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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Sollte es im Nach-Hitler-Deutschland eine Demokratie oder etwa eine Diktatur geben?
Ursula Langkau-Alex: Deutsche Volksfront 1932-1939. Band 1: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Band 2: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Band 3: Dokumente, Chronik und Verzeichnisse. Akademie-Verlag, Berlin 2004 und 2005. 358 Seiten, 590 Seiten und 544 Seiten, 39,90 [Euro], 59,80 [Euro] und 59,80 [Euro].
Die emigrierten Gegner des Nationalsozialismus blieben im Exil politisch zerstritten und fanden zu keinem gemeinsamen Programm für die Zeit nach Hitler. Die von Ursula Langkau-Alex vorgelegte Studie über den Pariser "Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront" gibt Aufschluß über historische Hintergründe und politische Gegensätze, die in den dreißiger Jahren eine Einigung der NS-Gegner unmöglich machten.
Der Volksfrontgedanke trat nicht, wie manch nachgeborener "Antifaschist" glaubte, als kommunistische Erfindung in die Welt. Im Januar 1932 rief der parteilose Oberbürgermeister Berlins Heinrich Sahm zur Bildung einer "Volksfront für den Reichspräsidenten von Hindenburg" auf. Unterstützer Hindenburgs wie Gerhart Hauptmann, Max Liebermann, Ernst Lemmer und Gustav Noske bildeten in Berlin einen "Hindenburg-Ausschuß" und priesen ihren Favoriten als Garanten für eine "Überwindung des Parteigeistes" und "Sinnbild der Volksgemeinschaft" an. Tatsächlich brachten die Auseinandersetzungen um die Reichspräsidentenwahl im Frühjahr 1932 schließlich ein Zweckbündnis hervor, das vom konservativen Flügel des Weimarer Parteienspektrums bis zur Sozialdemokratie reichte. Nachdem KPD, NSDAP und "Stahlhelm" mit Ernst Thälmann, Adolf Hitler und Theodor Duesterberg jeweils ihre eigenen Kandidaten nominiert hatten, trat auch die SPD unter der Losung "Schlagt Hitler, darum wählt Hindenburg!" für eine Wiederwahl des Amtsinhabers ein, der sich am 10. April 1932 im zweiten Wahlgang durchsetzte. Doch die große Koalition, die Hindenburgs Sieg ermöglicht hatte, bestand ein knappes Jahr später nur noch aus Verlierern und Verfolgten.
Im Exil sahen sich bald viele der Hindenburg-Unterstützer des Jahres 1932 wieder und binnen kurzem mit der Idee einer neuen, ganz anderen Volksfront konfrontiert. Vertreten wurde sie ausgerechnet von der KPD, die bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung verbissen und unversöhnlich eigene Umsturzpläne gegen die Weimarer Republik verfochten und vor allem die SPD als Partei des "Sozialfaschismus" bekämpft hatte. Die KPD-Volksfront sollte von ganz links bis zu oppositionellen Nationalsozialisten reichen. Es nimmt kaum wunder, daß insbesondere die nach Prag emigrierte SPD-Führung dem kommunistischen Volksfrontansinnen mit äußerstem Mißtrauen begegnete.
Der Mitverfasser des Heidelberger SPD-Programms, Rudolf Hilferding, verweigerte noch im Sommer 1935 die Unterzeichnung einer gemeinsamen Protesterklärung von Kommunisten und Sozialdemokraten gegen ein Todesurteil des NS-Volksgerichtshofes mit der Begründung, er könne nicht "mit Mördern gegen Mord" protestieren. Solange die Kommunisten für Diktatur und Terror einträten, schrieb Hilferding unter Bezugnahme auf Stalins Innenpolitik, lehne er jedes Zusammengehen mit den Repräsentanten dieser Politik ab. Am 23. November 1935 trafen Walter Ulbricht und Franz Dahlem als Vertreter des KPD-Zentralkomitees dann aber doch mit den Unterhändlern des Prager SPD-Exilvorstandes Hans Vogel und Friedrich Stampfer zu einem dreistündigen Meinungsaustausch zusammen. Die Sozialdemokraten waren auf das kommunistische Angebot eingegangen, nachdem Ulbricht ihnen in seinem schriftlichen Gesprächsangebot andeutete, die KPD wolle sich im Rahmen einer Einheits- und Volksfront nunmehr für die bürgerlichen Freiheiten einsetzen.
