Auch wenn jede unglückliche Ehe auf ihre eigene Weise unglücklich ist, gleichen sie einander. Die Geschichte von Ángela und Antonio geht wie die vieler Paare: Sie verlieben sich, leben einen Traum, haben Kinder, werden in den Mühlen des Alltags zerrieben, bringen irgendwann nicht mehr die Kraft und die Geduld auf, sich auf den anderen einzulassen, Misstrauen und Eifersucht machen sich breit … Nach ihrer Trennung stellen sich Ángela und Antonio verzweifelt die Frage, wie es so weit hatte kommen können. Abwechselnd ergreifen sie das Wort, um ihre gescheiterte Ehe einer Autopsie zu unterziehen. Jeder erzählt von der schleichenden Erosion der Liebe, von verlorenen Träumen und den sich verändernden Lebensbedingungen. Und von den unzähligen Versuchen, der eigenen Unzulänglichkeit Herr zu werden und über die des anderen hinwegzusehen … Isaac Rosas Roman "Glückliches Ende" ist ein kunstvoll konstruiertes, eindringliches Buch über die Liebe im 21. Jahrhundert. Jede unglückliche Ehe ist auf ihre Weise unglücklich, aber in jeder gescheiterten Beziehung steckt immer auch ein Stück Unbehagen gegenüber der Welt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Karin Janker empfiehlt Isaac Rosas Roman als Buch über die Liebe und ihre Krisen mit einem Happy End. Letzteres gelingt laut Janker durch die retrospektive Anlage des Textes. Das Buch beginnt mit der Trennung und endet mit dem Kennenlernen der Hauptfiguren, erläutert sie. Weise, politisch und raffiniert in der Anlage, erzählt der Text für Janker auch von den Existenzsorgen und der Müdigkeit der Mittelschicht, vom "Ausgeliefertsein an die Lebensumstände", ähnlich wie es im deutschssprachigen Raum Anke Stellings Bücher tun, findet die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.03.2021Liebe in Zeiten der Abstiegsangst
Isaac Rosa erzählt eine Beziehungsgeschichte rückwärts.
Und zeigt, welch revolutionäres Potenzial der Satz „Wir wollten zusammen alt werden“ hat
VON KARIN JANKER
Hätte man Ángela und Antonio früher kennengelernt, hätte man sie für ein glückliches Paar gehalten. Nicht bloß am Anfang, in der ersten Verliebtheit und dem unbeirrbaren Glauben, sich so sehr zu lieben „wie niemand zuvor geliebt hatte“. Nach dreizehn gemeinsamen Jahren ist die Verliebtheit abgenutzt wie die Möbel ihrer Wohnung, voller Scharten und Unzulänglichkeiten. Aber sie haben zusammengehalten, auch dann noch, als sie schon zu viert waren, oder zu fünft, wenn man Germán, Antonios Sohn aus erster Ehe mitzählt.
Die Familie als Utopie, sie hatten sie verwirklicht, sogar ein Häuschen auf dem Land stand in Aussicht, in dem sie erst ihre Wochenenden verbringen wollten und später irgendwann ganz hinziehen. Doch ehe sie das Haus renovieren können, zerbricht die Utopie. Antonio hat sich in eine Jüngere verliebt, er will die Scheidung. Mit diesem Ende einer ehemals glücklichen Beziehung beginnt Isaac Rosas Roman „Glückliches Ende“, der dem scheinbar auserzählten Genre des Liebesromans so viele Facetten abgewinnt, dass ihn lesen sollte, wer auch nur einen Funken Zuneigung für seinen Partner verspürt. Denn dieses ist ein weises Buch über die Liebe – und zudem ein politisches.
Dramaturgisch geschickt spult der Roman die Geschichte der Detonation in einer Familie zurück. „Glückliches Ende“ beginnt mit der Trennung und endet beim Kennenlernen der Protagonisten, wie schon einmal der französische Regisseur François Ozon in seinem Film „5 x 2“ von der Liebe erzählt hat. Es gibt also tatsächlich ein Happy End. Und auch in Rosas Roman versöhnt die Retrospektive Ángela und Antonio miteinander. Ihre Erzählstimmen, zunächst abwechselnd und einander widersprechend, werden enger und enger geführt, bis sie am Ende einander die Sätze beenden, wie frisch Verliebte. Die Form ist keine bloße Fingerübung: Die Figuren Ángela und Antonio stehen auch für zwei konkurrierende Überlebensstrategien im Spätkapitalismus. Die Rückschau verdeutlicht ihre Unvereinbarkeit.
