In der vierzehnbändigen Reihe Geschichte der Philosophie, herausgegeben von Wolfgang Röd, stellen namhafte Philosophiehistoriker die Entwicklung des abendländischen Denkens durch alle Epochen bis zur Gegenwart einführend und allgemeinverständlich dar. Aus dem Inhalt von Band IV: I: Anfänge des Platonismus - Eudor v. Alexandrien - Philo Judaeus II: Platonismus - Plutarch v. Chaironeia - Alcinous - Apuleius - Plotin - Jamblich - Proclus III: Anfänge der Philosophie bei den Christen - Die griechischen Kirchenväter - Augustin v. Hippo - Dionysius v. Areopag IV: Anfänge der Scholastik - Boethius - Johannes Eriugena - Anselm v. Canterbury
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.1998Was Denker bauen, stürzt auch wieder ein
Wolfgang Gombocz publiziert ein Handbuch der spätantiken und frühmittelalterlichen Philosophie
Der englischsprachige Philosophiehistoriker verfügt seit Ende der sechziger Jahre mit der von A. H. Armstrong herausgegebenen "Cambridge History of Later Greek and Early Medieval Philosophy" über ein vielfach benutztes, freilich inzwischen etwas veraltetes Standardwerk. In der deutschsprachigen Fachliteratur fehlte bisher ein vergleichbares Referenzwerk zu der für die Entwicklung des christlichen Abendlandes so wichtigen spätantiken und frühmittelalterlichen Periode der Philosophiegeschichte. Diesem Mangel hat jetzt der Grazer Philosoph Wolfgang Gombocz mit seiner über fünfhundert Seiten starken "Philosophie der ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters" abgeholfen, die als vierter Band in der von Wolfgang Röd herausgegebenen, auf zwölf Bände konzipierten Geschichte der (westlichen) Philosophie erschienen ist.
Die Philosophie der ausgehenden Antike und des beginnenden Mittelalters ist durch die Entwicklung eines Platonismus geprägt, der die Anfänge der Philosophie im Christentum stark beeinflußt hat. Der erste Teil des Bandes setzt mit dem sogenannten Mittelplatonismus ein (um 70/40 vor bis 220/250 nach Christus, einer Periode, die unter dem Einfluß der Zahlenspekulation des Pythagoras und der Neupythagoreer steht. Der zweite Teil konzentriert sich auf die Darstellung des eigentlichen Neuplatonismus und seiner wichtigsten Vertreter, wobei die Lehre Plotins (204/5 bis 270) aufgrund ihrer spekulativen Kraft und historischen Bedeutung zu Recht die detaillierteste Darstellung erfährt. Im dritten Teil widmet Gombocz sich den Anfängen des philosophischen Denkens bei den Christen. In mehreren Kapiteln geht er auf die lateinischen und griechischen Kirchenväter ein, wobei die einflußreichsten Denker der Patristik - Augustinus im Westen und Pseudo-Dionysius im Osten - im Mittelpunkt stehen. Der abschließende vierte Teil behandelt die Anfänge der lateinischen Scholastik und ihre herausragenden Vertreter wie etwas Boethius, Johannes Scotus Eriugena und Anselm von Canterbury.
Gombocz hat mit diesem Werk ein verläßliches und philosophisch anspruchsvolles Arbeits- und Lesebuch geschaffen, das seinem Anspruch, in engem Kontakt sowohl zu den Quellen als auch der neuesten Forschungsliteratur geschrieben zu sein, durchaus gerecht wird. Ja, man darf sich angesichts des hohen Diskussionsniveaus und der durchgängig vorausgesetzten Lateinkenntnisse fragen, ob das Werk seiner Beschreibung auf dem Umschlag entspricht, nämlich "einführend und allgemeinverständlich" zu sein. Der Band richtet sich wohl eher an das Fachpublikum. Unbefriedigend ist die zugrunde liegende philosophiegeschichtliche Methodologie. Der Autor weist resolut alle "erfahrungsunabhängigen" und "vorgegebenen" "Deutungsschemata" zurück, welche ihn davon abhalten könnten, die philosophischen Bemühungen der ausgehenden Antike und des beginnenden Mittelalters als eine "Auseinandersetzung mit wirklichen Erfahrungen" zu verstehen. Sein gesamtes Unterfangen will er in einen "realgeschichtlichen Horizont" einbetten, anstatt wie etwa Hegel die Ideengeschichte als eine zielgerichtete Selbstentwicklung des Geistes zu begreifen. Zu den Quellen will Gombocz zurückkehren, ohne diese durch "Bezugnahmen auf die moderne Philosophie" zu verfälschen.
