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Gerhard Kolbs Geschichte ökonomischen Denkens
Gerhard Kolb: Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Dogmenhistorische Positionen des ökonomischen Denkens. Zweite, überarbeitete Auflage, Verlag Franz Vahlen, München 2004, 219 Seiten, 20 Euro.
Theoriegeschichte hat in der Wirtschaftswissenschaft der Gegenwart derzeit nur einen geringen Rang. Während zu Zeiten der historischen Schule der deutschen Nationalökonomie die Geschichte alles überwucherte, ist dies gegenwärtig mit dem theoretischen Ansatz der Fall. Namentlich das immer noch dominierende makroökonomische Interesse scheint jede historische Betrachtung überflüssig zu machen. Geschichtliche Reflexion ist jedoch ein erprobtes Mittel, um an Aufgabenstellungen und Problemlösungen der Wirtschaftstheorie verständnisvoll heranzuführen. Dabei darf die Ordnung als Ganzes nicht aus den Augen verloren werden. Voraussetzung einer guten Theoriegeschichte wären daher erstens eine Kenntnis der Schlüsselwerke aus erster Hand, zweitens ein eigener ordnungstheoretischer Standort, der hilft, die jeweiligen Bausteine in das Ganze einzufügen, selbst bei nicht vermeidbarer Subjektivität, und drittens eine didaktische Aufarbeitung, die Stoffüberfüllung genauso vermeidet wie eklektische Meinungssammelei. Bis heute unübertroffenes Meisterwerk der Gattung ist immer noch das von Kolb auch gern zitierte, bekannte Geschichtsbuch von Charles Gide und Charles Rist.
Wie sieht es unter diesen Gesichtspunkten mit Gerhard Kolbs historischer Bemühung aus? Positiv zu vermerken ist, daß überhaupt ein deutscher Autor sich gegenwärtig an eine solche Geschichte wagt. Ferner, daß es ihm in den ersten Teilen gelingt, die jeweiligen Lehrmeinungen in bezug zu Fragestellungen und Problemlösungen des Fachs in der Gegenwart zu stellen und dadurch interessant zu machen. Die Gliederung für die ältere Geschichte ist plausibel und schließt sich im übrigen vielfach an Gide/Rist an. Was Kolb jedoch im Unterschied zu diesen Autoren häufig unterläßt, ist eine Beurteilung der jeweiligen Lehrmeinung vom derzeitigen Wissen aus. Der Leser erhält beispielsweise marxistische Ladenhüter wie die "Bewegungsgesetze des Kapitalismus" ohne Kommentar präsentiert. Besonders schmerzlich muß man aber die Lücken im zwanzigsten Jahrhundert empfinden. Die Wiener Schule der Wirtschaftswissenschaft wird nur in ihrer ersten Generation (Carl Menger, Friedrich von Wieser, Eugen von Böhm-Bawerk) vorgestellt. Nicht einmal der große Ludwig von Mises und seine Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Ordnungsentwurf werden erwähnt - dagegen erhält der deutsche Kameralist Johann Justi eine ganze Seite.
Die Theorie löst sich im zwanzigsten Jahrhundert bei Kolb auch fast gänzlich von den wirtschaftshistorischen Ereignissen. So wird auf das Experiment mit zentraler Planwirtschaft und die Gründe seines Scheiterns nicht eingegangen - das wirtschaftshistorische Zentralereignis des Jahrhunderts! Auch Hayeks Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialtheorie werden nur beiläufig erwähnt. Die Schule der amerikanischen Linie der "Austrian Economics" erfährt keinerlei Würdigung, während dem Keynesianismus samt neuerer Verästelungen eine unverhältnismäßige Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Neuerungen der Public-Choice-Schule bleiben dem Leser fast vorenthalten, ebenso die vielen Innovationen der Chicago-Schule oder die interessanten Ansätze der amerikanischen Institutionentheorie. So ist das Urteil über dieses Buch gespalten: Der Abschnitt über die ältere Geschichte - obwohl leider überwiegend aus zweiter Hand geschrieben - ist lobenswert. Für die Lehrmeinungen des zwanzigsten Jahrhunderts und ihre Beziehung zur historischen Realität sucht man sich aber besser andere Autoren.
GERD HABERMANN
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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