In Anbetracht der Tatsache, daß die Kommunisten 1918/19 für eine Räterepublik nach russischem Muster einen Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen hatten, war das zumindest ein vielversprechendes Zeichen. Einige führende Sozialdemokraten hofften, man könne die KPD auf einen demokratischen Kurs verpflichten. Zwar lehnte der SPD-Vorstand jede formelle Vereinbarung mit der KPD ab, entschied aber, sich zunächst einmal von den KPD-Emissären "die Ernsthaftigkeit ihrer jetzigen Überzeugung von der Bedeutung der Demokratie" erläutern zu lassen.
Was Walter Ulbricht und Franz Dahlem ihren sozialdemokratischen Gesprächspartnern in Prag vortrugen, konnte jedoch deren Skepsis nicht mindern. Vor allem lehnten die beiden KPD-Funktionäre die Forderung der SPD nach einem "Burgfrieden" im gegenseitigen Propagandakrieg ab, und Walter Ulbricht veröffentlichte schon kurz nach der Begegnung einen Artikel, in dem er den SPD-Vorstand für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich machte. Bereits im Dezember 1935 strich die KPD-Führung das Bekenntnis zu einer frei gewählten und verfassunggebenden Nationalversammlung auch schon wieder aus dem Parteiprogramm.
Bereits vor den Prager Sondierungen zwischen der SPD- und KPD-Führung versuchten in Paris Emigranten aus verschiedenen politischen Parteien und Lagern eine "deutschen Volksfront" ins Leben zu rufen. Eine zentrale Rolle spielten dabei Heinrich Mann - 1932 ebenfalls Hindenburg zugeneigt - sowie der ehemalige preußische Innenminister Rudolf Breitscheid (SPD) und der frühere Chef des Medienimperiums der KPD Willi Münzenberg. Am 22. November 1935 kam es im Pariser Hotel Lutetia zu einem Treffen von rund vierzig deutsche Emigranten, darunter viele aus dem heillos untereinander zerstrittenen linken Spektrum, aber auch einige liberale und konservative Geister. Vereinbart wurden allerlei Absprachen und programmatische Verhandlungen und eine weitere Konferenz, die am 2. Februar 1936 im gleichen Hotel in erweiterter Zusammensetzung stattfand. Unter dem Vorsitz Heinrich Manns trafen sich nunmehr weit über einhundert politische Emigranten, um über den Kampf gegen das NS-Regime zu beraten. Mit dabei profilierte Intellektuelle wie Ludwig Marcuse, Max Horkheimer, Alfred Kerr, Ernst Toller, Leopold Schwarzschild und vermutlich auch Ernst Bloch. Von sozialdemokratischer und sozialistischer Seite nahmen Rudolf Breitscheid, Kurt Glaser, Otto Kirchheimer, Jacob Walcher, Marie Juchacz und Wilhelm Hoegner teil. Die Kommunisten waren durch zahlreiche Spitzenfunktionäre vertreten, darunter Walter Ulbricht, Herbert Wehner, Willi Münzenberg, Alfred Kantorowicz, Gustav Regler und Willi Bredel.
Die Versammlung, mit der die "Schaffung der deutschen Volksfront" eigentlich beginnen sollte, einigte sich jedoch lediglich auf einen Amnestie-Appell für die politischen Gefangenen in Deutschland. Über die Frage, wie Deutschlands Verfassung nach Hitler aussehen sollte, gingen die Meinungen weit auseinander. Außerdem tobten in mehreren der beteiligten politischen Organisationen heftige Richtungskämpfe. Willi Münzenberg stand bereits unter dem Argwohn von Ulbricht und Wehner, Rudolf Breitscheid handelte ohne Mandat des SPD-Vorstandes, und linke Splittergruppen wie Willy Brandts "Sozialistische Arbeiterpartei" oder die KP-Opposition kritisierten den Volksfrontkurs generell als Verrat an Lenins Idee von der Diktatur des Proletariats.
