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Barbara Honigmann schreibt die verblüffende Lebens- und Liebesgeschichte ihres Vaters auf.
Zu ihrem heutigen siebzigsten Geburtstag macht Barbara Honigmann sich ein Geschenk: Sie legt die Geschichte ihres Vaters vor. 35 Jahre war sie alt, als Georg Honigmann (1903 bis 1984) starb; jetzt, 35 Jahre nach dem Tod, erzählt sie sein Leben und ihr eigenes Leben mit ihm, gestaltet es in einer Montage von Perspektiven, die die autobiographische Struktur ihres Werkes zur kunstvollen Poetologie entfaltet.
Das Autobiographische ist Barbara Honigmanns Element. Sie ist eine Erzählerin und eine Malerin, die Menschen, über die sie schreibt, prägen sich dem Leser bildhaft ein, sie stehen ihm wie ein Porträt vor Augen. So war es schon in "Ein Kapitel aus meinem Leben" (2004), ihrem Buch über die Mutter. Litzy Kohlmann war nicht nur eine attraktive femme fatale - eine in Wien geborene Kommunistin, die Georg Honigmanns Lebensweg bestimmte, als sie 1946 heirateten -, sie war auch geheimnisumwittert. Ihr erster Mann war der Spion Kim Philby gewesen, die Fakten ihres Lebens hat sie immer verschleiert, und das Bild, das ihre Tochter von ihr zeichnete, musste daher zu großen Teilen ein Schattenriss bleiben.
Ganz anders ist das Porträt ihres Vaters, das sie uns jetzt gibt. Sie ist ihm näher als ihrer Mutter, das spürt man auf jeder Seite des Buches, und diese Nähe ist ein wenig paradox. Die Eltern hatten sich scheiden lassen, als ihre einzige Tochter sechs Jahre alt war, Barbara lebte bei ihrer Mutter und sah den Vater zumeist nur an Wochenenden oder in den Schulferien, schon in Gesellschaft der nächsten Frau, die er inzwischen geheiratet hatte. Woher also kommt das Gefühl der Intimität, das man beim Lesen ihres Erinnerungsbuchs hat?
"Erzähl weiter, Pappi" lautet ein Refrain darin. Die Tochter streut ihn immer wieder ein, als wollte sie ihren Vater zum Weitersprechen animieren, oft hält sie nur fest, was sie von ihm gehört hat. Georg Honigmann hat seine Geschichte niemals aufgeschrieben, und auch das ist merkwürdig, denn er war ein bekannter Journalist, für den das Schreiben Beruf und Berufung war.
Er stammte aus Hessen und war der Sohn von Georg Gabriel Honigmann, einem bedeutenden Arzt und Medizinprofessor in Gießen. Er besuchte die berühmte Odenwald-Schule, an die er glückliche Erinnerungen hatte, im Berlin der Weimarer Republik begann er seine Journalistenkarriere bei der Ullstein-Presse, und zu Beginn der dreißiger Jahre ging er als Auslandskorrespondent nach London. Hier machte er sich bald einen Namen, und nach dem Ende des "Dritten Reiches" hätte er seine Karriere in England oder in der westdeutschen Presse fortsetzen können, aber es ist anders gekommen.
Ein wiederkehrendes Motiv des Buchs sind die Ehen, die Georg Honigmann geschlossen hat, insgesamt vier. Als er Kim Philby und dessen Frau Litzy in London begegnete, war er noch mit seiner Jugendliebe aus den Tagen der Odenwald-Schule verheiratet. Später ließen Litzy und er sich von ihren vorherigen Partnern scheiden und heirateten in Ost-Berlin, wohin sie gegangen waren, weil Litzy es so wollte. "Bevor ich deine Mutter kennenlernte, war ich weit davon entfernt, ein politischer Mensch zu sein", schreibt er seiner Tochter in einem Brief. Erst Litzy hat ihn bewogen, in die DDR zu gehen, und das, so zeigt Barbara Honigmann einfühlsam, war eine unglückliche Entscheidung.
Ihr Vater war ein humorvoller Mensch, und Diktaturen vertragen keinen Humor. Nach dem 17. Juni 1953 suchte das DDR-Regime nach Ventilen für den öffentlichen Druck und gestattete eine Reihe satirischer Kurzfilme, "Das Stacheltier". Georg Honigmann, ihr Produktionsleiter, hatte unter ständiger Zensur zu leiden, und kurz nach dem Mauerbau wurde er abgesetzt. Ähnliches wiederholte sich bei dem politischen Kabarett "Die Distel", dessen Leitung er bald darauf übernahm. "Der Gedanke an die ,Distel' verursacht mir Übelkeit und Brechreiz", schreibt er aus Prag, wohin er sich für einige Tage vor den Querelen geflüchtet hat.
