Ruth, eine Schriftstellerin, die auf einer kleinen Insel von British Columbia lebt, findet am Strand ein ganz besonderes Treibgut: ein Päckchen mit einer Uhr, mit Briefen und dem Tagebuch der jungen Japanerin Nao.
Aus diesen Zutaten lebt der Roman, der auf der einen Seite das Tagebuch Naos
wiedergibt und auf der anderen Seite, in der Rahmenhandlung, die Reaktion der Schriftstellerin auf dieses…mehrRuth, eine Schriftstellerin, die auf einer kleinen Insel von British Columbia lebt, findet am Strand ein ganz besonderes Treibgut: ein Päckchen mit einer Uhr, mit Briefen und dem Tagebuch der jungen Japanerin Nao.
Aus diesen Zutaten lebt der Roman, der auf der einen Seite das Tagebuch Naos wiedergibt und auf der anderen Seite, in der Rahmenhandlung, die Reaktion der Schriftstellerin auf dieses Tagebuch erzählt. Die autofiktionalen Bezüge der Rahmenhandlung sind unübersehbar. Da auch Ruth japanische Wurzeln hat, sieht sie viele Parallelen zur Welt Naos und findet einen starken emotionalen Zugang zu dem Schicksal Naos. Nao wiederum verbindet ihre Lebensbeschreibung mit der Biografie ihrer Urgroßmutter, einer politischen Aktivistin und buddhistischen Nonne.
Die Autorin spannt damit einen sehr breiten Bogen, in dem vieles Platz finden muss. Das Platzen der Dotcom-Blase und der soziale Abstieg der Familie, das japanische Schulwesen, der Zen-Buddhismus und seine Meditationstechniken, Geisterglaube, der Tsunami von 2011, Meeresströmungen, Vermüllung der Meere, der II. Weltkrieg, grausame Übergriffe der japanischen Armee im chinesisch-japanischen Krieg, Kamikaze, der Drill in der Kaiserlich-japanischen Armee, Mythen der indigenen Bewohner von British Columbia, die für Europäer ungewohnte Betrachtung des Selbstmords, Cyber-Mobbing, Wiederaufforstungsbestrebungen, das Problem invasiver Arten, Gewissen und Digitalisierung – das ist nur eine unvollständige Auflistung der Themen, die die Autorin anschlägt und die sie in einem Anhang teilweise näher erläutert. Unbestritten: das Buch ist lehrreich, und der Blick in den japanischen Alltag und vor allem das japanische Denken ist faszinierend.
Sehr originell ist auch die Art und Weise, wie die Autorin die beiden Rahmenhandlungen miteinander verknüpft. Ruth erkennt nämlich, dass sie das Leben des Tagebuchschreiberin beeinflussen kann, und zwar durch einen Traum. Durch diesen Traum wird ihre Welt mit der Welt Naos verbunden, über die zeitlichen Unterschiede hinweg. Diese Einflussnahme ist rational nicht erklärbar – aber da das Haustier Schrödinger heißt, wird der Leser auch kurz in die Quantentheorie eingeführt.
Diese Überfülle an Themen führt dazu, dass der Leser gelegentlich den roten Faden verliert. Eine straffere Erzählweise und der rigorose Verzicht auf einige Themen hätten dem Buch gut getan und zudem noch hinreichend Stoff für weitere Bücher geboten.
Die vielen japanischen Einfügungen mögen zwar die Authentizität stärken, aber sind sie notwendig? Beispiel: „Nanka kusai yo!“ heißt schlicht „Hier stinkt etwas“, ist also kein japanisches Idiom. Diese häufigen Einsprengsel zwingen den Leser zu den Fußnoten und hemmen unnötig den Lesefluss.
Trotz dieser Schwächen eine Lese-Empfehlung: der Roman ist ein lohnenswerter Ausflug in die japanische Gedankenwelt.