Die Diktatur des Proletariats in der Sowjetunion unter Lenins Nachfolger Josef Stalin behinderte freilich den Einigungsprozeß der deutschen Hitlergegner im westlichen Exil mehr als alle programmatischen Spiegelfechtereien. Im Januar 1935 verurteilte die sowjetische Justiz eine ganze Reihe alter und international bekannter Bolschewisten wegen Verrats zu langjährigen Haftstrafen. Im August 1936 folgten zum Entsetzen vieler Politemigranten Todesurteile gegen sechzehn frühere Mitstreiter Lenins, darunter die ehemaligen Politbüromitglieder Leo Kamenjew und Gregor Sinowjew. Die SPD-Zeitung "Neuer Vorwärts" bezeichnete in dieser Situation die sowjetische Staatsverfassung als "Verbindung einer totalitären Diktatur mit den äußeren Formen der Demokratie". Wenige später beschimpfte die kommunistische Presse den SPD-Vorstand als "Advokaten der trotzkistisch-sinowjewistischen Banditen". Angesichts dieser Streitigkeiten wundert es nicht, daß der "Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront" unter bürgerlichen und jüdischen Flüchtlingen kaum Interesse fand. Auch die zahlreichen Facharbeiter unter den rund 35.000 deutschen Emigranten in Frankreich konnten sich nicht an den endlosen Volksfrontdebatten der Funktionäre und Intellektuellen beteiligen. Sie lebten weit verstreut in ihrem Gastland, je nachdem wo sich Arbeit finden ließ.
Ursula Langkau-Alex zeichnet sorgfältig die endlosen Programm- und Strategiediskussionen im Pariser Mikrokosmos der deutschen Emigration nach. Gelegentlich mischt sich die Autorin mit eigenen Ideen und Vorlieben in das historische Geschehen ein. Doch das fällt angesichts der immensen Materialfülle, die sie ausbreitet, kaum ins Gewicht. Angesichts vieler weithin vergessener Akteure und Organisationen aus der Exilzeit ist das Sach- und Namensregister des dritten Bandes eine unerläßliche Lesehilfe. Das gilt auch für die detaillierte Chronik, die leider etwas ausufernd mit allgemein Bekanntem bereits 1918 beginnt. Doch für manchen Zeitgenossen begann genau da die neue Zeit.
Am Ende aller Illusionen stand 1939 der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. Die KPD verbreitete kurz nach dem Bekanntwerden des Paktes eine Erklärung, in der es hieß, die Sowjetunion werde nun "Hitler zum Frieden zwingen". Diese Verblendung machte sich im Exil außer Parteikommunisten kaum noch jemand zu eigen. Die Autorin meint aber, auch einige "bürgerliche militante antifaschistische Humanisten" hätten den Hitler-Stalin-Pakt begrüßt und verweist auf Heinrich Mann als Prototyp dieser Spezies. Doch der Schriftsteller präsidierte 1939 einem "Volksfrontausschuß", in dem fast nur noch Kommunisten um ihn herum saßen. Selbst der damals weit links stehende Jungsozialist Willy Brandt entzog ihm seine Unterstützung. Als Sekretär führte Albert Norden, ein späteres SED-Politbüromitglied, die Geschäfte des "Heinrich-Mann-Ausschusses".
Fast hätte der Schriftsteller 1950 die bewährte Zusammenarbeit beim repräsentativen Präsidieren wiederaufgenommen. Die Koffer für seine Reise aus den Vereinigten Staaten nach Ost-Berlin waren schon gepackt, als der Tod ihn ereilte. Zum hundertsten Geburtstag des Dichters im März 1971 erklärte der Vorsitzende des "Heinrich-Mann-Komitees" Walter Ulbricht: "Es darf den antihumanistischen Geschichtsklitterern und Verbreitern der amerikanisierten Unkultur in Westdeutschland nicht gelingen, Heinrich Mann zu diskriminieren, denn Heinrich Mann ist unser!" Ganz falsch war das nicht.
JOCHEN STAADT
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