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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Planetarischer
Zivilisationsprozess
Die Rede von der „Globalisierung“ verbreitete sich großflächig erst seit 1993, berichtet Sebastian Conrads konzise Einführung in die neue Disziplin der „Globalgeschichte“. Von der altbekannten „Weltgeschichte“ unterscheidet sie sich methodisch und sachlich: Sie unterstellt kein gemeinsames Subjekt wie die „Menschheit“, keinen historischen Pfad, auf den alle Völker irgendwann kommen. Sie spricht dafür von Vernetzung, ist polyzentrisch und arbeitet vergleichend. Trotzdem ist ihr Anspruch gegenwartsdiagnostisch: Wie kam es zum planetarischen Modernisierungsprozess, in dem heute alle Gesellschaften eingeschlossen sind? Conrads Buch ist voller Begriffsklärungen und Abwägungen. Am stimulierendsten ist es bei den großen Kontroversen der letzten Jahrzehnte – warum überrundete Europa eine Zeit lang die nicht weniger fortgeschrittene chinesische Zivilisation? – und bei der Erörterung eines knappen Kanons wichtiger globalhistorischer Darstellungen. Da gibt es nur ein deutschsprachiges Werk, Jürgen Osterhammels „Verwandlung der Welt“. Es zeigt, wie wichtig eine solche gut abwägende unideologische Einführung ist.
GUSTAV SEIBT
Sebastian Conrad: Globalgeschichte. Eine Einführung. Beck’sche Reihe, München 2013, 300 Seiten, 14,95 Euro.
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Grenzenlose Kontexte: Der Berliner Historiker Sebastian Conrad führt umsichtig in die Globalgeschichte ein
Eins ist klar: Der Westen ist der Kontrahent. Da ist beispielsweise der ägyptische Philosoph Hassan Hanafi. Der stand früher der Muslimbrüderschaft nahe, ließ sich an der Sorbonne vom Marxismus inspirieren, war damals schon ein guter Geiger, erwarb sich an der Universität Kairo mit seinen liberalen Ansichten über den Islam den Ruf eines Häretikers, um schließlich bei seinem großem Thema anzukommen: der Bekämpfung westlicher Hegemonie. In einem ironisch als "Okzidentalistik" bezeichneten Ansatz versucht Hanafi unter den Schuttbergen westlicher Zivilisation einen modernen Islam zu identifizieren.
Die Einführung in die Globalgeschichte des Berliner Historikers Sebastian Conrad ist voll von solchen Geschichten und funkelnden Gestalten: ein Institut für History and Civilization in Malaysia, an dem eine an muslimischer Offenbarung inspirierte Weltgeschichte gelehrt wird; der in Kalifornien forschende Wirtschaftshistoriker Paul Tiyambe Zeleza aus Malawi, der die Abhängigkeit von westlichen Quellen überwinden will; der Chinese Wang Hui, der in einer Ideengeschichte die Überlegenheit chinesischen Denkens nachweisen möchte.
Doch trotz der mannigfaltigen Perspektiven scheut Conrad nicht die Definition: Globalgeschichte sei eine Form der historischen Analyse, bei der Phänomene, Ereignisse oder Prozesse in globale Kontexte eingeordnet werden. Zudem habe Globalgeschichte eine "polemische Dimension": Sie setze sich ab von großen Erzählungen wie der Nationalgeschichte oder der Modernisierungstheorie und wende sich gegen den Eurozentrismus. So wie sich im neunzehnten Jahrhundert die Meistererzähler vornahmen, mit ihrer Nationalgeschichte den Staatsbürger hervorzubringen, trage Globalgeschichte zu einem Weltbürgertum bei. All das ist zweifellos zeitgemäß und, wie der Autor unterstreicht, von "emanzipatorischer Wirkung".
In acht Kapiteln umreißt Conrad unter anderem die "Geschichte der Weltgeschichte", beurteilt "Kritik und Grenzen" der Globalgeschichte, benennt thematische Schwerpunkte und skizziert zentrale Werke. Das Buch bietet einen guten Einstieg in die Materie. Trotz aller Geschütze, die gegen nationalstaatliche Erzählungen aufgefahren werden, betont Conrad die anhaltende Bedeutung des Nationenkonzepts für historische Analysen. Angesichts von Darstellungen der heilen Welt indigener Völker warnt er vor verkitschtem Essentialismus, diagnostiziert "poststrukturalistischem Jargon" und ist auch für globalhistorischen Jubel nicht zu haben.
Doch so faszinierend die Lektüre ist, ein Stachel bleibt: Wie lässt sich eine Globalgeschichte in Ablehnung des westlichen Narrativs der Moderne schreiben, wenn sich letztlich, selbst in der Zurückweisung, doch alles um den Westen dreht? Und wenn auf jeder zweiten Seite des Buches die Untauglichkeit des Eurozentrismus a priori gesetzt wird - warum bleibt dann die "Königsfrage der Weltgeschichtsschreibung", so Conrad, doch die nach dem Sonderweg Europas?
Das rührt auch an die prinzipielle Frage, wie viel Normativität Wissenschaft verträgt. Gewiss entkommen Forscher nicht ihrem "Werturteil", das hat bereits Max Weber festgestellt. Aber ist es eine gute Idee, darüber hinaus das Ergebnis der Forschung vorzugeben? Was, wenn für die Entwicklung Europas vielleicht doch indigene Faktoren verantwortlich wären und weniger globale Transferprozesse? Was, wenn sich eine Dichotomie West-Rest ausmachen ließe?
Von normativen Dogmen dirigiert, stolpern manche der Welthistoriker von einem Dilemma ins nächste: Wenn der Westen nicht so wichtig ist, warum wird die westliche Kolonialherrschaft immer wieder als primäre Erzählung des Sündenfalls ins Feld geführt? Das gilt gewiss nicht für alle Globalhistoriker; Jürgen Osterhammel etwa wird mit dem Bekenntnis zitiert, "vielleicht etwas ,eurozentrischer' eingestellt" zu sein. Doch wenn große Narrative abgelehnt werden, wie viel Thesen- und Interpretations-Abstinenz kann Historiographie ertragen? Und ist es nicht ein frappantes Outing, wenn manche Zeitgenossen von "Weltgeschichte als falschem Bewusstsein" sprechen, weil sie ein britisch-amerikanisches Exportprodukt sei, oder wenn andere Globalhistoriker wissenschaftliche Standards als hegemonial zurückweisen? Warum vergisst der eingangs erwähnte Philosoph Hassan Hanafi nicht einfach den Westen? Vielleicht hat das etwas mit seiner Geige zu tun.
HEDWIG RICHTER.
Sebastian Conrad: "Globalgeschichte". Eine Einführung.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 300 S., br., 14,95 [Euro].
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