Rowohlt E-Book Monographie Georg Büchner wurde von der Justiz als «Staatsverräter» steckbrieflich verfolgt und starb 1837 dreiundzwanzigjährig im Zürcher Exil: ein Revolutionär, Dichter und Wissenschaftler aus Überzeugung und Leidenschaft. Radikale Skepsis und provozierende Offenheit, künstlerische Intuition und politisches Engagement, konsequenter Formwille und soziales Mitgefühl machten ihn zum Wegbereiter der literarischen Moderne und zu einem bis heute aktuellen Autor von Weltrang. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als rasante Räuberpistole liest Alexander Kosenina Jan-Christoph Hauschilds Ergänzung seiner Büchner-Biografie von 1993. Nachdem er mühsam Neues von Altem bei Hauschild geschieden hat, lernt Kosenina den Autor einmal mehr als routinierten Biograf und geschickten Erzähler kennen, der die Politisierung des jungen Büchner und die "Landboten"-Entstehung anhand sämtlicher erreichbarer Quellen genau nachzeichnet, den Stoff in lebendige Dialoge umwandelt und seinen literarischen Niederschlag feststellt. Spannend, findet Kosenina.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2013Büchner, mein toter Bruder
Jan-Christoph Hauschild und Hans Erich Nossack erzählen die Geschichte des "Hessischen Landboten"
Mitte der siebziger Jahre feierte man Georg Büchner vor allem für die kleine Flugschrift "Der Hessische Landbote" als frühsozialistischen Rebellen. Sein Beitrag zur Weltliteratur galt da manchem beinahe als Beiwerk. Selbst die monumentale Biographie von Jan-Christoph Hauschild von 1993, die 1997 auch als Taschenbuch herauskam, ist von solchen politischen Gewichtungen nicht frei. Das zentrale Kapitel über "Die deutsche Misere" beansprucht breitesten Raum. Jetzt, zwanzig Jahre nach dem ersten Erscheinen des inzwischen vergriffenen Buchs, legt Hauschild mit Büchners "Verschwörung für die Gleichheit" nach. Das Jubiläumsjahr ist der Hauptanlass für dieses ergänzte Porträt des Sozialrevolutionärs, hinzu mag aber auch die Selbstbehauptung gegen Hermann Kurzkes groß ausgemaltes Gegenbild vom Sozialromantiker und Weltverbesserer auf christlicher Grundlage (F.A.Z. vom 15. Februar) kommen.
Hauschild ist ein routinierter Biograph und geschickter Erzähler. Das neue Buch "basiert" ausdrücklich auf seinem früheren wissenschaftlichen Werk, zum Glück besteht es aber nicht einfach aus wieder zusammengefügten Abschnitten. "Seitherige Erkenntnisse" seien berücksichtigt, heißt es; um diese aber zu identifizieren, müsste man beide Arbeiten genau vergleichen. Im Brennpunkt steht aufs Neue die zunehmende Politisierung des jungen Medizinstudenten, zunächst durch die Straßburger Theologenverbindung "Eugenia" 1832 und den Frankfurter Wachensturm 1833, dann durch die Bekanntschaft mit August Becker in Gießen und Friedrich Ludwig Weidig in Butzbach 1834, aus der sich die Gründung der Darmstädter "Gesellschaft der Menschenrechte" ergibt, schließlich das vertiefende Studium der Französischen Revolution. Minutiös stellt Hauschild die Entstehung des "Landboten" dar, diskutiert die Mitautorschaft Weidigs, rekonstruiert den verbotenen Druck der ersten und zweiten Fassung, bringt Licht in die verschlungenen Verteilungswege, schildert die Verhaftung Karl Minnigerodes sowie die Bespitzelungen und Denunziationen durch Johann Conrad Kuhl. Vom 2. August 1834 an besteht Haftbefehl gegen Büchner, sein Zimmer wird in Abwesenheit durchsucht, es folgen Verhöre durch den taktisch versierten Gießener Universitätsrichter Conrad Georgi.
