Geopolitik ist wieder in Mode. Von Gaspipelines als Lebensadern ist die Rede, von der Amputation von Territorien oder auch vom Willen, eine Landbrücke zu einer Enklave herzustellen. Staaten werden offensichtlich in Analogie zu Lebensformen betrachtet: Nicht Staaten, sondern Lebensformen fehlt die Luft zum Atmen, benötigen mehr Raum oder leiden unter Gebietsverlusten wie ein verstümmelter Körper. Bereits der Taufpate der Geopolitik, Rudolf Kjellén, betrachtet Staaten als "geographische Organismen". Diese entwickeln sich, wie alles Leben, in einer spezifischen Umwelt, und für einen Darwinisten folgt daraus: Sie führen einen struggle for existence und passen sich der jeweiligen Umgebung an. Daher sind Landmächte anders als Seemächte. Der Raum wird zum evolutionären Faktor ersten Ranges, ja, zu einem politischen Akteur.
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buecher-magazin.deBereits seit 1977 gibt es die Einführungen von Junius. Einst versammelten sie die führenden Theoretiker und Theorien des Marxismus und der internationalen Arbeiterbewegung, später wurde das Programm auf weitere Bereiche wie den Poststrukturalismus und die Wissenschaftsgeschichte allgemein erweitert. In den Kulturwissenschaften ist auch Niels Werbers "Geopolitik zur Einführung" angesiedelt. Der Siegener Literaturwissenschaftler führt das wiedererwachte Interesse am geopolitischen Diskurs in einem knappen, aber stringenten Bogen von seinen Anfängen in der Literatur und der akademischen Diskussion Mitte der 1850-er bis hin zur sogenannten "Neuen Geopolitik" der 2010-er vor. Geschickt und für einen Einführungsband überaus passend, schlägt Werber hier keinen allzu theoretischen Ton an. In der Sache korrekt und sprachlich ungemein verständlich steigt er etwa in das Buch ein, indem er Tolkiens "Mittelerde" als "geopolitisches Exempel" anführt und anhand der Fantasy-Welt die Grundfragen eines geopolitischen Diskurses absteckt, um dann behutsam in die Theorie einzusteigen. Knapp ein Drittel des Buches beschäftigt sich mit den Entwicklungen der jüngsten Geschichte seit 1945 und schneidet auch heute noch virulente Diskussionen um den "clash of cultures" nach 9/11 an.
© BÜCHERmagazin, Annika Seebauer (as)
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