Wolfgang Ruge wächst in einem kommunistischen Elternhaus auf. 1933, mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, flieht er in die Sowjetunion, sein «Gelobtes Land». Zunächst arbeitet er als Zeichner, holt sein Abitur nach, beginnt Geschichte an der Moskauer Universität zu studieren. Es sind die Jahre der Parteisäuberung, der Schauprozesse und des Nichtangriffspaktes zwischen Hitler und Stalin. Zusammen mit seiner damaligen Ehefrau wird er 1941 nach Kasachstan deportiert, ein Jahr später als «Arbeitsarmist» in einem Straflager im Nordural interniert. Nach dem Krieg wird die Internierung in «ewige Verbannung» umgewandelt. Obwohl ihm eine Entfernung vom Verbannungsort Soswa untersagt ist, gelingt es Ruge, als Fernstudent sein Diplom an der Universität Swerdlowsk abzuschließen. Am Ende hat er vier Jahre im Lager und elf Jahre in der Verbannung verbracht. In diesem Buch erzählt Wolfgang Ruge von den Schwierigkeiten, sich als Emigrant zurechtzufinden, von Liebesbeziehungen und Freundschaften im Moskau der Terrorjahre, von Deportation und Zwangsarbeit, von Hunger, Willkür und Gewalt, aber auch von inneren Kämpfen, vom schmerzlichen Reifen der Erkenntnis und vom Versuch, eine Haltung und einen Glauben zu bewahren in einer Epoche des Irrsinns und der Barbarei.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.04.2012Nachrichten vom Gulag
Worüber der DDR-Historiker Wolfgang Ruge zeitlebens nicht schreiben durfte
Wolfgang Ruge (1917 bis 2006) zählte zu den produktivsten Historikern der DDR. In 26 Jahren an der Akademie der Wissenschaften hat er es auf mehr als 800 Publikationen gebracht, die sich fast ausnahmslos mit der Weimarer Republik und dem Aufstieg der Nationalsozialisten beschäftigen. Heute ist „dieses ganze halbwahre und halbherzige Zeug“ nichts als „Makulatur“. So steht es in dem Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ (2011), der Geschichte einer DDR-Vorzeigefamilie, in der Wolfgang Ruges Sohn Eugen den Vater als nur heimlich zweifelnden Parteiwissenschaftler auftreten lässt. Bleiben werde allein das viel zu spät geschriebene Buch, in dem der Vater als deutscher Kommunist von seinem Überlebenskampf im Gulag berichte.
Wolfgang Ruge hat diesen Bericht tatsächlich erst – und das „klammheimlich“ – in den achtziger Jahren begonnen und die Arbeit dann bis 1998 liegengelassen, als er bereits 81 Jahre alt und durch Demenz beeinträchtigt war. Der Sohn hat nun den 2003 bei Pahl Rugenstein erschienenen Bericht des Vaters mit nachgelassenen Entwürfen verglichen und das gewichtige Buch in einer grundlegend überarbeiteten Fassung neu herausgebracht. „Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion“ beginnt im August 1933, als der damals sechzehnjährige Eugen Ruge mit seinem zwei Jahre älteren Bruder vor den Nazis aus Berlin floh und, wie kurz darauf auch die Eltern, in die Sowjetunion emigrierte.
Das Paradies der Werktätigen betrat er mit dem „unbeschreiblichen Gefühl“, das „ein religiöser Mensch beim Anblick der Jungfrau Maria empfinden mag“. Zwar war das Elend auf den Straßen ebenso wenig zu übersehen wie der beginnende Terror, aber die Entzückung blieb die Grundstimmung. „Offenbar wurde die Wirklichkeit von der inneren Verpflichtung, begeistert zu sein, verschleiert.“ Diese Verpflichtung war im streng kommunistischen Elternhaus angelegt und auf fröhlichen Zeltlagern und strengen Parteischulungen derart gefestigt worden, dass sie auch dann noch hielt, als die Eltern in die Mühlen der stalinistischen Säuberungen gerieten und er selbst als unzuverlässiger „Deutschländer“ erst nach Kasachstan deportiert und im Januar 1942 als „Arbeitsmobilisierter“ in den nördlichen Ural verschickt wurde, was ihn de facto zum Häftling im stalinistischen Gulag machte.
