Vom Autor des Spiegel-Bestsellers Rückkehr nach Reims
Didier Eribons Rückkehr nach Reims gilt bereits heute als Klassiker der Zeitdiagnose. In seinem neuen Buch greift Eribon viele Themen des Vorgängers wieder auf und vertieft seine Überlegungen zu zentralen Fragen. Die Gesellschaft, so der französische Soziologe im Anschluss an Pierre Bourdieu, weist uns Plätze zu, sie spricht Urteile aus, denen wir uns nicht entziehen können, sie errichtet Grenzen und bringt Individuen und Gruppen in eine hierarchische Ordnung. Die Aufgabe des kritischen Denkens besteht darin, diese Herrschaftsmechanismen ans Licht zu bringen.
Zu diesem Zweck unternimmt Eribon den Versuch, die Analyse der Klassenverhältnisse sowie der Rolle zentraler Institutionen wie des Bildungssystems auf eine neue Grundlage zu stellen. Dabei widmet er sich auch Autorinnen und Autoren wie Simone de Beauvoir, Annie Ernaux, Assia Djebar und Jean-Paul Sartre sowie ihrem Einfluss auf seinen intellektuellen Werdegang. Nur indem wir uns den Determinismen stellen, die unser Leben regieren, können wir einer wahrhaft emanzipatorischen Politik den Weg bereiten.
Didier Eribons Rückkehr nach Reims gilt bereits heute als Klassiker der Zeitdiagnose. In seinem neuen Buch greift Eribon viele Themen des Vorgängers wieder auf und vertieft seine Überlegungen zu zentralen Fragen. Die Gesellschaft, so der französische Soziologe im Anschluss an Pierre Bourdieu, weist uns Plätze zu, sie spricht Urteile aus, denen wir uns nicht entziehen können, sie errichtet Grenzen und bringt Individuen und Gruppen in eine hierarchische Ordnung. Die Aufgabe des kritischen Denkens besteht darin, diese Herrschaftsmechanismen ans Licht zu bringen.
Zu diesem Zweck unternimmt Eribon den Versuch, die Analyse der Klassenverhältnisse sowie der Rolle zentraler Institutionen wie des Bildungssystems auf eine neue Grundlage zu stellen. Dabei widmet er sich auch Autorinnen und Autoren wie Simone de Beauvoir, Annie Ernaux, Assia Djebar und Jean-Paul Sartre sowie ihrem Einfluss auf seinen intellektuellen Werdegang. Nur indem wir uns den Determinismen stellen, die unser Leben regieren, können wir einer wahrhaft emanzipatorischen Politik den Weg bereiten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2017Hört nur, wer schon für mich gekocht hat!
Der Erfolg seiner "Rückkehr nach Reims" blieb nicht ohne Folgen: Didier Eribon schreibt und schämt sich weiter
Didier Eribons Buch "Gesellschaft als Urteil" erschien in Frankreich 2013, also vier Jahre nach der französischen Ausgabe von "Rückkehr nach Reims", ohne deren Vorjahreserfolg auf dem deutschen Buchmarkt es wohl auch kaum übersetzt worden wäre. Das Buch liest sich im Grunde wie eine lange Fußnote zu "Rückkehr nach Reims". Man muss diese Geschichte", also die Auseinandersetzung eines erfolgreichen Pariser Intellektuellen, Journalisten und Buchautors mit seiner Herkunft aus einer Arbeiterfamilie aus dem nördlichen Frankreich, eigentlich gelesen haben, um die Fragen des neuen Buches verstehen zu können.
Eribon erklärt hier, wie es zu "Rückkehr nach Reims" gekommen ist, wie er zu dessen Fragen fand und wer ihn dabei intellektuell begleitete. Was die Lektüre nicht wirklich spannender macht, ist der Eindruck der Wiederholung des älteren Buches. Die Stärke der "Rückkehr" - die schonungslose Abrechnung mit der Scham über die eigene Herkunft - macht die Schwäche des nun übersetzten Buches aus. Was erfährt man? Eribon schreibt über Pierre Bourdieu, in dessen "Schatten" er sich sieht, dann referiert er darüber, wie Bourdieu über Sartre dachte, dann geht es weiter mit Lévi-Strauss und Heidegger, schließlich Bourdieu und Sartre über Heidegger und Flaubert und dann noch Annie Ernaux über Simone de Beauvoir - und immer wieder Eribon über Eribon. Dass er etwa die Beauvoir zweimal getroffen hat, Lévi-Strauss' Frau dagegen häufiger. Und gekocht hat die auch für ihn. Eine entschiedene Kürzung schon des Originals auf die Länge eines Essays hätte dem Buch gutgetan.
