Dem 1988 vorgelegten ersten Band einer Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland (1600-1800) folgt hier der zweite Band. Er behandelt das 19. Jahrhundert - vom Ende des Alten Reichs 1806 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Es ist die Zeit des Rheinbundes und des Wiener Kongresses, der Restauration und des "Biedermeier", der Verfassungsbewegung in den Staaten des Deutschen Bundes, der Revolution von 1848/49, der erneuten Restauration, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs von 1871. Auf diesem Hintergrund entfalten sich die Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes und der Einzelstaaten sowie die übergreifenden Deutungen der Allgemeinen Staatslehre. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kommen Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre als Erben der "Polizeiwirtschaft" hinzu. Das Buch hält zwar die Bilder der Verfassungskämpfe, der politischen Unterdrückung und der National- und Freiheitsbewegung stets präsent. Im Mittelpunkt des Interesses stehen aber nicht Ereignis- und Verfassungsgeschichte, sondern das staatsrechtliche und staatsphilosophische Denken, die Wechselwirkung zwischen theoretischem System und politischem Kontext sowie die schrittweise Herausbildung einer der Verfassungslage und dem Postulat des Rechtsstaats entsprechenden Verwaltungslehre. Michael Stolleis geht diesen Entwicklungen nicht nur auf den unterschiedlichen Ebenen nach, sondern er würdigt außer den Berühmtheiten auch die heute gänzlich vergessenen lokalen Autoren. Auf diese Weise gelingt ihm für das 19. Jahrhundert der "Versuch..., die Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts zu rekonstruieren und sie mit der Verfassungsgeschichte und der allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Geschichte möglichst eng zu verbinden". Das Buch endet mit Reflexionen über den für Deutschland schicksalhaften Transformationsprozeß vom Nationalstaat zum Staat der Industriegesellschaft an der Schwelle zum 20. Jahrhundert.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2001Äußerer und innerer Bedeutungsverlust
Michael Stolleis' imponierende Geschichte des öffentlichen Rechts: Band 3 über die Jahre 1914 bis 1945
Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Dritter Band: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914-1945. Verlag C. H. Beck, München 1999. 439 Seiten, 128,- Mark.
Dieses Buch ist eine einzige Freude. Und die beginnt bereits mit dem Umschlagbild. Es zeigt das von Christo und Jeanne-Claude verhüllte Reichstagsgebäude. Dieses Ereignis nimmt der Autor in seinem Vorwort als Anknüpfungspunkt. Er sieht den verhüllten Reichstag zu Recht als ein für sein Werk "geeignetes politisches Emblem". In der Tat: "In der Verhüllung enthüllte es sich noch einmal", nämlich das Rätsel, das der Parlamentarismus für die Deutschen war und manchem noch immer ist. Dessen Geschichte in der Zeit von 1914 bis 1945 erzählt Michael Stolleis - ein narratives Unternehmen, ein spannendes, intellektuelles Vergnügen.
Auf der ersten Seite steht das Bekenntnis des Autors - wer Eingeständnis sagte, verriete ein Geschichtsverständnis, das schwerlich noch das heutige sein darf -, daß er sich mehr und mehr im klaren darüber sei, "wie unausweichlich und wie subjektiv die vielen direkten und indirekten Werturteile sind, mit deren Hilfe man versucht, sprachgebundene Vergangenheit zu rekonstruieren". Sprachgebundene Vergangenheit! Diese kluge Einsicht, um die Stolleis den meisten um Längen voraus ist, hätte er noch ein Stück vorantreiben können, um dann - wie sein niederländischer Historikerkollege Chris Lorenz - von "Konstruktion der Vergangenheit" zu sprechen. Denn erst das ist die schonungslose Umsetzung der Erkenntnis von der Sprachgebundenheit alles dessen, was ist oder gewesen ist. Doch diesen letzten Schritt scheut selbst Lorenz noch und belegt so einmal mehr, wie schwer es ist, sich von den ontologischen und epistemologischen Fesseln zu befreien, die man jedem schon in frühester Kindheit angelegt hat.
