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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Unvermeidliche Leerstellen inklusive: Akira Iriye und Jürgen Osterhammel beschließen ihre Globalgeschichte mit einem Band über die Welt seit 1945
Am Ende stehen Fukushima, der arabische Frühling und vor allem Barack Obama. Die Demonstranten am Tahrir-Platz, das zerstörte japanische Atomkraftwerk und der Jubel von Kenia bis Deutschland über die Wahl des ersten farbigen amerikanischen Präsidenten. Überall auf dem Globus fühlten Menschen sich von diesen Momenten angesprochen und betroffen, als Teil einer gemeinsamen Geschichte. Dieses Gefühl des Vernetztseins stellt der Herausgeber und Mitautor Akira Iriye an das Ende seiner Interpretation der "Geschichte der Welt" nach 1945.
Damit schließt das Buch den Entwurf einer umfassenden Globalgeschichte ab, deren Anspruch es ist, menschliche Erfahrung von der Antike bis heute zu erfassen. Der vorliegende sechste Teil konzentriert sich auf die Zeit seit Ende des Zweiten Weltkriegs, ohne Frage eine Periode zunehmender weltweiter Verknüpfungen. Getragen wird das Projekt von einigen der profiliertesten Historiker aus Deutschland und den Vereinigten Staaten, wo die Globalgeschichte als Forschungsrichtung seit einigen Jahren einen bemerkenswerten Boom erfährt. Vereinfacht gesagt, zielt der Forschungsansatz darauf, Geschichte sowohl territorial als auch methodisch umfassend zu sehen.
Das Feld ist die Welt - von Bali bis Feuerland und vom Jazz bis zur Atombombe. Eine solche totale Geschichtsforschung kann nie ganz gelingen. Stets müssen wichtige Aspekte geopfert werden, um die Komplexität menschlicher Vergangenheit beherrschbar zu machen. Dementsprechend versucht der letzte Band gar nicht erst, eine Geschichte der Welt chronologisch zu erzählen, sondern stellt fünf gleichwertige Teile nebeneinander, die jeweils eine Dimension beleuchten.
Den Anfang macht Wilfried Loth mit einer Studie zu Staaten und Machtbeziehungen im Wandel. Knapp und präzise umreißt Loth die wesentlichen politischen Ereignisse seit 1945. Im Zentrum stehen der Kalte Krieg und dessen Nachwirkungen. Das ist klar und anschaulich geschrieben, und an einigen Stellen vertritt der Bochumer Historiker originelle Positionen. So betont er etwa die Kontingenz der bipolaren Konfrontation, deren Beginn letztlich von keiner Seite wirklich gewollt war. Dass Loth sich dabei auf Europa konzentriert, ist konsequent, auch wenn dafür andere Regionen - vor allem Lateinamerika - wenig Beachtung finden.
Im zweiten Teil setzt sich Thomas Zeiler mit der ökonomischen Globalisierung auseinander. Er beschreibt die Entwicklung der Weltwirtschaft als einen fortlaufenden Prozess sich öffnender Türen. Auch hier spielt der Ost-West-Konflikt eine zentrale Rolle. Von Bretton Woods und dem Marshallplan bis zur Gründung der WTO betont Zeiler die Bedeutung politischer Weichenstellungen im Kontext des Systemkonflikts. Er konzentriert sich vor allem auf die Liberalisierung des Handels, lässt jedoch auch die Diskussion über die Entwicklung der Dritten Welt und die rasche Industrialisierung in Asien nicht außer Acht. Leider werden dabei die Zusammenhänge nicht immer deutlich. Die Finanzkrise von 2008 scheint unvermittelt über die Welt hereinzubrechen, ohne dass sie in den größeren Kontext eingeordnet wird. Verdient Bob Geldof wirklich mehr Aufmerksamkeit als Milton Friedman oder Alan Greenspan? Dennoch liefert Zeiler einen überzeugenden Überblick über die wirtschaftliche Globalisierung.
