Venedig war Adelsrepublik, Neapel eine Monarchie, Mailand eine Einzelherrschaft. Es gab den Kirchenstaat, die verschiedenen Signorien...Doch seit wann gibt es den Staat Italien? Volker Reinhardt schildert die Geschichte dieses Landes vom Mittelalter bis zur Gegenwart und zeigt,wie die historische Vielfalt der Staats- und Verfassungsformen und der weit in die Vergangenheit zurückreichende Riss zwischen Nord und Süd das nationale Bewusstsein Italiens bis heute bestimmen. Nach dem Untergang des Römischen Reichs waren die Apenninenhalbinsel und Sizilien politisch und kulturell fragmentiert, bis sich um das Jahr 1000 ein neues Bewusstsein dafür herausbildete, was "Italien" ist: das Land der Urbanität, kulturell veredelt durch die Nähe zur Antike, durch die Alpen geschützt vor der Barbarei der Germanen. In dieser Zeit des beginnenden Zusammenwachsens setzt Volker Reinhardts kleine "Geschichte Italiens" ein. Er beschreibt, wie Stadtrepubliken, Fürstentümer und der Kirchenstaat, oft im Bunde mit äußeren Mächten, um die Vorherrschaft in Italien kämpften und sich in dieser Konkurrenz eine einzigartige Hochkultur herausbildete, die wiederum das Gefühl der italienischen Einheit und Überlegenheit nährte. Im 19. Jahrhundert wurde die politische Einigung im Zeichen einer großen Geschichte zu einer Mission, die die Anhänger des Risorgimento beflügelte und die der Faschismus zur Errichtung einer Diktatur missbrauchte. Heute ist Italien zerrissen zwischen Nord und Süd, Rechtspopulisten und Linken, aber gerade dadurch ist die Sehnsucht nach innerer Einheit und Abgrenzung nach außen übergroß. - Das bewährte Standardwerk wurde für die vorliegende fünfte Auflage überarbeitet und aktualisiert.
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Stimme aus dem Verlag
„Die eineinhalbtausendjährige Geschichte Italiens gut lesbar auf knapp 350 Seiten: Die hier vorgelegte Gesamtdarstellung, die auf dem neuesten Forschungsstand einen geschlossenen Überblick über die historische Entwicklung des Landes vom Ausgang der Spätantike bis zur Gegenwart bietet, zieht zudem Verbindungslinien zwischen Vergangenheit und Gegenwart und macht so das besondere Nationalbewußtsein und die gegenwärtige Befindlichkeit Italiens verständlich.“
(Presseabteilung, Verlag C.H. Beck)
„Die eineinhalbtausendjährige Geschichte Italiens gut lesbar auf knapp 350 Seiten: Die hier vorgelegte Gesamtdarstellung, die auf dem neuesten Forschungsstand einen geschlossenen Überblick über die historische Entwicklung des Landes vom Ausgang der Spätantike bis zur Gegenwart bietet, zieht zudem Verbindungslinien zwischen Vergangenheit und Gegenwart und macht so das besondere Nationalbewußtsein und die gegenwärtige Befindlichkeit Italiens verständlich.“
(Presseabteilung, Verlag C.H. Beck)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2003Sehnsucht braucht Stereotypen
Bildermacht: Volker Reinhardt sucht nach Italiens einigendem Band
In der Einführung fragt Volker Reinhardt, Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit in Fribourg, ob es Phänomene gebe, die für die Zeit zwischen dem Gotenkönig Theoderich dem Großen und Silvio Berlusconi als Wesensmerkmale von Italiens Geschichte angesehen werden könnten - obwohl seriöse Historiker der Gegenwart vor einer solchen Unterstellung selbstverständlich zurückschreckten. Indes sei zu bedenken, daß es Versuche zu einer umfassenden Definition italienischer Eigenart schon seit mehreren Jahrhunderten gebe. Und die einst von Humanisten und anderen Literaten entworfenen Konzepte zur Identitätsfindung hätten nicht nur in den Köpfen der Bildungseliten im In- und Ausland Bestand gehabt, sondern entfalten in trivialisierten Varianten seit Beginn des Massenkonsums und des Massentourismus bei der Werbung für Textilien und Mode, Lebensmittel, Land und Leute nicht nur in Deutschland unbezweifelbare Erfolge.
