Drei technische Megatrends bestimmten die Nullerjahre: das iPhone, hyperviralisierte Social-Media-Plattformen und die Selfie-Kultur. Das Ergebnis: Eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen verwandte mehrere Stunden am Tag darauf, um durch die Beiträge von Influencer:innen und Jugendlichen zu scrollen, statt mit anderen Menschen zu spielen, zu sprechen oder Blickkontakt aufzunehmen. Die Mitglieder der Generation Z wurden damit zu Testpersonen für das Aufwachsen in einer durch die Sozialen Medien radikal umgestalteten Umgebung. Was sind die Folgen dieses Experiments, und wie können wir ihnen begegnen? Diesen Fragen widmet sich Jonathan Haidt in «Bildschirmkinder». Sein Buch richtet sich an alle, die verstehen wollen, wie die schnellste und allumfassendste Neuverdrahtung menschlicher Beziehungen es uns allen erschwert, klar zu denken, uns zu konzentrieren, uns um andere zu kümmern und enge Bindungen einzugehen. Es ist auch ein Buch darüber, wie wir ein menschliches Leben für unsere Kinder und für die Menschheit zurückgewinnen können.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Schade, dass Jonathan Haidt in seinem Buch so apodiktisch und an der Wissenschaft vorbei argumentiert, meint Rezensent Piotr Heller. Denn das Thema ist wichtig, so Heller, schließlich geht es um die Auswirkungen digitaler Medien auf die jüngere Generation, insbesondere seit dem Jahr 2010 und der Verbreitung von Technologien wie Selfie-Kameras und sozialer Medien, die auf Hyperviralität abzielen. Haidt zitiert Doomsday-Statistiken zum Beispiel hinsichtlich Teenager-Selbstmorde, die aber möglicherweise, kritisiert Heller, nicht weltweit generalisierbar sind. Der Rezensent ärgert sich auch, dass Haidt alternative Erklärungen wie etwa Corona außer acht lässt. Dass die Forschungslage seine Argumentation eher nicht stützt, gesteht der Autor laut Heller sogar ein, was die Sache aber nicht besser macht. Ärgerlich ist das auch deshalb, weil einige der beschriebenen Mechanismen, etwa was Schlafentzug via Technologie betrifft, für Heller durchaus einer Diskussion würdig sind. Auch Haidts Vorschläge zur Behebung des Problems kann der Rezensent hier und da etwas abgewinnen; insgesamt also offenbar ein Buch, das wichtige Anregungen enthält, aber leider seine These zu lautsprecherisch verkündet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2024Die Jugend ist mal wieder verloren
Und diesmal trägt das Smartphone die Schuld: Jonathan Haidt übt Technologiekritik
Dereinst war die Welt der Kinder heil, bis eine dunkle Macht sie ins Unglück stürzte. Nun ist es an der Zeit, den unschuldigen Urzustand wiederherzustellen. Diesem Muster folgt die Erzählung, die Jonathan Haidt in seinem Buch "Generation Angst" darlegt. Sie dürfte ein Grund für den Erfolg des Buches sein - und gleichzeitig ist sie seine große Schwachstelle.
Haidt ist Sozialpsychologe. Er lehrt an der New York University und gilt als Autor, der sich in aktuelle Debatten einmischt. Diesmal ist es die Debatte um Kinder und Technologie. Die dunkle Macht seiner Erzählung kommt in Gestalt von vier technologischen Trends daher: dem Breitbandinternet, den Smartphones, der Selfie-Kamera und "hyperviralisierten sozialen Medien", also Plattformen, auf denen Algorithmen die Aufmerksamkeit der Nutzer fesseln. Um das Jahr 2010, also als die Generation Z in die Pubertät kam, seien diese Trends zusammengelaufen.