Zu den nachhaltig prägenden Vorurteilen zählt die für viele Rechtswissenschaftler verführerische Vorstellung einer linienförmig verlaufenden Entwicklung ihres jeweiligen Faches. Ein Gedanke, der "meist noch Elemente von Determinismus enthält oder Fortschritte suggeriert". Doch solches Denken ist "jedenfalls in der Rechtswissenschaft eher irreführend". Die gegenteilige Erkenntnis aber führt mitten hinein in die Problematik eines Historikers, der nicht mehr kann, was andere fahrlässig guten Glaubens noch meinen tun zu können: eine fix und fertig vorgegebene Geschichte nur noch nachzuerzählen. Wer es, wie der Autor, besser weiß, für den wird, gewollt oder ungewollt, ohnehin aus Rekonstruktion Konstruktion.
Diese beginnt im dritten Band der umfänglichen "Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland" im August 1914 - das heißt mit der normativen Bestimmung dessen, was diese "Zäsur der Weltgeschichte" ausmacht. Damit beginnt für Stolleis zugleich "Der lange Abschied" vom 19. Jahrhundert und damit die Konstruktion der Geschichte, die er mit langem Atem meisterlich erzählt.
Das wohl bewegendste, aufregendste Kapitel handelt von der "Zerstörung und Selbstzerstörung eines Faches". Was unter zum Teil massiver Selbstbeteiligung der "Öffentlichrechtler" zerschlagen wurde, waren die überlieferten Leitbilder mit den dazugehörigen Symbolbegriffen. Wobei man freilich darum bemüht war, daß nicht alles auf einmal verraten und vernichtet wurde - jedoch nur, um nicht auch alle diejenigen mit einem Schlag zu treffen, auf deren Mitwirkung sich die Nationalsozialisten angewiesen sahen: Richter, Beamte und Rechtswissenschaftler. Um diese nicht sofort zu verprellen, mußte eine "wohlklingende Formel" her. Ihr Name: "Nationaler Rechtsstaat".
Der "Nationale Rechtsstaat" sollte den verhaßten liberalen Rechtsstaat ersetzen. Freilich war in der neuen Bezeichnung immer noch das Recht aufgehoben. Aus der NSDAP heraus wurde deshalb eine "Gegenformel" präsentiert: "Völkischer Führerstaat". Sie "verzichtete auf rechtliche Sicherungen und wirkte durch Hervorhebung des rassistischen und autoritären Elements bedrohlich". Selbst das war vielen noch zuviel. Ein Zuviel an Ordnung, abzulesen an dem deshalb tunlichst zu tilgenden Element "Staat". Darum unternahmen es die "radikalsten Vertreter der NSDAP . . ., auch dieses Element noch durch ,Gemeinschaft' zu substituieren".
Diese Minibegriffsgeschichte enthält bereits in nuce die Verfallsgeschichte des Faches Öffentliches Recht in den Jahren der NS-Diktatur, genauer: die Zerstörung einer Rechtskultur. Sie allein hätte es erlaubt, auch weiterhin von einem "Rechtsstaat" zu sprechen. Zu allen Zeiten ein wirkungsmächtiges "Symbolwort" - und ebendeshalb gehörte es abgeschafft: "Dieses Wort", erklärte Carl Schmitt, sei der "Wegbereiter von Liberaldemokratie, Judentum und Marxismus gewesen".