Das seit dem vierzehnten Jahrhundert kultivierte Selbstbildnis einer sich durch besondere Zivilisiertheit auszeichnenden "Nation" ist, so erklärt der Autor, ein ebenso künstliches wie natürliches Produkt. Mit anderen Worten: Dieser Stereotypenkomplex ist zwar vor langer Zeit von Intellektuellen erfunden worden, hatte aber nachhaltig wirkende, sehr reale Rückwirkungen auf das eigene Seelenleben, aber auch auf das unzähliger Ausländer, deren Sehnsucht, aus der Tristesse der Heimat ins sonnige, frohe, humane Leben des Südens zu entfliehen, zunächst in Lyrik und Roman, später im Film gestaltet, mitunter auch ironisiert wird.
Eine derart ausgemalte Stereotypen-Galerie wird von Reinhardt jedoch nicht als wichtigster Motor für Italiens Identitätsfindung eingeschätzt. Weitaus wirksamer seien andere Komponenten gewesen, so "die unbändige Lebenskraft kleinräumiger Autonomien, die kulturelle Produktivität aus dem Humus zuerst weitgehend ungeregelter, dann zunehmend in feste Bahnen gelenkter Konkurrenz und Rivalität"; außerdem "die besondere Dichte und Komplexität klientilär strukturierter Verbände, die strikte Kanalisierung von sozialem Aufstieg und die intensive Visualisierung von Status in Bauten und Bildern".
Ein früheres Werk des Autors über das Florenz der Renaissance (1990) trägt den Untertitel: "Die Kunst der Macht und die Botschaft der Bilder". Unter diesem besonderen Aspekt wurden auch manche Abschnitte des neuen Buches konzipiert. Neben Florenz werden auch die anderen großen und kleinen Mächte berücksichtigt: Genua, Mailand, Venedig, Verona, Ferrara, Rom und der Kirchenstaat sowie der bis heute aus dem Rahmen fallende Mezzogiorno, das einstige Königreich Sizilien mit Neapel und Palermo. Dabei kommt der Erzählung und deren Analyse insbesondere die intensive Berücksichtigung der visuellen Komponente zugute, die sich nicht nur in städtischer Architektur, im Skulpturen- und Bildprogramm der großen Meister niederschlug, sondern auch im flüchtigen Moment kommunalen und gesamtstaatlichen Zeremoniells.
Daß letzteres auch noch unter dem faschistischen Regime eine enorme, für andere Diktaturen mitunter vorbildliche Rolle spielte, ist zwar seit langem bekannt, jedoch hat Reinhardt das Phänomen ausführlicher berücksichtigt, als es bisher in Kompendien dieses Umfangs geschah. Als besonders gelungen kann der knappe, aber eindrucksvolle Abschnitt über die im September 1919 erfolgte Besetzung von Fiume durch Freischärler des Poeten Gabriele d'Annunzio hervorgehoben werden. Der Volkstribun hat die kurze Frist seiner Herrschaft über die zwischen Italien und dem neuen Jugoslawien umstrittene Hafenstadt dazu genutzt, aller Welt seine Ästhetik und Ideologie völkisch-imperialer Macht in aufsehenerregender Weise vor Augen zu führen. Damit nahm er sozusagen im Provinztheater die Demonstrationen vorweg, die wenig später ein professioneller agierender Regisseur als große Oper auf einer Weltstadtbühne inszenierte.
Eingangs hatte der Autor angekündigt, unter intensiver Einbeziehung politischer, sozialer und wirtschaftlicher Faktoren nach den Gründen zu fragen, die über ein halbes Jahrtausend hinweg Italien zum Inbegriff einer unvergleichlich innovativen Kultur werden ließen, zugleich aber betont, daß der Versuch, unter Rückgriff auf die neuesten Ergebnisse der einschlägigen Forschung eine lesbare Gesamtdarstellung vorzulegen, der Quadratur des Kreises ähnele. Dem Autor kann uneingeschränkt konzediert werden, ein gut und spannend geschriebenes Buch vorgelegt zu haben. Die Ausführungen über das Zeit und Raum übergreifende, oft humane, manchmal aber allzu menschliche, mitunter ins Kriminelle abgleitende Klientelgefüge von Italiens Gesellschaft und Staat überzeugen den Leser, zumal der Autor es vermeidet, in den gestelzten Jargon mancher Sozialhistoriker zu verfallen.
