Jidada heißt das Land. Ein Land, bevölkert von vermenschlichten Tieren, beherrscht vom stärksten unter ihnen, seit fast vierzig Jahren. Einst brachte er die Unabhängigkeit auf den afrikanischen Kontinent, zerschlug die Fesseln der Geschichte, bloß um ihnen prompt andere anzulegen. Doch nun mehren sich die Zeichen, dass seine Kräfte schwinden. Wer ihn reden hört, wer das Alte Pferd in die Sonne blinzeln sieht, ihn und seinen ganzen verrotteten Apparat, der weiß: seine Tage sind gezählt. In Jidada kehrt jetzt Hoffnung ein: auf eine gerechte Zukunft, auf Wohlstand und Veränderung, endlich ein besseres Leben für uns alle! Aber das Regime wehrt sich mit Waffen härter als Träume, schärfer als Fantasie, tödlicher als blanke Lebensfreude, bis eine Heimkehrerin aus dem Exil alles verändert.
Glory ist die brillante Verwandlung unserer Gegenwart. In einer Sprache, die singt und tanzt und springt und schreit, erzählt NoViolet Bulawayo von einer Gemeinschaft im Kampf gegen die Repression. Und fördert beides zutage: Glanz und Schönheit, Horror und Schmerz am Grund der menschlichen Freiheit.
Glory ist die brillante Verwandlung unserer Gegenwart. In einer Sprache, die singt und tanzt und springt und schreit, erzählt NoViolet Bulawayo von einer Gemeinschaft im Kampf gegen die Repression. Und fördert beides zutage: Glanz und Schönheit, Horror und Schmerz am Grund der menschlichen Freiheit.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für Rezensent Kai Sina ist NoViolet Bulawayos zweiter Roman ein Glücksfall der Literatur. Indem die Autorin die Verhältnisse in ihrer Heimat Simbabwe gleichnishaft in einer in einem fiktiven afrikanischen Staat spielenden Tierparabel darstellt, werden für Sina gleich mehrere Dinge transparenter: Was es bedeutet in einem System der Mangelwirtschaft, der Korruption und des Terrors zu (über-)leben, wie sich das hiesige Afrikabild mit literarischen Mitteln überzeugend verfremden lässt und schließlich wie lebendige Gegenwartsliteratur aussehen kann. Begriffe wie Kolonialismus und Postkolonialismus werden hier zudem auf ihren terminologischen Ursprung zurückgeführt, staunt Sina.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2023Der amerikanische Pavian twittert nach Jidada
Eine postkoloniale Tiergeschichte mit Verfremdungsästhetik: NoViolet Bulawayos großer und glänzend übersetzter Wurf "Glory"
Auch der Mauersegler genießt das Recht einer postkolonialen Betrachtungsweise. Dies zumindest ließ sich vor wenigen Monaten dieser Zeitung entnehmen, es ging um das Buch "Der Ruf des Sommers" des Autors und Veterinärs Charles Foster (F.A.Z. vom 12. August 2023). Was sich bei Forster beispielhaft zeigt, ist eine Entgrenzung des Kolonialismusbegriffs, die angesichts der gegenwärtigen Brisanz des historisch konkreten Siedlungskolonialismus und seiner Folgen fast etwas despektierlich wirkt: Die Bilder der Demonstranten, die im Niger die Fahnen der früheren Kolonialmacht Frankreich verbrannten, um stattdessen zur Flagge der Russischen Föderation zu greifen, stehen einem schließlich noch lebhaft vor Augen. Bei aller Liebe zum Mauersegler: In Fragen des Kolonialismus ist er bis auf Weiteres nur ein Randphänomen.
Ob NoViolet Bulawayo sich dieser Kritik anschließen würde? "Glory", ihr zweites Buch nach "We Need New Names" von 2013, legt diese Schlussfolgerung zumindest nahe. Es handelt sich um einen postkolonialen Roman im engsten, härtesten Wortsinne. Sein Gegenstand ist die politische und gesellschaftliche Entwicklung in dem fiktiven afrikanischen Staat Jidada, der vor vier Jahrzehnten in blutigen Kämpfen seine Unabhängigkeit von den westlichen Besatzern erlangt hat. Die damaligen Kämpfer führten das Land aber nicht in die Freiheit, sondern errichteten einen Unterdrückungsstaat, an dessen Spitze seither ein ebenso skrupelloser wie selbstverliebter Machthaber steht.