Hauschild schöpft souverän aus allen verfügbaren Quellen, verwandelt Verhörprotokolle in lebendige Dialoge, schreibt mit Blick auf Täuschungsmanöver und Finten, auf die hin und her laufenden Kassiber oder im Rockfutter versteckte Flugschriften zugleich eine kleine Sozialgeschichte der politischen Verschwörung und polizeilichen Ermittlung. In den weiteren, stets angenehm kurzen Kapiteln versäumt er auch nicht, den literarischen Niederschlag dieser Geheimmissionen in "Dantons Tod", "Leonce und Lena", "Woyzeck" oder im "Lenz" zu ermessen. Doch für Hauschild sind das letztlich Folgen aus den Umtrieben des steckbrieflich gesuchten oppositionellen Publizisten. Die so nahegelegte Konsequenz und Geschlossenheit von Büchners Werk vermag zwar die jüngsten Einwände von Hermann Kurzke nicht ganz einfach aus dem Weg zu räumen, als rasante Räuberpistole liest sich Hauschilds Buch aber durchweg spannend.
Lange vor Hauschild entdeckte Hans Erich Nossack die Dramentauglichkeit des Landboten-Stoffes. Die Wiederentdeckung seines verschollen geglaubten deutschen Trauerspiels "Der Hessische Landbote" ist ein bemerkenswerter Fund zur literarischen Büchner-Rezeption. Nossack behauptete 1961 in seiner Büchner-Preis-Rede, das Theaterstück sei bei der Bombardierung Hamburgs im August 1943 mit anderen Texten verbrannt. Dem war aber nicht so, wie aus einem Inventur-Brief an den Suhrkamp Verlag vom Dezember 1943 hervorgeht. Tatsächlich wurden die Manuskripte in einem Geldschrank lediglich kaffeebraun "geröstet", Nossack tippte sie dann im Oktober 1945 wie "empfindliche Papyri" ab, vielleicht mit gewissen Änderungen. Doch weder Suhrkamp noch der Hamburger Wolfgang Krüger Verlag wollten das Stück nach dem Krieg publizieren. Der historische Stoff sei nicht mehr zeitgemäß, ließ der Lektor des Krüger-Verlags wissen, vor allem schien ihm aber das "nationale Thema" des "deutschen Trauerspiels" zu heikel, in dem Büchner 1834 und 1835 etwa als Patriot ausruft: "Deutschland schläft nicht, das ist nicht wahr. Deutschland ist hier, in meinen Gedanken und in meinem Herzen."
Bisher glaubten die neue kommentierte Briefausgabe von Gabriele Söhling oder Killys Literaturlexikon Nossacks Aussage vom verlorenen Text. Dessen Abschrift befand sich aber im Keller der Mainzer Akademie und liegt inzwischen im Marbacher Literaturarchiv. Sie ist jetzt mit einem instruktiven Nachwort von Gerald Funk und Tilman Fischer erstmals erschlossen. Darin wird nicht nur die lockere, fast filmische Szenenfolge, die zwischen 1833 und 1837 an verschiedenen hessischen Schauplätzen abrollt, auf ihre Vorlagen und historische Gültigkeit hin geprüft, sondern auch in ihrer Ambivalenz durchleuchtet. Nossacks wenig belastbare Selbstinterpretation des Stücks als "Akt der Résistance" in der Büchner-Preis-Rede, die übrigens auffällig detailliert über den angeblich verschollenen Text handelt, befragen die Herausgeber auf behutsame Weise. Sie zeigen, wie Nossack seine eigene radikale Jugend - den Wechsel von der äußersten Rechten zur KPD in den zwanziger Jahren verschweigt er keineswegs - in seinem Bühnenhelden spiegelt. Von Resignation oder Fatalismus will er nichts wissen, vielmehr zeichnet er Büchners Weg vom Sozialrevolutionär über den Humanisten und tatwilligen Retter Deutschlands zum Emigranten. Nossack legt seiner Figur am Ende des Stücks ein Wort über den Dichter Lenz in den Mund, das wohl zugleich sein eigenes Verhältnis zu Büchner umschreibt: "Ich muß für sein Andenken sorgen, er ist mir wie ein verstorbener Bruder."
Für die deutsche Literatur der inneren Emigration bedeutet der wiederentdeckte Text ebenso wie für die Büchner-Rezeption eine wichtige neue Quelle. Die Gründe, aus denen Nossack das Stück in der Büchner-Preis-Rede offenbar gezielt für "verbrannt" erklärte, dürften die Forschung noch weiter beschäftigen.