Mit der Technologie kam das Leiden. "Die Generation Z wurde die erste Generation in der Geschichte, die ihre Pubertät mit einem Portal in der Tasche durchlebte, das sie fort von den Menschen um sie herum in ein alternatives Universum rief." Haidt präsentiert Kurven, die zwischen den Jahren 2010 und 2015 steil nach oben wandern. Da wäre der Anteil von Teenagern, die angeben, depressive Episoden erlebt zu haben (plus 145 Prozent bei Mädchen, plus 161 Prozent bei Jungen); der Anteil von Studenten, die über Angststörungen klagen (plus 134 Prozent); die Zahl der Mädchen, die sich selbst verletzen (plus 188 Prozent); die Suizidrate (plus 167 Prozent bei Mädchen, plus 48 Prozent bei Jungen).
Diese Werte beziehen sich auf die USA. Ob sie weltweit so dramatisch aussehen, lässt das Buch offen. Dennoch schreibt Haidt von einer "Pandemie psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen". Der Hauptgrund sei die - wie er es nennt - "große Neuverdrahtung der Kindheit". Die einst heile, "spielbasierte" Kindheit, in der man sich noch draußen traf und ohne Aufsicht der Eltern Spaß hatte, sei durch den Einfluss der Technologie zur "smartphonebasierten Kindheit" geworden. Das hat die Jugend - überbehütet in der realen Welt und in der virtuellen sich selbst überlassen - ins Unglück gestürzt.
Diese Erzählung ist nicht nur packend geschrieben, sie bestätigt auch eine Angst, die nicht zuletzt viele Eltern spüren: Es kann nicht gut sein, wenn Kinder auf sozialen Medien stundenlang verstörende Inhalte zu sehen bekommen und sich weniger in der echten Welt begegnen. Das dürfte auch der Grund sein, warum das Buch in den Vereinigten Staaten seit Monaten auf den Bestsellerlisten steht und Haidt durch Talkshows tourt. Doch vielleicht ist diese Erzählung gar nicht wahr.
Das Buch hat zu Protesten unter Psychologen geführt, die Haidt vorwerfen, Studien selektiv auszuwählen, das Thema zu vereinfachen und andere Faktoren für die psychische Gesundheit wie die globale Finanzkrise 2007 und 2008, die Opioid-Epidemie oder die Corona-Pandemie zu vernachlässigen. Forscher der Universität Würzburg brachten vor der Veröffentlichung des Buches in Deutschland sogar eine Stellungnahme heraus: Haidts Darstellung sei einseitig und holzschnittartig.
Die Kritiker haben den aktuellen Stand der Forschung auf ihrer Seite. Besser gesagt: Sie können belegen, dass Haidt ihn nicht auf seiner Seite hat. Denn seriöse Übersichtsarbeiten kommen zum Schluss, dass es derzeit keine eindeutigen Belege dafür gibt, dass die Technologie tatsächlich für den Anstieg psychischer Krankheiten bei Jugendlichen verantwortlich ist.
Haidt weiß das. Recht früh schreibt er: "Da die Befunde komplex und teilweise auch unter Forschenden umstritten sind, werde ich mich an manchen Stellen sicher irren." Das wirkt ehrlich. Man kann dieses Kleingedruckte aber auch als selbst ausgestellten Freifahrtschein an der wissenschaftlichen Evidenz vorbei verstehen.
In jedem Fall weiß der Leser nicht mehr, wo er dem Autor vertrauen kann, und das ist ein Jammer. Denn auch wenn die Hauptthese auf einem schwachen Fundament steht und Erinnerungen an frühere Unheilsbringer weckt (das Buch, das Kino, Comics, das Fernsehen, Ego-Shooter), beschreibt Haidt einzelne Mechanismen durchaus so, dass Experten auf dem Feld ihm zustimmen. Das betrifft etwa die Gründe, weshalb soziale Medien Mädchen eher zu schaden scheinen als Jungen; den technologisch-bedingten Schlafentzug, der auf die Psyche schlagen könnte; und den Dopamin-Kreislauf, der durch "Likes" in Gang kommt und die Jugendlichen an den Bildschirm fesselt.