Parallelen zu Simbabwe, dem bis 2017 regierenden Diktator Robert Mugabe und seinem Nachfolger Emmerson Mnangagwa sind beabsichtigt: Bulawayo selbst ist in dem Land aufgewachsen, bevor sie als junge Frau in die Vereinigten Staaten ausgewandert ist; ihr Name nimmt Bezug auf ihre Geburtsstadt im Südwesten. Und wie Mugabe wird auch der Herrscher von Jidada nach Jahrzehnten der Herrschaft in einem Militärputsch abgesetzt (das refrainartig wiederkehrende Verstärkerwort "tholukuthi" zitiert die inoffizielle Hymne der zimbabwesischen Aufständischen), was bei der Bevölkerung zunächst die Hoffnung auf Demokratie, Gerechtigkeit und Wohlstand freisetzt, bevor die Putschisten ihrerseits ein System des Terrors, der Mangelwirtschaft und Korruption aufbauen. Das Land ist - wie viele reale afrikanische Staaten, die von der Autorin in einem langen Katalog als Parallelfälle angeführt werden - gefangen in einem "zerstörerischen Teufelskreis".
Ein allzu realistischer Afrikaroman ist "Glory" aber trotzdem nicht, und das hat vor allem einen Grund: Seine Akteure sind keine Menschen, sondern ausschließlich Tiere. Die wichtigsten Figuren, an deren Wahrnehmungen die Erzählung gebunden ist, sind eines Ziege namens Destiny, die aus dem Exil nach Jidada zurückkehrt und deshalb mit etwas größerem Beobachtungsabstand auf die Geschehnisse blicken kann, aber auch mehrere Vertreter der Führungselite: das "alte Pferd" an der Staatsspitze, dessen Herrschaft schon zu Beginn der Handlung bröckelt, seine despotische Frau, die sich zynischerweise "Dr. Sweet Love" nennen lässt, und Vizekanzler Tuvy, der sich mithilfe der "Defenders", einer Truppe schlagkräftiger Hunde, an die Macht putscht.
Die Nähe zu George Orwells "Animal Farm" liegt auf der Hand, und doch hat Bulawayo gegenüber der Schweizer Zeitschrift "Republik" betont, dass sie sich mit ihrem Buch zu allererst in eine afrikanische Erzähltradition einreihen wollte: "Wir sind aufgewachsen mit den Geschichten unserer Großmütter, in denen sich Tiere wie Menschen verhielten". Ob nun Orwell oder afrikanisches Erzählen: Keiner dieser Verweise erklärt den Effekt, der mit der tierischen Figurenbesetzung einhergeht, zumindest für westliche Leser. Indem Tiere, anders als in der klassischen Fabel, die Rollen von Menschen übernehmen, wird das übliche Afrikabild verfremdet, der eingeübte Blick irritiert. Das Verfahren ist einfach, aber wirkungsvoll und bewirkt eine ganz eigentümliche Anmutung. Man nehme nur die Vorstellung des Staatsgeistlichen, der bei einer Jubelfeier der Regierung seinen ersten Aufritt hat: "Das schlaksige Schwein war kein Geringerer als der einzig wahre Prophet Dr. O. G. Moses, Gründer und Oberhaupt der Prophetischen Kirche aller Kirchen der Soldaten Christi. In Jidada lief fast nichts ohne Gebet ab, und so stand der charismatische Prophet . . . auch heute auf dem Programm." Das Schwein, das Charisma, die Verkündigung: Schilderungen sind weniger komisch als grotesk, ja auf bizarre Weise unheimlich.