ALEXANDER KOSENINA.
Hans Erich Nossack: "Der Hessische Landbote". Ein deutsches Trauerspiel.
Hrsg. von Gerald Funk und Tilman Fischer. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2013. 106 S., br., 17,80 [Euro].
Jan-Christoph Hauschild: "Georg Büchner - Verschwörung für die Gleichheit".
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2013. 352 S., geb., 22,99 [Euro].
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Jan-Christoph Hauschild und Hans Erich Nossack erzählen die Geschichte des "Hessischen Landboten"
Mitte der siebziger Jahre feierte man Georg Büchner vor allem für die kleine Flugschrift "Der Hessische Landbote" als frühsozialistischen Rebellen. Sein Beitrag zur Weltliteratur galt da manchem beinahe als Beiwerk. Selbst die monumentale Biographie von Jan-Christoph Hauschild von 1993, die 1997 auch als Taschenbuch herauskam, ist von solchen politischen Gewichtungen nicht frei. Das zentrale Kapitel über "Die deutsche Misere" beansprucht breitesten Raum. Jetzt, zwanzig Jahre nach dem ersten Erscheinen des inzwischen vergriffenen Buchs, legt Hauschild mit Büchners "Verschwörung für die Gleichheit" nach. Das Jubiläumsjahr ist der Hauptanlass für dieses ergänzte Porträt des Sozialrevolutionärs, hinzu mag aber auch die Selbstbehauptung gegen Hermann Kurzkes groß ausgemaltes Gegenbild vom Sozialromantiker und Weltverbesserer auf christlicher Grundlage (F.A.Z. vom 15. Februar) kommen.
Hauschild ist ein routinierter Biograph und geschickter Erzähler. Das neue Buch "basiert" ausdrücklich auf seinem früheren wissenschaftlichen Werk, zum Glück besteht es aber nicht einfach aus wieder zusammengefügten Abschnitten. "Seitherige Erkenntnisse" seien berücksichtigt, heißt es; um diese aber zu identifizieren, müsste man beide Arbeiten genau vergleichen. Im Brennpunkt steht aufs Neue die zunehmende Politisierung des jungen Medizinstudenten, zunächst durch die Straßburger Theologenverbindung "Eugenia" 1832 und den Frankfurter Wachensturm 1833, dann durch die Bekanntschaft mit August Becker in Gießen und Friedrich Ludwig Weidig in Butzbach 1834, aus der sich die Gründung der Darmstädter "Gesellschaft der Menschenrechte" ergibt, schließlich das vertiefende Studium der Französischen Revolution. Minutiös stellt Hauschild die Entstehung des "Landboten" dar, diskutiert die Mitautorschaft Weidigs, rekonstruiert den verbotenen Druck der ersten und zweiten Fassung, bringt Licht in die verschlungenen Verteilungswege, schildert die Verhaftung Karl Minnigerodes sowie die Bespitzelungen und Denunziationen durch Johann Conrad Kuhl. Vom 2. August 1834 an besteht Haftbefehl gegen Büchner, sein Zimmer wird in Abwesenheit durchsucht, es folgen Verhöre durch den taktisch versierten Gießener Universitätsrichter Conrad Georgi.
Hauschild schöpft souverän aus allen verfügbaren Quellen, verwandelt Verhörprotokolle in lebendige Dialoge, schreibt mit Blick auf Täuschungsmanöver und Finten, auf die hin und her laufenden Kassiber oder im Rockfutter versteckte Flugschriften zugleich eine kleine Sozialgeschichte der politischen Verschwörung und polizeilichen Ermittlung. In den weiteren, stets angenehm kurzen Kapiteln versäumt er auch nicht, den literarischen Niederschlag dieser Geheimmissionen in "Dantons Tod", "Leonce und Lena", "Woyzeck" oder im "Lenz" zu ermessen. Doch für Hauschild sind das letztlich Folgen aus den Umtrieben des steckbrieflich gesuchten oppositionellen Publizisten. Die so nahegelegte Konsequenz und Geschlossenheit von Büchners Werk vermag zwar die jüngsten Einwände von Hermann Kurzke nicht ganz einfach aus dem Weg zu räumen, als rasante Räuberpistole liest sich Hauschilds Buch aber durchweg spannend.