Das seit geraumer Zeit als bloße Ereignisfolge abgetane Segment der Geschichte wird allerdings mitunter etwas unpräzise erfaßt. Um nur ein Beispiel aus dem letzten Kapitel herauszugreifen: Der Bericht über die große Parteienkrise der neunziger Jahre, die anderwärts leicht in eine ausweglose Katastrophe gemündet hätte, bleibt etwas unpräzise; so wurde gegen den mehrfach zum Ministerpräsidenten aufgestiegenen und ebensooft wieder gestürzten Giulio Andreotti nicht nur "ein Prozeß wegen mafioser Verstrickungen eröffnet", sondern auch mit einem Urteil wegen Anstiftung zum Mord zumindest vorerst abgeschlossen.
Auffällig bleibt das Desinteresse, mit dem Reinhardt der sprachlichen Komponente von Italiens Identitätsfindung begegnet. Die auch in anderer Hinsicht unvergleichliche Gestalt des Dante Alighieri wird lediglich mit ein paar Zeilen bedacht: Er habe das Schicksal vieler Exilanten geteilt, darüber geklagt und nach Verbündeten gesucht, die ihm zur Rückkehr in seine Heimatstadt Florenz verhelfen könnten. Es mag sein, daß in anderen Darstellungen Dantes Bedeutung für Italiens Entwicklung ein wenig überschätzt wird. Unbezweifelbar ist, daß die später als Meilenstein und Wegweiser italienischer Sprachgeschichte erkannte Schrift "De vulgari eloquentia" nur in sehr wenigen Handschriften überliefert wird. Aber selbst für ein sehr knappes Kompendium zur Geschichte Italiens hätten ein paar Zeilen über diesen in seiner Zeit einzigartigen und innovativen Traktat erübrigt werden müssen. Es bleibt zu hoffen, daß der Autor diesen Mangel in der zweiten Auflage seines im übrigen durchaus nützlichen Buches beheben wird.
HEINZ THOMA
Volker Reinhardt: "Geschichte Italiens". Von der Spätantike bis zur Gegenwart. Beck's Historische Bibliothek. Verlag C. H. Beck, München 2003. 348 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bildermacht: Volker Reinhardt sucht nach Italiens einigendem Band
In der Einführung fragt Volker Reinhardt, Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit in Fribourg, ob es Phänomene gebe, die für die Zeit zwischen dem Gotenkönig Theoderich dem Großen und Silvio Berlusconi als Wesensmerkmale von Italiens Geschichte angesehen werden könnten - obwohl seriöse Historiker der Gegenwart vor einer solchen Unterstellung selbstverständlich zurückschreckten. Indes sei zu bedenken, daß es Versuche zu einer umfassenden Definition italienischer Eigenart schon seit mehreren Jahrhunderten gebe. Und die einst von Humanisten und anderen Literaten entworfenen Konzepte zur Identitätsfindung hätten nicht nur in den Köpfen der Bildungseliten im In- und Ausland Bestand gehabt, sondern entfalten in trivialisierten Varianten seit Beginn des Massenkonsums und des Massentourismus bei der Werbung für Textilien und Mode, Lebensmittel, Land und Leute nicht nur in Deutschland unbezweifelbare Erfolge.
Das seit dem vierzehnten Jahrhundert kultivierte Selbstbildnis einer sich durch besondere Zivilisiertheit auszeichnenden "Nation" ist, so erklärt der Autor, ein ebenso künstliches wie natürliches Produkt. Mit anderen Worten: Dieser Stereotypenkomplex ist zwar vor langer Zeit von Intellektuellen erfunden worden, hatte aber nachhaltig wirkende, sehr reale Rückwirkungen auf das eigene Seelenleben, aber auch auf das unzähliger Ausländer, deren Sehnsucht, aus der Tristesse der Heimat ins sonnige, frohe, humane Leben des Südens zu entfliehen, zunächst in Lyrik und Roman, später im Film gestaltet, mitunter auch ironisiert wird.
Eine derart ausgemalte Stereotypen-Galerie wird von Reinhardt jedoch nicht als wichtigster Motor für Italiens Identitätsfindung eingeschätzt. Weitaus wirksamer seien andere Komponenten gewesen, so "die unbändige Lebenskraft kleinräumiger Autonomien, die kulturelle Produktivität aus dem Humus zuerst weitgehend ungeregelter, dann zunehmend in feste Bahnen gelenkter Konkurrenz und Rivalität"; außerdem "die besondere Dichte und Komplexität klientilär strukturierter Verbände, die strikte Kanalisierung von sozialem Aufstieg und die intensive Visualisierung von Status in Bauten und Bildern".