Dabei entgeht Gombocz allerdings, daß die Interpretation der Philosophiegeschichte auf "realgeschichtlicher" Grundlage ein Deutungsschema darstellt, das sich nicht von selbst versteht. Sicher, der Geist entwickelt sich nicht unabhängig von der Materie, aber welches genau ist der Zusammenhang beider? Ist es zum Beispiel bedeutsam, daß die Verurteilung des Origenes in eine Zeit fällt, da es erste Christengemeinden in Indien gab? Ein solches nacktes Faktum, von Gombocz ohne weitere Erläuterung in den Raum gestellt, erhellt gar nichts. Gombocz ist der Illusion zum Opfer gefallen, die von ihm zitierten "wirklichen Erfahrungen" seien objektiver als andere geschichtsphilosophische Deutungsversuche der Philosophiegeschichte. Aus diesem versteckten Positivismus erklärt es sich vielleicht, daß sich für Gombocz alle großen metaphysisch-spekulativen Philosopheme der behandelten Zeitspanne als mangelhaft erweisen. "Der Augustinusmus", so schreibt er, "trägt die Wahrscheinlichkeit eines inneren Zusammenbruchs in sich." Auch jede christliche Gotteslehre muß "im Prinzip" "zusammenbrechen", heißt es im Kapitel zu Eriugena. Anselms Gottesbeweis, den Gombocz am Ende des Bandes mittels der symbolischen Logik Bertrand Russells analysiert, ist "aus formal-logischen Gründen abzulehnen". Diese Argumentation ist durchaus nicht abwegig. Abwegig ist es, eine notwendigerweise von einem bestimmten Standpunkt her geschriebene Philosophiegeschichte als voraussetzungslos auszugeben. PHILIPP W. ROSEMANN
Wolfgang L. Gombocz: "Die Philosophie der ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters". Geschichten der Philosophie. Herausgegeben von Wolfgang Röd, Band IV. Verlag C. H. Beck, München 1997. 513 S., br., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wolfgang Gombocz publiziert ein Handbuch der spätantiken und frühmittelalterlichen Philosophie
Der englischsprachige Philosophiehistoriker verfügt seit Ende der sechziger Jahre mit der von A. H. Armstrong herausgegebenen "Cambridge History of Later Greek and Early Medieval Philosophy" über ein vielfach benutztes, freilich inzwischen etwas veraltetes Standardwerk. In der deutschsprachigen Fachliteratur fehlte bisher ein vergleichbares Referenzwerk zu der für die Entwicklung des christlichen Abendlandes so wichtigen spätantiken und frühmittelalterlichen Periode der Philosophiegeschichte. Diesem Mangel hat jetzt der Grazer Philosoph Wolfgang Gombocz mit seiner über fünfhundert Seiten starken "Philosophie der ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters" abgeholfen, die als vierter Band in der von Wolfgang Röd herausgegebenen, auf zwölf Bände konzipierten Geschichte der (westlichen) Philosophie erschienen ist.
