»Von den Mächtigen verfolgt, Von den Knechten gehaßt, Von den Meisten verkannt, Von den Seinen geliebt.« Die »Gedichte eines Lebendigen« machten den Stuttgarter Lyriker Georg Herwegh über Nacht zum populärsten Freiheitssänger, dessen Lieder die Märzrevolution von 1848 vorbereiteten. Im April 1848 scheiterte er mit revolutionären Freischärlern in Baden. Fortan als Salonkommunist und Nutznießer seiner Frau Emma gesellschaftlich verachtet, geriet er in depressive Phasen, die er durch natur- und sprachwissenschaftliche Studien überwand. Stephan Reinhardts Biographie korrigiert quellenbasiert das Bild, das von Georg Herwegh überliefert ist. Zeit seines Lebens stand der Dichter an der Seite der Freiheitsliebenden. Nicht nur verfolgte er die sozialistischen Theorien von Weitling bis Marx, im Züricher Exil freundete er sich mit Richard Wagner an und blieb ein genauer Beobachter der politischen Verhältnisse. Herwegh klagte das allgemeine »Kriegsidiotentum« an. Der Preis, den er dafür zahlte, war Ausgrenzung. Reinhardts Panorama stellt einen Sozialisten, Pazifisten und Europäer vor, der heute wieder aktuell ist: in seinen Texten gegen völkisch-nationalistisches Denken sowie gegen den damals wie heute ins Absurde gesteigerten sozialen Unterschied zwischen Arm und Reich, Kapital und Arbeit. Georg Herwegh (1817-1875) wurde mit den »Gedichten eines Lebendigen« (1841) berühmt. Als er im April 1848 mit revolutionären Freischärlern in Baden scheiterte, wurde er als Salonkommunist diffamiert. Seine Publizistik gegen die Kriegspolitik Bismarcks und Wilhelms I. handelte ihm den Ruf des »Nestbeschmutzers« ein.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
So wenig wirkmächtig der Lyriker Herwegh auch war, so findet Rezensent Wilhelm von Sternburg doch vieles in dieser Biografie, das ihn beeindruckt hat. Er lobt die "faktenreiche" Lebensgeschichte, die Stephan Reinhardt geschrieben hat, sieht ihr kleine Fehler gerne nach und stellt fest, wie bedeutend die publizistische Arbeit Herweghs im Vormärz war. Dass der mit Wagner befreundete, langjährig im Exil lebende Publizist dessen Antisemitismus geißelte ("Die Rassenfrage gehört in die Gestüte, nicht in die Geschichte."), hat dem Kritiker natürlich auch gut gefallen. Mit Lob bedenkt er zudem Mut - und Langmut - von Herweghs Ehefrau Emma, geborene Siegmund, und rundet seine Besprechung mit der Bemerkung ab, diese Biografie stelle "auf bewegende Weise" einen Demokraten dar, der früh die falsche Richtung geißelte, in die sich Deutschland im 19. Jahrhundert bewegte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2020Der Heldenliedermacher
Eine Biografie und eine Werkausgabe erzählen von Georg Herwegh, diesem fabelhaft vernetzten Dichter des Vormärz. Heute ist er uns fern. Warum eigentlich?
Ein anfangs turbulentes, aber auch befremdendes Leben zwischen frühem Dichterruhm und jugendlichem Dandytum, revolutionärem Tatendrang und verunglücktem Aktionismus, verschiedenen Exilorten in Frankreich und der Schweiz, dann bemerkenswerten Freundschaften und vertrackten Liebeshändeln, schließlich quälenden Geldnöten, wiederholten Depressionen und allmählichem Verblassen – so lassen sich die Träume und Taten des politisch unerschütterlich republikanischen Schriftstellers Georg Herwegh (1817 – 1875) grob umreißen.
Das alles und noch viel mehr steht in Stephan Reinhardts groß angelegter, schriftstellerisch etwas bemühter, in vier große Abschnitte gegliederter, darin aber kleinteilig aufbereiteter Biografie über Herwegh. Sie ist nicht gegen Wiederholungen gefeit, es gibt etliche Überwucherungen durch Referate zu Schriften von Ludwig Feuerbach, Karl Marx und anderen. Das führt öfter weiter von Herwegh, dem Objekt der Wissbegierde, weg, als der Autor wohl gewollt hat. Ein sorgfältiges Lektorat hätte da manches bewirken können.
