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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Phantastik des Fanatischen: Henning Ahrens hat mit "Glantz und Gloria" den Roman zum Wutbürger parat
Wer als Kind "Lucky Luke" gelesen hat, wird sich an die kuriosen Ortsschilder erinnern, mit denen Wildwest-Kaffs ihre Unwillkommenskultur zelebrierten: Einschusslöcher und martialische Warnungen an alle Fremden. Ähnlich wird im neuen Roman von Henning Ahrens der Schauplatz eingeführt: "Ein Ortsschild, mit Fastfoodmüll verziert, von Kugeln durchsiebt: GLANTZ IM DÜSTER."
Schon diese Verbindung von Orts- und Landschaftsnamen ist preiswürdig. Zumal sich durch das Tal des Düsters ein Flüsschen namens "Schwarte" windet. Ein "Hauch von Schweinegülle" liegt in der Luft, der Ostwind trägt den Gestank der Mastanlagen herüber, vor den Häusern stehen große Autos mit Anhängerkupplung, "Mahnmale des Wohlstands". Glantz sorgt für Nachschub auf Grill und Bräter, hier wird Fleisch en gros produziert. Die wenigen Straßen sind meist menschenleer, nur ein paar dickliche Teenager hocken in den Bushaltestellen, die Blicke "leerer als eine bis auf den Grund geleerte Colaflasche".
Zwei Menschen bewegen sich zu Beginn auf Glantz zu. Der eine sucht die Vergangenheit, die andere die Zukunft und ihre Handtasche. Gloria Mayer will eine Stelle als Landärztin antreten, der Ich-Erzähler Rock Oldekop, ein Mittvierziger, kehrt in einer Lebenskrise erstmals an die Brandstätte seiner frühen Kindheit zurück. Als er fünf war, ging sein Glantzer Elternhaus aus ungeklärter Ursache in Flammen auf, die Eltern starben. Kürzlich hat Rock, der eigentlich Karl-Otto heißt, zudem eine "Mehrfachfraktur" seiner Existenz erlitten: Seine Lebensgefährtin hat ihn betrogen. Auf Kreta hat er vorübergehend eine Zuflucht gefunden, allerdings ist er dort immer wieder auf die Spuren der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg gestoßen - Massaker, Geiselerschießungen, Taten enthemmter deutscher Biedermänner und Brutalgermanen, von denen er sich nun wiederum in Glantz umstellt und verfolgt fühlt.
Oldekop gerät in die Frontlinie eines hasserfüllten Konflikts. Auf der einen Seite steht der Ex-Wurstfabrikant Landauer, der sich zu militantem Vegetariertum und Öko-Esoterik bekehrt hat, in einer restaurierten Mühle lebt, in der auch Rock und Gloria Unterschlupf finden, und die große Schweinebefreiung plant. Auf der anderen Seite steht der Großbauer Harm Kremser, Schweinemonopolist, Milchvieholigarch, Windradkönig. Er will die Mühle kaufen und eine Großschlachterei errichten; vor allem will er den "Zugewanderten" Landauer vertreiben. Fremde sind in Glantz unerwünscht, es gilt: einmal Fremder, immer Fremder. Wutbürger stimmen Sprechchöre an: "Merkt ihr den Zorn? Merkt ihr den Groll? / Wir sind das Maß, und das Maß ist voll!" Ahrens überspitzt die Beschreibungen ins Surreale, so dass man bei der Lektüre das Gefühl hat, in eine merkwürdig aus Nachrichten und Albträumen zusammengeknetete Welt geraten zu sein: Phantastik des Fanatischen.
Bei aller ungeplanten Aktualität ist "Glantz und Gloria" ein hintersinniges artifizielles Werk mit Zeitsprüngen, Rückblenden, Andeutungen und Aussparungen. Ahrens strebt keine psychologische Plausibilität an, er setzt auf die Anreicherung des Geschehens durch Subtexte und Anspielungen; bisweilen hat die überdrehte Handlung etwas von einem Computerspiel. Die "Pummels und Prolls", die in Glantz aufmarschieren, erscheinen zugleich in eine grimmige altdeutsche Märchenwelt getaucht mit ihren derben Sinnsprüchen ("Hurra, hurra - / Präteritum ist wieder da"), dann wieder wie Orks aus einen Fantasy-Spektakel oder wie die modriggesichtigen Zombies einer Horror-Farce. Nachts entsteigen sie den Gräbern, zuerst kommt die Hand mit dem irrlichternden Smartphone aus der Erde.
Henning Ahrens wurde 1964 als Sohn eines niedersächsischen Landwirts geboren und hat als Übersetzer, Lyriker, Romancier ("Lauf Jäger lauf", "Tiertage") noch lange in der Provinz gelebt, in der jemand, der morgens nicht das Haus Richtung Arbeitsstätte verlässt, leicht zum suspekten Subjekt wird. Offenbar ist in "Glantz und Gloria" ein gewisses Rachebedürfnis stilbildend geworden. Scharfe, pointierte Literatur entsteht ja nicht immer aus edlen Antrieben, Thomas Mann hat das in seinen jüngeren Jahren zugegeben, als er den "treffenden Ausdruck" als Waffe bezeichnete, die dem Schriftsteller die "Rache an seinem Erlebnis" ermögliche. In diesem Sinn macht Ahrens von der Waffe Gebrauch.
Zugleich schafft er seinem lyrischen Talent Anwendungsmöglichkeiten in den Reimen der Protestler, die so witzig wie martialisch sind. Am Ende greift Landauer, der "eingefleischte Vegetarier" und wahnhafte Idealist, zum Sprengstoffpaket. Auf eine Riesenschweinerei läuft es hinaus. Die Hassbürger-Farce bietet keine "Strandkorbprosa", sondern eine Story, wie man sie "seinen Enkeln im Schein des brennenden Wohnzimmers erzählt" - so die prahlerische Warnung, die Ahrens seiner Geschichte vorangestellt hat, ganz im Geist der treffenden Übertreibung, die dieses Buch kennzeichnet.
WOLFGANG SCHNEIDER
Henning Ahrens: "Glantz und Gloria". Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 176 S., geb., 18,99 [Euro].
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