Goethe und die Juden - das heikle Thema wurde allzu lange gemieden. Dabei war Goethes Verhältnis zu den Juden seiner Zeit mehr als zwiespältig. Neben einer gewissen Faszination standen Vorurteile und - besonders in Goethes späteren Jahren - eine regelrechte Feindschaft, die er jedoch bewusst kaum öffentlich äußerte. Auf Grund von bisher ungenutzten Quellen deckt der bekannte Goethe-Forscher W. Daniel Wilson diese schwierige Seite von Goethes Leben und Wirken auf. «In Jena darf nach alten Gesetzen kein Jude übernachten. Diese löbliche Anordnung dürfte gewiß künftig hin besser als bisher aufrecht erhalten werden.» So schrieb Goethe 1816 in einem Brief. In seinen öffentlichen Äußerungen und Tätigkeiten stellte er sich meist als Freund der Juden dar, auch um seine vielen jüdischen Verehrer und Verehrerinnen nicht zu verlieren. Doch besonders ab 1796 ging er in harte Opposition gegen die Emanzipation der Juden. Diese Haltung stand auch nur scheinbar in Widerspruch zu seinen freundschaftlichen Kontakten mit einigen gebildeten Juden. Im zeitgenössischen Kontext fragt W. Daniel Wilson, wie Goethes Einstellungen zu bewerten sind und wen er überhaupt als «Juden» betrachtete. Wilson zeigt uns den Schriftsteller und Politiker, denn Theaterdirektor und den Privatmann Goethe und zeichnet ein differenziertes Bild, das dennoch klare Urteile nicht scheut.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Ganz einverstanden ist Rezensent Malte Osterloh nicht mit W. Daniel Wilsons Buch, aber dessen zentrale These möchte er erstmal nicht bestreiten: Johann Wolfgang von Goethe hat sich zweifelsohne öfters judenfeindlich geäußert. Insbesondere war er, das weist Wilson laut Osterloh anhand mehrerer Zitate nach, ein Gegner der Judenemanzipation, lehnte auch Eheschließungen zwischen Christen und Juden ab. Freilich ergeht sich der Autor in vielen Passagen in Mutmaßungen, die einem Historiker schlecht zu Gesicht stehen, kritisiert Osterloh. Auch die These, Goethe sei ein "heimlicher Judenfeind" gewesen, der sich zu seinem Antisemitismus nicht öffentlich bekennen wollte, bleibt für Osterlohs Begriffe unbelegt. Der Rezensent selbst hegt eine andere Vermutung: Das Thema war Goethe schlicht nicht wichtig genug, er war auch kein glühender Antisemit wie etwa Wagner und pflegte zu vielen Juden ein gutes Verhältnis. Goethes Antisemitismus fiel laut Osterloh, mit anderen Worten, im Maßstab der deutschen Geschichte nicht ins Gewicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2024Abgewiesen aus der menschlichen Gesellschaft
Daniel Wilson zeigt Goethes ambivalente Haltung gegenüber Juden.
Als Goethe zu seinem 72. Geburtstag im böhmischen Badeort Eger weilte, besuchte er mit seinem Freund Joseph Sebastian Grüner eine alte katholische Kirche und vertiefte sich dabei in hebräische Inschriften auf dem Opferstock. Nach einem Pogrom von 1350 hatte der böhmische König Sigismund die dort wieder zugezogenen Juden 1430 abermals vertreiben und die Synagoge in ein christliches Gotteshaus umwandeln lassen. Diese schreckliche Vorgeschichte erfuhren die Besucher 1821 in Eger, und Grüner beschließt sie in seinen 1853 erschienenen Gesprächsaufzeichnungen mit der Bemerkung: "Mir lag daran, Goethes Meinung über die Juden zu erfahren", doch der "äußerte sich nicht mit Bestimmtheit in Betreff der Juden". In den "Gesprächen" bei Biedermann 1889 ist die Pogromgeschichte noch enthalten, Wolfgang Herwig hat sie 1971 hingegen ohne Begründung gestrichen.