Es bleibt aber die Fülle, über Herwegh zu lesen: etwa wie der Stuttgarter Gastwirtssohn den klassischen Aufstieg über das Landexamen ins Maulbronner Seminar und von da 1835 als Theologiestudent ins Tübinger Stift schaffte, aber immer schon Belletristik und Philosophie höher schätzte. Bereits nach zehn Monaten musste er das Theologieseminar verlassen wegen Widerborstigkeit, mangelndem theologischem Fleiß und verbotener Mitgliedschaft in einer Burschenschaft. Die Stipendiengelder hatte er auch zurückzuzahlen. Dann studierte er noch ein wenig Jura, bis er 1837 die Uni hinter sich ließ und als Feuilletonist und Schriftsteller begann.
Reinhardt zeichnet nicht nur den windungsreichen Lebenslauf des erfolgreichsten Politlyrikers deutscher Zunge in der Mitte des 19. Jahrhunderts nach, sondern strengt sich an, auch die Zeitumstände und ihre Ereignisse in der Wirkung auf Herwegh zu entfalten.
Daraus wird geradezu ein Biografienmosaik, so viele Zeitgenossen muss Reinhardt mitbedenken, um Herweghs vielfältige freundschaftliche und politische Vernetzungen darzustellen. Das reicht von Kollegen und Kolleginnen des revolutionären Vormärz in den Jahren vor 1848 wie Georg Weerth, George Sand oder Karl Marx bis zu jenen Gestalten, die im Europa der Restauration den demokratischen Aufbruch wollten und probierten wie die polnischen Aufständischen um Ludwik Mierosławski oder die ungarischen mit Lajos Kossuth an der Spitze. Später Giuseppe Garibaldi in Italien oder Ferdinand Lassalle in Deutschland, um nur ein paar zu nennen.
Ob Heinrich Heine, der Herwegh 1844 in einem Gedicht als „eiserne Lerche“ betitelte, ihn darin aber auch als realitätsfernen Träumer warnte, oder in späteren Jahren Gottfried Keller, ob Bettina von Arnim oder die Gräfin d’Agoult, ob Richard Wagner, Franz Liszt oder der Architekt Gottfried Semper, ob der Philosoph Ludwig Feuerbach, der ihn einen „noblen Communisten“ nannte, oder eben der von Herwegh als bedeutendster „Nationalökonom“ geschätzte Karl Marx und Lassalle, ob die russischen Freigeister Michail Bakunin, Iwan Turgenjew oder Alexander Herzen: Herwegh kannte sie alle, war mit einigen lebenslang befreundet, überwarf sich mit anderen, ließ sich von fast allen politisch begeistern und von manchen privat enttäuschen. Doch er war und blieb den Grundlagen eines demokratischen Aufbruchs für das Volk durch das Volk stets treu, auch wenn ihn 1840 mal nationalistischer Überschwang ergriff, dem er aber bald wieder abschwor. Später schwärmte er von einer europäischen Republik.
Entscheidend für Herweghs Laufbahn war zweifellos auch seine Ehefrau Emma Siegmund (1817 – 1904), Tochter eines jüdischen Berliner Geschäftsmannes. Sie teilte seine radikaldemokratischen Ansichten, ritt darüber hinaus an seiner Seite beim Unglücksunternehmen der „deutschen demokratischen Legion“, mit der Herwegh 1848 von Paris aus den badischen Aufständischen unter Friedrich Hecker zu Hilfe eilen wollte. Doch Hecker war bereits geschlagen, als Herwegh mit seiner lausigen Exilantentruppe über den Rhein ging, gleich unterlag und nur mühsam mit Emma in die Schweiz fliehen konnte. Ein Debakel, das Ganze, geboren aus egomanem Tatendrang. Marx hatte deutlich vor dergleichen Abenteuern gewarnt.
