In Frankreich gab es zum Erscheinen der Gedichte Spekulationen darüber, ob dies der Schwanengesang des meistgelesenen, aber auch umstrittensten Autors des Landes sei. Doch wenngleich es in ihnen auch um die letzten Dinge des Lebens geht, markieren diese Gedichte zunächst einmal Michel Houellebecqs furiose Rückkehr nach seinem drei Jahre zurückliegenden, mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Bestseller ›Karte und Gebiet‹. Michel Houellebecq, der sich hier mal nüchtern und abgeklärt, dann wieder geradezu zart und schutzlos zeigt, steht dabei seinen erklärten Vorbildern Mallarmé und Baudelaire in nichts nach. ›Gestalt des letzten Ufers‹ ist die kompromisslose poetische Selbstentblößung eines radikalen Außenseiters, der nichts mehr zu verlieren hat. Die einfache Sprache trifft unvermittelt ins Herz der Wahrheit. Nie waren wir Houellebecq so nah.
"Die wahre Provokation liegt in der Schwärze dieser Texte. In ihrer Radikalität, Klarheit und Verletzung. Es sind fünf Kapitel von elegischer Schönheit." Martin Oehlen, KÖLNER STADT-ANZEIGER "In den von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel stilsicher übersetzten Miniaturen schimmert auch ein Sternenleuchten am dunklen Firmament." NZZ "Es dauert nur ein paar Sekunden, um von der Melodie der Verse gebannt zu sein; von der Wehmut, der Sehnsucht nach dem Unwiederbringlichen, eben dem, was Michel Houellebecq immer schon zum Romantiker und eben nicht zum Zyniker gemacht hat." Julia Encke, FAS "Unter der Maske des Provokateurs zeigt sich ein zartes, sehnsüchtiges, träumerisches lyrisches Ich, das niemals mit der totalen Abwesenheit reinster Gefühle und absichtsloser Zuwendung fertig wird." Pia Reinacher, DIE LITERARISCHE WELT "Houellebeq verschanzt sich nicht mehr hinter dem kühlen Zynismus, für den er bekannt ist (...). Mutig ist die Realität, mit der er sich selbst begegnet." Franziska Wolffheim, SPIEGEL ONLINE "Durch die spitze Selbstironie des Autors werden die Gedichte reizvoll zerzaust." Joseph Hanimann, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG "Kann es sein, dass wir eines Tages in Houellebecq eher den Lyriker sehen als den Prosaisten? "Gestalt des letzten Ufers" legt diese Vermutung zumindest nahe." Rüdiger Görner, DIE PRESSE "Houellebecq zeigt sich von seiner fragilen Seite. Melancholie, Trauer und Verachtung - präzise und reduziert dargereicht." Björn Hayer, LITERARISCHER MONAT "Nie ist so ganz klar, wo die larmoyante Pose aufhört und der bittere Ernst beginnt. Das ist das Faszinierende. Welf Grombacher, FREIE PRESSE "Die einfachen, alltäglichen Worte werden umso mehr von Sprachmelodie und Rhythmus getragen." Ö1 "Ästhetisch anspruchsvoll gestaltet." Werner Fritsch, HESSISCHE NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE "Houellebecq knüpft an die Tradition der Poètes Maudites an, ist ein Stèphan Mallarmèe der Moderne, Ur-Urenkel von Baudelaire oder Rimbaud." Welf Grombacher, OSTTHÜRINGER ZEITUNG "Überwiegend rabenschwarz [...] (mit) Witz und Selbstironie [...] bei einem so intelligenten Autor gibt es immer mehrere Ebenen [...] von banal bis zart bis hart." Michael Krüger, F.A.Z.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.06.2014Glück der Routine
Michel Houellebecqs
jüngste Gedichte
Hatten seine Romane bisher den besonderen Biss der lakonisch knappen Beschreibung, wirken die Gedichte dieses Bandes durch den Nachklang einer fast schon sanftmütigen Hinnahme der Welt, wie sie ist. Vergangene Liebe, traurig wohlige Einsamkeit, im Alter gelinderte Anflüge geistiger Ungeduld gegenüber fremden Mitreisenden im Zug oder Flugzeug und der beständige innere Kampf gegen den hartnäckigen Hang zur Hoffnung sind einige Hauptthemen dieser rund hundert Gedichte. Gut ein Dutzend von ihnen ist seit dem Erscheinen des Bandes in Frankreich vor einem Jahr (SZ vom 19. 4. 2013) von Jean-Louis Aubert, dem Sänger der ehemaligen Rock-Gruppe „Téléphone“, auf einer CD schon vertont worden.
