Welchen Anteil haben die vielfältigen Geselligkeiten im 18. Jahrhundert an der Transformation von der ständisch strukturierten Gesellschaft des Mittelalters zu einer auf freien Assoziationen beruhenden Gesellschaft der Neuzeit? Anknüpfend an so unterschiedliche Traditionen wie das Erzählen und Philosophieren im geselligen Rahmen (Antike und Renaissance), die Verhaltensethiken seit dem 16. Jahrhundert und die Sprach- und Tugendgesellschaften und die Akademiebewegung im 17. Jahrhundert werden naturrechtlich fundierte Geselligkeiten zum zentralen Konzept für friedliches, tolerantes und selbstbestimmtes Zusammenleben. Sie weisen den Individuen ihren Platz innerhalb der Gesellschaft an und ermöglichen in neuartigen Gruppenformen eine allseitige Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Literarische und populärwissenschaftliche Texte befördern diesen Umwälzungsprozeß, indem sie Modelle für das Erzählen aus mehreren Perspektiven, für die Reflexion über Wahrnehmungen und Wahrheit, für ein neuartiges Geschichtsbild und für einen gegenseitigen Erziehungsprozeß modellieren, die in realen Gruppenformen wie Akademien, Lese- und Geheimgesellschaften, Jugendbünden, Salons und Lebensgemeinschaften experimentell erprobt werden. Das facettenreiche Ideal der Geselligkeit befindet sich im steten Wechselspiel von Literatur, Gruppenformen und kulturellem Wertewandel und wird Ende des 18. Jahrhunderts zu einem umfassenden Reformkonzept einer "Selbstkonstitution der Gesellschaft".
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