Emma hielt auch zu ihm, als sich Herwegh in eine Affäre mit Natalia Herzen stürzte, die seine Freundschaft mit dem russischen Freidenker und Schriftsteller Alexander Herzen ruinierte. Immer wieder versöhnten sich die beiden im Zeichen ihrer politischen Überzeugungen, wie Reinhardt schildert. Außerdem war sie unermüdlich im Besorgen von Geld, als die Apanagen des Vaters nurmehr kümmerlich flossen und aus dem luxuriösen Leben in Paris und auch noch in Zürich ein schuldengeplagtes Dasein wurde. Wagner, das Pumpgenie, bewunderte Emma wegen dieser Fähigkeit trotz seiner antisemitischen Hysterie. Übrigens machte Herwegh bei dergleichen nicht mit, sondern formulierte: „Die Rassenfrage gehört in die Gestüte, nicht in die Geschichte.“
Obwohl in seiner Zeit europaweit berühmt als Sänger des revolutionären Aufbruchs ist Herwegh schon in seinen späteren Jahren in Wirkung und Nachruhm gleichsam auf die Seite gerückt worden. Da er sich nicht für das Deutsche Reich von Bismarcks und Preußens Gnaden begeisterte, sondern sich entsetzte über den Krieg von 1870/71, verlor er auch die Zustimmung von Wagner und anderen, die sich nationalistisch anstecken ließen.
In seinem zornigen Gedicht „Herr Wilhelm braucht ein großes Heer“ von 1863 ließ er keine Zweifel daran, dass „Eisen und Blut“ (Bismarck) und das darauf gegründete ständestaatliche Reich nicht zu Freiheit und Demokratie führten und taugten: „Herr Wilhelm braucht ein großes Heer,/ braucht Pulver und Patronen;/ an Jesum Christum glaubt er sehr,/ doch mehr noch an Kanonen./ Er kann, o Volk, wie einen Hund/ auf's Bajonett dich spießen,/ kann dich zusammenreiten und/ kann dich zusammenschießen.“ So erinnerte Herwegh daran, dass dieser Kaiser Wilhelm sich während der Märzrevolution vor allem als brutaler „Kartätschenprinz“ gegen die Aufständischen hervorgetan hatte.
Herweghs frühe „Gedichte eines Lebendigen“ von 1841, die seinen Ruhm begründeten, sind immerhin bekannt geblieben, auch wenn sie manchmal im Geist jener Zeit durchaus martialisch klirren und tönen und darin unweigerlich gealtert sind. Schon während der langen Exiljahre in Paris und Zürich verblasste der Gesang der „eisernen Lerche“. Schreibblockaden und depressive Stimmungen behinderten ihn, von dem etwa die anfangs begeisterten Richard Wagner oder Franz Liszt gewichtige Texte erwarteten, die sie in Musik setzen wollten. Ihre offen geäußerte Enttäuschung über das dichterische Erschlaffen oder schöpferische Unvermögen des einstigen Heldenliedermachers trug gewiss dazu bei, dass Herwegh noch weiter an den Rand des literarischen Gedächtnisses geriet. Im Zuge des Bismarck’schen Deutschen Reichs und der ihm folgenden Weltkriege im 20. Jahrhundert wurde Herwegh nurmehr als „linker“ oder „kommunistischer“ Kampfautor wahrgenommen, eine zu vernachlässigende Figur ihrer Zeit, die nicht in den bürgerlichen Literaturkanon der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit passte.
Zuerst die Literaturwissenschaft der ehemaligen DDR, dann auch die westdeutsche im Zuge der Studentenbewegung der Sechzigerjahre nahm sich der politischen Autoren rund um Herwegh an und überhaupt der engagierten Literatur. In diesem Jahr kann man daher, dank der jahrzehntelangen editorischen Grundlagenarbeit von Ingrid Pepperle und ihrem Team endlich auch auf eine historisch-kritische Ausgabe von Herweghs Gedichten, Prosaschriften und Briefen zugreifen, deren sechster und letzter Band nun erschienen ist. Vor allem die Briefe lassen einen tief eintauchen ins Denken und Treiben jener Epoche.
Reinhardts Biografie will bewusst empathisch sein und ist ihrem Gegenstand unverhohlen zugetan. Es gelingt auch, die enorme Wirkung Herweghs in seiner Glanzzeit nachzuvollziehen ebenso wie sein am Ende unaufhaltsames Verglühen. Letztlich aber bleibt einem dieser ungeheuer gebildete, mehrsprachig belesene, an Politik, Naturwissenschaften und Literatur jeder Art so hochinteressierte Schriftsteller, der zu den flammendsten Aufschwüngen fähig war, eine gleichsam entferntere Gestalt, die auch aus der Nähe dieser Biografie über ihre rein historische Bedeutung kaum hinauszustrahlen vermag.