Ein früheres Werk des Autors über das Florenz der Renaissance (1990) trägt den Untertitel: "Die Kunst der Macht und die Botschaft der Bilder". Unter diesem besonderen Aspekt wurden auch manche Abschnitte des neuen Buches konzipiert. Neben Florenz werden auch die anderen großen und kleinen Mächte berücksichtigt: Genua, Mailand, Venedig, Verona, Ferrara, Rom und der Kirchenstaat sowie der bis heute aus dem Rahmen fallende Mezzogiorno, das einstige Königreich Sizilien mit Neapel und Palermo. Dabei kommt der Erzählung und deren Analyse insbesondere die intensive Berücksichtigung der visuellen Komponente zugute, die sich nicht nur in städtischer Architektur, im Skulpturen- und Bildprogramm der großen Meister niederschlug, sondern auch im flüchtigen Moment kommunalen und gesamtstaatlichen Zeremoniells.
Daß letzteres auch noch unter dem faschistischen Regime eine enorme, für andere Diktaturen mitunter vorbildliche Rolle spielte, ist zwar seit langem bekannt, jedoch hat Reinhardt das Phänomen ausführlicher berücksichtigt, als es bisher in Kompendien dieses Umfangs geschah. Als besonders gelungen kann der knappe, aber eindrucksvolle Abschnitt über die im September 1919 erfolgte Besetzung von Fiume durch Freischärler des Poeten Gabriele d'Annunzio hervorgehoben werden. Der Volkstribun hat die kurze Frist seiner Herrschaft über die zwischen Italien und dem neuen Jugoslawien umstrittene Hafenstadt dazu genutzt, aller Welt seine Ästhetik und Ideologie völkisch-imperialer Macht in aufsehenerregender Weise vor Augen zu führen. Damit nahm er sozusagen im Provinztheater die Demonstrationen vorweg, die wenig später ein professioneller agierender Regisseur als große Oper auf einer Weltstadtbühne inszenierte.
Eingangs hatte der Autor angekündigt, unter intensiver Einbeziehung politischer, sozialer und wirtschaftlicher Faktoren nach den Gründen zu fragen, die über ein halbes Jahrtausend hinweg Italien zum Inbegriff einer unvergleichlich innovativen Kultur werden ließen, zugleich aber betont, daß der Versuch, unter Rückgriff auf die neuesten Ergebnisse der einschlägigen Forschung eine lesbare Gesamtdarstellung vorzulegen, der Quadratur des Kreises ähnele. Dem Autor kann uneingeschränkt konzediert werden, ein gut und spannend geschriebenes Buch vorgelegt zu haben. Die Ausführungen über das Zeit und Raum übergreifende, oft humane, manchmal aber allzu menschliche, mitunter ins Kriminelle abgleitende Klientelgefüge von Italiens Gesellschaft und Staat überzeugen den Leser, zumal der Autor es vermeidet, in den gestelzten Jargon mancher Sozialhistoriker zu verfallen.
Das seit geraumer Zeit als bloße Ereignisfolge abgetane Segment der Geschichte wird allerdings mitunter etwas unpräzise erfaßt. Um nur ein Beispiel aus dem letzten Kapitel herauszugreifen: Der Bericht über die große Parteienkrise der neunziger Jahre, die anderwärts leicht in eine ausweglose Katastrophe gemündet hätte, bleibt etwas unpräzise; so wurde gegen den mehrfach zum Ministerpräsidenten aufgestiegenen und ebensooft wieder gestürzten Giulio Andreotti nicht nur "ein Prozeß wegen mafioser Verstrickungen eröffnet", sondern auch mit einem Urteil wegen Anstiftung zum Mord zumindest vorerst abgeschlossen.
Auffällig bleibt das Desinteresse, mit dem Reinhardt der sprachlichen Komponente von Italiens Identitätsfindung begegnet. Die auch in anderer Hinsicht unvergleichliche Gestalt des Dante Alighieri wird lediglich mit ein paar Zeilen bedacht: Er habe das Schicksal vieler Exilanten geteilt, darüber geklagt und nach Verbündeten gesucht, die ihm zur Rückkehr in seine Heimatstadt Florenz verhelfen könnten. Es mag sein, daß in anderen Darstellungen Dantes Bedeutung für Italiens Entwicklung ein wenig überschätzt wird. Unbezweifelbar ist, daß die später als Meilenstein und Wegweiser italienischer Sprachgeschichte erkannte Schrift "De vulgari eloquentia" nur in sehr wenigen Handschriften überliefert wird. Aber selbst für ein sehr knappes Kompendium zur Geschichte Italiens hätten ein paar Zeilen über diesen in seiner Zeit einzigartigen und innovativen Traktat erübrigt werden müssen. Es bleibt zu hoffen, daß der Autor diesen Mangel in der zweiten Auflage seines im übrigen durchaus nützlichen Buches beheben wird.
