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Entgegen bisherigen Forschungsansätzen, die soziale und politische Einflussfaktoren auf die Wissenschaft ausklammern oder die Forschung allein auf diese konzentrieren, legt Christa Hempel-Küter hier eine Arbeit vor, in der Fragen der institutionellen, personellen, konzeptionellen sowie soziostrukturellen Bedingungen der Wissenschaft am Beispiel der Hochschulgermanistik mit sozialgeschichtlich inspirierten und an der Alltagsgeschichte orientierten Beobachtungen verbunden werden. Ausgangs- und Bezugspunkt der Untersuchung ist die wissenschaftliche Biographie des Germanisten Hans Pyritz, die vom…mehr

Produktbeschreibung
Entgegen bisherigen Forschungsansätzen, die soziale und politische Einflussfaktoren auf die Wissenschaft ausklammern oder die Forschung allein auf diese konzentrieren, legt Christa Hempel-Küter hier eine Arbeit vor, in der Fragen der institutionellen, personellen, konzeptionellen sowie soziostrukturellen Bedingungen der Wissenschaft am Beispiel der Hochschulgermanistik mit sozialgeschichtlich inspirierten und an der Alltagsgeschichte orientierten Beobachtungen verbunden werden. Ausgangs- und Bezugspunkt der Untersuchung ist die wissenschaftliche Biographie des Germanisten Hans Pyritz, die vom Studium am Berliner Germanischen Seminar über verschiedene Lebensetappen bis hin zum Ordinariat am Literaturwissenschaftlichen Seminar der Universität Hamburg verfolgt wird. An diesem Beispiel werden Einblicke in die Fach-, Personen- und Institutionengeschichte der Germanistik im Untersuchungszeitraum gewonnen. Konzeptionelle Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Umfeld politischer Zäsuren werden beispielhaft an Pyritz' Lebensthema "Goethe" aufgedeckt.

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2000

Zwischen allen Lehrstühlen
Hans Pyritz und die Welt der germanistischen Wissenschaft

Die Germanistik hat mit guten Gründen den Weg der disziplinären Selbstreflexion eingeschlagen. Seitdem gibt es, kurz gesagt, neben Studien zu Goethe auch solche über Pyritz. Hans Pyritz ist einer der namhaftesten Goethe-Kenner der vierziger und fünfziger Jahre, der das Kunststück vollbrachte, in schwieriger Zeit Rufe auf zwei bedeutende Lehrstühle (Berlin 1942, Hamburg 1950) zu erhalten, ohne ein signifikantes Hauptwerk vorgelegt zu haben. Umgekehrt kann man sagen, daß die Tragik dieses besonderen Gelehrtenlebens gerade darin besteht, das nie aus den Augen verlorene Hauptwerk - eine biographisch fundierte Goethe-Monographie - letztlich nicht zustande gebracht zu haben. Zwar kommt der Frage keine institutionelle Bedeutung zu, da Pyritz sich mit der vergleichsweise schmalen Schrift über "Goethe und Marianne von Willemer" habilitieren konnte. Gleichwohl hätte man aus dem Buch von Christa Hempel-Küter - einer Hamburger Habilitationsschrift aus dem Jahr 1997 - gerne erfahren, wie es zu der eigenartigen Nichterfüllung des eigenen Maßes hat kommen können. Die andernorts verfochtene These, der zufolge das Werk sich aufgrund seines problematischen Ansatzes und der schwülstigen Sprache im Laufe der gewandelten Zeit selbst ad absurdum geführt habe, wird zwar von Christa Hempel-Küter erwähnt, nicht aber als Antwort ergriffen. Vielmehr scheinen Pyritz' eigene Hinweise zu gelten, insbesondere auf die notorische Überbelastung durch das Amt. Etwas mehr Entschiedenheit in dieser Frage hätte man sich gewünscht.

Nun sind Pyritz und seine Schriften nicht der einzige Gegenstand dieser Arbeit, worauf schon der eigenartig gestaffelte Titel aufmerksam macht. Er verspricht dreierlei Auskünfte: über die "Germanistik zwischen 1925 und 1955", über die "Welt der Wissenschaft" und über "Hans Pyritz". Die abstrakteste Ebene ist offenbar mit der "Welt der Wissenschaft" angesprochen. Selbst wenn man von der metaphorischen Verfaßtheit dieser Benennung absieht, hinter der sich nichts anderes verbirgt als das Wissenschaftssystem, wird niemand erwarten, daß dieser großvolumige Gegenstand hier dargestellt werden könnte. Tatsächlich wird lediglich der institutionelle Rahmen abgesteckt, in dem die konkreteren Themen der Untersuchung untergebracht sind: die disziplinäre Epochalisierung (1925 bis 1955) und die personenbezogene Einzelstudie. Die Brisanz der Studie liegt natürlich nicht zuletzt im genannten Zeitraum, da hiermit die Germanistik vor, während und nach der NS-Zeit in den Blick kommt. Die methodische Frage muß indes lauten, wie zwischen "Welt", Epoche und Person vermittelt wird.