Damit wäre auch eine Konzentration darauf möglich gewesen, was Eribon für eine Gesellschaftstheorie hält. Schon der Titel deutet an, dass sie im Wesentlichen eine Theorie der Gewalt und der Herrschaft ist - ja, für Eribon ist die Gesellschaft eigentlich nur Gewalt und Herrschaft. Bereits in "Rückkehr nach Reims" sei es ihm um die soziale Wirklichkeit gegangen, die überall ihre Urteile spreche. "Das heißt", so Eribon einleitend, "um die Gewalt, die der Gesellschaft innewohnt und sie sogar definiert." Er habe immer tiefer in die Geheimnisse der sozialen Magie eindringen wollen, die mit "furchtbarer Effizienz" dafür sorge, dass "Herrschaftsmechanismen fortbestehen und dass die politische Ordnung sich hält." Was bringe die "Reflexion über verkörperte soziale Zwänge" zum Vorschein, so Eribons Frage: "Das fürchterliche Gesetz des sozialen Determinismus, das jedem Einzelnen einen Platz zuweist, das uns vorschreibt, wie wir uns zu verhalten, was wir zu sagen und wer wir zu sein haben."
Wer unter dem Sozialen mehr oder etwas anderes versteht als nur Gewalt, Geheimnis und Unterwerfung unter die herrschenden Verhältnisse, kann da nur den Kopf schütteln. In Eribons "soziologischer Introspektion" ist für vermittelnde gesellschaftliche Instanzen wie Bildung und Schulen, betriebliche Mitbestimmung, Sozialgesetzgebung oder Tarifpartnerschaft kein Platz. Dabei fällt auch in diesem Buch auf, dass Eribon als Beleg seiner Gesellschaftstheorie ausschließlich Studien über Frankreich und Großbritannien zur Kenntnis nimmt. Die Dimension der sozialen Mobilität in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden oder den skandinavischen Ländern ignoriert er völlig.
Und die Kultur? Wird von Eribon als "Faschismus der Eliten" abgefertigt. Mit dem Einwand seiner Kritiker, seine eigene berufliche Karriere ließe sich Eribons Analysen widersprechend doch gerade als Beleg sozialer Mobilität selbst in Frankreich deuten, setzt sich Eribon auch hier nicht auseinander. Wer die von ihm stoisch behauptete Undurchlässigkeit der französischen Gesellschaft - "die unerbittliche Reproduktionslogik in Schulen und Universitäten" - in Frage stellt, wird von Eribon als Vertreter der "akademischen Soziologie" geschmäht, die wo lehren? Natürlich "in den Schulen der Macht". Dabei kann auch Eribon seinen Stolz nicht verbergen über sein Dazugehören zur kulturellen Elite - "ich begriff, ich verstand, ich schrieb, ich kannte, war befreundet mit" - so geht es Seite um Seite.
Nun wäre an diesem Stolz gar nichts auszusetzen, doch Eribon schämt sich auch gleich wieder dafür. Aus der Herkunftsscham des "Klassenflüchtlings", so Eribon über sich selbst, wurde die Aufstiegsscham des Intellektuellen, und wer Eribon dabei folgen möchte, wie bei ihm mal diese, mal jene Scham gerade überwiegt, kommt in diesem Buch auf seine Kosten.
Alle anderen Leser dürfte es etwas ratlos zurücklassen. Als eine Erläuterung zu seinem Vorgängerbuch ist es eigentlich nicht nötig gewesen. Man kann "Rückkehr nach Reims" viel vorwerfen, aber bestimmt nicht, dass es uneindeutig oder unverständlich sei. Und auch seinem Anliegen, einfachen Menschen wie seiner Großmutter und Mutter und ihren Milieus so etwas wie eine literarische Wiedergutmachung für ihre gesellschaftliche und gesellschafstheoretische "Nichtexistenz" zukommen zu lassen, ist er schon dort hinreichend nachgekommen.