Was hier als Nebensache und editorische Petitesse erscheinen mag, wirkt im Kontext einer erdrückenden Zahl von Belegen zu "Goethes Meinung über die Juden" wie ein Symptom. Systematisch gesammelt und argumentativ verbunden hat sie jetzt der Germanist Daniel Wilson, der schon mit Büchern über Goethes Nähe zu den Illuminaten, dessen Votum für die Beibehaltung der Todesstrafe bei Kindsmord oder die Haltung des Dichters zur Absolutismuskritik in Weimar für Kontroversen sorgte. Wilson ist der Mann für heikle Themen, die er aber nie mit Skandallust, sondern mit den Mitteln der Philologie behandelt. Grüners Frage von 1821 beantwortet er im Untertitel seines Buches knapp mit: "Faszination und Feindschaft". Im Buch wird das anhand zahlreicher gedruckter und ungedruckter Dokumente, Brief- und Tagebuchpassagen, amtlicher Schriften sowie einer Reihe irritierender Stellen im dichterischen Werk zu der These geführt, dass judenfeindliche Äußerungen Goethes vor allem im Privaten erfolgten, die das öffentliche Bild des toleranten Humanisten möglichst nicht beschädigen sollten.
Wilsons Arbeit bewegt sich in drei Nachweis- und Deutungsfeldern: erstens eigene Erlebnisse und persönliche Beziehungen, zweitens politische und historische Urteile als Beamter und Jurist, drittens Darstellung jüdischer Figuren auf der Bühne und in der Literatur. Am Beginn steht natürlich die berühmte Passage über die Frankfurter Judengasse aus "Dichtung und Wahrheit", flankiert von Gesprächsaufzeichnungen. Zum einen ist da von Bewunderung für das "bibelschöpferische Volk", insbesondere das "Hohelied", sowie das ausdauernde Festhalten an "Gebräuchen" die Rede. Zum anderen spricht Goethe vom "unangenehmsten Eindruck", von Schmutz, Enge, Gewimmel, Zudringlichkeiten und "einer unerfreulichen Sprache". Für "Judendeutsch" hat der elfjährige Goethe gar einen Privatlehrer. Das neue Idiom mischt er in eine kurze "Judenpredigt", eine messianische Triumph-Phantasie gegen Vorbehalte der "Goyen". Sie liest sich wie eine parodierende Nachahmung, aus Frankfurter Mundart, jiddischen und hebräischen Wörtern gemischt. Im "Wilhelm Meister" kehren solche Aneignungen wieder: Serlos verschrobene "Karikatur eines jüdischen Rabinen" wird zwar als "Abgeschmacktheit" gekennzeichnet, gleichwohl kann sie "jeden geschmackvollen Menschen auf eine Viertelstunde glücklich machen".
Ambivalenzen wie hier bilden das Grundmuster fast aller Stellungnahmen Goethes. Als Anwalt in Frankfurt sind ein Viertel seiner Mandanten jüdisch, in Weimar unterhält er gute Geschäftsbeziehungen zu einigen Bankiers und Kunsthändlern. Zugleich muss er das hier erstmals abgedruckte Einwanderungsgesuch des Frankfurter Juden Michaelis Benedix, der sich "so ganz aus der Menschlichen gesellschafft abgewiesen" fühlt, im Mai 1793 ablehnen. Das geschieht in Wilsons zweitem Untersuchungsgebiet: in der Funktion als Geheimer Rat. Bei Einführung einer neuen Judenordnung 1823, als im Herzogtum Weimar auch die jüdische Bevölkerung nach dem Wiener Kongress stark anwuchs, sprach sich Goethe vehement gegen Mischehen aus. Und als Verantwortlicher für das sogenannte Geleitwesen in allen thüringischen Fürstentümern und dem zu Kurmainz gehörenden Erfurt musste er qua Amt auf Leibzollgebühren für Juden und ihre Güter auf dem Transit zur Leipziger Messe bestehen. Umgekehrt gibt er 1785 einigen jüdischen Reisenden recht, die sich wegen des Wegegeldes von einem Polizisten schikaniert und beschimpft sahen.
Das Kindheitsbild vom Ghetto in Frankfurt, der "judenfeindlichsten Stadt Deutschlands", so der selbst aus der Judengasse stammende Ludwig Börne, tritt dabei immer wieder in den Blick. Von dem unvergesslichen "Spott- und Schandgemälde" unter dem Brückenturm, das Goethe als Knabe mit Abscheu sieht und auch in einem Buch aus der väterlichen Bibliothek abgebildet finden konnte, bis zur Gleichstellung der Juden 1811 ist es ein weiter Weg. Bei der französischen Bombardierung Frankfurts im Juli 1796 wird die Judengasse schwer zerstört, erstmals dürfen die obdachlosen Menschen auch in anderen Teilen der Stadt siedeln. Tatsächlich befördert Frankreich die Emanzipationsbestrebungen der Juden, artikuliert etwa in dem Plädoyer für eine "neue Stättigkeits- und Schutzordnung" von Israel Jakobsohn von 1808. Schmähschriften dagegen sah Goethe gern, nennt Jacobsohn gegenüber Bettina Brentano einen "Humanitätssalbader" und rückt ihn durch Verdrehung seines Namens als "Jacobinischen Israels Sohn" in die Nähe der verhassten Französischen Revolution.
