Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2003Ein prächtiger Schweinehund
Alex Capus in der Romanfabrik
"Laßt mich erzählen, wie mein Fahrradmechaniker Harry Widmer junior ein ziemlich guter Mensch wurde." So verplaudert anspruchslos beginnt Alex Capus' neuer Roman, der den Zweifel am ganz Großen bereits im Titel trägt. Aber "Glaubst du, daß es Liebe war?" ist ja auch weniger eine Liebesgeschichte als das Sittengemälde eines ganz durchschnittlichen "Prachtkerls von Schweinehund", der eben keine Sitten hat.
Als Harry das Fahrradgeschäft des Vaters in den Ruin getrieben und dann auch noch die thailändische Bardame Nancy geschwängert hat, hilft nur noch spontanes Abtauchen in Mexiko, um endlich wieder ungestört eine schöne Zeit zu verleben. Doch auch dort holen sie ihn ein, die so beiläufigen wie tiefgründigen Dramen des Alltags, aus denen Capus seine Romane strickt. Ihren Ausgang nehmen sie meist in namenlosen Kleinstädten, die ein wenig, vielleicht auch nichts mit der Kleinstadt Olten im Kanton Solothurn gemein haben, in dem der gebürtige Franzose seit seinem fünften Lebensjahr lebt. Der "Munzinger Pascha" aus seinem gleichnamigen Romandebüt immerhin war ein Oltener, gut möglich, sagt der heute Zweiundvierzigjährige mit unbewegter Miene, daß er ein Vorbild gewesen sei, jener Fahrradmechaniker aus Olten. Schwaden trockenen Humors verhindern in der Romanfabrik aber letztlich die Entschleierung, und das sollen sie auch, denn die potentielle Authentizität seiner Figuren ist ihm wichtiger. "Ich möchte über Menschen schreiben, die es gibt", sagt Capus mit nun sehr ernst gemeintem Verweis auf den Vorwurf der Banalität seiner Stoffe, "und dazu möchte ich gerne stehen".
Als Capus dann zu lesen beginnt, drei kurze Szenen, in denen er seine Aura des blondgelockten amerikanischen Surfers erfolgreich mit einer gewissen bärbeißigen Bodenständigkeit durchbricht, versteht man allmählich, was er damit meint. Lakonisch, mit gurgelndem Schweizer Akzent - "schwongrrr" klingt in der Tat folgenschwerer als schwanger - blickt er in "Harrys Crazy Bike Corner", folgt seinem "Haroldo" nach Mexiko, läßt ihn im Zwiegespräch mit dem Wohnwagenbesitzer "Jack oder Joe", der soeben von seiner Ehefrau "abgehängt" wurde, das "uralte Wunder der Annäherung unter Trinkern" erleben und schildert schließlich erste Anzeichen der Läuterung.
Vordergründig beobachtet Capus nur, niemals würde er seine Helden bloßstellen, aber vor seinem ungeschönten Blick kann sich eben auch niemand verstecken - was Harry so ungemein authentisch und fast ein wenig sympathisch macht. Kunstvoll kitzelt er aus noch so übersehenswerten Situationen einen Aberwitz heraus, der der leicht und spritzig erzählten Geschichte mehr Ebenen verleiht, als man beim ersten Hören zu entschlüsseln glaubt. Oder wie soll man es deuten, daß dem Geflohenen ausgerechnet eine Thailänderin, die seit Jahren nicht mehr das Haus verläßt, zurück auf den Pfad der Tugenden helfen will? Zwar wird Harry auch am Ende kein richtig guter Mensch. Aber das ziemlich gut.
KRISTINA MICHAELIS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alex Capus in der Romanfabrik
"Laßt mich erzählen, wie mein Fahrradmechaniker Harry Widmer junior ein ziemlich guter Mensch wurde." So verplaudert anspruchslos beginnt Alex Capus' neuer Roman, der den Zweifel am ganz Großen bereits im Titel trägt. Aber "Glaubst du, daß es Liebe war?" ist ja auch weniger eine Liebesgeschichte als das Sittengemälde eines ganz durchschnittlichen "Prachtkerls von Schweinehund", der eben keine Sitten hat.
Als Harry das Fahrradgeschäft des Vaters in den Ruin getrieben und dann auch noch die thailändische Bardame Nancy geschwängert hat, hilft nur noch spontanes Abtauchen in Mexiko, um endlich wieder ungestört eine schöne Zeit zu verleben. Doch auch dort holen sie ihn ein, die so beiläufigen wie tiefgründigen Dramen des Alltags, aus denen Capus seine Romane strickt. Ihren Ausgang nehmen sie meist in namenlosen Kleinstädten, die ein wenig, vielleicht auch nichts mit der Kleinstadt Olten im Kanton Solothurn gemein haben, in dem der gebürtige Franzose seit seinem fünften Lebensjahr lebt. Der "Munzinger Pascha" aus seinem gleichnamigen Romandebüt immerhin war ein Oltener, gut möglich, sagt der heute Zweiundvierzigjährige mit unbewegter Miene, daß er ein Vorbild gewesen sei, jener Fahrradmechaniker aus Olten. Schwaden trockenen Humors verhindern in der Romanfabrik aber letztlich die Entschleierung, und das sollen sie auch, denn die potentielle Authentizität seiner Figuren ist ihm wichtiger. "Ich möchte über Menschen schreiben, die es gibt", sagt Capus mit nun sehr ernst gemeintem Verweis auf den Vorwurf der Banalität seiner Stoffe, "und dazu möchte ich gerne stehen".
Als Capus dann zu lesen beginnt, drei kurze Szenen, in denen er seine Aura des blondgelockten amerikanischen Surfers erfolgreich mit einer gewissen bärbeißigen Bodenständigkeit durchbricht, versteht man allmählich, was er damit meint. Lakonisch, mit gurgelndem Schweizer Akzent - "schwongrrr" klingt in der Tat folgenschwerer als schwanger - blickt er in "Harrys Crazy Bike Corner", folgt seinem "Haroldo" nach Mexiko, läßt ihn im Zwiegespräch mit dem Wohnwagenbesitzer "Jack oder Joe", der soeben von seiner Ehefrau "abgehängt" wurde, das "uralte Wunder der Annäherung unter Trinkern" erleben und schildert schließlich erste Anzeichen der Läuterung.
Vordergründig beobachtet Capus nur, niemals würde er seine Helden bloßstellen, aber vor seinem ungeschönten Blick kann sich eben auch niemand verstecken - was Harry so ungemein authentisch und fast ein wenig sympathisch macht. Kunstvoll kitzelt er aus noch so übersehenswerten Situationen einen Aberwitz heraus, der der leicht und spritzig erzählten Geschichte mehr Ebenen verleiht, als man beim ersten Hören zu entschlüsseln glaubt. Oder wie soll man es deuten, daß dem Geflohenen ausgerechnet eine Thailänderin, die seit Jahren nicht mehr das Haus verläßt, zurück auf den Pfad der Tugenden helfen will? Zwar wird Harry auch am Ende kein richtig guter Mensch. Aber das ziemlich gut.
KRISTINA MICHAELIS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main