Differenziert fallen auch seine Lösungsvorschläge aus, also der Teil, in dem es darum geht, das Ideal einer "spielbasierten Kindheit" wiederherzustellen. Zwar fasst Haidt sie unter plakativen Aufforderungen wie "Kein Smartphone vor einem Alter von circa vierzehn Jahren" und "Schulen ohne Smartphones" zusammen, geht aber auch darauf ein, wie schwierig solche Ideen in einer Gesellschaft, in der das Handy zur Grundausstattung vieler Schüler gehört, umzusetzen seien, und benennt sogar positive Nutzungsszenarien für Smartphones.
Das Buch regt nicht nur dazu an, über die Auswirkungen der technologischen Entwicklung und der Aufmerksamkeits-Ökonomie des Internets auf Jugendliche nachzudenken. Wenn Haidt beschreibt, wie ständig "pingende" Benachrichtigungen dazu führen, dass manche Eltern ihrem Smartphone selbst beim gemeinsamen Spielen mehr Aufmerksamkeit widmen als ihren Kindern, dann dürfte das für viele ein schmerzhaft zutreffender Anstoß sein, über das eigene Verhältnis zu Technologie nachzudenken. PIOTR HELLER
Jonathan Haidt: "Generation Angst". Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen.
Aus dem Englischen von Monika Niehaus-Osterloh und Jorunn Wissmann. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024. 448 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Und diesmal trägt das Smartphone die Schuld: Jonathan Haidt übt Technologiekritik
Dereinst war die Welt der Kinder heil, bis eine dunkle Macht sie ins Unglück stürzte. Nun ist es an der Zeit, den unschuldigen Urzustand wiederherzustellen. Diesem Muster folgt die Erzählung, die Jonathan Haidt in seinem Buch "Generation Angst" darlegt. Sie dürfte ein Grund für den Erfolg des Buches sein - und gleichzeitig ist sie seine große Schwachstelle.
Haidt ist Sozialpsychologe. Er lehrt an der New York University und gilt als Autor, der sich in aktuelle Debatten einmischt. Diesmal ist es die Debatte um Kinder und Technologie. Die dunkle Macht seiner Erzählung kommt in Gestalt von vier technologischen Trends daher: dem Breitbandinternet, den Smartphones, der Selfie-Kamera und "hyperviralisierten sozialen Medien", also Plattformen, auf denen Algorithmen die Aufmerksamkeit der Nutzer fesseln. Um das Jahr 2010, also als die Generation Z in die Pubertät kam, seien diese Trends zusammengelaufen.
Mit der Technologie kam das Leiden. "Die Generation Z wurde die erste Generation in der Geschichte, die ihre Pubertät mit einem Portal in der Tasche durchlebte, das sie fort von den Menschen um sie herum in ein alternatives Universum rief." Haidt präsentiert Kurven, die zwischen den Jahren 2010 und 2015 steil nach oben wandern. Da wäre der Anteil von Teenagern, die angeben, depressive Episoden erlebt zu haben (plus 145 Prozent bei Mädchen, plus 161 Prozent bei Jungen); der Anteil von Studenten, die über Angststörungen klagen (plus 134 Prozent); die Zahl der Mädchen, die sich selbst verletzen (plus 188 Prozent); die Suizidrate (plus 167 Prozent bei Mädchen, plus 48 Prozent bei Jungen).
Diese Werte beziehen sich auf die USA. Ob sie weltweit so dramatisch aussehen, lässt das Buch offen. Dennoch schreibt Haidt von einer "Pandemie psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen". Der Hauptgrund sei die - wie er es nennt - "große Neuverdrahtung der Kindheit". Die einst heile, "spielbasierte" Kindheit, in der man sich noch draußen traf und ohne Aufsicht der Eltern Spaß hatte, sei durch den Einfluss der Technologie zur "smartphonebasierten Kindheit" geworden. Das hat die Jugend - überbehütet in der realen Welt und in der virtuellen sich selbst überlassen - ins Unglück gestürzt.