Emanzipation setzt für Goethe durchgängig Assimilation oder Akkulturation, wenn nicht Konversion voraus. Den rassistischen Theorien des Göttinger Philosophieprofessors Christoph Meiners ("Über die Verschiedenheiten der Menschennaturen") hat er sich aber nie angeschlossen, nur den harmloseren ersten Band von Meiners ließ er in seiner Bibliothek überhaupt aufschneiden.
Im dritten Untersuchungsfeld, der Dichtung, zeigt sich eine größere Zurückhaltung Goethes, die Wilson immer wieder im Vergleich der Fassungen nachweisen kann. Zudem gibt eine Figurenrede oder die Wiedergabe zeitgenössischer Stereotype nicht unbedingt Goethes eigene Meinung wieder. Sie finden sich an etlichen beiläufigen Stellen, auch im "Faust", etwa wenn die Vereinnahmung von "ungerechtem Gut" - hier Geschenke an Gretchen - durch die Kirche kritisiert wird. Faust wendet dagegen ein: "Ein Jud' und König kann es auch." In einem Purimspiel im "Jahrmarkts-Fest zu Plundersweilern", einem Theater im Theater, sind judenfeindliche Klischees häufiger. Sie verdanken sich einzelnen Rollen, Goethe spielte 1778 bei der Uraufführung sogar selbst den Marktschreier, den Judenfeind Haman und den Juden Mardochai.
Als Theaterdirektor nimmt Goethe ausgesprochen judenfeindliche Stücke nicht ins Programm, lässt weit verbreitete negative, karikierende Darstellungen jüdischer Rollen aber zu. Als Iffland bei seinem Gastspiel in Weimar 1813 als Shylock im "Kaufmann von Venedig" auftrat, beschwert sich Zelter, dass sein Spiel diesen "Venetianischen Juden nun zu einem knotigen lausigen Wasserpolakken erniedrigt" habe. Goethe nahm an solchen Spottdarstellungen keinen Anstoß, umgekehrt brachte er 1798 Richard Cumberlands "Der Jude" und 1811 Ludwig Roberts Trauerspiel "Die Tochter Jephta's" zur Aufführung, das erste Originalstück eines jüdischen Autors auf einer deutschen Bühne. Man sieht: Ambivalenzen und Widersprüche, wohin man blickt. Goethe steht damit alles andere als allein. Auf viele seiner Zeitgenossen trifft Börnes Bemerkung zu, dass die Deutschen in "Judensachen einen Sparren im Kopf" haben. Der Amerikaner Wilson, der in Berkeley und London lehrte, wirft Goethe deshalb nichts vor. Vielmehr rechnet er das zu den zentralen Problemen der deutschen Geschichte, die es zu verstehen gilt. ALEXANDER KOSENINA
W. Daniel Wilson: "Goethe und die Juden". Faszination und Feindschaft.
Verlag C. H. Beck, München 2024. 351 S., Abb., geb.,
29,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Daniel Wilson zeigt Goethes ambivalente Haltung gegenüber Juden.
Als Goethe zu seinem 72. Geburtstag im böhmischen Badeort Eger weilte, besuchte er mit seinem Freund Joseph Sebastian Grüner eine alte katholische Kirche und vertiefte sich dabei in hebräische Inschriften auf dem Opferstock. Nach einem Pogrom von 1350 hatte der böhmische König Sigismund die dort wieder zugezogenen Juden 1430 abermals vertreiben und die Synagoge in ein christliches Gotteshaus umwandeln lassen. Diese schreckliche Vorgeschichte erfuhren die Besucher 1821 in Eger, und Grüner beschließt sie in seinen 1853 erschienenen Gesprächsaufzeichnungen mit der Bemerkung: "Mir lag daran, Goethes Meinung über die Juden zu erfahren", doch der "äußerte sich nicht mit Bestimmtheit in Betreff der Juden". In den "Gesprächen" bei Biedermann 1889 ist die Pogromgeschichte noch enthalten, Wolfgang Herwig hat sie 1971 hingegen ohne Begründung gestrichen.