Der Kronjurist des Unrechtsstaates war nur einer, wenn auch einer der gefährlichsten wissenschaftlichen Akteure in diesem Trauerspiel. Ein anderer war Theodor Maunz, der juristischen Nachkriegsgeneration bestens bekannt als Begründer des renommiertesten Kommentars zum Bonner Grundgesetz und Verfasser des meistaufgelegten Lehrbuchs zum Staatsrecht. Seinen ersten Wandel hatte er 1937 dokumentiert mit dem Lehrbuch "Verwaltung". Damit häutete er sich recht rasch "vom positivistischen Verwaltungsjuristen vor 1933 zum Verfechter eines an ,Führergedanken, Gemeinschaft und völkischer Gliedstellung' orientierten ,neuen Verwaltungsrechts'". Und so geriet er, wie Stolleis an anderer Stelle treffend anmerkt (Juristen. Ein biographisches Lexikon. München 1995), "zum Exempel für die politische Instrumentierbarkeit der Staatsrechtslehre sowie für Konvergenzen zwischen der NS-Ideologie, nationalkonservativem bürgerlichen Denken und den damit vereinbarten Elementen der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung".
Eine mutige Bemerkung. Sie legt einen knappen Rückblick nahe auf die Weimarer Zeit. Hier wie stets erweist sich der profunde Rechtshistoriker Stolleis als überaus fairer Chronist. Einseitige Schuldzuweisungen sind seine Sache nicht. Und so sieht er die "Weimarer Zeit" gerade nicht als "Einbahnstraße, die notwendig zum Nationalsozialismus führen mußte". Obwohl es, wie Stolleis selbst am besten weiß, "methodologisch trivial ist", sagt er es dankenswerterweise dennoch und mit aller wünschenswerten Deutlichkeit: "Leicht wurde vergessen, daß die geistigen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik vor einem offenen Horizont geführt wurden, an dem (noch) nicht der Flammenschein des Holocaust erschien."
Zu diesen Auseinandersetzungen gehörte der "Methoden- oder Richtungsstreit". Dabei handelte es sich um eine "Generaldiskussion", die brisanter nicht sein konnte. Zweierlei stand für die Staatsrechtler auf dem Spiel: zum einen "die politische Form, unter der sie leben wollten", zum anderen "die elementaren methodischen Voraussetzungen der eigenen Disziplin". Nur eines war sicher: der Verlust der Sicherheit, die der zuvor herrschende Positivismus scheinbar gewährt hatte. Daran hat sich im übrigen bis heute auch in den anderen klassischen Disziplinen des Zivil- und Strafrechts wenig bis nichts geändert. Der Mythos des Gegebenen, des Vorgegebenen ist ungebrochen. Die einschlägige Metapher von der Rechts-Findung macht es überdeutlich. Indessen - das ist heute wie damals keine Besonderheit des Öffentlichen Rechts -, die sogenannten Praktiker des Rechts ficht das nicht an. Sie bearbeiten ihre Akten und schreiben ihre Urteile "auch so".
Die Frage läßt sich nicht unterdrücken, wer von den Praktikern ein solches Werk wie das von Stolleis liest. Denn er setzt "eine wohl überdurchschnittliche Vertrautheit mit den . . . Diskussionslinien der zeitgenössischen Philosophie" voraus. Dieser Vertrauensvorschuß gilt freilich dezidiert nur "Öffentlichrechtlern" und speziell denen der Weimarer Zeit. Der methodisch-methodologisch interessierte Leser freut sich nicht zuletzt deshalb auf den ausstehenden vierten Band, der dann die Zeit nach 1945 behandeln wird. Auf welchem intellektuellen Niveau wird er dann die Auseinandersetzungen über Methode und Methodologie des öffentlichen Rechts in Deutschland sehen?