Christa Hempel-Küter beginnt ihre Untersuchung mit einem Bericht zur Lage der Wissenschaftsgeschichte, insbesondere der Germanistik. Daß hier vieles noch Desiderat ist, leuchtet unmittelbar ein. Die besondere Kritik der Autorin richtet sich indes gegen die Partikularität der vorliegenden Arbeiten, die sich einzelnen Gelehrten, Instituten oder wissenschaftlichen Schulen widmen. Demgegenüber vertritt die Autorin einen Ansatz, der "die Trennung zwischen institutioneller Fachgeschichte, Personengeschichte und konzeptioneller Wissenschaftsgeschichte auflöst und Vorschläge für eine Wissenschaftshistoriographie unterbreitet, die jenseits der engen Fächer- und Disziplingrenzen angesiedelt ist". Doch zur Durchführung des genannten Programms kommt es nicht, weshalb vorsichtigerweise nur von "Vorschlägen" die Rede ist. Was geboten wird, ist eine auf das Wissenschaftssystem und die Fachgeschichte hin perspektivierte Personengeschichte. Was so nicht entsteht, ist eine "Kollektivbiographie der Hochschulgermanisten während der NS-Zeit". Wenn damit gemeint sein sollte: nach Art der hier vorliegenden, dann wird sich die Realisierung des vorgestellten Programms noch lange hinziehen. Wenn hingegen eine eher lexikalische Erfassung beabsichtigt sein sollte, wie sie sich im Anhang der vorliegenden Untersuchung bereits - freilich sehr stichwortartig - findet, so möchte man die Realisierungschancen einer "Kollektivbiographie" schon für wahrscheinlicher halten. Daß es zwischen Einzelfallstudie und Lexikoneintrag noch ein Drittes gibt, hat unlängst Frank-Rutger Hausmann mit seiner Untersuchung zur "Deutschen Romanistik im ,Dritten Reich'" gezeigt (F.A.Z. vom 14. November). Daran gemessen, offeriert Christa Hempel-Küter ein "gemischtes" Konzept, das zu einem nicht geringen Teil in einem "exemplarischen" Sinne zu verstehen ist.

Blickt man vom Programm zum Buch, so entsteht noch ein anderes Bild. Das in sechs Kapitel gegliederte Buch bietet in den Kapiteln eins bis fünf de facto eine epochal und personal ausgerichtete Institutionenreflexion, während im umfangreichen sechsten Kapitel die "Goethephilologie vor und nach 1945 am Beispiel Hans Pyritz" vorgestellt wird. In beiden Teilen überrascht, so das Argument der Autorin, die feststellbare Kontinuität. Nicht daß der "glatte Pyritz" 1942 die Petersen-Nachfolge erlangen konnte, für die er sich vielmehr durch fachliche Zuständigkeit, nationale Gesinnung und kluges Taktieren empfohlen hatte, verwundert, sondern die Tatsache, daß es ihm möglich war, nach dem Ende des Nationalsozialismus den Ruf auf den Hamburger Lehrstuhl zu erhalten. Insbesondere wird dies schwer verständlich, da Pyritz nachweislich an seiner Theorie von der "gegenklassischen Wandlung" des späten Goethe unverdrossen festgehalten hat. Dieser Theorie zufolge war das Humanitäts-Postulat der sogenannten "Hochklassik" ein von Schiller aufgedrängter Fremdimport, dem Goethe sich durch "Hingabe an die sinnlich offenbarte und gestalthaft vollendete Einheit des Seins" (Pyritz) erst wieder zu unterziehen hatte. Diese Wunderlichkeiten waren auch zuvor schon bekannt, Hempel-Küter zeigt aber im direkten Vergleich zwischen den Vorlesungsmanuskripten von 1943/44 und dem neu konzipierten Aufsatz von 1950, daß Pyritz, von einigen sprachlichen Retuschen abgesehen, sich und seinem Ansatz über den Zeitenwechsel hinweg treu geblieben war. In dieser Hinsicht ist die Untersuchung außerordentlich ertragreich - und sollte deshalb in jeder germanistischen Institutsbibliothek stehen. Rätselhaft bleibt hingegen noch die Hochrechnung des Vorliegenden auf die Ebene der "Welt der Wissenschaft" im ganzen.

UWE JAPP

Christa Hempel-Küter: "Germanistik zwischen 1925 und 1955". Studien zur Welt der Wissenschaft am Beispiel von Hans Pyritz. Akademie Verlag, Berlin 2000. 350 S., geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Uwe Japp hätte doch gerne in diesem Buch gelesen, wieso Hans Pyritz es nicht gelungen ist, seine geplante Goethe-Monografie (die sein Lebenswerk werden sollte) fertig zu stellen. Doch dieser Frage sieht er zu seinem Bedauern in dem vorliegenden Band nicht ausreichend nachgegangen. Was die "Welt der Wissenschaft" (siehe Untertitel) betrifft, so merkt der Rezensent an, dass dieser Aspekt hier selbstverständlich nicht umfassend abgehandelt, sondern vielmehr der "institutionelle Rahmen abgesteckt" wird, in dem die eigentliche Untersuchung der Autorin angesiedelt ist. Japp merkt an, dass Hempel-Küter in ihrer Arbeit die Trennung der einzelnen Bereiche der Germanistik in "institutionelle Fachgeschichte, Personengeschichte und konzeptionelle Wissenschaftsgeschichte" beklagt, jedoch selbst über "Vorschläge" nicht hinauskommt. Stattdessen werde in dem Band eine "auf das Wissenschaftssystem und die Fachgeschichte hin perspektivierte Personengeschichte" geboten. Eine "Kollektivbiografie der Hochschulgermanisten während der NS-Zeit" kann so nicht entstehen, bemerkt Japp. Stattdessen werden Biografien eher lexikalisch erfasst. Dass es auch eine dritte Möglichkeit jenseits von "Einzelfallstudie und Lexikoneintrag" gibt, habe Frank-Rutger Hausmann in seiner Studie "Deutsche Romanistik im Dritten Reich" beispielhaft gezeigt. Damit kann sich die vorliegende Arbeit seiner Ansicht nach nicht messen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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