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© BÜCHERmagazin, Antje Ehmann
In Meg Rosoffs "Glück für alle Felle" rettet ein Hund aus dem Heim eine Familie aus dem Chaos. Kein Wunder: Schließlich hat er sie ja auch adoptiert.
Von Fridtjof Küchemann
Was für eine Wahl: Entweder, schlägt die Zweitvernünftigste in der Familie ihren älteren Geschwistern und ihrem Vater vor, sie bitten ihre Mutter zurückzukommen, oder sie schaffen sich einen Hund an.
Mama Peachey, die Vernünftigste in der Familie, hatte, wie sie es nannte, zu Beginn des zweiten Kapitels von Meg Rosoffs Kinderbuch "Glück für alle Felle" aufgegeben. Gekündigt: So übersetzt es Betty, noch keine neun Jahre alt, während ihr zwölf Jahre alter Bruder heimlich feiert, dass ihm künftig keiner mehr gesundes Essen vorsetzen wird, Ava, vierzehn Jahre alt, ein Ende mütterlicher Unterdrückung kommen sieht und der Vater daran denkt, künftig zu spät zum Abendessen kommen zu können, ohne Gemecker fürchten zu müssen.
Jetzt hat sich die Mutter ganz dem Yoga zugewandt, und während Betty sich "aufgrund der fehlenden mütterlichen Fürsorge" bei der schließlich von ihr einberufenen Familienkonferenz "verloren, einsam und ungeliebt" fühlt, arbeitet die Mutter auf der anderen Zimmerseite summend an ihrer Lotusstellung. Die restlichen Familienmitglieder ziehen einen Besuch im Tierheim der Entschuldigung bei ihr und dem Besserungsversuch vor.
Von allen lustigen Kinderbüchern über Tohuwabohu-Familien ist dieses das erschütterndste, weil die Mischung aus Erwartung und Ignoranz, die hier der Mutter entgegengebracht wird, mit wenigen Federstrichen ebenso satirisch-schlagend skizziert wird wie die Hilflosigkeit der anderen ohne sie. Unter allen Kinderbüchern über dysfunktionale Familien hingegen gehört Meg Rosoffs Werk zu den lustigsten, weil die amerikanische Autorin, die seit Jahrzehnten in England lebt, den Zusammenhang von Witz und Schmerz aufs Beste kennt und mit einer solchen Zielsicherheit dahin scherzt, wo es weh tut, dass sich auch Erwachsene beim Lesen dabei ertappen können, an manchen Stellen kurz laut aufzulachen.
Dabei ist "Glück für alle Felle" sogar ein Buch mit Mission. Meg Rosoff spendet nicht nur ihr Honorar an das britische Blue Cross, das sich seit hundertzwanzig Jahren um herrenlose Tiere kümmert. Die Hundefreundin wirbt auch hemmungslos für den Hundebesitz. Sie lässt die Peacheys ihre Voraussetzungen vortragen, informiert über Ausstattung, Aufwand und Ernährung. Vor allem aber erzählt Meg Rosoff, wie der ebenso struppige wie schlaue Mister Tavish die Familie erst auf Trab und dann wieder zusammenbringt: mit Geduld und Gebell. Und der hingebungsvollen Unterstützung von Betty. Und unter wohlwollenden Blicken von der Yoga-Matte her.
Bis es aber so weit kommt, ist einiges Ungemach zu überwinden. Nach einiger Zeit sieht sich auch Papa Peachey genötigt, eine Familienkonferenz einzuberufen: ein Tribunal. Eine "Kommission für Kriegsverbrechen", wie Betty klagt, als ihr Vater behauptet hat, der Hund zerstöre die Familie, die Schwester sekundiert, zumindest ihre Jeans habe er zerstört, und der Bruder vermittelnd zusammenfassen möchte, Mister Tavish habe sich schlecht benommen. Tatsächlich folgte der Hund seinem Plan A, alle herumliegenden Kleidungsstücke auf seine Hundedecke zu tragen, um die Familie zur Ordnung zu bringen. Und, weil der erhoffte Erfolg auszubleiben droht, seinem Plan B, herumliegende Schuhe zu zerkauen, um der Sache Nachdruck zu verleihen.
Zur Überraschung nicht nur der Leser folgt auf Papa Peacheys Resümee, es handele sich um ein böses, zerstörerisches Tier, nicht etwa die Forderung, Mister Tavish umgehend an das "Knuddelheim für herrenlose Köter" zurückzugeben, sondern der kühne Vorschlag, das Tier durch Aufräumen in seine Schranken zu weisen.
Vielleicht ist es etwas zu einfach, wie dem Hund gelingt, seiner Familie den Weg zu weisen. Auch wie Betty es schafft, neben dem ebenso mürrischen wie antriebsschwachen Vater und den beiden selbstbezogenen Geschwistern Kurs zu halten, bleibt in der Geschichte ein Wunder. Wie es die Mutter aushält, in Kriegerstellung, Skorpionhandstand und Fliegender Taube den Niedergang ihrer Familie aus nächster Nähe zu beobachten, ohne rückfällig oder verrückt zu werden, wird sich womöglich nur anderen Yoga-Begeisterten so ganz erschließen. Doch Schwung und Witz der Geschichte tragen darüber hinweg.
Von der Frau im Tierheim gefragt, was ein Hund zum Leben brauche, hatten die vier verbliebenen Peacheys charakteristische Antworten: Bevor Betty zeigt, dass immerhin ihr ein Haustier zuzutrauen sei, kommen "Futter" und "Wasser" von Vater und Sohn, dann "ein Hauch philosophische Autonomie" von der vierzehn Jahre alten Vergeistigten, deren vor sich hergetragene Sinnsuche überhaupt für manche Pointe gut ist.
Der schönste Twist allerdings gelingt Meg Rosoff gleich im ersten Kapitel, gleich vom ersten Satz an, in dem sie ein von uns Menschen wohl gern falsch eingeschätztes Verhältnis mit Schwung vom Kopf auf die Füße stellt: "Mister Tavishs Entscheidung, die Familie Peachey zu adoptieren", heißt es da, "war nicht die vernünftigste in seinem Leben." Sollte er nicht lieber auf eine einfachere Familie warten? Schließlich, überlegt der Hund, könnte er sich mit dieser Entscheidung "Jahre des Kummers und der Enttäuschung einhandeln". Doch ein großes Hundeherz hatte die Entscheidung offenbar bereits getroffen: "Mister Tavish hatte sich in die Peacheys verliebt."
Meg Rosoff: "Glück für alle Felle".
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. Illustriert von Anke Faust. Fischer KJB, Frankfurt am Main 2019. 128 S., geb., 10,- [Euro]. Ab 8 J.
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