Und doch ist die Funktion der Verfremdungsästhetik damit nur halb geklärt. Jenseits aller Stereotype zielt sie darauf ab, nachempfindbar werden zu lassen, was es bedeutet, in einem Staat zu leben, den westliche Medien kurzerhand als "failed state" abtun würden. Wie unendlich demütigend es ist, unter einer "Obrigkeit" zu leben, die sich als gottgegeben versteht und von der Bevölkerung vollkommene Unterordnung verlangt, worunter insbesondere die Frauen - in der Übersetzung "Waipchen" genannt - zu leiden haben. Wie ausgeliefert man sich fühlt, wenn einen der Staat durch immer neue, willkürlich erhobene Abgaben in die Knie zwingt, ohne dass er das Nötigste - eine zuverlässige Stromversorgung etwa oder Müllentsorgung - zur Verfügung stellen würde. Wie zermürbend es ist, wenn die Korruption so tief in die Gesellschaft hineinwirkt, dass es keinerlei Vertrauen in die bürokratischen Vorgänge geben kann. Und wie man fast verzweifelt, wenn nur die kleinste Regung von Protest gnadenlos niedergeknüppelt wird.
Bei all dem nutzt Bulawayo ein reiches Set an literarischen Mitteln, was ihrem Buch eine große Lebendigkeit gibt. Bisweilen wird die Erzählung aber auch bewusst auf Pause gestellt, nämlich in der hochsuggestiven Wiederholung einzelner Worte und Phrasen: So wird der Protestslogan der "Schwarzen Amerikanischen Brüder" nach dem Polizeimord an George Floyd im Mai 2020 zunächst wie bei einer Demonstration fast über eine ganze Textseite hinweg in Wiederholung deklamiert ("I can't breathe"), bevor ihn die geschundene Bevölkerung Jidadas ("We can't breathe") auf die eigene Lage ummünzt. Wie ein subtiler Kommentar zur Poetik des vorliegenden Romans liest es sich schließlich, wenn Destiny selbst ein Buch über ihr geschundenes Land und seine genozidale Vergangenheit schreibt, der auch ihre eigene Familie zum Opfer gefallen ist. Als die Ziege in einer berührenden Performance aus ihrem Buch vorträgt, ist ihre Stimme "erfüllt von den Toten".
Am stärksten bestimmt ist die Form des Romans aber von den Verfahren der digitalen Kommunikation. Sie wurden selten so ernst genommen wir hier. Das Internet, wenngleich von staatlichen Trollen unterlaufen und in seinem Wahrheitsgehalt notorisch unzuverlässig, ist der einzig verbliebene Ort, an dem sich die Bevölkerung von Jidada untereinander und mit der Welt vernetzen kann. Auch finden sich in dem Buch mehrmals seitenlange Twitter-Threads, in einem Fall ausgelöst durch einen Tweet des "twitternden Pavians" im fernen Washington, dessen eigenwillige Diktion von der Autorin sarkastisch nachgeahmt wird. Die unabsehbaren Folgen, die mit der medialen Vernetztheit einhergehen - sie werden an solchen Stellen auf schwindelerregende Weise vorgeführt.
Dass sich der Übersetzer Jan Schönherr bei seiner Arbeit vor große Herausforderungen gestellt sah, kann man sich leicht vorstellen. Aber er meistert sie, wie schon im Fall des im letzten Jahr erschienenen und von ihm ins Deutsche übertragenen Roman "Engel der Trübsal" von Jack Kerouac (F.A.Z. vom 12. März 2022), mit hervorragender Souveränität. Obwohl "Glory" alles andere als einheitlich erzählt ist, ja das Nebeneinander unterschiedlichster Töne, Stile und Sprechweisen eine ganz eigene Vielstimmigkeit hervorbringt, wirkt Schönherrs Übersetzung aus einem Guss. Vor allem nimmt sie nirgendwo das Tempo heraus, mit dem die Autorin ihre Leser durch die turbulente Handlung ihres Romans hindurchtreibt.