Was wird man dann aus Stolleis' Sicht über jene erfahren, die stets glatt, aalglatt durchkamen und nun wieder da sind? Und wie wird ein Kapitel aussehen in Fortsetzung dessen, das für die Zeit des NS-Regimes den bezeichnenden Titel trägt: "Vertreibung und Revirement an den Universitäten"? In diesem Abschnitt zeigt sich erneut die besondere Kenner- und Könnerschaft des Autors. Die juristischen Fakultäten von insgesamt 29 "deutschen" Universitäten werden in Kurzporträts vorgestellt. Darunter die von Graz, Innsbruck, Königsberg, Wien, Prag und Posen! Eingearbeitet sind ausschnitthaft die Bilder der Professoren, der vertriebenen, der gebliebenen und der Neulinge. Der "äußere und innere Bedeutungsverlust des Staatsrechts" ist auch an den personellen Entwicklungen ablesbar; damit wird die Karriere der einzelnen über und unter dem Strich dokumentiert. Was da an Stoffmengen allein in den Fußnoten verarbeitet ist, nötigt Respekt ab. Und ganz nebenbei nennt eine Anmerkung die wichtigste Sekundärliteratur zur "cause célèbre des Rektors Martin Heidegger". Wer über eine Überzahl an Daten klagen sollte, übersähe, daß er zugleich ein Nachschlagewerk in Händen hält.
Das konnten nur Streiflichter sein auf ein so imponierendes, ein epochales Werk, dem für seine größere Verbreitung alsbald eine Taschenbuchausgabe folgen sollte.
WALTER GRASNICK
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Michael Stolleis' imponierende Geschichte des öffentlichen Rechts: Band 3 über die Jahre 1914 bis 1945
Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Dritter Band: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914-1945. Verlag C. H. Beck, München 1999. 439 Seiten, 128,- Mark.
Dieses Buch ist eine einzige Freude. Und die beginnt bereits mit dem Umschlagbild. Es zeigt das von Christo und Jeanne-Claude verhüllte Reichstagsgebäude. Dieses Ereignis nimmt der Autor in seinem Vorwort als Anknüpfungspunkt. Er sieht den verhüllten Reichstag zu Recht als ein für sein Werk "geeignetes politisches Emblem". In der Tat: "In der Verhüllung enthüllte es sich noch einmal", nämlich das Rätsel, das der Parlamentarismus für die Deutschen war und manchem noch immer ist. Dessen Geschichte in der Zeit von 1914 bis 1945 erzählt Michael Stolleis - ein narratives Unternehmen, ein spannendes, intellektuelles Vergnügen.
Auf der ersten Seite steht das Bekenntnis des Autors - wer Eingeständnis sagte, verriete ein Geschichtsverständnis, das schwerlich noch das heutige sein darf -, daß er sich mehr und mehr im klaren darüber sei, "wie unausweichlich und wie subjektiv die vielen direkten und indirekten Werturteile sind, mit deren Hilfe man versucht, sprachgebundene Vergangenheit zu rekonstruieren". Sprachgebundene Vergangenheit! Diese kluge Einsicht, um die Stolleis den meisten um Längen voraus ist, hätte er noch ein Stück vorantreiben können, um dann - wie sein niederländischer Historikerkollege Chris Lorenz - von "Konstruktion der Vergangenheit" zu sprechen. Denn erst das ist die schonungslose Umsetzung der Erkenntnis von der Sprachgebundenheit alles dessen, was ist oder gewesen ist. Doch diesen letzten Schritt scheut selbst Lorenz noch und belegt so einmal mehr, wie schwer es ist, sich von den ontologischen und epistemologischen Fesseln zu befreien, die man jedem schon in frühester Kindheit angelegt hat.
Zu den nachhaltig prägenden Vorurteilen zählt die für viele Rechtswissenschaftler verführerische Vorstellung einer linienförmig verlaufenden Entwicklung ihres jeweiligen Faches. Ein Gedanke, der "meist noch Elemente von Determinismus enthält oder Fortschritte suggeriert". Doch solches Denken ist "jedenfalls in der Rechtswissenschaft eher irreführend". Die gegenteilige Erkenntnis aber führt mitten hinein in die Problematik eines Historikers, der nicht mehr kann, was andere fahrlässig guten Glaubens noch meinen tun zu können: eine fix und fertig vorgegebene Geschichte nur noch nachzuerzählen. Wer es, wie der Autor, besser weiß, für den wird, gewollt oder ungewollt, ohnehin aus Rekonstruktion Konstruktion.
