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Der britische Vorsprung
Nun gibt Ulrich Herbert eine "Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert" heraus, die den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungen von zehn Staaten gewidmet ist. Besonderheiten, Gemeinsamkeiten und globale Verflechtungen sollen in den Blick genommen werden, um die "Nationalgeschichten aus ihrer Selbstbezogenheit" zu lösen. Im ersten Band gelingt Franz-Josef Brüggemeier ein im besten Wortsinne informatives und unterhaltsames Porträt Großbritanniens vom New Imperialism um 1900 bis zum Winter 2009/10, als New Labour noch die Regierung stellte. Der Autor - Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Freiburg im Breisgau - zeigt, dass bei der einstigen Herrscherin über Meere und Kolonien wichtige Entwicklungen oft deutlich früher als auf dem Kontinent stattfanden. Der doppelte Verlust von Weltmachtstellung und führender Position als Industriemacht werde zwar häufig als Niedergang beklagt. Generell lasse sich aber im Vergleich zu anderen Ländern nur ein "Prozess der Angleichung an die anderen westeuropäischen Staaten" feststellen. Großbritannien weise heute Schwächen auf in der beruflichen Ausbildung, bei Investitionen, in der produzierenden Industrie und in der Forschungsförderung, jedoch auch Stärken im Dienstleistungssektor, in der Unterhaltungsindustrie und in der Rüstungswirtschaft. "Exzesse" habe es gegeben bei der Liberalisierung des Finanzsektors. Großbritannien gelte als "Sinnbild eines friedlichen, unmilitärischen Landes", obwohl es im 20. Jahrhundert mehr Kriege als jeder andere europäische Staat geführt habe und obwohl die beiden Weltkriege "weiterhin überaus positiv erinnert werden". Der aggressive Nationalismus um 1900 habe schon nach 1918 an Gewicht verloren: "Prozesse einer Feminisierung fanden statt, Humor und Selbstironie setzten sich als zentrale Elemente des ,nationalen Charakters' durch."
RAINER BLASIUS
Franz-Josef Brüggemeier: Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert. Verlag C. H. Beck, München 2010. 457 S., 26,95 [Euro].
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