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Ein wichtiger und hochaktueller Beitrag zur Debatte über den Zustand unserer Demokratie
Querdenker, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellen, Journalisten, die sich als Rebellen gegen angebliche Sprechverbote inszenieren: Die Spätmoderne bringt einen Protesttypus hervor, der lautstark für individuelle Freiheiten streitet, etwa frei zu sein von Rücksichtnahme, von gesellschaftlichen Zwängen - und frei von gesellschaftlicher Solidarität. Dieser »libertäre Autoritäre« erlebt sich als zunehmend macht- und einflusslos gegenüber einer komplexer werdenden Welt. Das wird als Kränkung…mehr

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Produktbeschreibung
Ein wichtiger und hochaktueller Beitrag zur Debatte über den Zustand unserer Demokratie

Querdenker, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellen, Journalisten, die sich als Rebellen gegen angebliche Sprechverbote inszenieren: Die Spätmoderne bringt einen Protesttypus hervor, der lautstark für individuelle Freiheiten streitet, etwa frei zu sein von Rücksichtnahme, von gesellschaftlichen Zwängen - und frei von gesellschaftlicher Solidarität. Dieser »libertäre Autoritäre« erlebt sich als zunehmend macht- und einflusslos gegenüber einer komplexer werdenden Welt. Das wird als Kränkung erfahren und äußert sich in Ressentiment und Demokratiefeindlichkeit. Auf der Grundlage zahlreicher Fallstudien verleihen Amlinger und Nachtwey dieser Sozialfigur Kontur. Sie erläutern die sozialen Gründe, die zu einem Wandel des autoritären Charakters führten, wie ihn noch die Kritische Theorie sich dachte.


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Autorenporträt
Carolin Amlinger, geboren 1984, ist Literatursoziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Basel.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Jens-Christian Rabe empfiehlt das Buch von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey all jenen, die sich für aktuelle gesellschaftspolitische Konflikte interessieren und eigene oder fremde Vorurteile vermeiden wollen. Was die Autoren "libertären Autoritarismus" nennen und als solchen analysieren, kennt Rabe selbst aus seiner eigenen Umgebung und jeder andere auch, wie er mutmaßt. Dass die Autoren dieses Phänomen aus dezidiert linkem Blickwinkel betrachten, entgeht Rabe nicht, ebenso wenig wie spannend das Buch ist, immerhin eine gewichtige sozialwissenschaftliche Studie. Eine willkommene Reflexion über Freiheit bietet das Buch darüber hinaus, so Rabe.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2022

Was, eine Maske soll ich tragen?
Aus links geprägten Milieus zu den "Querdenkern": Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey beschreiben einen autoritären Typus der Gegenwart

Die Gesellschaften der Moderne haben eine ausgeprägte Neigung, ihre Geschichte mitsamt der zukünftigen Entwicklung als einen einsinnigen Prozess des Noch-mehr und des Noch-besser zu denken. Die Vorstellung, dass es Paradoxien und Kehrtwenden gerade infolge des Mehr und Besser gibt, liegt ihnen fern. Sie sperren sich geradezu gegen sie, denn ein genaueres Bedenken, zumal eines, das nicht nur die ökologischen Konsequenzen dieser Einsinnigkeit im Auge hat, hätte ein Innehalten zur Voraussetzung. Die Folgen dieser forcierten Einsinnigkeit, verstanden als Ideologie des unbedingten Fort- und Voranschreitens, hat die Autoren der Kritischen Theorie bereits in den 1930er- und 1940er Jahren stark beschäftigt und sie dazu gebracht, die Moderne und den Prozess der Modernisierung mit einer Reihe von Caveats zu umstellen. Sie selbst haben die Aufklärung, das Antriebsmoment der Moderne, mit Misstrauen betrachtet. Sie sei nicht nur eine Überwindung des Mythos, sondern könne auch ins Mythische umschlagen, selbst zum Mythos werden.

Für Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey ist das die Anleitung zum Verständnis einer Entwicklung, die in jüngster Zeit deutlich zu beobachten ist: der Hinwendung vieler, die dem alternativen oder auch linksliberalen Milieu entstammen, zu einer aggressiven Opposition gegen die Gesundheits- und Vorsorgepolitik des Staates in Zeiten der Pandemie und der Ablehnung praktischer Solidarität mit der vom russischen Angriffskrieg überzogenen Ukraine - kurzum einer Annäherung an Positionen, die üblicherweise eher der politischen Rechten als der Linken zugerechnet werden. Das wird von den Betreffenden aber nicht im Sinne einer politischen Kehrtwende verstanden, sondern in protzigem Beharren darauf kommuniziert, sie seien die letzten Verteidiger der individuellen Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Amlinger und Nachtwey nennen sie "libertäre Autoritäre".