Diese beginnt im dritten Band der umfänglichen "Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland" im August 1914 - das heißt mit der normativen Bestimmung dessen, was diese "Zäsur der Weltgeschichte" ausmacht. Damit beginnt für Stolleis zugleich "Der lange Abschied" vom 19. Jahrhundert und damit die Konstruktion der Geschichte, die er mit langem Atem meisterlich erzählt.
Das wohl bewegendste, aufregendste Kapitel handelt von der "Zerstörung und Selbstzerstörung eines Faches". Was unter zum Teil massiver Selbstbeteiligung der "Öffentlichrechtler" zerschlagen wurde, waren die überlieferten Leitbilder mit den dazugehörigen Symbolbegriffen. Wobei man freilich darum bemüht war, daß nicht alles auf einmal verraten und vernichtet wurde - jedoch nur, um nicht auch alle diejenigen mit einem Schlag zu treffen, auf deren Mitwirkung sich die Nationalsozialisten angewiesen sahen: Richter, Beamte und Rechtswissenschaftler. Um diese nicht sofort zu verprellen, mußte eine "wohlklingende Formel" her. Ihr Name: "Nationaler Rechtsstaat".
Der "Nationale Rechtsstaat" sollte den verhaßten liberalen Rechtsstaat ersetzen. Freilich war in der neuen Bezeichnung immer noch das Recht aufgehoben. Aus der NSDAP heraus wurde deshalb eine "Gegenformel" präsentiert: "Völkischer Führerstaat". Sie "verzichtete auf rechtliche Sicherungen und wirkte durch Hervorhebung des rassistischen und autoritären Elements bedrohlich". Selbst das war vielen noch zuviel. Ein Zuviel an Ordnung, abzulesen an dem deshalb tunlichst zu tilgenden Element "Staat". Darum unternahmen es die "radikalsten Vertreter der NSDAP . . ., auch dieses Element noch durch ,Gemeinschaft' zu substituieren".
Diese Minibegriffsgeschichte enthält bereits in nuce die Verfallsgeschichte des Faches Öffentliches Recht in den Jahren der NS-Diktatur, genauer: die Zerstörung einer Rechtskultur. Sie allein hätte es erlaubt, auch weiterhin von einem "Rechtsstaat" zu sprechen. Zu allen Zeiten ein wirkungsmächtiges "Symbolwort" - und ebendeshalb gehörte es abgeschafft: "Dieses Wort", erklärte Carl Schmitt, sei der "Wegbereiter von Liberaldemokratie, Judentum und Marxismus gewesen".
Der Kronjurist des Unrechtsstaates war nur einer, wenn auch einer der gefährlichsten wissenschaftlichen Akteure in diesem Trauerspiel. Ein anderer war Theodor Maunz, der juristischen Nachkriegsgeneration bestens bekannt als Begründer des renommiertesten Kommentars zum Bonner Grundgesetz und Verfasser des meistaufgelegten Lehrbuchs zum Staatsrecht. Seinen ersten Wandel hatte er 1937 dokumentiert mit dem Lehrbuch "Verwaltung". Damit häutete er sich recht rasch "vom positivistischen Verwaltungsjuristen vor 1933 zum Verfechter eines an ,Führergedanken, Gemeinschaft und völkischer Gliedstellung' orientierten ,neuen Verwaltungsrechts'". Und so geriet er, wie Stolleis an anderer Stelle treffend anmerkt (Juristen. Ein biographisches Lexikon. München 1995), "zum Exempel für die politische Instrumentierbarkeit der Staatsrechtslehre sowie für Konvergenzen zwischen der NS-Ideologie, nationalkonservativem bürgerlichen Denken und den damit vereinbarten Elementen der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung".