Es gibt also gleich mehrere Gründe, warum man diesem Buch viele Leser wünscht: Seine Lektüre hilft nicht nur dabei, den Blick für das zu schärfen, was Begriffe wie Kolonialismus und Postkolonialismus ursprünglich meinten, und vielleicht auch zu einer gewissen terminologischen Demut zurückzukehren. Außerdem führt "Glory" vor Augen, wozu eine internationale Gegenwartsliteratur, die nicht nur formal anspruchsvoll, sondern auch ungemein lesbar ist, im glücklichsten Fall in der Lage ist. KAI SINA
NoViolet Bulawayo:
"Glory". Roman.
Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023.
467 S. geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine postkoloniale Tiergeschichte mit Verfremdungsästhetik: NoViolet Bulawayos großer und glänzend übersetzter Wurf "Glory"
Auch der Mauersegler genießt das Recht einer postkolonialen Betrachtungsweise. Dies zumindest ließ sich vor wenigen Monaten dieser Zeitung entnehmen, es ging um das Buch "Der Ruf des Sommers" des Autors und Veterinärs Charles Foster (F.A.Z. vom 12. August 2023). Was sich bei Forster beispielhaft zeigt, ist eine Entgrenzung des Kolonialismusbegriffs, die angesichts der gegenwärtigen Brisanz des historisch konkreten Siedlungskolonialismus und seiner Folgen fast etwas despektierlich wirkt: Die Bilder der Demonstranten, die im Niger die Fahnen der früheren Kolonialmacht Frankreich verbrannten, um stattdessen zur Flagge der Russischen Föderation zu greifen, stehen einem schließlich noch lebhaft vor Augen. Bei aller Liebe zum Mauersegler: In Fragen des Kolonialismus ist er bis auf Weiteres nur ein Randphänomen.
Ob NoViolet Bulawayo sich dieser Kritik anschließen würde? "Glory", ihr zweites Buch nach "We Need New Names" von 2013, legt diese Schlussfolgerung zumindest nahe. Es handelt sich um einen postkolonialen Roman im engsten, härtesten Wortsinne. Sein Gegenstand ist die politische und gesellschaftliche Entwicklung in dem fiktiven afrikanischen Staat Jidada, der vor vier Jahrzehnten in blutigen Kämpfen seine Unabhängigkeit von den westlichen Besatzern erlangt hat. Die damaligen Kämpfer führten das Land aber nicht in die Freiheit, sondern errichteten einen Unterdrückungsstaat, an dessen Spitze seither ein ebenso skrupelloser wie selbstverliebter Machthaber steht.
Parallelen zu Simbabwe, dem bis 2017 regierenden Diktator Robert Mugabe und seinem Nachfolger Emmerson Mnangagwa sind beabsichtigt: Bulawayo selbst ist in dem Land aufgewachsen, bevor sie als junge Frau in die Vereinigten Staaten ausgewandert ist; ihr Name nimmt Bezug auf ihre Geburtsstadt im Südwesten. Und wie Mugabe wird auch der Herrscher von Jidada nach Jahrzehnten der Herrschaft in einem Militärputsch abgesetzt (das refrainartig wiederkehrende Verstärkerwort "tholukuthi" zitiert die inoffizielle Hymne der zimbabwesischen Aufständischen), was bei der Bevölkerung zunächst die Hoffnung auf Demokratie, Gerechtigkeit und Wohlstand freisetzt, bevor die Putschisten ihrerseits ein System des Terrors, der Mangelwirtschaft und Korruption aufbauen. Das Land ist - wie viele reale afrikanische Staaten, die von der Autorin in einem langen Katalog als Parallelfälle angeführt werden - gefangen in einem "zerstörerischen Teufelskreis".
Ein allzu realistischer Afrikaroman ist "Glory" aber trotzdem nicht, und das hat vor allem einen Grund: Seine Akteure sind keine Menschen, sondern ausschließlich Tiere. Die wichtigsten Figuren, an deren Wahrnehmungen die Erzählung gebunden ist, sind eines Ziege namens Destiny, die aus dem Exil nach Jidada zurückkehrt und deshalb mit etwas größerem Beobachtungsabstand auf die Geschehnisse blicken kann, aber auch mehrere Vertreter der Führungselite: das "alte Pferd" an der Staatsspitze, dessen Herrschaft schon zu Beginn der Handlung bröckelt, seine despotische Frau, die sich zynischerweise "Dr. Sweet Love" nennen lässt, und Vizekanzler Tuvy, der sich mithilfe der "Defenders", einer Truppe schlagkräftiger Hunde, an die Macht putscht.