HARALD EGGEBRECHT
Stephan Reinhardt: Georg Herwegh. Eine Biographie. Seine Zeit - unsere Geschichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 636 Seiten, 39, 90 Euro.
Georg Herwegh: Werke. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Sechs Bände. Hrsg. von Ingrid Pepperle in Verb. mit Volker Giel, Heinz Pepperle, Norbert Rothe und Hendrik Stein. Aistesis Verlag, Bielefeld 2020.
Heinrich Heine nannte ihn
in einem Gedicht
die „eiserne Lerche“
Nach Bismarck wurde er als
„links“ wahrgenommen, er passte
nicht in den bürgerlichen Kanon
Georg Herwegh und seine Frau Emma, die entscheidend war für seine Laufbahn. Fotos: mauritius / Alamy / Signal, imago/Leemage
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Eine Biografie und eine Werkausgabe erzählen von Georg Herwegh, diesem fabelhaft vernetzten Dichter des Vormärz. Heute ist er uns fern. Warum eigentlich?
Ein anfangs turbulentes, aber auch befremdendes Leben zwischen frühem Dichterruhm und jugendlichem Dandytum, revolutionärem Tatendrang und verunglücktem Aktionismus, verschiedenen Exilorten in Frankreich und der Schweiz, dann bemerkenswerten Freundschaften und vertrackten Liebeshändeln, schließlich quälenden Geldnöten, wiederholten Depressionen und allmählichem Verblassen – so lassen sich die Träume und Taten des politisch unerschütterlich republikanischen Schriftstellers Georg Herwegh (1817 – 1875) grob umreißen.
Das alles und noch viel mehr steht in Stephan Reinhardts groß angelegter, schriftstellerisch etwas bemühter, in vier große Abschnitte gegliederter, darin aber kleinteilig aufbereiteter Biografie über Herwegh. Sie ist nicht gegen Wiederholungen gefeit, es gibt etliche Überwucherungen durch Referate zu Schriften von Ludwig Feuerbach, Karl Marx und anderen. Das führt öfter weiter von Herwegh, dem Objekt der Wissbegierde, weg, als der Autor wohl gewollt hat. Ein sorgfältiges Lektorat hätte da manches bewirken können.
Es bleibt aber die Fülle, über Herwegh zu lesen: etwa wie der Stuttgarter Gastwirtssohn den klassischen Aufstieg über das Landexamen ins Maulbronner Seminar und von da 1835 als Theologiestudent ins Tübinger Stift schaffte, aber immer schon Belletristik und Philosophie höher schätzte. Bereits nach zehn Monaten musste er das Theologieseminar verlassen wegen Widerborstigkeit, mangelndem theologischem Fleiß und verbotener Mitgliedschaft in einer Burschenschaft. Die Stipendiengelder hatte er auch zurückzuzahlen. Dann studierte er noch ein wenig Jura, bis er 1837 die Uni hinter sich ließ und als Feuilletonist und Schriftsteller begann.
Reinhardt zeichnet nicht nur den windungsreichen Lebenslauf des erfolgreichsten Politlyrikers deutscher Zunge in der Mitte des 19. Jahrhunderts nach, sondern strengt sich an, auch die Zeitumstände und ihre Ereignisse in der Wirkung auf Herwegh zu entfalten.
Daraus wird geradezu ein Biografienmosaik, so viele Zeitgenossen muss Reinhardt mitbedenken, um Herweghs vielfältige freundschaftliche und politische Vernetzungen darzustellen. Das reicht von Kollegen und Kolleginnen des revolutionären Vormärz in den Jahren vor 1848 wie Georg Weerth, George Sand oder Karl Marx bis zu jenen Gestalten, die im Europa der Restauration den demokratischen Aufbruch wollten und probierten wie die polnischen Aufständischen um Ludwik Mierosławski oder die ungarischen mit Lajos Kossuth an der Spitze. Später Giuseppe Garibaldi in Italien oder Ferdinand Lassalle in Deutschland, um nur ein paar zu nennen.