Für abgeklärte Altersweisheit ist Michel Houellebecq, obwohl inzwischen ein Mann von deutlich mehr als fünfzig Jahren, noch zu jung, ist das „letzte Ufer“ noch zu fern, sind die sarkastischen Skizzen von Menschen und Situationen noch zu virulent. Der Hang zum „festen und zyklischen Glück der Wiederholung“ eines alten Pfarrers beim Lesen der Sonntagsmesse oder zum Existieren in der reinen Wahrnehmung, „nur mit meinem Hündchen als Begleiter“, in der kurzen Wonne beim Warten aufs Einsteigen im Terminal Roissy 2D nach Alicante offenbart aber eine Bereitschaft zur Nachsicht gegenüber dem Aberwitz, den das Sein mit sich bringt. Im poetischen Ich ist diese Nachsicht schon weiter gediehen als im Erzählerblick von Houellebecqs Romanen.
Mit der schmuck- und reimlosen, originalnahen Übersetzung von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel bietet diese zweisprachige Ausgabe einen guten Zugang zu den meist kurzen und oft gereimten Gedichten, deren romantische Anwandlungen durch die spitze Selbstironie des Autors reizvoll zerzaust werden.
JOSEPH HANIMANN
Michel Houellebecq: Configuration du dernier rivage / Gestalt des letzten Ufers. Gedichte. Französisch/Deutsch. Übertragen von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel. DuMont Buchverlag, Köln 2014. 175 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Michel Houellebecqs
jüngste Gedichte
Hatten seine Romane bisher den besonderen Biss der lakonisch knappen Beschreibung, wirken die Gedichte dieses Bandes durch den Nachklang einer fast schon sanftmütigen Hinnahme der Welt, wie sie ist. Vergangene Liebe, traurig wohlige Einsamkeit, im Alter gelinderte Anflüge geistiger Ungeduld gegenüber fremden Mitreisenden im Zug oder Flugzeug und der beständige innere Kampf gegen den hartnäckigen Hang zur Hoffnung sind einige Hauptthemen dieser rund hundert Gedichte. Gut ein Dutzend von ihnen ist seit dem Erscheinen des Bandes in Frankreich vor einem Jahr (SZ vom 19. 4. 2013) von Jean-Louis Aubert, dem Sänger der ehemaligen Rock-Gruppe „Téléphone“, auf einer CD schon vertont worden.
Für abgeklärte Altersweisheit ist Michel Houellebecq, obwohl inzwischen ein Mann von deutlich mehr als fünfzig Jahren, noch zu jung, ist das „letzte Ufer“ noch zu fern, sind die sarkastischen Skizzen von Menschen und Situationen noch zu virulent. Der Hang zum „festen und zyklischen Glück der Wiederholung“ eines alten Pfarrers beim Lesen der Sonntagsmesse oder zum Existieren in der reinen Wahrnehmung, „nur mit meinem Hündchen als Begleiter“, in der kurzen Wonne beim Warten aufs Einsteigen im Terminal Roissy 2D nach Alicante offenbart aber eine Bereitschaft zur Nachsicht gegenüber dem Aberwitz, den das Sein mit sich bringt. Im poetischen Ich ist diese Nachsicht schon weiter gediehen als im Erzählerblick von Houellebecqs Romanen.
Mit der schmuck- und reimlosen, originalnahen Übersetzung von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel bietet diese zweisprachige Ausgabe einen guten Zugang zu den meist kurzen und oft gereimten Gedichten, deren romantische Anwandlungen durch die spitze Selbstironie des Autors reizvoll zerzaust werden.