Und für eine intellektuelle Biographie wiederum kann das Buch nicht alleine stehen. In "Rückkehr nach Reims" ging es um das Exemplarische einer Biographie im Zusammenhang mit dem Erfolg des Front National, mit Europa und dem Aufstieg seiner Populisten. In diesem neuen Buch geht es dann doch nur um Eribon selbst. Das mag wichtig sein für jemanden, der vielleicht einmal über Eribon eine intellektuelle Biographie schreibt wie dieser einst eine über Michel Foucault. Aber eigentlich hat er das ja längst selbst erledigt.
GERALD WAGNER
Didier Eribon: "Gesellschaft als Urteil". Klassen, Identitäten, Wege.
Aus dem Französischen von Tobias Haberkorn. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 320 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Erfolg seiner "Rückkehr nach Reims" blieb nicht ohne Folgen: Didier Eribon schreibt und schämt sich weiter
Didier Eribons Buch "Gesellschaft als Urteil" erschien in Frankreich 2013, also vier Jahre nach der französischen Ausgabe von "Rückkehr nach Reims", ohne deren Vorjahreserfolg auf dem deutschen Buchmarkt es wohl auch kaum übersetzt worden wäre. Das Buch liest sich im Grunde wie eine lange Fußnote zu "Rückkehr nach Reims". Man muss diese Geschichte", also die Auseinandersetzung eines erfolgreichen Pariser Intellektuellen, Journalisten und Buchautors mit seiner Herkunft aus einer Arbeiterfamilie aus dem nördlichen Frankreich, eigentlich gelesen haben, um die Fragen des neuen Buches verstehen zu können.
Eribon erklärt hier, wie es zu "Rückkehr nach Reims" gekommen ist, wie er zu dessen Fragen fand und wer ihn dabei intellektuell begleitete. Was die Lektüre nicht wirklich spannender macht, ist der Eindruck der Wiederholung des älteren Buches. Die Stärke der "Rückkehr" - die schonungslose Abrechnung mit der Scham über die eigene Herkunft - macht die Schwäche des nun übersetzten Buches aus. Was erfährt man? Eribon schreibt über Pierre Bourdieu, in dessen "Schatten" er sich sieht, dann referiert er darüber, wie Bourdieu über Sartre dachte, dann geht es weiter mit Lévi-Strauss und Heidegger, schließlich Bourdieu und Sartre über Heidegger und Flaubert und dann noch Annie Ernaux über Simone de Beauvoir - und immer wieder Eribon über Eribon. Dass er etwa die Beauvoir zweimal getroffen hat, Lévi-Strauss' Frau dagegen häufiger. Und gekocht hat die auch für ihn. Eine entschiedene Kürzung schon des Originals auf die Länge eines Essays hätte dem Buch gutgetan.
Damit wäre auch eine Konzentration darauf möglich gewesen, was Eribon für eine Gesellschaftstheorie hält. Schon der Titel deutet an, dass sie im Wesentlichen eine Theorie der Gewalt und der Herrschaft ist - ja, für Eribon ist die Gesellschaft eigentlich nur Gewalt und Herrschaft. Bereits in "Rückkehr nach Reims" sei es ihm um die soziale Wirklichkeit gegangen, die überall ihre Urteile spreche. "Das heißt", so Eribon einleitend, "um die Gewalt, die der Gesellschaft innewohnt und sie sogar definiert." Er habe immer tiefer in die Geheimnisse der sozialen Magie eindringen wollen, die mit "furchtbarer Effizienz" dafür sorge, dass "Herrschaftsmechanismen fortbestehen und dass die politische Ordnung sich hält." Was bringe die "Reflexion über verkörperte soziale Zwänge" zum Vorschein, so Eribons Frage: "Das fürchterliche Gesetz des sozialen Determinismus, das jedem Einzelnen einen Platz zuweist, das uns vorschreibt, wie wir uns zu verhalten, was wir zu sagen und wer wir zu sein haben."
