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Giovanni Maio hinterfragt die Gesundheitspolitik
Nach den Bänden der Reihe "medizinHuman" des renommierten Frankfurter Mediziners und gesundheitspolitischen Experten Berndt Hontschik greift man eigentlich stets mit Gewinn. So ist es auch bei diesem Band aus der Feder des Freiburger Medizinethikers Giovanni Maio. In der Gesundheit haben wir es mit einer eigentümlichen Grundspannung zu tun. Einerseits ist dies eine Branche mit enormer Bedeutung für unsere Wirtschaft, die zudem dynamisch wächst. Sie wird durch erweiterte medizinische Möglichkeiten, die Alterung der Bevölkerung sowie nicht zuletzt den Wertewandel angetrieben, der den Stellenwert gesundheitlicher Fragen hebt.
Heute entsteht hier bereits grob jedes vierte Beschäftigungsverhältnis. Nicht zufällig sind Unternehmen im Gesundheitsbereich auch beliebte Anlageziele am Finanzmarkt. Andererseits ist das Thema Gesundheit eines der Kernfelder sozialstaatlichen Handelns. Alle Mitglieder der Gesellschaft sollen verbindlich alles Notwendige an medizinischer Versorgung erhalten.
Beim Blick auf die Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte wird man jedoch feststellen, dass die Bereitschaft eher abgenommen hat, die hierfür erforderlichen Ressourcen sicherzustellen. Hieraus haben sich Veränderungen medizinischen Handelns entwickelt, die man durchaus mit Maio als "Ökonomisierung der Medizin" bewerten kann. Ihn treibt die Sorge vor einer zunehmenden Herausbildung von Mechanismen, die eine medizinische Heilkunst von ihrer eigentlichen Aufgabe abbringen, ihr einen Teil ihrer Wirkungsmöglichkeiten nehmen und sogar an bestimmten Stellen Verschwendung begünstigen. Sehr einleuchtend werden Tendenzen wie "vom Vertrauens- zum Vertragsverhältnis" oder "Problemfeld Bonuszahlungen" und "Irrweg in die Priorisierung" kritisch durchleuchtet. In Gesellschaft und Politik sieht er eine Tendenz heraufziehen, dem Bürger als Nutzer des Systems eine Art Pflicht zu gesundheitsdienlichem Verhalten abzufordern, mit der Folge eines latenten Schuldvorwurfs gegen chronisch Kranke und Alte. Diese sieht Maio als die Hauptverlierer der neueren Entwicklung.
Er entwirft am Schluss ein Sympathie erweckendes Plädoyer für eine gute Medizin, die vor allem "Beziehungsmedizin" sein soll. Es mag sein, dass man mit dem Abbau von Fehlsteuerungen allzu schematischer Art hier einiges bewirken kann. Sehr weit dürfte man in einer alternden Gesellschaft aber ohne deutlich vermehrte Ressourcen nicht kommen. Das Buch ist eine empfehlenswerte Lektüre für Ärzte, medizinisches Personal, aber nicht zuletzt Patienten, vor allem aber auch Akteure von Institutionen des Gesundheitswesens.
DIETHER DÖRING
Giovanni Maio: Geschäftsmodell Gesundheit. Suhrkamp, Berlin 2014, 164 Seiten, 8,99 Euro
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