Was hier als Nebensache und editorische Petitesse erscheinen mag, wirkt im Kontext einer erdrückenden Zahl von Belegen zu "Goethes Meinung über die Juden" wie ein Symptom. Systematisch gesammelt und argumentativ verbunden hat sie jetzt der Germanist Daniel Wilson, der schon mit Büchern über Goethes Nähe zu den Illuminaten, dessen Votum für die Beibehaltung der Todesstrafe bei Kindsmord oder die Haltung des Dichters zur Absolutismuskritik in Weimar für Kontroversen sorgte. Wilson ist der Mann für heikle Themen, die er aber nie mit Skandallust, sondern mit den Mitteln der Philologie behandelt. Grüners Frage von 1821 beantwortet er im Untertitel seines Buches knapp mit: "Faszination und Feindschaft". Im Buch wird das anhand zahlreicher gedruckter und ungedruckter Dokumente, Brief- und Tagebuchpassagen, amtlicher Schriften sowie einer Reihe irritierender Stellen im dichterischen Werk zu der These geführt, dass judenfeindliche Äußerungen Goethes vor allem im Privaten erfolgten, die das öffentliche Bild des toleranten Humanisten möglichst nicht beschädigen sollten.
Wilsons Arbeit bewegt sich in drei Nachweis- und Deutungsfeldern: erstens eigene Erlebnisse und persönliche Beziehungen, zweitens politische und historische Urteile als Beamter und Jurist, drittens Darstellung jüdischer Figuren auf der Bühne und in der Literatur. Am Beginn steht natürlich die berühmte Passage über die Frankfurter Judengasse aus "Dichtung und Wahrheit", flankiert von Gesprächsaufzeichnungen. Zum einen ist da von Bewunderung für das "bibelschöpferische Volk", insbesondere das "Hohelied", sowie das ausdauernde Festhalten an "Gebräuchen" die Rede. Zum anderen spricht Goethe vom "unangenehmsten Eindruck", von Schmutz, Enge, Gewimmel, Zudringlichkeiten und "einer unerfreulichen Sprache". Für "Judendeutsch" hat der elfjährige Goethe gar einen Privatlehrer. Das neue Idiom mischt er in eine kurze "Judenpredigt", eine messianische Triumph-Phantasie gegen Vorbehalte der "Goyen". Sie liest sich wie eine parodierende Nachahmung, aus Frankfurter Mundart, jiddischen und hebräischen Wörtern gemischt. Im "Wilhelm Meister" kehren solche Aneignungen wieder: Serlos verschrobene "Karikatur eines jüdischen Rabinen" wird zwar als "Abgeschmacktheit" gekennzeichnet, gleichwohl kann sie "jeden geschmackvollen Menschen auf eine Viertelstunde glücklich machen".
Ambivalenzen wie hier bilden das Grundmuster fast aller Stellungnahmen Goethes. Als Anwalt in Frankfurt sind ein Viertel seiner Mandanten jüdisch, in Weimar unterhält er gute Geschäftsbeziehungen zu einigen Bankiers und Kunsthändlern. Zugleich muss er das hier erstmals abgedruckte Einwanderungsgesuch des Frankfurter Juden Michaelis Benedix, der sich "so ganz aus der Menschlichen gesellschafft abgewiesen" fühlt, im Mai 1793 ablehnen. Das geschieht in Wilsons zweitem Untersuchungsgebiet: in der Funktion als Geheimer Rat. Bei Einführung einer neuen Judenordnung 1823, als im Herzogtum Weimar auch die jüdische Bevölkerung nach dem Wiener Kongress stark anwuchs, sprach sich Goethe vehement gegen Mischehen aus. Und als Verantwortlicher für das sogenannte Geleitwesen in allen thüringischen Fürstentümern und dem zu Kurmainz gehörenden Erfurt musste er qua Amt auf Leibzollgebühren für Juden und ihre Güter auf dem Transit zur Leipziger Messe bestehen. Umgekehrt gibt er 1785 einigen jüdischen Reisenden recht, die sich wegen des Wegegeldes von einem Polizisten schikaniert und beschimpft sahen.