HEINZ THOMA
Volker Reinhardt: "Geschichte Italiens". Von der Spätantike bis zur Gegenwart. Beck's Historische Bibliothek. Verlag C. H. Beck, München 2003. 348 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2003Es kann nur besser werden
Volker Reinhardt plaudert sich durch die Geschichte Italiens
Der „Treibsand” ist eine Lieblingsmetapher des Historikers Volker Reinhardt: „Schwankender Boden, wenn nicht treibender Sand” sei der römische Hof des 17. Jahrhunderts gewesen. Und ein andermal, um 1800, seien Italiens Intellektuelle zu der Überzeugung gelangt, „daß allein die Nation ein letzter unverlierbarer Grund im Treibsand der Geschichte” wäre: „Nach der abgrundtiefen Enttäuschung über die Revolution, die den verheißenen Menschheitsmorgen nicht heraufzuführen vermochte, die, schlimmer noch, statt der Herrschaft des Geistes die dumpfe Dominanz von Geld und Besitz mit sich brachte, richten sich die Hoffnungen jetzt auf die Befreiung durch die Nation, in der Nation, mit der Nation, für die Nation.” Stilproben des Wortschwalls aus Reinhardts „Geschichte Italiens von der Spätantike bis zur Gegenwart”.
Wo so viel heißer Sand wie unter Italiens Himmel weht, da lassen sich Strandburgen bauen. Von ihren Zinnen aus betrachtet, runden sich alle historischen Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten zum „geschlossenen Überblick”, den dieses Buch auf seinen knapp 350 Seiten verspricht, die Entwicklung von rund fünfzehn Jahrhunderten unter klappernde Etiketten wie „Kommunen, Kaiser, Kommerz und Krisen”, „Konsens, Konflikt, Kapitulation” oder „Katastrophen und Konsolidierungen” zu fassen. Was Reinhardt in den Gewässern der Italienforschung an Perlen aufgelesen hat, wird in einen nassforschen Jargon umgegossen, der – wenn beispielsweise von einer „,Medien-Revolution‘ der italienischen Renaissance” oder von deren „virtuellen Welten” die Rede ist – kein modisches Blabla auslässt. Nach Geschichtsfernsehen, unterbrochen von Produktwerbung für die Marke Lancia, klingt auch die Leitfrage nach den Gründen, die Italien zum „Ursprungsland unvergleichlich innovativer Kultur” werden ließen. Während Reinhardt einerseits die Beharrlichkeit althergebrachter Systeme von Patronage und Klientage als sich in jeder Epoche erneuernden Grundkonstanten der italienischen Geschichte behauptet, kommt er den Antrieben des historischen Wandels nur in aufgeblasenen Komparativen bei, die er mit dem für Historiker eigentlich verbotenen Wörtchen „immer” verstärkt: Ausgehend von einer seit dem 12. Jahrhundert vermeintlich „stark fühlbaren Beschleunigung geschichtlicher Veränderungen”, gerät in Italien fortan alles, was der tollkühne Historiker anpackt, „immer hochgemuter”, „immer heftiger und verwickelter”, „immer grandioser”, „immer exklusiver”, „immer präziser”, „immer ausgefeilter”, „immer komplexer”, „immer rasanter”, „immer traumatischer” – und das auch noch „mit stetig steigernder Schärfe”.
Ärger noch ist, dass Reinhardt erst im Fernsehzeitalter, also kurz vor Berlusconi, auf die italienische Sprache als Medium einer entweder gelungenen oder misslungenen Einigung des Landes zu sprechen kommt: Aber kein diesbezügliches Wort über Dante und Machiavelli, über Manzoni und Gramsci, als seien die Italiener allzeit sich von Bilderbögen und Seifenopern ernährende Analphabeten gewesen.