JOSEPH HANIMANN
Michel Houellebecq: Configuration du dernier rivage / Gestalt des letzten Ufers. Gedichte. Französisch/Deutsch. Übertragen von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel. DuMont Buchverlag, Köln 2014. 175 Seiten, 18 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Michael Krüger versucht einiges, um Michel Houellebecq nicht als Schwarzseher dastehen zu lassen. Kein Leichtes, kommt der neue Gedichtband dieses Autors doch als Buch gewordener Tauerflor daher, äußerlich, inhaltlich. Wenigstens die erste Lektüre beschert Krüger nichts als düstere Vanitas-Atmo, Todessound, Galle. Beim zweiten Lesen allerdings entdeckt Krüger Momente der Aufhellung und der Liebe. Affekte, wenngleich vergangen, werden vom Dichter aufgerufen, bekränzt von etwas Ironie, wie Krüger feststellt. Und dann? Dann verschafft die dritte Lektüre, diesmal der im Band enthaltenen französischen Originaltexte, Krüger schließlich buchstäblich Erleichterung. Siehe da: Der Autor unterläuft mittels des Reims die Schwere und biegt die Schwermut um in Kapriolen. Aufatmen beim Rezensenten. Die von Krüger durchaus gelobte Übersetzung jedoch vermag das nicht abzubilden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2014Die Blumen des Zerfalls
Im kalten Sonnenlicht der Sinnlosigkeit: Die neuen Gedichte von Michel Houellebecq sind überwiegend rabenschwarz. Witz und Selbstironie des Originals sind in der deutschen Übersetzung kaum zu vermitteln.
Der Umschlag des neuen Gedichtbands von Michel Houellebecq ist so schwarz wie sein Inhalt. Schwarz ist das Vorsatzpapier des besonders aufwendig und schön gestalteten Buches, schwarz auch die eigens eingeklebte Klappe, die, neben dem schwarzen Einband, den Inhalt vor zu schneller Lektüre zu schützen wollen scheint, denn überall auf den verschiedenen Umschlägen sind - nachtblaumetallic - Merksätze gedruckt, die nicht gerade auf einen unbeschwerten Autor schließen lassen: "Es dauert einige Sekunden, eine Welt auszulöschen", oder: "Die sich vor dem Tod fürchten, fürchten sich auch vor dem Leben." Eigentlich fehlt nur noch die erste Zeile aus Dantes Inferno - "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren" -, um den immer noch nicht abgeschreckten Leser auf die dann folgende Litanei einzustimmen.
"Wir bewohnen die Leere", heißt es gleich im ersten Gedicht; im zweiten: "Ich habe kein Innenleben mehr, / Keine Leidenschaft, keine Wärme; / Bald bin ich nichts mehr als ein leerer räumlicher Körper." Und bis auf seltene Momente der Aufhellung, profane Epiphanien in einer düsteren Vanitas-Atmosphäre, frisst sich die Vergeblichkeit allen Mühens und Hoffens durch die exzellent gedruckten Seiten: "Wie soll man leben? / Und wozu soll es gut sein, Bücher zu schreiben / In der achtlosen Wüste?"
Unter der kalten Sonne der Sinnlosigkeit kann nichts gedeihen, weshalb der Dichter auch zu dem Schluss kommt: "Eigentlich ist es ziemlich ärgerlich festzustellen, dass ich immer noch imstande bin zu hoffen." Eine geradezu barocke Todesmelodie durchzieht den Band, der in lapidaren Feststellungen gipfelt wie: "Ich bin im Begriff zu krepieren, das ist alles." Natürlich fragt sich der Leser, ob der Autor - und in diesem Falle darf das lyrische Ich durchaus für das Autor-Ich genommen werden - tatsächlich todkrank ist und mit diesen Versen sein Testament vorlegt oder ob er uns an der Nase herumführen will, bis uns schwindlig ist vor lauter Schwarzgalligkeit.
Ist das wirklich alles? Nein, natürlich nicht. Bei einem so intelligenten Autor wie Houellebecq gibt es immer mehrere Ebenen, auf denen das gottlose Spiel "Pessimismus als Stadium der Reife" - wie Cioran das in Celans Übersetzung genannt hat - gespielt wird. Aber während die unerschöpfliche Blasphemie des rumänischen Häretikers Cioran gegen die verfehlte Schöpfung ihren Zorn aus den falschen Versprechungen der Theologien zieht, geht es bei Houellebecq nur um ihn selbst. Ein solider Pessimismus braucht jedoch Stoff. Weil es mir schlechtgeht, muss auch die Welt schlecht sein - in dieser narzisstischen Verkürzung hat man es schwer, einen eingefleischten Optimisten von der "Lehre des Zerfalls" zu überzeugen.