Das Kindheitsbild vom Ghetto in Frankfurt, der "judenfeindlichsten Stadt Deutschlands", so der selbst aus der Judengasse stammende Ludwig Börne, tritt dabei immer wieder in den Blick. Von dem unvergesslichen "Spott- und Schandgemälde" unter dem Brückenturm, das Goethe als Knabe mit Abscheu sieht und auch in einem Buch aus der väterlichen Bibliothek abgebildet finden konnte, bis zur Gleichstellung der Juden 1811 ist es ein weiter Weg. Bei der französischen Bombardierung Frankfurts im Juli 1796 wird die Judengasse schwer zerstört, erstmals dürfen die obdachlosen Menschen auch in anderen Teilen der Stadt siedeln. Tatsächlich befördert Frankreich die Emanzipationsbestrebungen der Juden, artikuliert etwa in dem Plädoyer für eine "neue Stättigkeits- und Schutzordnung" von Israel Jakobsohn von 1808. Schmähschriften dagegen sah Goethe gern, nennt Jacobsohn gegenüber Bettina Brentano einen "Humanitätssalbader" und rückt ihn durch Verdrehung seines Namens als "Jacobinischen Israels Sohn" in die Nähe der verhassten Französischen Revolution.
Emanzipation setzt für Goethe durchgängig Assimilation oder Akkulturation, wenn nicht Konversion voraus. Den rassistischen Theorien des Göttinger Philosophieprofessors Christoph Meiners ("Über die Verschiedenheiten der Menschennaturen") hat er sich aber nie angeschlossen, nur den harmloseren ersten Band von Meiners ließ er in seiner Bibliothek überhaupt aufschneiden.
Im dritten Untersuchungsfeld, der Dichtung, zeigt sich eine größere Zurückhaltung Goethes, die Wilson immer wieder im Vergleich der Fassungen nachweisen kann. Zudem gibt eine Figurenrede oder die Wiedergabe zeitgenössischer Stereotype nicht unbedingt Goethes eigene Meinung wieder. Sie finden sich an etlichen beiläufigen Stellen, auch im "Faust", etwa wenn die Vereinnahmung von "ungerechtem Gut" - hier Geschenke an Gretchen - durch die Kirche kritisiert wird. Faust wendet dagegen ein: "Ein Jud' und König kann es auch." In einem Purimspiel im "Jahrmarkts-Fest zu Plundersweilern", einem Theater im Theater, sind judenfeindliche Klischees häufiger. Sie verdanken sich einzelnen Rollen, Goethe spielte 1778 bei der Uraufführung sogar selbst den Marktschreier, den Judenfeind Haman und den Juden Mardochai.
Als Theaterdirektor nimmt Goethe ausgesprochen judenfeindliche Stücke nicht ins Programm, lässt weit verbreitete negative, karikierende Darstellungen jüdischer Rollen aber zu. Als Iffland bei seinem Gastspiel in Weimar 1813 als Shylock im "Kaufmann von Venedig" auftrat, beschwert sich Zelter, dass sein Spiel diesen "Venetianischen Juden nun zu einem knotigen lausigen Wasserpolakken erniedrigt" habe. Goethe nahm an solchen Spottdarstellungen keinen Anstoß, umgekehrt brachte er 1798 Richard Cumberlands "Der Jude" und 1811 Ludwig Roberts Trauerspiel "Die Tochter Jephta's" zur Aufführung, das erste Originalstück eines jüdischen Autors auf einer deutschen Bühne. Man sieht: Ambivalenzen und Widersprüche, wohin man blickt. Goethe steht damit alles andere als allein. Auf viele seiner Zeitgenossen trifft Börnes Bemerkung zu, dass die Deutschen in "Judensachen einen Sparren im Kopf" haben. Der Amerikaner Wilson, der in Berkeley und London lehrte, wirft Goethe deshalb nichts vor. Vielmehr rechnet er das zu den zentralen Problemen der deutschen Geschichte, die es zu verstehen gilt. ALEXANDER KOSENINA
W. Daniel Wilson: "Goethe und die Juden". Faszination und Feindschaft.
Verlag C. H. Beck, München 2024. 351 S., Abb., geb.,
29,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Wilsons Untersuchungen sind äußerst detailliert und interessant über den Fall Goethes hinaus, denn sie zeigen den historischen Moment des Übergangs zur jüdischen Emanzipation in der neuen bürgerlichen, nachständischen Gesellschaft."
