Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Essay zu Martin Niemöller
Mit Begeisterung habe Martin Niemöller im Ersten Weltkrieg feindliche Schiffe versenkt, hält sein Biograph Martin Stöhr fest. 1933 gab er Hitler seine Stimme, die Juden betrachtete er zunächst noch als ein Volk, von dem ein Fluch ausgehe. Doch als Pfarrer in Berlin-Dahlem stellte Niemöller sich den Nationalsozialisten immer entschiedener in den Weg. Acht Jahre saß er dafür in Konzentrationslagern. "Wie kann sich jemand so ändern?" Das war eine der Fragen, mit der sich Professoren und Geistliche abmühten, die in dieser Woche im Wiesbadener Luthersaal zusammenkamen. Vorgestellt wurde ein Buch, das anlässlich des anstehenden 125. Geburtstages von Niemöller erschienen ist.
Auf eine Auswahl von Predigten und ein großes Interview folgt Stöhrs Essay zu "Leben und Werk". Am Ende des Krieges wurde Niemöller von den Amerikanern in Wiesbaden verhört und inhaftiert. Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft blieb er in der hessischen Landeshauptstadt. Über 17 Jahre hinweg war Niemöller Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Als Galionsfigur der Friedensbewegung zog er beispielsweise gegen den Nato-Doppelbeschluss zu Felde. 1984 starb er im Alter von 92 Jahren.
Stöhr, emeritierter Theologieprofessor und einst Pfarrer in Wiesbaden und Darmstadt, zeigt in seinem biographischen Essay auf 55 Seiten exemplarisch, dass die ambivalente Rolle der evangelischen Kirche während des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit nach einer differenzierenden Einordnung verlangt. Ausführlich würdigt er das Schicksal seines Protagonisten als "persönlicher Gefangener Hitlers". Aber auch die Irrtümer, die Niemöller nach dem Krieg zu dezidierten Schuldbekenntnissen veranlassten, kommen nicht zu kurz.
Eine historische Ergänzung verdient Stöhrs Hinweis, "der Einspruch einiger evangelischer und katholischer Kirchenführer und Laien" habe nach der Ermordung von mehr als 200 000 Kranken die teilweise Einstellung des sogenannten Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten bewirkt. Tatsächlich war der öffentliche Protest des katholischen Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, entscheidend dafür, dass Hitler die massenhafte Tötung des angeblich "lebensunwerten Lebens" weitgehend stoppen ließ. In diesem Fall tun sich die Katholiken mit ihrer Geschichte leichter als die Protestanten. Von Galen wurde Kardinal und seliggesprochen. Niemöller nahm aus den Händen des Oberbürgermeisters Rudi Schmitt (SPD) die Ernennung zum Wiesbadener Ehrenbürger entgegen.
EWALD HETRODT
Joachim Perels (Hrsg): Martin Niemöller. Gewissen vor Staatsräson. Wallstein-Verlag. Göttingen 2016. 352 Seiten. 19,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main