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Der schwarze Junge Ghost rennt um sein Leben
Am liebsten würde der Rezensent nach der Lektüre von Jason Reynolds’ neuem Roman „Ghost – Jede Menge Leben“ in seine alten Spikes schlüpfen, wenn er sie denn fände. In die Hocke gehen. Füße gegen den Startblock auf der alten Aschenbahn der Schule. Daumen und Zeigefinger auf die weiße Startlinie. Augen schließen. Atmen. Stille. Peng – und los.
Die Faszination eines Hundertmeterlaufs – sie fühlt sich für begeisterte Laufsportler vermutlich überall gleich an, rund um den Erdball. Während wir Läufer damals vor allem uns selbst und den Mädchen aus der 11c imponieren wollten, nimmt sich der junge schwarze Autor aus Washington D.C., dessen Karriere inzwischen einem Hundertmeterdauerlauf ähnelt, das Leben des 13jährigen Castle Cranshaw, der sich selbst „Ghost“ nennt, auf ganz andere Weise vor. Er statuiert an ihm ein Exempel: Wie ein komplexbeladener Heranwachsender aus einfachsten, katastrophalen Familienverhältnissen sein Lauftalent mit Erfolgen und Rückschlägen so einzusetzen lernt, dass aus ihm ein selbstbewusster, selbstkritischer und geselliger junger Mensch wird. Einer der – man wird ja noch träumen dürfen – zum Beispiel eines Tages mit links an Usain Bolt vorüberzieht. Klingt pädagogisch wertvoll und moralisch nobel – und ist es ja auch.
Aber wie Reynolds diese Moral mit der Handlung seiner Geschichten (die sicher auch etwas mit seiner eigenen Biografie zu tun haben) verquickt, das dürfte viele junge Leser dazu animieren, den Roman im forcierten Dauerlauf zu durchschreiten. Dabei könnten sie sich fühlen wie die Jungs und Mädchen aus der Sportgruppe der „Defenders“, die ihr Trainer einmal pro Woche durch die Stadtviertel rennen lässt und nötigenfalls aus dem Begleitfahrzeug per Megafon motiviert. Den Roman zeichnet ein ungeheurer Drive aus, ein betörender Rhythmus und eine, von Anja Hansen-Schmidt treffend übersetzte, eingängige Jugendsprache. Wie schon in seinen anderen Romanen glaubt man als Leser direkt neben dem Erzähler auf einer Bank zu sitzen – etwa an einer Bushaltestelle – und seinen Geschichten zu lauschen, während auf der Straße das Leben vorbeirauscht.
Reynolds’ Grundmuster der Erzählung ähnelt dem, das er bereits in seinem Debütroman „Coole Nummer“ verwendet hat: Der Ich-Erzähler spricht die Leser direkt an und berichtet von seinem Bemühen, sich aus seinem gleichermaßen fremd- wie selbstbestimmten Schlamassel zu befreien. Dank der Unterstützung herzensgütiger Menschen und dank des Rumorens des eigenen Gewissens befindet er sich auf einem guten Weg. Zusammen mit den anderen Neulingen in seiner Laufmannschaft, die in drei weiteren Romanen vorgestellt werden. Der Folgeband „Patina, was ich liebe und was ich hasse“ erscheint im November. (ab 12 Jahre)
SIGGI SEUSS
Der Rhythmus der Läufer
treibt die Geschichte
Jason Reynolds:
Ghost. Jede Menge Leben. Aus dem Englischen von Anja Hansen-Schmidt.
dtv (Reihe Hanser),
München 2018.
224 Seiten, 14,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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