SZ, Gustav Seibt
"Ein unkonventioneller Goethe-Forscher"
Deutschlandfunk Informationen und Musik, Michael Köhler
"Wilson ist der Mann für heikle Themen, die er aber nie mit Skandallust, sondern mit den Mitteln der Philologie behandelt."
FAZ, Alexander Kosenina
"Man staunt. Die Lektüre lohnt sich."
Frankfurter Rundschau, Sylvia Staude
"Ein Standardwerk über das Thema ... . [Wilson] verschärft auf Grund vieler Zeugnisse das Urteil über Goethes Antisemitismus, und dies ist gerade für Goethe-Verehrer ein Weckruf zur Auseinandersetzung mit dieser Seite ihres Idols."
Hans Otto Horch
"Es ist ein Verdienst des Buches, dass es Goethes im Laufe seines langen Lebens sich ändernde, ambivalente Haltung gegenüber Juden herausgearbeitet hat."
David. Jüdische Kulturzeitschrift, Berthold Schäffner
"Aufschlussreiches Buch."
Frankfurter Rundsch au, Malte Osterloh
"Der amerikanische Germanist beleuchtet Goethes judenfeindliche Äußerungen, einen bislang unterbelichteten Aspekt der Forschung."
WELT, Marc Reichwein
"Mit seinem spannenden Buch will Wilson eine überfällige Diskussion anregen, über die Doppelgesichtigkeit des Genies Goethe."
Berliner Morgenpost, Uwe Sauerwein
"An diesem Denkmal kratzt Wilson in seinem hervorragend geschriebenen, glaubwürdig argumentierenden Buch erheblich. So sehr, dass man geneigt ist, sich als Konsequenz dem Fazit Arno Schmidts anzuschließen: »Weniger Goethe!«"
konkret, Thomas Schaefer
"Nicht nur für Spezialisten aufschlussreich."
Tagesspiegel.de, Wolfgang Schneider
"Instead of either denouncing or excusing Goethe's prejudices, Wilson argues against political instrumentalization. ... Instead of speculating about Goethe's psychological disposition or motivation, Wilson brings out the difference between public and private communication."
TLS, Marcel Lepper
SZ, Gustav Seibt
"Ein unkonventioneller Goethe-Forscher"
Deutschlandfunk Informationen und Musik, Michael Köhler
"Wilson ist der Mann für heikle Themen, die er aber nie mit Skandallust, sondern mit den Mitteln der Philologie behandelt."
FAZ, Alexander Kosenina
"Man staunt. Die Lektüre lohnt sich."
Frankfurter Rundschau, Sylvia Staude
"Ein Standardwerk über das Thema ... . [Wilson] verschärft auf Grund vieler Zeugnisse das Urteil über Goethes Antisemitismus, und dies ist gerade für Goethe-Verehrer ein Weckruf zur Auseinandersetzung mit dieser Seite ihres Idols."
Hans Otto Horch
"Es ist ein Verdienst des Buches, dass es Goethes im Laufe seines langen Lebens sich ändernde, ambivalente Haltung gegenüber Juden herausgearbeitet hat."
David. Jüdische Kulturzeitschrift, Berthold Schäffner
"Aufschlussreiches Buch."
Frankfurter Rundsch au, Malte Osterloh
"Der amerikanische Germanist beleuchtet Goethes judenfeindliche Äußerungen, einen bislang unterbelichteten Aspekt der Forschung."
WELT, Marc Reichwein
"Mit seinem spannenden Buch will Wilson eine überfällige Diskussion anregen, über die Doppelgesichtigkeit des Genies Goethe."
Berliner Morgenpost, Uwe Sauerwein
"An diesem Denkmal kratzt Wilson in seinem hervorragend geschriebenen, glaubwürdig argumentierenden Buch erheblich. So sehr, dass man geneigt ist, sich als Konsequenz dem Fazit Arno Schmidts anzuschließen: »Weniger Goethe!«"
konkret, Thomas Schaefer
"Nicht nur für Spezialisten aufschlussreich."
Tagesspiegel.de, Wolfgang Schneider
"Instead of either denouncing or excusing Goethe's prejudices, Wilson argues against political instrumentalization. ... Instead of speculating about Goethe's psychological disposition or motivation, Wilson brings out the difference between public and private communication."
TLS, Marcel Lepper