VOLKER BREIDECKER
VOLKER REINHARDT: Geschichte Italiens. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. C. H. Beck Verlag, München 2003. 348 Seiten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Volker Reinhardt plaudert sich durch die Geschichte Italiens
Der „Treibsand” ist eine Lieblingsmetapher des Historikers Volker Reinhardt: „Schwankender Boden, wenn nicht treibender Sand” sei der römische Hof des 17. Jahrhunderts gewesen. Und ein andermal, um 1800, seien Italiens Intellektuelle zu der Überzeugung gelangt, „daß allein die Nation ein letzter unverlierbarer Grund im Treibsand der Geschichte” wäre: „Nach der abgrundtiefen Enttäuschung über die Revolution, die den verheißenen Menschheitsmorgen nicht heraufzuführen vermochte, die, schlimmer noch, statt der Herrschaft des Geistes die dumpfe Dominanz von Geld und Besitz mit sich brachte, richten sich die Hoffnungen jetzt auf die Befreiung durch die Nation, in der Nation, mit der Nation, für die Nation.” Stilproben des Wortschwalls aus Reinhardts „Geschichte Italiens von der Spätantike bis zur Gegenwart”.
Wo so viel heißer Sand wie unter Italiens Himmel weht, da lassen sich Strandburgen bauen. Von ihren Zinnen aus betrachtet, runden sich alle historischen Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten zum „geschlossenen Überblick”, den dieses Buch auf seinen knapp 350 Seiten verspricht, die Entwicklung von rund fünfzehn Jahrhunderten unter klappernde Etiketten wie „Kommunen, Kaiser, Kommerz und Krisen”, „Konsens, Konflikt, Kapitulation” oder „Katastrophen und Konsolidierungen” zu fassen. Was Reinhardt in den Gewässern der Italienforschung an Perlen aufgelesen hat, wird in einen nassforschen Jargon umgegossen, der – wenn beispielsweise von einer „,Medien-Revolution‘ der italienischen Renaissance” oder von deren „virtuellen Welten” die Rede ist – kein modisches Blabla auslässt. Nach Geschichtsfernsehen, unterbrochen von Produktwerbung für die Marke Lancia, klingt auch die Leitfrage nach den Gründen, die Italien zum „Ursprungsland unvergleichlich innovativer Kultur” werden ließen. Während Reinhardt einerseits die Beharrlichkeit althergebrachter Systeme von Patronage und Klientage als sich in jeder Epoche erneuernden Grundkonstanten der italienischen Geschichte behauptet, kommt er den Antrieben des historischen Wandels nur in aufgeblasenen Komparativen bei, die er mit dem für Historiker eigentlich verbotenen Wörtchen „immer” verstärkt: Ausgehend von einer seit dem 12. Jahrhundert vermeintlich „stark fühlbaren Beschleunigung geschichtlicher Veränderungen”, gerät in Italien fortan alles, was der tollkühne Historiker anpackt, „immer hochgemuter”, „immer heftiger und verwickelter”, „immer grandioser”, „immer exklusiver”, „immer präziser”, „immer ausgefeilter”, „immer komplexer”, „immer rasanter”, „immer traumatischer” – und das auch noch „mit stetig steigernder Schärfe”.
Ärger noch ist, dass Reinhardt erst im Fernsehzeitalter, also kurz vor Berlusconi, auf die italienische Sprache als Medium einer entweder gelungenen oder misslungenen Einigung des Landes zu sprechen kommt: Aber kein diesbezügliches Wort über Dante und Machiavelli, über Manzoni und Gramsci, als seien die Italiener allzeit sich von Bilderbögen und Seifenopern ernährende Analphabeten gewesen.
VOLKER BREIDECKER
VOLKER REINHARDT: Geschichte Italiens. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. C. H. Beck Verlag, München 2003. 348 Seiten, 29,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Hanno Helbling lobt diese Geschichte Italiens als "zielbewusst angelegte und durchstudierte, einheitlich gestaltete Rechenschaft über tausendfünfhundert Jahre". Der große Verdienst des Autors sei es, die historischen Entwicklungen so darzustellen, "dass sie nicht als permanente Verwicklungen, sonder als nachvollziehbare Prozesse erscheinen". Reinhardt findet es sehr gelungen, wie Reinhardt die Kontinuitäten der italienischen Politik hinter den scheinbar ständigen Neuanfängen herausarbeitet, so sei beispielsweise das Klientelwesen ein durchgängiges Phänomen in der italienischen Politik. Neben so viel Lob hat der Rezensent auch einige kleinere Kritikpunkte: So habe Reinhardt zum einen einzelne wichtige Ereignisse ausgelassen (wie die Teilnahme Italiens am Krimkrieg), und zum anderen einige religiöse und kulturelle Zusammenhänge nicht berücksichtigt (Thomas von Aquin, Bonaventura und Katharina von Siena).
© Perlentaucher Medien GmbH
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