Mit „Geteiltes Vergnügen“ präsentiert sie einen Roman über eine Journalistin namens Jessica mit jüdischen Wurzeln, die in der Ich-Form von einer amour fou erzählt, die sie über etwa ein Jahr mit einem Mann namens Tom hat, einem Musiker, der sie gleich beim ersten Zusammentreffen durch seine Manieren
beeindruckt: „Er war überhaupt wahnsinnig höflich. Zuvorkommend. Gut erzogen, könnte man auch…mehrMit „Geteiltes Vergnügen“ präsentiert sie einen Roman über eine Journalistin namens Jessica mit jüdischen Wurzeln, die in der Ich-Form von einer amour fou erzählt, die sie über etwa ein Jahr mit einem Mann namens Tom hat, einem Musiker, der sie gleich beim ersten Zusammentreffen durch seine Manieren beeindruckt: „Er war überhaupt wahnsinnig höflich. Zuvorkommend. Gut erzogen, könnte man auch sagen. Nie zuvor hatte mir ein Mann nicht nur in den Mantel geholfen, sondern mir anschließend auch noch den Schal umgelegt (…) Er behandelte mich, als wäre allein die Tatsache, dass ich eine Frau war, etwas unerhört Besonderes und Kostbares.“
Sie fühlt sich nicht nur wieder richtig als Frau, sondern sie kleidet sich auch so. Und sie hat noch nie so guten und leidenschaftlichen Sex gehabt, wie mit diesem Mann. Doch so nah er ihr dabei kommt, so zärtlich und kräftig zugleich er sie begehrt, so schnell ist er danach wieder verschwunden, zieht sich manchmal für Tage zurück und antwortet nicht auf ihre Nachrichten. Dann ist er wieder da, als wäre er nie weg gewesen. Jessica beginnt sich daran zu gewöhnen. Sie akzeptiert auch Toms rätselhafte Beziehung zu einem älteren Freund, in dessen Haus er wohnt und mit dem er sich nicht nur kulinarische Genüsse teilt, sondern auch Frauen.
Als sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Kinderwunsch verspürt, setzt sie die Pille ab, lässt es darauf ankommen, wird aber nicht schwanger von Tom. Der wiederum schläft nicht nur mit wechselnden Frauen bei Partys, die sein Freund ausrichtet, sondern auch mit seiner ehemaligen Partnerin. Verständlicherweise ist Jessica durcheinander. Hin- und hergerissen zwischen Anziehung und Empörung.
Sie macht erneut eine Therapie bei einer offenbar mit medialen Fähigkeiten ausgestatteten etwas skurrilen Psychologin, die unter anderem einen Satz von sich gibt, der mich begeistert hat: „Man muss wollen, was man hat, bevor man bekommt, was man will.“
Man ist als Leser über eine lange Zeit irritiert, warum Jessica an der Beziehung zu Tom so lange festhält, warum sie sich im Namen der Liebe sozusagen selbst aufgibt. Aber Johanna Adorjan erzählt die Geschichte als Befreiungsgeschichte, als eine Entwicklung hin zu sich selbst. Als Tom zu seiner sterbenden Mutter, einer berühmten Musikerin, nach New York eilt, bekommt Jessica den nötigen Abstand, all das, was sie erlebt und gefühlt hat, zu sortieren.
Johanna erzählt diese amour fou von Jessica und Tom auf eine Weise, als hätte sie es in einer ähnlichen Form so erlebt. Vielleicht hat sie das ja auch.
Der Roman spielt mit dem Thema, warum Frauen (aber auch Männer) so lange an Beziehungen festhalten, die offensichtlich nicht gut für sie sind. Und obwohl Jessica am Ende feststellt: „ ‚Verlass mich nicht‘, sagte ich nicht“, ist anzunehmen, dass sie noch lange daran zu knabbern hat. An der Erfahrung, dass aus der zunächst genossenen Spannung zwischen Freiheit und Liebe etwas ganz Dunkles wird.
Ich halte Johanna Adorjans zweiten Roman für ein gelungenes Buch und freue mich auf ihr nächstes Buch.