Ángela ist Lehrerin, verbeamtet, aber seit der Geburt der beiden Töchter in Elternzeit, sie will verwirklichen, was man heute als bedürfnisorientierte Elternschaft bezeichnet: Sie stillt länger als ihre Schwiegermutter es für angebracht hält, sie stellt ihre Karriere zugunsten ihrer Kinder zurück. Kinder seien da, damit wir sie behüten, sagt Ángela, „sie machen uns behutsamer“. Sie versucht, dem Druck der Produktionsverhältnisse zu entfliehen, dem Imperativ des ständigen Funktionierens. Elternschaft ist ihr Eskapismus.
Antonio leidet zwar auch unter dem Leistungsdruck, aber seine Strategie ist nicht die Flucht, sondern das rigorose Selbstmanagement. Als Journalist – ehemals Ressortleiter, inzwischen Freiberufler – kämpft er jeden Tag um Aufträge und um genug Geld, damit er seine Familie ernähren kann. Er zerreißt sich: Arbeitet so oft es geht von zu Hause aus, um bei seiner schwangeren Frau zu sein, schläft nur vier Stunden pro Nacht, um für den nächsten Tag vorzuarbeiten. Für Antonio verläuft der Graph seiner Liebe parallel zum Kontostand. Seine Wahrheit ist so einleuchtend wie grausam: „Liebe ist etwas für Leute, die sie sich leisten können.“
So streng er zu sich selbst ist, so streng ist er auch zu Ángela und den Kindern: Der Alltag ist so getaktet, dass zwischen Arbeiten, Kochen und dem Großelternbesuch noch Zeit zur körperlichen Ertüchtigung bleibt. Antonio sprüht vor Energie, immer am Rand des Burn-outs. Dass Ángela mit seinem Tempo schon lange nicht mehr Schritt hält, dass sie es, seit die Kinder da sind, sogar genießt, sich zurückfallen zu lassen, fällt ihm viel zu spät erst auf.
„Glückliches Ende“ erzählt vom Alltag der unteren Mittelschicht, ständig bedroht vom Abrutschen ins Prekariat und geködert vom Aufstieg in die Riege der Eigenheimbesitzer. Dass der Kammerjäger einmal ein ganzes Kakerlakennest in der Wohnung aushebt, ist nicht nur wegen der wuselnden Viecher bedrohlich: Die Kakerlake steht für die Gefahr des sozialen Abstiegs.
Es ist der ökonomische Druck – im Falle Antonios: der Trommelschlag der Klickzahlen seiner Artikel – der diese Familie aufreibt. „Glückliches Ende“ bohrt sich in die Widersprüche des Mittelschichtslebens. Einer von Ángelas Monologen endet mit der Warnung ihrer besten Freundin Luisa, frisch geschieden, vor der Falle „Vater-Mutter-Kind-allein-gegen-die-ganze-Welt“: Dieses Modell laufe am Ende darauf hinaus, zur Kinderbetreuung „eine andere Frau anzustellen, die ihre eigenen Kinder im Heimatland zurückgelassen hat, damit dann wir Mütter und Väter jeden Abend nach Hause kommen und dieses Spiel spielen können, wer von beiden der Müdere ist“.