Diese Erzählung ist nicht nur packend geschrieben, sie bestätigt auch eine Angst, die nicht zuletzt viele Eltern spüren: Es kann nicht gut sein, wenn Kinder auf sozialen Medien stundenlang verstörende Inhalte zu sehen bekommen und sich weniger in der echten Welt begegnen. Das dürfte auch der Grund sein, warum das Buch in den Vereinigten Staaten seit Monaten auf den Bestsellerlisten steht und Haidt durch Talkshows tourt. Doch vielleicht ist diese Erzählung gar nicht wahr.
Das Buch hat zu Protesten unter Psychologen geführt, die Haidt vorwerfen, Studien selektiv auszuwählen, das Thema zu vereinfachen und andere Faktoren für die psychische Gesundheit wie die globale Finanzkrise 2007 und 2008, die Opioid-Epidemie oder die Corona-Pandemie zu vernachlässigen. Forscher der Universität Würzburg brachten vor der Veröffentlichung des Buches in Deutschland sogar eine Stellungnahme heraus: Haidts Darstellung sei einseitig und holzschnittartig.
Die Kritiker haben den aktuellen Stand der Forschung auf ihrer Seite. Besser gesagt: Sie können belegen, dass Haidt ihn nicht auf seiner Seite hat. Denn seriöse Übersichtsarbeiten kommen zum Schluss, dass es derzeit keine eindeutigen Belege dafür gibt, dass die Technologie tatsächlich für den Anstieg psychischer Krankheiten bei Jugendlichen verantwortlich ist.
Haidt weiß das. Recht früh schreibt er: "Da die Befunde komplex und teilweise auch unter Forschenden umstritten sind, werde ich mich an manchen Stellen sicher irren." Das wirkt ehrlich. Man kann dieses Kleingedruckte aber auch als selbst ausgestellten Freifahrtschein an der wissenschaftlichen Evidenz vorbei verstehen.
In jedem Fall weiß der Leser nicht mehr, wo er dem Autor vertrauen kann, und das ist ein Jammer. Denn auch wenn die Hauptthese auf einem schwachen Fundament steht und Erinnerungen an frühere Unheilsbringer weckt (das Buch, das Kino, Comics, das Fernsehen, Ego-Shooter), beschreibt Haidt einzelne Mechanismen durchaus so, dass Experten auf dem Feld ihm zustimmen. Das betrifft etwa die Gründe, weshalb soziale Medien Mädchen eher zu schaden scheinen als Jungen; den technologisch-bedingten Schlafentzug, der auf die Psyche schlagen könnte; und den Dopamin-Kreislauf, der durch "Likes" in Gang kommt und die Jugendlichen an den Bildschirm fesselt.
Differenziert fallen auch seine Lösungsvorschläge aus, also der Teil, in dem es darum geht, das Ideal einer "spielbasierten Kindheit" wiederherzustellen. Zwar fasst Haidt sie unter plakativen Aufforderungen wie "Kein Smartphone vor einem Alter von circa vierzehn Jahren" und "Schulen ohne Smartphones" zusammen, geht aber auch darauf ein, wie schwierig solche Ideen in einer Gesellschaft, in der das Handy zur Grundausstattung vieler Schüler gehört, umzusetzen seien, und benennt sogar positive Nutzungsszenarien für Smartphones.
Das Buch regt nicht nur dazu an, über die Auswirkungen der technologischen Entwicklung und der Aufmerksamkeits-Ökonomie des Internets auf Jugendliche nachzudenken. Wenn Haidt beschreibt, wie ständig "pingende" Benachrichtigungen dazu führen, dass manche Eltern ihrem Smartphone selbst beim gemeinsamen Spielen mehr Aufmerksamkeit widmen als ihren Kindern, dann dürfte das für viele ein schmerzhaft zutreffender Anstoß sein, über das eigene Verhältnis zu Technologie nachzudenken. PIOTR HELLER
Jonathan Haidt: "Generation Angst". Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen.
Aus dem Englischen von Monika Niehaus-Osterloh und Jorunn Wissmann. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024. 448 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Haidt zeigt auf, wie das Smartphone samt sozialer Netzwerke und Selfie-Kultur die Psyche der Generation Z deformiert hat - und dass es lebensrettend ist, den Kontakt zur realen Welt nicht zu verlieren. Focus 20240816