Die Nähe zu George Orwells "Animal Farm" liegt auf der Hand, und doch hat Bulawayo gegenüber der Schweizer Zeitschrift "Republik" betont, dass sie sich mit ihrem Buch zu allererst in eine afrikanische Erzähltradition einreihen wollte: "Wir sind aufgewachsen mit den Geschichten unserer Großmütter, in denen sich Tiere wie Menschen verhielten". Ob nun Orwell oder afrikanisches Erzählen: Keiner dieser Verweise erklärt den Effekt, der mit der tierischen Figurenbesetzung einhergeht, zumindest für westliche Leser. Indem Tiere, anders als in der klassischen Fabel, die Rollen von Menschen übernehmen, wird das übliche Afrikabild verfremdet, der eingeübte Blick irritiert. Das Verfahren ist einfach, aber wirkungsvoll und bewirkt eine ganz eigentümliche Anmutung. Man nehme nur die Vorstellung des Staatsgeistlichen, der bei einer Jubelfeier der Regierung seinen ersten Aufritt hat: "Das schlaksige Schwein war kein Geringerer als der einzig wahre Prophet Dr. O. G. Moses, Gründer und Oberhaupt der Prophetischen Kirche aller Kirchen der Soldaten Christi. In Jidada lief fast nichts ohne Gebet ab, und so stand der charismatische Prophet . . . auch heute auf dem Programm." Das Schwein, das Charisma, die Verkündigung: Schilderungen sind weniger komisch als grotesk, ja auf bizarre Weise unheimlich.
Und doch ist die Funktion der Verfremdungsästhetik damit nur halb geklärt. Jenseits aller Stereotype zielt sie darauf ab, nachempfindbar werden zu lassen, was es bedeutet, in einem Staat zu leben, den westliche Medien kurzerhand als "failed state" abtun würden. Wie unendlich demütigend es ist, unter einer "Obrigkeit" zu leben, die sich als gottgegeben versteht und von der Bevölkerung vollkommene Unterordnung verlangt, worunter insbesondere die Frauen - in der Übersetzung "Waipchen" genannt - zu leiden haben. Wie ausgeliefert man sich fühlt, wenn einen der Staat durch immer neue, willkürlich erhobene Abgaben in die Knie zwingt, ohne dass er das Nötigste - eine zuverlässige Stromversorgung etwa oder Müllentsorgung - zur Verfügung stellen würde. Wie zermürbend es ist, wenn die Korruption so tief in die Gesellschaft hineinwirkt, dass es keinerlei Vertrauen in die bürokratischen Vorgänge geben kann. Und wie man fast verzweifelt, wenn nur die kleinste Regung von Protest gnadenlos niedergeknüppelt wird.
Bei all dem nutzt Bulawayo ein reiches Set an literarischen Mitteln, was ihrem Buch eine große Lebendigkeit gibt. Bisweilen wird die Erzählung aber auch bewusst auf Pause gestellt, nämlich in der hochsuggestiven Wiederholung einzelner Worte und Phrasen: So wird der Protestslogan der "Schwarzen Amerikanischen Brüder" nach dem Polizeimord an George Floyd im Mai 2020 zunächst wie bei einer Demonstration fast über eine ganze Textseite hinweg in Wiederholung deklamiert ("I can't breathe"), bevor ihn die geschundene Bevölkerung Jidadas ("We can't breathe") auf die eigene Lage ummünzt. Wie ein subtiler Kommentar zur Poetik des vorliegenden Romans liest es sich schließlich, wenn Destiny selbst ein Buch über ihr geschundenes Land und seine genozidale Vergangenheit schreibt, der auch ihre eigene Familie zum Opfer gefallen ist. Als die Ziege in einer berührenden Performance aus ihrem Buch vorträgt, ist ihre Stimme "erfüllt von den Toten".