Wie durch ein Wunder überlebte er die mörderischen Arbeits- und Lebensbedingungen. Das Kriegsende brachte nicht die erhoffte Freiheit, aber immerhin eine zeitweise Öffnung der Lager. Ruge nutzte sie, um als Fernstudent heimlich sein in Moskau begonnenes Geschichtsstudium zu beenden. Nachdem die Sowjetregierung 1948 dekreditiert hatte, dass die Deportierten „auf ewige Zeiten“ verbannt seien, war es ausgerechnet der westdeutsche Bundeskanzler Adenauer, der durch die mit der Sowjetführung ausgehandelte Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen den Weg dafür bereitete, dass auch die Politemigranten ihre Verbannungsorte verlassen durften.
Nach ausgiebiger Diskussion mit seiner russischen Frau entschied Wolfgang Ruge sich 1956 zur Ausreise in die DDR, wo er dann die im Roman des Sohnes beschriebene Karriere des nach außen hin linientreuen Parteiwissenschaftlers machte. In welchem Maße er dabei die eigenen Erfahrungen mit der kommunistischen Realität und sein Wissen um deren historische Bedingtheiten verleugnen musste, macht die Biographie „Lenin. Vorgänger Stalins“ deutlich. Auch dieses Buch basiert auf nachgelassenen Manuskripten Ruges, die der Sohn mit Hilfe des Sowjetexperten Wladislaw Hedeler zu einer profunden und quellengesättigten Analyse von Kontinuitäten in der frühen Sowjetunion zusammengefügt hat.
Nun ist sicher die Erkenntnis nicht neu, dass Lenin die Grundlagen für Stalins Schreckensherrschaft geschaffen hat, aber hier gewinnt sie ein Autor in tragischer Auseinandersetzung mit Grundüberzeugungen, die seinem Leben Sinn und seinem Überlebenskampf Kraft gegeben haben.
HERMANN THEISSEN
WOLFGANG RUGE:
Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012. 488 Seiten, 24,95 Euro.
Lenin. Vorgänger Stalins. Eine politische Biografie. Matthes & Seitz, Berlin 2010. 470 Seiten, 24,95 Euro.
Hermann Theißen ist Redakteur für „Zeitgeschichte und Zeitkritik“ beim Deutschlandfunk.
Über seine Erfahrungen im
Arbeitslager konnte Ruge erst nach
dem Ende der DDR schreiben.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Worüber der DDR-Historiker Wolfgang Ruge zeitlebens nicht schreiben durfte
Wolfgang Ruge (1917 bis 2006) zählte zu den produktivsten Historikern der DDR. In 26 Jahren an der Akademie der Wissenschaften hat er es auf mehr als 800 Publikationen gebracht, die sich fast ausnahmslos mit der Weimarer Republik und dem Aufstieg der Nationalsozialisten beschäftigen. Heute ist „dieses ganze halbwahre und halbherzige Zeug“ nichts als „Makulatur“. So steht es in dem Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ (2011), der Geschichte einer DDR-Vorzeigefamilie, in der Wolfgang Ruges Sohn Eugen den Vater als nur heimlich zweifelnden Parteiwissenschaftler auftreten lässt. Bleiben werde allein das viel zu spät geschriebene Buch, in dem der Vater als deutscher Kommunist von seinem Überlebenskampf im Gulag berichte.
Wolfgang Ruge hat diesen Bericht tatsächlich erst – und das „klammheimlich“ – in den achtziger Jahren begonnen und die Arbeit dann bis 1998 liegengelassen, als er bereits 81 Jahre alt und durch Demenz beeinträchtigt war. Der Sohn hat nun den 2003 bei Pahl Rugenstein erschienenen Bericht des Vaters mit nachgelassenen Entwürfen verglichen und das gewichtige Buch in einer grundlegend überarbeiteten Fassung neu herausgebracht. „Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion“ beginnt im August 1933, als der damals sechzehnjährige Eugen Ruge mit seinem zwei Jahre älteren Bruder vor den Nazis aus Berlin floh und, wie kurz darauf auch die Eltern, in die Sowjetunion emigrierte.