Bei einer zweiten Lektüre fallen dann allerdings Zeilen stärker ins Auge, in denen von Liebe und Begehren die Rede ist beziehungsweise von der Trauer um vergangene Liebschaften, und man bemerkt, wie man diese Zeichen geradezu sammelt als Pluspunkte für den Autor. Von banal bis zart und hart werden alle Affekte aufgerufen, die mit dem weiblichen Geschlecht zu tun haben, sogar die "Erinnerungen eines Schwanzes" kommen zum Abdruck. Da heißt es zum Beispiel: "Ich denke an dich, liebe Lise; / Ich bin glücklich." Oder: "Ich liebte diesen schamhaften Moment / Delphine, in dem du dein Herz öffnetest." Oder schließlich: "Und die Liebe, in der alles leicht ist, / In der alles sofort gegeben wird. / Es gibt, mitten in der Zeit, / Die Möglichkeit einer Insel." Da die Lieben von Michel Houellebecq es offenbar nicht lange mit ihm ausgehalten haben, sind seine Liebesgedichte oft Nachrufe, hilflose oder bittere Epitaphe. Und nur ganz selten blitzt die Ironie auf, die diesen Autor ja eigentlich auszeichnet:
Adam betrachtete seinen Dackel
Wie Marie den Erzengel Gabriel.
Ein Adam ohne Eva ist nicht viel wert,
Seufzte Adam, vor dem Erotikprogramm von TF1 sitzend.
Er hätte heiraten sollen, Kinder kriegen und so weiter;
Ein Hund kann so nett sein, wie er will, er bleibt doch ein Hund.
Und schließlich sollte man eine dritte Lektüre dieser "Blumen des Zerfalls" beginnen, die sich vornehmlich den linken Seiten des zweisprachig gedruckten Buches widmet, wo die Originale stehen - und plötzlich liest man einen ganz anderen Text. Nein, keine Einwände gegen die Übersetzung von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel, sie ist von großer Korrektheit. Aber sie macht - aus guten Gründen - gar nicht erst den Versuch, das entscheidende Merkmal dieser Gedichte abzubilden: den Reim. Houellebecq ist als großartiger Reimer mit allen Wassern gewaschen, so dass es ihm mühelos gelingt, seine manchmal arg jammernde Welt- und Liebesklage allein durch den gelungenen Reim gewissermaßen aufzuheben. Aus zehrender Schwere wird plötzlich eine schwebende Leichtigkeit, aus philosophischer Schwermut eine lyrische Kapriole. Wenn sich in dem zitierten Adam-Gedicht TF1 und un chien reste un chien reimen, dann darf man sich einen Dichter vorstellen, der von der Welt vielleicht nicht viel hält, sie aber doch noch nicht ganz aufgegeben hat.
MICHAEL KRÜGER
Michel Houellebecq: "Gestalt des letzten Ufers". Gedichte.
Aus dem Französischen von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel.
Dumont Verlag, Köln 2014. 200 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im kalten Sonnenlicht der Sinnlosigkeit: Die neuen Gedichte von Michel Houellebecq sind überwiegend rabenschwarz. Witz und Selbstironie des Originals sind in der deutschen Übersetzung kaum zu vermitteln.
Der Umschlag des neuen Gedichtbands von Michel Houellebecq ist so schwarz wie sein Inhalt. Schwarz ist das Vorsatzpapier des besonders aufwendig und schön gestalteten Buches, schwarz auch die eigens eingeklebte Klappe, die, neben dem schwarzen Einband, den Inhalt vor zu schneller Lektüre zu schützen wollen scheint, denn überall auf den verschiedenen Umschlägen sind - nachtblaumetallic - Merksätze gedruckt, die nicht gerade auf einen unbeschwerten Autor schließen lassen: "Es dauert einige Sekunden, eine Welt auszulöschen", oder: "Die sich vor dem Tod fürchten, fürchten sich auch vor dem Leben." Eigentlich fehlt nur noch die erste Zeile aus Dantes Inferno - "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren" -, um den immer noch nicht abgeschreckten Leser auf die dann folgende Litanei einzustimmen.
"Wir bewohnen die Leere", heißt es gleich im ersten Gedicht; im zweiten: "Ich habe kein Innenleben mehr, / Keine Leidenschaft, keine Wärme; / Bald bin ich nichts mehr als ein leerer räumlicher Körper." Und bis auf seltene Momente der Aufhellung, profane Epiphanien in einer düsteren Vanitas-Atmosphäre, frisst sich die Vergeblichkeit allen Mühens und Hoffens durch die exzellent gedruckten Seiten: "Wie soll man leben? / Und wozu soll es gut sein, Bücher zu schreiben / In der achtlosen Wüste?"