Eine mutige Bemerkung. Sie legt einen knappen Rückblick nahe auf die Weimarer Zeit. Hier wie stets erweist sich der profunde Rechtshistoriker Stolleis als überaus fairer Chronist. Einseitige Schuldzuweisungen sind seine Sache nicht. Und so sieht er die "Weimarer Zeit" gerade nicht als "Einbahnstraße, die notwendig zum Nationalsozialismus führen mußte". Obwohl es, wie Stolleis selbst am besten weiß, "methodologisch trivial ist", sagt er es dankenswerterweise dennoch und mit aller wünschenswerten Deutlichkeit: "Leicht wurde vergessen, daß die geistigen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik vor einem offenen Horizont geführt wurden, an dem (noch) nicht der Flammenschein des Holocaust erschien."
Zu diesen Auseinandersetzungen gehörte der "Methoden- oder Richtungsstreit". Dabei handelte es sich um eine "Generaldiskussion", die brisanter nicht sein konnte. Zweierlei stand für die Staatsrechtler auf dem Spiel: zum einen "die politische Form, unter der sie leben wollten", zum anderen "die elementaren methodischen Voraussetzungen der eigenen Disziplin". Nur eines war sicher: der Verlust der Sicherheit, die der zuvor herrschende Positivismus scheinbar gewährt hatte. Daran hat sich im übrigen bis heute auch in den anderen klassischen Disziplinen des Zivil- und Strafrechts wenig bis nichts geändert. Der Mythos des Gegebenen, des Vorgegebenen ist ungebrochen. Die einschlägige Metapher von der Rechts-Findung macht es überdeutlich. Indessen - das ist heute wie damals keine Besonderheit des Öffentlichen Rechts -, die sogenannten Praktiker des Rechts ficht das nicht an. Sie bearbeiten ihre Akten und schreiben ihre Urteile "auch so".
Die Frage läßt sich nicht unterdrücken, wer von den Praktikern ein solches Werk wie das von Stolleis liest. Denn er setzt "eine wohl überdurchschnittliche Vertrautheit mit den . . . Diskussionslinien der zeitgenössischen Philosophie" voraus. Dieser Vertrauensvorschuß gilt freilich dezidiert nur "Öffentlichrechtlern" und speziell denen der Weimarer Zeit. Der methodisch-methodologisch interessierte Leser freut sich nicht zuletzt deshalb auf den ausstehenden vierten Band, der dann die Zeit nach 1945 behandeln wird. Auf welchem intellektuellen Niveau wird er dann die Auseinandersetzungen über Methode und Methodologie des öffentlichen Rechts in Deutschland sehen?
Was wird man dann aus Stolleis' Sicht über jene erfahren, die stets glatt, aalglatt durchkamen und nun wieder da sind? Und wie wird ein Kapitel aussehen in Fortsetzung dessen, das für die Zeit des NS-Regimes den bezeichnenden Titel trägt: "Vertreibung und Revirement an den Universitäten"? In diesem Abschnitt zeigt sich erneut die besondere Kenner- und Könnerschaft des Autors. Die juristischen Fakultäten von insgesamt 29 "deutschen" Universitäten werden in Kurzporträts vorgestellt. Darunter die von Graz, Innsbruck, Königsberg, Wien, Prag und Posen! Eingearbeitet sind ausschnitthaft die Bilder der Professoren, der vertriebenen, der gebliebenen und der Neulinge. Der "äußere und innere Bedeutungsverlust des Staatsrechts" ist auch an den personellen Entwicklungen ablesbar; damit wird die Karriere der einzelnen über und unter dem Strich dokumentiert. Was da an Stoffmengen allein in den Fußnoten verarbeitet ist, nötigt Respekt ab. Und ganz nebenbei nennt eine Anmerkung die wichtigste Sekundärliteratur zur "cause célèbre des Rektors Martin Heidegger". Wer über eine Überzahl an Daten klagen sollte, übersähe, daß er zugleich ein Nachschlagewerk in Händen hält.
Das konnten nur Streiflichter sein auf ein so imponierendes, ein epochales Werk, dem für seine größere Verbreitung alsbald eine Taschenbuchausgabe folgen sollte.
WALTER GRASNICK
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