Ob Heinrich Heine, der Herwegh 1844 in einem Gedicht als „eiserne Lerche“ betitelte, ihn darin aber auch als realitätsfernen Träumer warnte, oder in späteren Jahren Gottfried Keller, ob Bettina von Arnim oder die Gräfin d’Agoult, ob Richard Wagner, Franz Liszt oder der Architekt Gottfried Semper, ob der Philosoph Ludwig Feuerbach, der ihn einen „noblen Communisten“ nannte, oder eben der von Herwegh als bedeutendster „Nationalökonom“ geschätzte Karl Marx und Lassalle, ob die russischen Freigeister Michail Bakunin, Iwan Turgenjew oder Alexander Herzen: Herwegh kannte sie alle, war mit einigen lebenslang befreundet, überwarf sich mit anderen, ließ sich von fast allen politisch begeistern und von manchen privat enttäuschen. Doch er war und blieb den Grundlagen eines demokratischen Aufbruchs für das Volk durch das Volk stets treu, auch wenn ihn 1840 mal nationalistischer Überschwang ergriff, dem er aber bald wieder abschwor. Später schwärmte er von einer europäischen Republik.
Entscheidend für Herweghs Laufbahn war zweifellos auch seine Ehefrau Emma Siegmund (1817 – 1904), Tochter eines jüdischen Berliner Geschäftsmannes. Sie teilte seine radikaldemokratischen Ansichten, ritt darüber hinaus an seiner Seite beim Unglücksunternehmen der „deutschen demokratischen Legion“, mit der Herwegh 1848 von Paris aus den badischen Aufständischen unter Friedrich Hecker zu Hilfe eilen wollte. Doch Hecker war bereits geschlagen, als Herwegh mit seiner lausigen Exilantentruppe über den Rhein ging, gleich unterlag und nur mühsam mit Emma in die Schweiz fliehen konnte. Ein Debakel, das Ganze, geboren aus egomanem Tatendrang. Marx hatte deutlich vor dergleichen Abenteuern gewarnt.
Emma hielt auch zu ihm, als sich Herwegh in eine Affäre mit Natalia Herzen stürzte, die seine Freundschaft mit dem russischen Freidenker und Schriftsteller Alexander Herzen ruinierte. Immer wieder versöhnten sich die beiden im Zeichen ihrer politischen Überzeugungen, wie Reinhardt schildert. Außerdem war sie unermüdlich im Besorgen von Geld, als die Apanagen des Vaters nurmehr kümmerlich flossen und aus dem luxuriösen Leben in Paris und auch noch in Zürich ein schuldengeplagtes Dasein wurde. Wagner, das Pumpgenie, bewunderte Emma wegen dieser Fähigkeit trotz seiner antisemitischen Hysterie. Übrigens machte Herwegh bei dergleichen nicht mit, sondern formulierte: „Die Rassenfrage gehört in die Gestüte, nicht in die Geschichte.“
Obwohl in seiner Zeit europaweit berühmt als Sänger des revolutionären Aufbruchs ist Herwegh schon in seinen späteren Jahren in Wirkung und Nachruhm gleichsam auf die Seite gerückt worden. Da er sich nicht für das Deutsche Reich von Bismarcks und Preußens Gnaden begeisterte, sondern sich entsetzte über den Krieg von 1870/71, verlor er auch die Zustimmung von Wagner und anderen, die sich nationalistisch anstecken ließen.
In seinem zornigen Gedicht „Herr Wilhelm braucht ein großes Heer“ von 1863 ließ er keine Zweifel daran, dass „Eisen und Blut“ (Bismarck) und das darauf gegründete ständestaatliche Reich nicht zu Freiheit und Demokratie führten und taugten: „Herr Wilhelm braucht ein großes Heer,/ braucht Pulver und Patronen;/ an Jesum Christum glaubt er sehr,/ doch mehr noch an Kanonen./ Er kann, o Volk, wie einen Hund/ auf's Bajonett dich spießen,/ kann dich zusammenreiten und/ kann dich zusammenschießen.“ So erinnerte Herwegh daran, dass dieser Kaiser Wilhelm sich während der Märzrevolution vor allem als brutaler „Kartätschenprinz“ gegen die Aufständischen hervorgetan hatte.