Unter der kalten Sonne der Sinnlosigkeit kann nichts gedeihen, weshalb der Dichter auch zu dem Schluss kommt: "Eigentlich ist es ziemlich ärgerlich festzustellen, dass ich immer noch imstande bin zu hoffen." Eine geradezu barocke Todesmelodie durchzieht den Band, der in lapidaren Feststellungen gipfelt wie: "Ich bin im Begriff zu krepieren, das ist alles." Natürlich fragt sich der Leser, ob der Autor - und in diesem Falle darf das lyrische Ich durchaus für das Autor-Ich genommen werden - tatsächlich todkrank ist und mit diesen Versen sein Testament vorlegt oder ob er uns an der Nase herumführen will, bis uns schwindlig ist vor lauter Schwarzgalligkeit.
Ist das wirklich alles? Nein, natürlich nicht. Bei einem so intelligenten Autor wie Houellebecq gibt es immer mehrere Ebenen, auf denen das gottlose Spiel "Pessimismus als Stadium der Reife" - wie Cioran das in Celans Übersetzung genannt hat - gespielt wird. Aber während die unerschöpfliche Blasphemie des rumänischen Häretikers Cioran gegen die verfehlte Schöpfung ihren Zorn aus den falschen Versprechungen der Theologien zieht, geht es bei Houellebecq nur um ihn selbst. Ein solider Pessimismus braucht jedoch Stoff. Weil es mir schlechtgeht, muss auch die Welt schlecht sein - in dieser narzisstischen Verkürzung hat man es schwer, einen eingefleischten Optimisten von der "Lehre des Zerfalls" zu überzeugen.
Bei einer zweiten Lektüre fallen dann allerdings Zeilen stärker ins Auge, in denen von Liebe und Begehren die Rede ist beziehungsweise von der Trauer um vergangene Liebschaften, und man bemerkt, wie man diese Zeichen geradezu sammelt als Pluspunkte für den Autor. Von banal bis zart und hart werden alle Affekte aufgerufen, die mit dem weiblichen Geschlecht zu tun haben, sogar die "Erinnerungen eines Schwanzes" kommen zum Abdruck. Da heißt es zum Beispiel: "Ich denke an dich, liebe Lise; / Ich bin glücklich." Oder: "Ich liebte diesen schamhaften Moment / Delphine, in dem du dein Herz öffnetest." Oder schließlich: "Und die Liebe, in der alles leicht ist, / In der alles sofort gegeben wird. / Es gibt, mitten in der Zeit, / Die Möglichkeit einer Insel." Da die Lieben von Michel Houellebecq es offenbar nicht lange mit ihm ausgehalten haben, sind seine Liebesgedichte oft Nachrufe, hilflose oder bittere Epitaphe. Und nur ganz selten blitzt die Ironie auf, die diesen Autor ja eigentlich auszeichnet:
Adam betrachtete seinen Dackel
Wie Marie den Erzengel Gabriel.
Ein Adam ohne Eva ist nicht viel wert,
Seufzte Adam, vor dem Erotikprogramm von TF1 sitzend.
Er hätte heiraten sollen, Kinder kriegen und so weiter;
Ein Hund kann so nett sein, wie er will, er bleibt doch ein Hund.
Und schließlich sollte man eine dritte Lektüre dieser "Blumen des Zerfalls" beginnen, die sich vornehmlich den linken Seiten des zweisprachig gedruckten Buches widmet, wo die Originale stehen - und plötzlich liest man einen ganz anderen Text. Nein, keine Einwände gegen die Übersetzung von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel, sie ist von großer Korrektheit. Aber sie macht - aus guten Gründen - gar nicht erst den Versuch, das entscheidende Merkmal dieser Gedichte abzubilden: den Reim. Houellebecq ist als großartiger Reimer mit allen Wassern gewaschen, so dass es ihm mühelos gelingt, seine manchmal arg jammernde Welt- und Liebesklage allein durch den gelungenen Reim gewissermaßen aufzuheben. Aus zehrender Schwere wird plötzlich eine schwebende Leichtigkeit, aus philosophischer Schwermut eine lyrische Kapriole. Wenn sich in dem zitierten Adam-Gedicht TF1 und un chien reste un chien reimen, dann darf man sich einen Dichter vorstellen, der von der Welt vielleicht nicht viel hält, sie aber doch noch nicht ganz aufgegeben hat.
MICHAEL KRÜGER
Michel Houellebecq: "Gestalt des letzten Ufers". Gedichte.
Aus dem Französischen von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel.
Dumont Verlag, Köln 2014. 200 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main