Wer unter dem Sozialen mehr oder etwas anderes versteht als nur Gewalt, Geheimnis und Unterwerfung unter die herrschenden Verhältnisse, kann da nur den Kopf schütteln. In Eribons "soziologischer Introspektion" ist für vermittelnde gesellschaftliche Instanzen wie Bildung und Schulen, betriebliche Mitbestimmung, Sozialgesetzgebung oder Tarifpartnerschaft kein Platz. Dabei fällt auch in diesem Buch auf, dass Eribon als Beleg seiner Gesellschaftstheorie ausschließlich Studien über Frankreich und Großbritannien zur Kenntnis nimmt. Die Dimension der sozialen Mobilität in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden oder den skandinavischen Ländern ignoriert er völlig.
Und die Kultur? Wird von Eribon als "Faschismus der Eliten" abgefertigt. Mit dem Einwand seiner Kritiker, seine eigene berufliche Karriere ließe sich Eribons Analysen widersprechend doch gerade als Beleg sozialer Mobilität selbst in Frankreich deuten, setzt sich Eribon auch hier nicht auseinander. Wer die von ihm stoisch behauptete Undurchlässigkeit der französischen Gesellschaft - "die unerbittliche Reproduktionslogik in Schulen und Universitäten" - in Frage stellt, wird von Eribon als Vertreter der "akademischen Soziologie" geschmäht, die wo lehren? Natürlich "in den Schulen der Macht". Dabei kann auch Eribon seinen Stolz nicht verbergen über sein Dazugehören zur kulturellen Elite - "ich begriff, ich verstand, ich schrieb, ich kannte, war befreundet mit" - so geht es Seite um Seite.
Nun wäre an diesem Stolz gar nichts auszusetzen, doch Eribon schämt sich auch gleich wieder dafür. Aus der Herkunftsscham des "Klassenflüchtlings", so Eribon über sich selbst, wurde die Aufstiegsscham des Intellektuellen, und wer Eribon dabei folgen möchte, wie bei ihm mal diese, mal jene Scham gerade überwiegt, kommt in diesem Buch auf seine Kosten.
Alle anderen Leser dürfte es etwas ratlos zurücklassen. Als eine Erläuterung zu seinem Vorgängerbuch ist es eigentlich nicht nötig gewesen. Man kann "Rückkehr nach Reims" viel vorwerfen, aber bestimmt nicht, dass es uneindeutig oder unverständlich sei. Und auch seinem Anliegen, einfachen Menschen wie seiner Großmutter und Mutter und ihren Milieus so etwas wie eine literarische Wiedergutmachung für ihre gesellschaftliche und gesellschafstheoretische "Nichtexistenz" zukommen zu lassen, ist er schon dort hinreichend nachgekommen.
Und für eine intellektuelle Biographie wiederum kann das Buch nicht alleine stehen. In "Rückkehr nach Reims" ging es um das Exemplarische einer Biographie im Zusammenhang mit dem Erfolg des Front National, mit Europa und dem Aufstieg seiner Populisten. In diesem neuen Buch geht es dann doch nur um Eribon selbst. Das mag wichtig sein für jemanden, der vielleicht einmal über Eribon eine intellektuelle Biographie schreibt wie dieser einst eine über Michel Foucault. Aber eigentlich hat er das ja längst selbst erledigt.
GERALD WAGNER
Didier Eribon: "Gesellschaft als Urteil". Klassen, Identitäten, Wege.
Aus dem Französischen von Tobias Haberkorn. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 320 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
Rezensent Cord Riechelmann nimmt sich Zeit für die Lektüre von Didier Eribons neuem Buch, in dem der französische Soziologe den Erfolg seiner Selbstanalyse "Rückkehr nach Reims" zu ergründen versucht. Denn, allein wie Eribon hier mit Blick auf Selbstporträts und Kindheitsfotos die Fotografie als "Erinnerungshilfsmittel" und "Täuschungstrick" analysiert, dabei Marcel Prousts Betrachtungen zur Nivellierung der Klassenunterschiede in alten Fotografien widerspricht, ringt dem Kritiker größte Anerkennung ab. Darüber hinaus lernt Riechelmann in diesem, wie er findet, "spannenden" Buch, dass sich Klassen und Herrschaftstechniken zwar verändert haben, keineswegs aber verschwunden sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»... nicht weniger spannend als sein Vorgänger, und sein Grundanliegen ist genauso sympathisch.« Cord Riechelmann Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20171008