Herweghs frühe „Gedichte eines Lebendigen“ von 1841, die seinen Ruhm begründeten, sind immerhin bekannt geblieben, auch wenn sie manchmal im Geist jener Zeit durchaus martialisch klirren und tönen und darin unweigerlich gealtert sind. Schon während der langen Exiljahre in Paris und Zürich verblasste der Gesang der „eisernen Lerche“. Schreibblockaden und depressive Stimmungen behinderten ihn, von dem etwa die anfangs begeisterten Richard Wagner oder Franz Liszt gewichtige Texte erwarteten, die sie in Musik setzen wollten. Ihre offen geäußerte Enttäuschung über das dichterische Erschlaffen oder schöpferische Unvermögen des einstigen Heldenliedermachers trug gewiss dazu bei, dass Herwegh noch weiter an den Rand des literarischen Gedächtnisses geriet. Im Zuge des Bismarck’schen Deutschen Reichs und der ihm folgenden Weltkriege im 20. Jahrhundert wurde Herwegh nurmehr als „linker“ oder „kommunistischer“ Kampfautor wahrgenommen, eine zu vernachlässigende Figur ihrer Zeit, die nicht in den bürgerlichen Literaturkanon der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit passte.
Zuerst die Literaturwissenschaft der ehemaligen DDR, dann auch die westdeutsche im Zuge der Studentenbewegung der Sechzigerjahre nahm sich der politischen Autoren rund um Herwegh an und überhaupt der engagierten Literatur. In diesem Jahr kann man daher, dank der jahrzehntelangen editorischen Grundlagenarbeit von Ingrid Pepperle und ihrem Team endlich auch auf eine historisch-kritische Ausgabe von Herweghs Gedichten, Prosaschriften und Briefen zugreifen, deren sechster und letzter Band nun erschienen ist. Vor allem die Briefe lassen einen tief eintauchen ins Denken und Treiben jener Epoche.
Reinhardts Biografie will bewusst empathisch sein und ist ihrem Gegenstand unverhohlen zugetan. Es gelingt auch, die enorme Wirkung Herweghs in seiner Glanzzeit nachzuvollziehen ebenso wie sein am Ende unaufhaltsames Verglühen. Letztlich aber bleibt einem dieser ungeheuer gebildete, mehrsprachig belesene, an Politik, Naturwissenschaften und Literatur jeder Art so hochinteressierte Schriftsteller, der zu den flammendsten Aufschwüngen fähig war, eine gleichsam entferntere Gestalt, die auch aus der Nähe dieser Biografie über ihre rein historische Bedeutung kaum hinauszustrahlen vermag.
HARALD EGGEBRECHT
Stephan Reinhardt: Georg Herwegh. Eine Biographie. Seine Zeit - unsere Geschichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 636 Seiten, 39, 90 Euro.
Georg Herwegh: Werke. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Sechs Bände. Hrsg. von Ingrid Pepperle in Verb. mit Volker Giel, Heinz Pepperle, Norbert Rothe und Hendrik Stein. Aistesis Verlag, Bielefeld 2020.
Heinrich Heine nannte ihn
in einem Gedicht
die „eiserne Lerche“
Nach Bismarck wurde er als
„links“ wahrgenommen, er passte
nicht in den bürgerlichen Kanon
Georg Herwegh und seine Frau Emma, die entscheidend war für seine Laufbahn. Fotos: mauritius / Alamy / Signal, imago/Leemage
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»Es gelingt (...), die enorme Wirkung Herweghs in seiner Glanzzeit nachzuvollziehen ebenso wie sein am Ende unaufhaltsames Verglühen.« (Harald Eggebrecht, Süddeutsche Zeitung, 03.12.2020) »Noch nie sah man Herwegh so nah, so sorgfältig eingebettet in die deutsche Geschichte, so präzise, differenziert und achtungsvoll gezeichnet wie hier.« (Klaus Bellin, neues deutschland, 21.09.2020) »(eine) umfangreiche, das Panorama der Zeit und ihrer im Umkreis Herweghs wirkenden Akteure eindrucksvoll nachzeichnende Biographie« (Wilhelm v. Sternburg, Frankfurter Rundschau, 17.12.2020) »Es ist ein großes Buch im doppelten Sinne des Wortes, belesen und beherzt.« (Hermann Peter Piwitt, konkret 09/2020) »Der Verfasser entfaltet ein eindrucksvolles Zeitpanorama, das weit über die Biographie Herweghs hinausreicht und vielfältige interessante Einsichten vermittelt.« (Michael Wettengel, DAMALS, 1/2021) »Hier ist ein radikaler Demokrat und großer Autor der Arbeiterbewegung wieder zu entdecken.« (Dirk Klose, Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte, 1/2 2021) »ein vielschichtiges Herwegh-Porträt.« (Patrick Fortmann, Germanistik, 2021)