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Produktdetails
  • Verlag: Penguin Random House
  • Seitenzahl: 1040
  • Erscheinungstermin: 21. September 2015
  • Deutsch
  • ISBN-13: 9783641150075
  • Artikelnr.: 42845780

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Autorenporträt
Gregor Schöllgen, Jahrgang 1952, lehrte von 1985 bis 2017 Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Erlangen und in der Attachéausbildung des Auswärtigen Amtes. Er wirkte als Gastprofessor in New York, Oxford, London und Zürich, war Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes sowie des Nachlasses von Willy Brandt.

Als profilierter Biograph folgte er den Spuren unter anderem von Willy Brandt, Ulrich von Hassell, Martin Herrenknecht, Gustav Schickedanz, Theo Schöller, Gerhard Schröder und Max Weber sowie von bedeutenden Unternehmerfamilien wie Brose, Diehl und Schaeffler. Zuletzt erschien bei DVA seine Geschichte der Familie Weiss und ihres Unternehmens, des Anlagenbauers SMS.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2015

Wie Acker lernte, die Macht zu lieben . . .
. . . und nationale Interessen zu definieren: Gerhard Schröders Leben, respektvoll gewürdigt von Gregor Schöllgen

Am frühen Abend des 18. September 2005 hat Gerhard Schröder die Bundestagswahl verloren. Doch noch klammert er sich an Hochrechnungen, hofft auf die Mehrheit der Sitze durch Überhangmandate. Einfühlsam versetzt Gregor Schöllgen die Leser seiner imposanten Biographie zurück in jene rot-grüne Kanzlerdämmerung, als sich der Regierungschef, den der Historiker mit größtem Respekt würdigt, auf den Weg macht zur "Berliner Runde" von ARD und ZDF. "Ziemlich sicher ist zu diesem Zeitpunkt auch, dass ,sein Wahlergebnis' besser ist als das 1990 von Oskar Lafontaine, wie er anderntags im Vorstand festhält. Im Spiegel der folgenden beiden Wahlen zum Bundestag ist es sogar ein Traumergebnis."

Vor einem Millionenpublikum kommt es nun zu der "testosteronen Explosion" Schröders, die der Biograph damit entschuldigt, dass sich eine über Wochen "angestaute Spannung entlädt". Fast alles, was er unterdrückt habe, "bricht sich jetzt Bahn. Auch die Überzeugung, dass niemand außer ihm ,in der Lage' sei, ,eine stabile Regierung zu stellen. Niemand außer mir' - und schon gar nicht Frau Merkel. Tatsächlich lässt sich das Wahlergebnis ja so lesen. Vier Monate später, als Gerhard Schröder hinter verschlossenen Türen sein Leben Revue passieren lässt, formuliert er das so: ,Die Menschen wollten eine Regierung, die ich führe, aber von der CDU gestellt wird - und haben Merkel und die SPD bekommen. Das ist wirklich die List der Geschichte.' Dass diese ,von Frau Merkel geführte' Regierung ,besser' ist, ,als die meisten erwartet hätten', nimmt er zu diesem Zeitpunkt gelassen zur Kenntnis." Bemerkenswerter Rückblick, den Schöllgen zitieren kann, weil Schröder in der Vorbereitungsphase der Memoiren Anfang 2006 immerhin 55 Kassetten besprach, so dass es eigentlich "zwei Bücher" gebe: Das erste, die Transkription von Gesprächen mit dem früheren Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, "erblickt nie das Licht der Öffentlichkeit". Hier habe sich Schröder "alles von der Seele" geredet. Das andere, Ende 2006 unter dem Titel "Entscheidungen" publiziert, habe mit der Transkription "nur wenig zu tun", weil sich Schröder gar nicht die Zeit nahm, diese zu bearbeiten.

Überhaupt habe Schröder als "ein mündlicher Mensch" während seiner Kanzlerschaft das Aktenstudium "auf ein Minimum" beschränkt. Bei Schröders Büroleiterin erkundigte sich Schöllgen daher nach den Terminkalendern, die ihm einen Weg zu vielen Quellen wiesen. Er wertete 30 Ordner mit Korrespondenzen im "Privatarchiv Schröder" aus, zog Akten des Kanzleramtes und der SPD heran und befragte 40 Zeitzeugen, um das Leben des siebten Kanzlers der Bundesrepublik darzustellen - gegliedert in "Der Aussteiger", "Der Anwalt", "Der Kandidat", "Der Kämpfer", "Der Macher", "Der Reformer" und "Der Ratgeber".

