forschen. Berechtigt bleibt aber die Forderung, dass bei solchen Kooperationen die Wissenschaft das Primat haben muss.
Auch das Wissenschaftssystem sieht der Autor auf einer schiefen Ebene. Die vom Grundgesetz verbürgte Freiheit der Themenwahl sei durch das Wachstum der Drittmittelforschung in den vergangenen vierzig Jahren stark eingeschränkt worden. Knapp der Hälfte der Forschung, die an deutschen Hochschulen betrieben wird, gehe ein Antrag voraus, der bewilligt werden muss, bevor die Wissenschaftler die Arbeit aufnehmen. Anscheinend werde ihnen nicht zugetraut, ihre Themen selbst auswählen zu können. Allerdings versteigt sich der Autor mit der Annahme, dass Drittmittelvergabe automatisch das bürokratische über das wissenschaftliche Interesse stellt. Zu scharf fällt auch das Kontrastbild einer Wissenschaft aus, die, wenn man sie nur in Ruhe lässt, ganz von selbst jeden Wunsch der Gesellschaft erfüllt.
Die naive Direktheit des Autors ist gerade der Vorzug des Buches. Eine Gesellschaft, die nicht darauf achtet, dass Wissenschaft der Erkenntnis oder dem Gemeinwohl dient, so sein Fazit, wird sich in einer Welt wiederfinden, die sie sich so nicht gewünscht hat.
THOMAS THIEL
Christian Kreiß: "Gekaufte Wissenschaft". Wie uns manipulierte Hochschulforschung schadet, und was wir dagegen tun können.
Tredition Verlag, Hamburg 2020. 252 S., geb. 18,50 [Euro], br., 10,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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