Der Charme des Buches besteht darin, dass die Autoren einerseits die breite Spur der Kritischen Theorie verfolgen und dabei vor allem die "Studien zum autoritären Charakter" sowie Erich Fromms "Die Furcht vor der Freiheit" heranziehen und andererseits vor diesem Hintergrund die von ihnen geführten Interviews mit Leuten aus der "Querdenker"-Szene auswerten, um unterschiedliche Profile des "libertären Autoritarismus" zu entwerfen.

Zunächst aber geht es darum, diese libertären Autoritären gegen den Typus des autoritären Charakters abzusetzen, wie er von den Autoren der Kritischen Theorie beschrieben wurde: auf Führerpersonen fixiert und ausgesprochen autoritätshörig. Gerade das lässt sich bei den libertären Autoritären nicht beobachten. Sie zeichnen sich vor allem durch ihre Ablehnung von Autorität, zumal der des Staates, aus. Die Autorität, der sie anhängen, so die These der beiden Autoren, ist die einer verdinglichten Freiheit, die nur die eigenen Handlungsspielräume im Sinne hat und sich nicht dafür interessiert, inwieweit durch das eigene Tun die Freiheit anderer eingeschränkt wird.

Das Autoritäre dieser Libertären bestehe darin, dass sie sich und ihre Interessen zum unbedingten Maßstab machen. Das unterscheidet sie von den Autoritären des vorigen Jahrhunderts, die Führerfiguren verehrten und vor allem buckelten, was nach autoritärem Staat aussah, selbst wenn dieser Typus vermutlich zuletzt wieder öfter anzutreffen ist. Zwei Typen dominieren Amlinger und Nachtwey zufolge den libertären Autoritarismus: der "Rowdy"/"Rebell" und der "Spinner", der sich seine eigene Welt konstruiert und sie gegen die Realität setzt. Der "Rowdy" empfindet schon die geringste Verhaltensnormierung, etwa die Aufforderung zum Tragen einer Maske, als unzulässigen Eingriff in seine Freiheit. Für ihn beginnt und endet der Tag mit demonstrativen Akten des "Widerstands" gegen solche Forderungen, auf andere Rücksicht zu nehmen. Der "Spinner" dagegen ist damit beschäftigt, sich und anderen zu erklären, warum der Staat in Wahrheit dazu auffordert, sich impfen zu lassen, und weitet dabei das Netz der Verschwörungstheorien immer weiter aus. Er ist autoritär, weil er seine selbst zusammengesponnene Welt zur absoluten Autorität in Sachen Welterklärung macht.

Die Stärke des Buches liegt dort, wo die Autoren, gestützt auf ihre Interviews, diese neuen Charaktere des Autoritären nachzeichnen, ihrer Herkunft aus Milieus der spätmodernen Gesellschaften nachgehen und die beiden Haupttypen charakterisieren. Weniger überzeugend fällt dagegen ihr Versuch aus, die Entstehung dieses Sozialcharakters aus Verwerfungen spätkapitalistischer Gesellschaften herzuleiten: Wenn ein Freiheitsanspruch angemeldet wird, der so exzessiv ist, dass die Freiheit der anderen nicht mehr in Anschlag gebracht und schon der geringste Hinweis auf Sozialität als "Kränkung" empfunden wird, so ist das kein Spezifikum des Kapitalismus, sondern Begleiterscheinung jeder Form gesellschaftlichen Lebens. In einer ökologischen Gesellschaft werden solche "Kränkungen" noch häufiger anzutreffen sein, und sie werden vor allem auf Dauer angelegt sein. Was, folgt man Amlinger und Nachtwey, heißt: Die Zahl der libertären Autoritären wird weiter wachsen. Darauf sollte man sich politisch einstellen. HERFRIED MÜNKLER

Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey: "Gekränkte Freiheit". Aspekte des libertären Autoritarismus.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 480 S., geb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Nachtwey und Amlinger sind nämlich alles andere Dogmatiker, eher aufrichtige Grübler, die ernsthaft verstehen wollen, was gerade eigentlich los ist. Und sie können schwungvoll schreiben, für eine sozialwissenschaftliche Studie dieses Anspruchs und Umfangs ist der Band beinahe ein Pageturner.« Jens-Christian Rabe Süddeutsche Zeitung 20230131