Lange vor Hauschild entdeckte Hans Erich Nossack die Dramentauglichkeit des Landboten-Stoffes. Die Wiederentdeckung seines verschollen geglaubten deutschen Trauerspiels "Der Hessische Landbote" ist ein bemerkenswerter Fund zur literarischen Büchner-Rezeption. Nossack behauptete 1961 in seiner Büchner-Preis-Rede, das Theaterstück sei bei der Bombardierung Hamburgs im August 1943 mit anderen Texten verbrannt. Dem war aber nicht so, wie aus einem Inventur-Brief an den Suhrkamp Verlag vom Dezember 1943 hervorgeht. Tatsächlich wurden die Manuskripte in einem Geldschrank lediglich kaffeebraun "geröstet", Nossack tippte sie dann im Oktober 1945 wie "empfindliche Papyri" ab, vielleicht mit gewissen Änderungen. Doch weder Suhrkamp noch der Hamburger Wolfgang Krüger Verlag wollten das Stück nach dem Krieg publizieren. Der historische Stoff sei nicht mehr zeitgemäß, ließ der Lektor des Krüger-Verlags wissen, vor allem schien ihm aber das "nationale Thema" des "deutschen Trauerspiels" zu heikel, in dem Büchner 1834 und 1835 etwa als Patriot ausruft: "Deutschland schläft nicht, das ist nicht wahr. Deutschland ist hier, in meinen Gedanken und in meinem Herzen."
Bisher glaubten die neue kommentierte Briefausgabe von Gabriele Söhling oder Killys Literaturlexikon Nossacks Aussage vom verlorenen Text. Dessen Abschrift befand sich aber im Keller der Mainzer Akademie und liegt inzwischen im Marbacher Literaturarchiv. Sie ist jetzt mit einem instruktiven Nachwort von Gerald Funk und Tilman Fischer erstmals erschlossen. Darin wird nicht nur die lockere, fast filmische Szenenfolge, die zwischen 1833 und 1837 an verschiedenen hessischen Schauplätzen abrollt, auf ihre Vorlagen und historische Gültigkeit hin geprüft, sondern auch in ihrer Ambivalenz durchleuchtet. Nossacks wenig belastbare Selbstinterpretation des Stücks als "Akt der Résistance" in der Büchner-Preis-Rede, die übrigens auffällig detailliert über den angeblich verschollenen Text handelt, befragen die Herausgeber auf behutsame Weise. Sie zeigen, wie Nossack seine eigene radikale Jugend - den Wechsel von der äußersten Rechten zur KPD in den zwanziger Jahren verschweigt er keineswegs - in seinem Bühnenhelden spiegelt. Von Resignation oder Fatalismus will er nichts wissen, vielmehr zeichnet er Büchners Weg vom Sozialrevolutionär über den Humanisten und tatwilligen Retter Deutschlands zum Emigranten. Nossack legt seiner Figur am Ende des Stücks ein Wort über den Dichter Lenz in den Mund, das wohl zugleich sein eigenes Verhältnis zu Büchner umschreibt: "Ich muß für sein Andenken sorgen, er ist mir wie ein verstorbener Bruder."
Für die deutsche Literatur der inneren Emigration bedeutet der wiederentdeckte Text ebenso wie für die Büchner-Rezeption eine wichtige neue Quelle. Die Gründe, aus denen Nossack das Stück in der Büchner-Preis-Rede offenbar gezielt für "verbrannt" erklärte, dürften die Forschung noch weiter beschäftigen.
ALEXANDER KOSENINA.
Hans Erich Nossack: "Der Hessische Landbote". Ein deutsches Trauerspiel.
Hrsg. von Gerald Funk und Tilman Fischer. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2013. 106 S., br., 17,80 [Euro].
Jan-Christoph Hauschild: "Georg Büchner - Verschwörung für die Gleichheit".
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2013. 352 S., geb., 22,99 [Euro].
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»Es empfiehlt sich daher, vor oder nach dem Theaterbesuch die großartige Biografie von Jan-Christoph Hauschild zu lesen [...] Geradezu mitreißend geschildert.« Stefan Grund Hamburger Abendblatt 20130527