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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der unbestechliche Beobachter Jürgen Theobaldy
Jürgen Theobaldy gehört mit Nicolas Born und Rolf Dieter Brinkmann zu den Dichtern der Neuen Subjektivität. In den siebziger Jahren haben er und seine Freunde Lyrik nicht nur für ihre Generation der Achtundsechziger wieder lebendig gemacht, sie wurden eine deutsche Variante der amerikanischen Wilden um Alan Ginsberg. Ihre Bücher waren Kult. Seitdem ist es stiller um sie geworden. Und einige von ihnen sind auch schon fast vergessen.
Theobaldy nicht. Er versuchte sich in anderen Genres, schrieb auch Romane und Kurzgeschichten, übersetzte Haikus und probierte sich aus. Aber seine Bücher kamen nun in kleineren Verlagen heraus und erreichten keine hohen Auflagen mehr. Er wurde ein nachdenklicher Chronist, der nach wie vor mit akribischer Sorgfalt Wirklichkeit beschrieb. Dem Rückzug in die Schweiz, wo er seit 1984 in der Nähe von Bern wohnt, entsprechen auch seine jüngsten Texte. In der neuen Heimat fühlt er sich offenbar so heimisch, dass ihm ein paar Jahre lang die Protokollführung der Nationalversammlung anvertraut wurde. Allerdings, bekennt er gleich zu Anfang, verstehe er die Sprache nach so langer Zeit immer noch besser, als er sie selbst sprechen könne.
Um Bern und die Schweizer Mentalität kreisen die meisten seiner "Geschichten im Vorübergehen". Der Titel trifft das scheinbar Zufällige und mühelos Aufgelesene. Manche Texte gehören in die Kategorie Glossen oder Feuilletons, andere könnten der Beginn einer Kurzgeschichte sein, die bedauerlicherweise aufgegeben wurde. Aufgeben ist allerdings gar nicht Theobaldys Sache. Er feilt und poliert so lange, bis seine Texte makellose Prosaminiaturen sind. Vermutlich würde er Vorbilder wie Keller, Robert Walser, Hebel und auch Kafka akzeptieren.
Ein genauer Menschenbeobachter ist er geblieben. Vielleicht ist jetzt etwas Melancholie dazugekommen, und vor nostalgischen Rückblicken scheut er sich auch nicht. Gerade die bieten sich in der Schweiz aber auch häufiger als anderswo an. Über Tagesereignisse berichtet er aber mindestens so häufig. Ein unbestechlicher Zeitgenosse ist er, der nicht nur im Vorübergehen registriert, was um ihn herum passiert.
MARIA FRISÉ
Jürgen Theobaldy: "Geschichten im Vorübergehen".
Verlag die brotsuppe, Biel 2020.
270 S., geb., 26,- [Euro].
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