Isaac Rosa, 1974 in Sevilla geboren, kennt man in Spanien nicht nur als preisgekrönten Romanautor, sondern auch als Kolumnisten der Onlinezeitung El Diario. Eine seiner jüngsten Kolumnen widmete er der Müdigkeit, genauer der Corona-Müdigkeit: Es gebe unterschiedliche Schweregrade von Müdigkeit, heißt es da. „Ich schreibe hier, dass ich müde bin, obwohl ich nicht jeden Tag Patienten auf der Intensivstation intubiere.“ Seine Fähigkeit, das eigene Leben von außen zu sehen, prägt auch „Glückliches Ende“. Die unendliche Müdigkeit der Protagonisten ist Leitmotiv des Romans. Sie zeigt, wo das Private politisch wird: Wenn nach der täglichen Arbeit nicht mehr genug Kraft zum Lieben bleibt. Rosas Buch gehört, wie etwa auch Manuel Vilas’ Memoire „Die Reise nach Ordesa“, zu einer spanischen Gegenwartsliteratur, die vom Ausgeliefertsein an die eigenen Lebensumstände erzählt und von einem daraus erwachsenden, eher nostalgischen als kämpferischen Klassenbewusstsein. In der deutschen Literatur seziert Anke Stelling soziale Milieus ähnlich präzise, klingt dabei aber deutlich wütender.
Nicht zuletzt ist „Glückliches Ende“ auch ein einfühlsames Buch über Mutterschaft, und das von einem männlichen Autor. Selten las man so verdichtet über die Schuldgefühle einer Frau, die Feministin und hingebungsvolle Mutter zugleich sein will. Während Antonio streckenweise wie die Karikatur eines unpünktlichen Schaffners durch den Familienalltag hastet, wird Ángelas Rolle deutlich plastischer. Etwa im Dialog mit ihrer Schwiegermutter: „Wir dürfen die Frau nicht auf ihre Rolle als Mutter reduzieren, geschweige denn auf das traditionelle Bild der sich aufopfernden Mutter, die die Bedürfnisse der anderen stets über ihre eigenen stellt“, sagt die Ältere, die jahrzehntelang für die Emanzipation gekämpft hat. „Im Gegenteil“, erwidert die andere, es könne nicht sein, dass Kinder durchschlafen müssen, nur „weil ihre Mutter am nächsten Tag von acht bis drei etwas leisten soll, damit sie auch ja genug verdient, um Urlaub im Ausland zu machen.“
Was jahrzehntelang als Familienglück galt, entpuppt sich in Rosas Roman als Zerreißprobe. Im Angesicht der Realität hat das bürgerliche Ideal kaum Überlebenschancen. Mieterhöhung, Arbeitslosigkeit, Ungezieferbefall – all das zehrt nicht nur an den Nerven, sondern auch an der Liebe. „Wir wollten zusammen alt werden“ – mit diesem Satz beginnt der Roman. So abgeschmackt er klingt, erweist er sich als das Revolutionärste, was Menschen sich versprechen können. „Glückliches Ende“ erzählt von der Niederschlagung dieser ganz privaten Revolution.
Der Roman bohrt sich
in die Widersprüche
des Mittelschichtslebens
Die unendliche Müdigkeit
der Protagonisten ist
das Leitmotiv des Romans
Wie Isaac Rosa in seinem Roman erzählte François Ozon einmal eine Liebe von ihrem Ende bis zum Kennenlernen: In seinem Film "5 x 2" von 2004 mit Valéria Bruni-Tedeschi und Stéphane Freiss.
Foto: imago images/Everett Collection
Isaac Rosa:
Glückliches Ende.
Roman. Aus dem
Spanischen von
Marianne Gareis und
Luis Ruby.
Liebeskind, München 2021.
352 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Isaac Rosa erzählt eine Beziehungsgeschichte rückwärts.
Und zeigt, welch revolutionäres Potenzial der Satz „Wir wollten zusammen alt werden“ hat
VON KARIN JANKER
Hätte man Ángela und Antonio früher kennengelernt, hätte man sie für ein glückliches Paar gehalten. Nicht bloß am Anfang, in der ersten Verliebtheit und dem unbeirrbaren Glauben, sich so sehr zu lieben „wie niemand zuvor geliebt hatte“. Nach dreizehn gemeinsamen Jahren ist die Verliebtheit abgenutzt wie die Möbel ihrer Wohnung, voller Scharten und Unzulänglichkeiten. Aber sie haben zusammengehalten, auch dann noch, als sie schon zu viert waren, oder zu fünft, wenn man Germán, Antonios Sohn aus erster Ehe mitzählt.