Das Paradies der Werktätigen betrat er mit dem „unbeschreiblichen Gefühl“, das „ein religiöser Mensch beim Anblick der Jungfrau Maria empfinden mag“. Zwar war das Elend auf den Straßen ebenso wenig zu übersehen wie der beginnende Terror, aber die Entzückung blieb die Grundstimmung. „Offenbar wurde die Wirklichkeit von der inneren Verpflichtung, begeistert zu sein, verschleiert.“ Diese Verpflichtung war im streng kommunistischen Elternhaus angelegt und auf fröhlichen Zeltlagern und strengen Parteischulungen derart gefestigt worden, dass sie auch dann noch hielt, als die Eltern in die Mühlen der stalinistischen Säuberungen gerieten und er selbst als unzuverlässiger „Deutschländer“ erst nach Kasachstan deportiert und im Januar 1942 als „Arbeitsmobilisierter“ in den nördlichen Ural verschickt wurde, was ihn de facto zum Häftling im stalinistischen Gulag machte.
Wie durch ein Wunder überlebte er die mörderischen Arbeits- und Lebensbedingungen. Das Kriegsende brachte nicht die erhoffte Freiheit, aber immerhin eine zeitweise Öffnung der Lager. Ruge nutzte sie, um als Fernstudent heimlich sein in Moskau begonnenes Geschichtsstudium zu beenden. Nachdem die Sowjetregierung 1948 dekreditiert hatte, dass die Deportierten „auf ewige Zeiten“ verbannt seien, war es ausgerechnet der westdeutsche Bundeskanzler Adenauer, der durch die mit der Sowjetführung ausgehandelte Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen den Weg dafür bereitete, dass auch die Politemigranten ihre Verbannungsorte verlassen durften.
Nach ausgiebiger Diskussion mit seiner russischen Frau entschied Wolfgang Ruge sich 1956 zur Ausreise in die DDR, wo er dann die im Roman des Sohnes beschriebene Karriere des nach außen hin linientreuen Parteiwissenschaftlers machte. In welchem Maße er dabei die eigenen Erfahrungen mit der kommunistischen Realität und sein Wissen um deren historische Bedingtheiten verleugnen musste, macht die Biographie „Lenin. Vorgänger Stalins“ deutlich. Auch dieses Buch basiert auf nachgelassenen Manuskripten Ruges, die der Sohn mit Hilfe des Sowjetexperten Wladislaw Hedeler zu einer profunden und quellengesättigten Analyse von Kontinuitäten in der frühen Sowjetunion zusammengefügt hat.
Nun ist sicher die Erkenntnis nicht neu, dass Lenin die Grundlagen für Stalins Schreckensherrschaft geschaffen hat, aber hier gewinnt sie ein Autor in tragischer Auseinandersetzung mit Grundüberzeugungen, die seinem Leben Sinn und seinem Überlebenskampf Kraft gegeben haben.
HERMANN THEISSEN
WOLFGANG RUGE:
Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012. 488 Seiten, 24,95 Euro.
Lenin. Vorgänger Stalins. Eine politische Biografie. Matthes & Seitz, Berlin 2010. 470 Seiten, 24,95 Euro.
Hermann Theißen ist Redakteur für „Zeitgeschichte und Zeitkritik“ beim Deutschlandfunk.
Über seine Erfahrungen im
Arbeitslager konnte Ruge erst nach
dem Ende der DDR schreiben.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Die nun vorliegenden Erinnerungen des 2006 verstorbenen marxistischen Historikers Wolfgang Ruge gehen nach Ansicht von Andreas Fanizadeh ans Eingemachte. Eindringlich schildere der Autor, Vater des Bestsellerautors Eugen Ruge, seine Zeit in Moskau in den 30er Jahren, die Repressionen und Entrechtung unter Stalin und die schrecklichen 15 Jahre, die er in stalinistischen Arbeitslagern interniert war. Eugen Ruge hat die Aufzeichnungen seines Vaters, der seine Erinnerungen wegen einer Demenzerkrankung nicht mehr selbst abschließen konnte, nach Ansicht von Fanizadeh sorgfältig ediert, so dass eine "sehr gut lesbare" Buchausgabe entstanden ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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