Am stärksten bestimmt ist die Form des Romans aber von den Verfahren der digitalen Kommunikation. Sie wurden selten so ernst genommen wir hier. Das Internet, wenngleich von staatlichen Trollen unterlaufen und in seinem Wahrheitsgehalt notorisch unzuverlässig, ist der einzig verbliebene Ort, an dem sich die Bevölkerung von Jidada untereinander und mit der Welt vernetzen kann. Auch finden sich in dem Buch mehrmals seitenlange Twitter-Threads, in einem Fall ausgelöst durch einen Tweet des "twitternden Pavians" im fernen Washington, dessen eigenwillige Diktion von der Autorin sarkastisch nachgeahmt wird. Die unabsehbaren Folgen, die mit der medialen Vernetztheit einhergehen - sie werden an solchen Stellen auf schwindelerregende Weise vorgeführt.
Dass sich der Übersetzer Jan Schönherr bei seiner Arbeit vor große Herausforderungen gestellt sah, kann man sich leicht vorstellen. Aber er meistert sie, wie schon im Fall des im letzten Jahr erschienenen und von ihm ins Deutsche übertragenen Roman "Engel der Trübsal" von Jack Kerouac (F.A.Z. vom 12. März 2022), mit hervorragender Souveränität. Obwohl "Glory" alles andere als einheitlich erzählt ist, ja das Nebeneinander unterschiedlichster Töne, Stile und Sprechweisen eine ganz eigene Vielstimmigkeit hervorbringt, wirkt Schönherrs Übersetzung aus einem Guss. Vor allem nimmt sie nirgendwo das Tempo heraus, mit dem die Autorin ihre Leser durch die turbulente Handlung ihres Romans hindurchtreibt.
Es gibt also gleich mehrere Gründe, warum man diesem Buch viele Leser wünscht: Seine Lektüre hilft nicht nur dabei, den Blick für das zu schärfen, was Begriffe wie Kolonialismus und Postkolonialismus ursprünglich meinten, und vielleicht auch zu einer gewissen terminologischen Demut zurückzukehren. Außerdem führt "Glory" vor Augen, wozu eine internationale Gegenwartsliteratur, die nicht nur formal anspruchsvoll, sondern auch ungemein lesbar ist, im glücklichsten Fall in der Lage ist. KAI SINA
NoViolet Bulawayo:
"Glory". Roman.
Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023.
467 S. geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Glory führt vor Augen, wozu eine internationale Gegenwartsliteratur, die nicht nur formal anspruchsvoll, sondern auch ungemein lesbar ist, im glücklichsten Fall in der Lage ist.« Kai Sina Frankfurter Allgemeine Zeitung 20231031
Der neue Roman von NoViolet Bulawayo war als Sachbuch geplant, erklärt Harald Staun in seiner Rezension. Aber am Ende habe sich die Autorin entschlossen, aus der Wahrheit über die Hoffnungen nach dem Ende der Kolonialherrschaft und der Hoffnungslosigkeit angesichts der nicht enden wollenden Herrschaft von Robert Mugabe eine moderne Fabel zu machen, in der auch ihr eigener Versuch, sich als Emigrantin ihrem Heimatland Simbabwe wieder zu nähern, eine Rolle spielt. Nun, schreibt Staun, sind Pferde, Ziegen, Hunde und Katzen die Protagonisten, und an Owells "Farm der Tiere" zu denken, durchaus erwünscht. Das düstere Thema, findet Staun, lese sich bei Bulawayo erstaunlich unterhaltsam. Außerdem beeindruckt ihn ihre "moderne, unbeschwerte, lebendige Sprache", die in der sensiblen Übersetzung auch ihre Musikalität behalten habe. Eine wunderbare Groteske, lobt der Rezensent, in der auch Paviane twittern.
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»Glory führt vor Augen, wozu eine internationale Gegenwartsliteratur, die nicht nur formal anspruchsvoll, sondern auch ungemein lesbar ist, im glücklichsten Fall in der Lage ist.« Kai Sina Frankfurter Allgemeine Zeitung 20231031