Die Philosophie der ausgehenden Antike und des beginnenden Mittelalters ist durch die Entwicklung eines Platonismus geprägt, der die Anfänge der Philosophie im Christentum stark beeinflußt hat. Der erste Teil des Bandes setzt mit dem sogenannten Mittelplatonismus ein (um 70/40 vor bis 220/250 nach Christus, einer Periode, die unter dem Einfluß der Zahlenspekulation des Pythagoras und der Neupythagoreer steht. Der zweite Teil konzentriert sich auf die Darstellung des eigentlichen Neuplatonismus und seiner wichtigsten Vertreter, wobei die Lehre Plotins (204/5 bis 270) aufgrund ihrer spekulativen Kraft und historischen Bedeutung zu Recht die detaillierteste Darstellung erfährt. Im dritten Teil widmet Gombocz sich den Anfängen des philosophischen Denkens bei den Christen. In mehreren Kapiteln geht er auf die lateinischen und griechischen Kirchenväter ein, wobei die einflußreichsten Denker der Patristik - Augustinus im Westen und Pseudo-Dionysius im Osten - im Mittelpunkt stehen. Der abschließende vierte Teil behandelt die Anfänge der lateinischen Scholastik und ihre herausragenden Vertreter wie etwas Boethius, Johannes Scotus Eriugena und Anselm von Canterbury.
Gombocz hat mit diesem Werk ein verläßliches und philosophisch anspruchsvolles Arbeits- und Lesebuch geschaffen, das seinem Anspruch, in engem Kontakt sowohl zu den Quellen als auch der neuesten Forschungsliteratur geschrieben zu sein, durchaus gerecht wird. Ja, man darf sich angesichts des hohen Diskussionsniveaus und der durchgängig vorausgesetzten Lateinkenntnisse fragen, ob das Werk seiner Beschreibung auf dem Umschlag entspricht, nämlich "einführend und allgemeinverständlich" zu sein. Der Band richtet sich wohl eher an das Fachpublikum. Unbefriedigend ist die zugrunde liegende philosophiegeschichtliche Methodologie. Der Autor weist resolut alle "erfahrungsunabhängigen" und "vorgegebenen" "Deutungsschemata" zurück, welche ihn davon abhalten könnten, die philosophischen Bemühungen der ausgehenden Antike und des beginnenden Mittelalters als eine "Auseinandersetzung mit wirklichen Erfahrungen" zu verstehen. Sein gesamtes Unterfangen will er in einen "realgeschichtlichen Horizont" einbetten, anstatt wie etwa Hegel die Ideengeschichte als eine zielgerichtete Selbstentwicklung des Geistes zu begreifen. Zu den Quellen will Gombocz zurückkehren, ohne diese durch "Bezugnahmen auf die moderne Philosophie" zu verfälschen.
Dabei entgeht Gombocz allerdings, daß die Interpretation der Philosophiegeschichte auf "realgeschichtlicher" Grundlage ein Deutungsschema darstellt, das sich nicht von selbst versteht. Sicher, der Geist entwickelt sich nicht unabhängig von der Materie, aber welches genau ist der Zusammenhang beider? Ist es zum Beispiel bedeutsam, daß die Verurteilung des Origenes in eine Zeit fällt, da es erste Christengemeinden in Indien gab? Ein solches nacktes Faktum, von Gombocz ohne weitere Erläuterung in den Raum gestellt, erhellt gar nichts. Gombocz ist der Illusion zum Opfer gefallen, die von ihm zitierten "wirklichen Erfahrungen" seien objektiver als andere geschichtsphilosophische Deutungsversuche der Philosophiegeschichte. Aus diesem versteckten Positivismus erklärt es sich vielleicht, daß sich für Gombocz alle großen metaphysisch-spekulativen Philosopheme der behandelten Zeitspanne als mangelhaft erweisen. "Der Augustinusmus", so schreibt er, "trägt die Wahrscheinlichkeit eines inneren Zusammenbruchs in sich." Auch jede christliche Gotteslehre muß "im Prinzip" "zusammenbrechen", heißt es im Kapitel zu Eriugena. Anselms Gottesbeweis, den Gombocz am Ende des Bandes mittels der symbolischen Logik Bertrand Russells analysiert, ist "aus formal-logischen Gründen abzulehnen". Diese Argumentation ist durchaus nicht abwegig. Abwegig ist es, eine notwendigerweise von einem bestimmten Standpunkt her geschriebene Philosophiegeschichte als voraussetzungslos auszugeben. PHILIPP W. ROSEMANN
Wolfgang L. Gombocz: "Die Philosophie der ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters". Geschichten der Philosophie. Herausgegeben von Wolfgang Röd, Band IV. Verlag C. H. Beck, München 1997. 513 S., br., 49,80 DM.
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