Schröders Mutter Erika war das uneheliche Kind einer Näherin und eines Arztes, das von einem Vormund großgezogen wurde. Als sie Ende Oktober 1939 den Gelegenheitsarbeiter Fritz Schröder heiratete, waren ihr "weder der Aufenthalts- noch der Geburtsort ihrer leiblichen Mutter bekannt". Fritz hatte wegen Diebstahls Haftstrafen verbüßen müssen, (was Erika den zwei gemeinsamen Kindern verschweigen sollte). Das Paar lebte bei Fritz Schröders Mutter Klara und deren zweitem Ehemann Paul Vosseler. Fritz wurde Soldat und fiel im Oktober 1944 in Rumänien. Damals war der am 7. April 1944 geborene Gerhard ein halbes Jahr alt. Die Vosselers ließen sich nach dem Krieg scheiden, damit Paul und Erika heiraten konnten - eine "abenteuerliche Konstellation". Bis 1954 gesellten sich zu Gerhard und Gunhild drei Halbgeschwister. Der 1966 verstorbene Stiefvater konnte gut singen, Zither spielen, war arbeitsunfähig, "ging fremd", während die Mutter "fast rund um die Uhr" schuftete. Daher erfuhr der "junge Schröder im eigentlichen Sinne keine Erziehung".

Gerhard besuchte die Volksschule, machte eine Lehre. In den fünfziger Jahren erkämpfte er sich beim TuS Talle als Halb- und Mittelstürmer den Titel "Acker" (auch sein Spitzname in der Familie), "weil er auf dem Fußballplatz das tut, was er auch sonst am besten kann, eben ackern". Der Verkäufer holte auf einer Abendschule die Mittlere Reife nach, trat 1963 in die SPD ein. Bevor er in die Parteiarbeit einstieg, bestand er 1966 sein Abitur: "Er hat den Ausstieg geschafft und damit das Fundament für den Aufstieg gelegt. Es ist der Ausstieg aus einem Milieu, das Karrieren wie die seine nicht vorsieht." Es folgten das Jurastudium in Göttingen, die kurze Ehe mit einer Verlagsbuchhändlerin, die zweite mit einer Gymnasiallehrerin, Staatsexamina.

Von 1978 bis 1980 war er Juso-Bundesvorsitzender. Um für den Bundestag als Kandidat aufgestellt zu werden, gefiel sich der Rechtsanwalt - "süchtig nach Macht" - im Taktieren. Dies stehe im "Widerspruch zu der Verlässlichkeit, die den Mann im nichtöffentlichen Bereich auszeichnet". Jedenfalls holte er 1980 im Wahlkreis Hannover-Land I das Direktmandat. Mit einer Art Selbstbewerbung als Spitzenkandidat in Hannover bereitete er alsbald die Rückkehr nach Niedersachsen vor. Zuvor war seine zweite Ehe gescheitert. Mit Hiltrud Hampel, geborene Hensel, Mutter zweier Töchter, und durch die "Gerd-Hillu-Schau" samt Heirat 1984 konnte er sein "Juso-Image" ablegen. Trotzdem musste er bei der Landtagswahl 1986 eine "schwere Niederlage" einstecken. Vier Jahre danach bildete er in Hannover eine rot-grüne Koalition und entwickelte sich als Ministerpräsident vom einstigen Linksaußen zum "geschickten Aquisiteur". 1994 holte er die absolute Mehrheit für die SPD und beanspruchte allmählich auch die Rolle des Herausforderers von CDU-Bundeskanzler Kohl.

Vor dem großen Sprung zurück nach Bonn trennte sich 1996 das "Vorzeige-Ehepaar der deutschen Politik". Hiltrud habe ihren Mann "regelrecht drangsaliert", weiß der Biograph und erläutert die "Hinwendung" zur Neuen: "Er braucht eine feste Beziehung. Ohne sie kommt dieser Mann nicht zurecht, wissen die zu berichten, die ihn wirklich kennen." Der Einfluss der Frau an seiner Seite auf ihn sei erheblich. "Je höher er steigt, desto mehr zählen ihre Erfahrung, ihre Souveränität, ihre Menschenkenntnis." Die Journalistin Doris Köpf und Schröder heirateten 1997. Die Hochzeitsfeier fand erst im März 1998 statt, eine Woche nach dem fulminanten Landtagswahlsieg. Die vierte Schröder-Gemahlin habe ihren Anteil daran, "dass die letzte Etappe ins Kanzleramt schließlich genommen werden kann".

Am 27. September 1998 war der SPD-Kandidat am Ziel. Wunschpartner waren die Grünen nicht, weil Schröder meinte, "dass die Deutschen das zum ,Aufbruch' stilisierte rot-grüne Experiment im Grunde gar nicht wollen". Bei den Koalitionsverhandlungen trat sein "unbändiger Machtwille" hervor. Konflikte gab es mit dem SPD-Vorsitzenden und Finanzminister Lafontaine, der im März 1999 "vor dem Machtanspruch" des Kanzlers kapitulierte und sogar als SPD-Chef zurücktrat. Für den "Einzelkämpfer" war nun endlich die Parteispitze frei. Die Hochs und Tiefs der Kanzlerjahre schildert Schöllgen gekonnt und stellt jene Zufälle und Rahmenbedingungen heraus, die Schröder nutzten oder die er zu nutzen verstand: CDU-Spendenaffäre, Flutkatastrophen, die Freundschaft zu Putin oder Washingtons Irak-Politik. Außenpolitisch habe er sich stets von den deutschen Interessen leiten lassen, ja diese "namhaft" gemacht - wenn es auch zwischen ihm und Präsident George W. Bush Missverständnisse gegeben habe, weil beide sich vor dem Irak-Krieg hinter verschlossenen Türen nicht klar genug ausgedrückt hätten.