Die Familie als Utopie, sie hatten sie verwirklicht, sogar ein Häuschen auf dem Land stand in Aussicht, in dem sie erst ihre Wochenenden verbringen wollten und später irgendwann ganz hinziehen. Doch ehe sie das Haus renovieren können, zerbricht die Utopie. Antonio hat sich in eine Jüngere verliebt, er will die Scheidung. Mit diesem Ende einer ehemals glücklichen Beziehung beginnt Isaac Rosas Roman „Glückliches Ende“, der dem scheinbar auserzählten Genre des Liebesromans so viele Facetten abgewinnt, dass ihn lesen sollte, wer auch nur einen Funken Zuneigung für seinen Partner verspürt. Denn dieses ist ein weises Buch über die Liebe – und zudem ein politisches.
Dramaturgisch geschickt spult der Roman die Geschichte der Detonation in einer Familie zurück. „Glückliches Ende“ beginnt mit der Trennung und endet beim Kennenlernen der Protagonisten, wie schon einmal der französische Regisseur François Ozon in seinem Film „5 x 2“ von der Liebe erzählt hat. Es gibt also tatsächlich ein Happy End. Und auch in Rosas Roman versöhnt die Retrospektive Ángela und Antonio miteinander. Ihre Erzählstimmen, zunächst abwechselnd und einander widersprechend, werden enger und enger geführt, bis sie am Ende einander die Sätze beenden, wie frisch Verliebte. Die Form ist keine bloße Fingerübung: Die Figuren Ángela und Antonio stehen auch für zwei konkurrierende Überlebensstrategien im Spätkapitalismus. Die Rückschau verdeutlicht ihre Unvereinbarkeit.
Ángela ist Lehrerin, verbeamtet, aber seit der Geburt der beiden Töchter in Elternzeit, sie will verwirklichen, was man heute als bedürfnisorientierte Elternschaft bezeichnet: Sie stillt länger als ihre Schwiegermutter es für angebracht hält, sie stellt ihre Karriere zugunsten ihrer Kinder zurück. Kinder seien da, damit wir sie behüten, sagt Ángela, „sie machen uns behutsamer“. Sie versucht, dem Druck der Produktionsverhältnisse zu entfliehen, dem Imperativ des ständigen Funktionierens. Elternschaft ist ihr Eskapismus.
Antonio leidet zwar auch unter dem Leistungsdruck, aber seine Strategie ist nicht die Flucht, sondern das rigorose Selbstmanagement. Als Journalist – ehemals Ressortleiter, inzwischen Freiberufler – kämpft er jeden Tag um Aufträge und um genug Geld, damit er seine Familie ernähren kann. Er zerreißt sich: Arbeitet so oft es geht von zu Hause aus, um bei seiner schwangeren Frau zu sein, schläft nur vier Stunden pro Nacht, um für den nächsten Tag vorzuarbeiten. Für Antonio verläuft der Graph seiner Liebe parallel zum Kontostand. Seine Wahrheit ist so einleuchtend wie grausam: „Liebe ist etwas für Leute, die sie sich leisten können.“
So streng er zu sich selbst ist, so streng ist er auch zu Ángela und den Kindern: Der Alltag ist so getaktet, dass zwischen Arbeiten, Kochen und dem Großelternbesuch noch Zeit zur körperlichen Ertüchtigung bleibt. Antonio sprüht vor Energie, immer am Rand des Burn-outs. Dass Ángela mit seinem Tempo schon lange nicht mehr Schritt hält, dass sie es, seit die Kinder da sind, sogar genießt, sich zurückfallen zu lassen, fällt ihm viel zu spät erst auf.
„Glückliches Ende“ erzählt vom Alltag der unteren Mittelschicht, ständig bedroht vom Abrutschen ins Prekariat und geködert vom Aufstieg in die Riege der Eigenheimbesitzer. Dass der Kammerjäger einmal ein ganzes Kakerlakennest in der Wohnung aushebt, ist nicht nur wegen der wuselnden Viecher bedrohlich: Die Kakerlake steht für die Gefahr des sozialen Abstiegs.