Daran schließt der überragende umweltgeschichtliche Teil von John R. McNeill und Peter Engelke an. In einer klaren Sprache gelingt es den beiden amerikanischen Autoren, das globale Zusammenspiel von Mensch und Umwelt nach 1945 zu verdeutlichen, von der Zerstörung des Aralsees bis zum Himmel über der Ruhr und dem Smog in Mexico City. Indem sie die zunehmenden Eingriffe der Zivilisation in das biologische Gleichgewicht herausarbeiten, setzen sie zugleich einen Kontrapunkt zum Optimismus der anderen Beiträge. Die übrigen Autoren heben das gestiegene Niveau an Frieden und Wohlstand hervor. McNeill und Engelke mahnen hingegen, dass dieser Fortschritt gänzlich in Frage gestellt wird, wenn es nicht gelingt, nachhaltiger zu wirtschaften.
Petra Gödde behandelt den Bereich der Kultur. Sie zeigt, wie eine Vielzahl kultureller Phänomene zunehmend weltweite Bedeutung erlangte. Die größere internationale Verknüpfung führt aber nicht nur zu einer größeren Homogenität, sondern zugleich auch zu einem globalen Nebeneinander von Kulturen, so Göddes Resümee. In Singapur oder Lissabon findet sich sowohl die globale Fastfood-Kette als auch der vietnamesische Imbiss. Nicht nur hier geht eine größere Einheitlichkeit mit einer Zunahme an Unübersichtlichkeit einher. Diesen Umstand greift auch Akira Iriye im Schlusskapitel auf. Unter dem Gesichtspunkt der Transnationalität betrachtet er die exponentielle Zunahme an grenzüberschreitenden Verbindungen in den letzten Jahrzehnten. Angesichts der Vielzahl ökonomischer, kultureller und menschlicher Kontakte postuliert Iriye die Entstehung eines transnationalen Bewusstseins in weiten Teilen der Welt. Wenn er am Ende die Wahl Obamas als einen globalen Schlüsselmoment betrachtet, sieht er den Präsidenten nicht als Heilsbringer. Wichtiger erscheint ihm die weltweite Anteilnahme und Unterstützung für Obamas Ziele.
Diese Entwicklung sieht er als fundamental positiv und hebt hervor, dass weder der Kalte Krieg noch der internationale Terrorismus den Trend zur globalen Verständigung aufhalten konnten. Man muss diesen Optimismus nicht teilen. Aber nach dem Ende historischer Großerzählungen stellt er doch den spannenden und mutigen Versuch dar, der Geschichte einen Sinn zu geben. Anmerkend könnte man fragen, warum manche Themen im Buch so gut wie gar nicht auftauchen. Die Globalisierung der Finanzwelt beispielsweise, einschließlich der Steueroasen, fehlt als Thema nahezu komplett. Auch der Sozialstaat kommt praktisch nicht vor. Obwohl oft explizit national, ist die Entwicklung sozialer Fürsorge - vom Beveridge Report bis zu Obamacare und aktuellen Diskussionen in Asien - ein Phänomen, von dem ein Großteil der Weltbevölkerung betroffen ist. Die globalen Zusammenhänge sind hier weniger anschaulich als bei der Vermarktung der amerikanischen Baseball-Liga, aber beileibe nicht minder bedeutsam.
Wer die mehr als achthundert Seiten am Stück liest, wird zudem Mühe haben, einen größeren Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen zu sehen. Zu groß sind die Unterschiede zwischen den inhaltlichen Schwerpunkten. Aber vielleicht liegt gerade in dem bewussten Verzicht auf eine Synthese die Botschaft. Die Geschichte der Zeit seit 1945 hat zu viele Dimensionen, um sie auf eine Deutungsmöglichkeit zu begrenzen. Wer sich darauf einlässt, wird in dem Buch ein beeindruckendes Panorama der Globalisierung und Schlüssel zum Verständnis unserer Zeit finden.
MARTIN ALBERS.
Akira Iriye und Jürgen Osterhammel: "Geschichte der Welt 1945 bis heute". Die globalisierte Welt.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 955 S., Abb., geb., 48,- [Euro].
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