Die knappe Mehrheit für Rot-Grün vom September 2002 war ein "gewaltiger Erfolg" für Schröder, weil "der konjunkturelle Einbruch mit seiner dramatischen Begleit- und Folgeerscheinung, der neuerlichen Massenarbeitslosigkeit, aber auch ein großer Teil der Medien" gegen ihn standen. Damals begann - so Schöllgen fast mitleidend - eine neue Etappe im Verhältnis Schröders zu den Medien: "Haben ihn die meisten anfänglich durch die Untiefen des politischen Geschäfts getragen, werden sie jetzt mehr und mehr zu erbitterten Gegnern." Ende 2002 fiel Schröders Entschluss, längst überfällige Reformen in Gang zu setzen: "Koste es, was es wolle. Und sei es die Kanzlerschaft."

Die Regierungserklärung vom März 2003 - die Verlesung der Agenda 2010 - bildete den "Wendepunkt": Er habe sich zu wenig um den Kommunikationsprozess gekümmert: Die Genossen hätten das Programm zerredet und dessen "Vater" beschädigt. Nicht zuletzt deshalb habe er im März 2004 den SPD-Vorsitz abgegeben. Ganz zerrüttet war im Sommer 2004 auch sein Verhältnis zu den Gewerkschaften. Es kam zur Gründung der Wähleralternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit. "Mit der WASG, der PDS, den Gewerkschaften und einer zunehmenden Zahl von SPD-Mitgliedern wie Oskar Lafontaine baut sich eine Front mit zahlreichen stabilisierenden Querverbindungen auf, die binnen eines Jahres zu einer signifikanten, wahlentscheidenden Größe in der deutschen Politik wird." Schröder habe den "einsamen Kampf des Aufsteigers" an vielen Fronten führen müssen.

Schröder glänzte derweil auf Auslandsreisen. Was den Standort Deutschland betreffe, so habe sich kein zweiter Kanzler "bislang so konsequent für dessen Erhalt ins Zeug gelegt" wie er. Schon am 7. April 2005 habe Schröder den Koalitionspartner vom Plan der vorgezogenen Neuwahlen im Bund in Kenntnis gesetzt, falls Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen im Mai abgewählt würde. Laut Schöllgen spielten schließlich Printmedien im Wahlkampf des Sommers 2005 "noch einmal eine bedeutende, wenn nicht die entscheidende Rolle". Die Wut über eine mediale Verschwörung, "die der Kanzler zu beobachten glaubt, muss er einstweilen unterdrücken, was zur Folge hat, dass sich in dem Mann ein enormer Druck aufbaut und man sich fragt, wann der Kessel von diesem Deckel fliegt". Siehe 18. September!

Seit "Ackers" Mutter "ihn und seine Geschwister gelehrt hat, dass Fairness zu den Grundregeln des Lebens zählt, wenn man schwierige, wenn nicht perspektivlose, existenzbedrohende, auch unwürdige Zeiten gemeinsam überstehen will, hat er diese Maxime verinnerlicht", konstatiert der Biograph und resümiert: "Gerhard Schröder hat außen- und sicherheitspolitisch die überfälligen Konsequenzen aus der Einheit gezogen und Deutschland damit auf den Platz geführt, auf den es gehört; und er hat das Land innenpolitisch so auf Vordermann gebracht, dass es diesen Platz selbstbewusst und überzeugend einnehmen kann."

RAINER BLASIUS

Gregor Schöllgen: Gerhard Schröder. Die Biographie. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015. 1039 S., 34,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Höchst unterhaltsam liest sich die Besprechung der neuen Schröder-Biografie durch den Autor und Dramatiker Moritz Rinke. Sie beginnt damit, dass er dieses Trumm von Buch bei seinem türkischen Gemüsehändler wiegen lässt: Zweieinhalb Kilo, und sie ist dreimal so dick wie Schöllgens Biografie über Willy Brandt. Aber ist Schröder auch dreimal so bedeutend? Beim Lesen von Rinkes Kritik befallen einen leichte Zweifel. Richtig aufgeregt schildert er im Grunde nur die Zeit bis zum Erreichen der Kanzlserschaft. Danach behauptet der Rezensent gar, die folgenden Seiten über die Jahre der Kanzlerschaft aus dem Buch gerissen und auf dem Gleis 9 (aber nicht 9 ¾) eines Bahnhofs liegen gelassen zu haben. Ob man bei Schöllgen außer über die krachledernen, manchmal sensiblen Aspekte der Persönlichkeit Schröders auch etwas über die problematischen Seiten - etwa seine Liebe zu Putin - erfährt, sagt Rinke nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Eine opulente, unterhaltsame Erzählung über einen streitbaren, stets umstrittenen Mann, der sich aus kleinsten Verhältnissen bis ganz nach oben gearbeitet hat.« spiegel.de, Andreas Borcholte, 22.09.2015