Es ist der ökonomische Druck – im Falle Antonios: der Trommelschlag der Klickzahlen seiner Artikel – der diese Familie aufreibt. „Glückliches Ende“ bohrt sich in die Widersprüche des Mittelschichtslebens. Einer von Ángelas Monologen endet mit der Warnung ihrer besten Freundin Luisa, frisch geschieden, vor der Falle „Vater-Mutter-Kind-allein-gegen-die-ganze-Welt“: Dieses Modell laufe am Ende darauf hinaus, zur Kinderbetreuung „eine andere Frau anzustellen, die ihre eigenen Kinder im Heimatland zurückgelassen hat, damit dann wir Mütter und Väter jeden Abend nach Hause kommen und dieses Spiel spielen können, wer von beiden der Müdere ist“.
Isaac Rosa, 1974 in Sevilla geboren, kennt man in Spanien nicht nur als preisgekrönten Romanautor, sondern auch als Kolumnisten der Onlinezeitung El Diario. Eine seiner jüngsten Kolumnen widmete er der Müdigkeit, genauer der Corona-Müdigkeit: Es gebe unterschiedliche Schweregrade von Müdigkeit, heißt es da. „Ich schreibe hier, dass ich müde bin, obwohl ich nicht jeden Tag Patienten auf der Intensivstation intubiere.“ Seine Fähigkeit, das eigene Leben von außen zu sehen, prägt auch „Glückliches Ende“. Die unendliche Müdigkeit der Protagonisten ist Leitmotiv des Romans. Sie zeigt, wo das Private politisch wird: Wenn nach der täglichen Arbeit nicht mehr genug Kraft zum Lieben bleibt. Rosas Buch gehört, wie etwa auch Manuel Vilas’ Memoire „Die Reise nach Ordesa“, zu einer spanischen Gegenwartsliteratur, die vom Ausgeliefertsein an die eigenen Lebensumstände erzählt und von einem daraus erwachsenden, eher nostalgischen als kämpferischen Klassenbewusstsein. In der deutschen Literatur seziert Anke Stelling soziale Milieus ähnlich präzise, klingt dabei aber deutlich wütender.
Nicht zuletzt ist „Glückliches Ende“ auch ein einfühlsames Buch über Mutterschaft, und das von einem männlichen Autor. Selten las man so verdichtet über die Schuldgefühle einer Frau, die Feministin und hingebungsvolle Mutter zugleich sein will. Während Antonio streckenweise wie die Karikatur eines unpünktlichen Schaffners durch den Familienalltag hastet, wird Ángelas Rolle deutlich plastischer. Etwa im Dialog mit ihrer Schwiegermutter: „Wir dürfen die Frau nicht auf ihre Rolle als Mutter reduzieren, geschweige denn auf das traditionelle Bild der sich aufopfernden Mutter, die die Bedürfnisse der anderen stets über ihre eigenen stellt“, sagt die Ältere, die jahrzehntelang für die Emanzipation gekämpft hat. „Im Gegenteil“, erwidert die andere, es könne nicht sein, dass Kinder durchschlafen müssen, nur „weil ihre Mutter am nächsten Tag von acht bis drei etwas leisten soll, damit sie auch ja genug verdient, um Urlaub im Ausland zu machen.“
Was jahrzehntelang als Familienglück galt, entpuppt sich in Rosas Roman als Zerreißprobe. Im Angesicht der Realität hat das bürgerliche Ideal kaum Überlebenschancen. Mieterhöhung, Arbeitslosigkeit, Ungezieferbefall – all das zehrt nicht nur an den Nerven, sondern auch an der Liebe. „Wir wollten zusammen alt werden“ – mit diesem Satz beginnt der Roman. So abgeschmackt er klingt, erweist er sich als das Revolutionärste, was Menschen sich versprechen können. „Glückliches Ende“ erzählt von der Niederschlagung dieser ganz privaten Revolution.
Der Roman bohrt sich
in die Widersprüche
des Mittelschichtslebens
Die unendliche Müdigkeit
der Protagonisten ist
das Leitmotiv des Romans
Wie Isaac Rosa in seinem Roman erzählte François Ozon einmal eine Liebe von ihrem Ende bis zum Kennenlernen: In seinem Film "5 x 2" von 2004 mit Valéria Bruni-Tedeschi und Stéphane Freiss.
Foto: imago images/Everett Collection
Isaac Rosa:
Glückliches Ende.
Roman. Aus dem
Spanischen von
Marianne Gareis und
Luis Ruby.
Liebeskind, München 2021.
352 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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