Man kann Barbara Honigmanns Vaterbuch auf vielen Ebenen lesen: als eine europäische Geschichte über kommunistische Gruppen im London der Kriegsjahre, die vom britischen Geheimdienst beschattet wurden; als eine deutsch-deutsche Geschichte über West-Emigranten, die ins Visier der Stasi gerieten; als Privatgeschichte eines bekannten Journalisten, der in dritter Ehe mit einer noch bekannteren Schauspielerin, Gisela May, unglücklich verheiratet war.
Georg Honigmann gehörte zur privilegierten DDR-Prominenz, aber seine Privilegien bereiteten ihm keine Freude. Als er schon auf dem Sterbebett lag, sagte er zu der behandelnden Ärztin "I am an old man in a hurry" und bat sie, alle weiteren Untersuchungen einzustellen: "Was an mir nicht stimmt, könnten wir doch für uns beide vorteilhafter bei der Obduktion feststellen." Vielleicht dachte er dabei an seine besseren Tage in England und war bereit, sich aus der Welt des realen Sozialismus zu verabschieden.
Das Buch spricht den Leser auf den verschiedensten Ebenen an, die Intimität jedoch, mit der sich Barbara Honigmann an ihren Vater erinnert, hat einen eigenen Grund. "Ich bin ins Jüdische Museum gegangen", schreibt er in seinem Brief aus Prag, wo er die "Distel" zu vergessen sucht, dort "sah ich mir die schöne Sammlung und die Spanische Synagoge an und habe auch den verwunschenen Friedhof mit dem Grab von Rabbi Löw besucht."
Es ist ein seltener Augenblick im Leben dieses Mannes, der sich zwischen allen Fronten aufreibt, doch für seine Tochter ist er entscheidend. Barbara Honigmann gehört zu einer Generation, die man als "post-assimilatorisch" bezeichnen kann: Schon 1984, noch vor dem Mauerfall, hat sie die DDR verlassen und lebte seither mit Mann und Kindern in einer thoratreuen Gemeinde in Straßburg. Nach langen Umwegen fand sie zum Judentum zurück, das ihr Vater und Großvater längst verlassen hatten.
Ihre Vorfahren, so erzählt sie an einer anderen Stelle, haben alle geschrieben: In der Zeitschrift "Der Israelit" bekämpfte ihr Urgroßvater nach 1848 noch die Antisemiten; ihr Großvater in Gießen dagegen war schon ganz unjüdisch, er gab medizinische Fachzeitschriften heraus; und dem "linientreuen" Kommunisten Georg Honigmann war das Judentum von Staats wegen untersagt. Seine Tochter versucht es seit Jahrzehnten anders. Jetzt hat sie ihrem traurig entwurzelten Vater ein schönes Denkmal gesetzt.
JAKOB HESSING
Barbara Honigmann: "Georg".
Carl Hanser Verlag, München 2019, 157 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein ganz erstaunlich zugewandtes Buch, das sich in großer Dezenz den vielen Stationen im Leben von Honigmanns Vater widmet." Hanna Engelmeier, taz, 20.03.19
"Barbara Honigmanns Liebeserklärung an ihren Vater ... Ein Buch, das berührt." Markus Clauer, Die Zeit, 13.03.19
"Barbara Honigmann begibt sich auf die Spuren ihrer Familie und rollt dabei ein halbes Jahrhundert europäischer Gewaltgeschichte auf." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 28.02.19
"Das Buch 'Georg' ist dort am besten, wo die Autorin sich dem Vater behutsam, aber nicht unkritisch nähert: dort, wo sie versucht, zu verstehen, was nicht zu verstehen ist, dort, wo sie versucht, ihm gerecht zu werden, auch in seinem Versagen. Geschickt weicht sie der Gefahr postumen Psychologisierens aus." Klara Obermüller, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 24.02.19
"Nicht ohne Pathos, mit deutlich hörbarem Anklang an die Feuerbachthese von Karl Marx, hat Barbara Honigmann einmal geschrieben: 'Alle Menschen haben eigenartige Lebensgeschichten. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.' Das ist ihr in 'Georg' ganz ohne Pathos gelungen." Johan Schloemann, Süddeutsche Zeitung, 12.02.19
"Eine tragikomische Liebeserklärung an einen 'charmanten, unwiderstehlichen Misanthropen'." Amir Wechsler, Jüdische Allgemeine, 19.05.19
"Barbara Honigmann hat ihrem traurig entwurzelten Vater ein schönes Denkmal gesetzt." Jakob Hessing, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.02.19
"Barbara Honigmanns kritische Annährung an diesen Georg ist ein bewegendes kleines Stückchen Literatur." Bernd Noack, BR Diwan, 10.02.19
"Georg Honigmann ist 1984 in Weimar gestorben. Fünfundreißig Jahre später hat seine Tochter ihm eine beeindruckende Liebeserklärung nachgetragen." Christoph Schröder, SWR 2 Lesenswert, 10.02.19