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Ein Unternehmen zur Selbststeigerung: Rüdiger Safranski erzählt souverän und unterhaltsam von der Freundschaft zwischen Goethe und Schiller.
Von Hubert Spiegel
Fünfzehn Jahre liegen zwischen ihrem ersten zufälligen Aufeinandertreffen und der ersten absichtlich herbeigeführten Begegnung. Am 14. Dezember 1779 feiert der württembergische Herzog Karl Eugen das Stiftungsfest seiner "Pflanzstätte", der Hohen Karlsschule. Er hat illustre Gäste: Der Weimarer Herzog Karl August ist anwesend, und in seiner Begleitung Goethe. Schiller, zehn Jahre jünger als Goethe, gehört zu den Zöglingen, die an diesem Tag ausgezeichnet werden sollen. Er nimmt drei Silbermedaillen und Diplome in medizinischen Fächern entgegen. Dafür muss Schiller niederknien und den Rockzipfel des Herzogs küssen, der den ungebärdigen Studenten gleich drei Dissertationen schreiben lässt. Die erste seiner Zurückweisungen begleitet der Herzog mit den Worten, es sei besser für den Zögling, noch ein weiteres Jahr auf der Akademie zu verweilen, wo "sein Feuer noch ein wenig gedämpft werden kann".
Fünfzehn Jahre später weiß Schiller sein Feuer zu bezähmen oder zu entfachen, je nachdem, wie es die Situation gebietet. Er hasst Goethe, wie er in einem Brief bekennt, und er verehrt ihn. Er ist begierig, ihn kennenzulernen und kann nicht ertragen, dass sie einander noch immer fremd sind, dass Goethe keinerlei Interesse an dem jüngeren, längst ebenfalls berühmten Kollegen erkennen lässt. Und er braucht Goethe. Mit dem Verleger Cotta hat er ein Projekt beschlossen, das seinen Ruhm befestigen und seine Geldnot lindern soll. Als Professor in Jena erhält Schiller ärmliche zweihundert Taler im Jahr, Goethe bekommt vom Herzog in Weimar das Zehnfache. Vierhundert Taler will Cotta Schiller alljährlich zahlen, damit er als Herausgeber die "Horen" zum wichtigsten Journal der geistigen Welt macht, das Autorenhonorar nicht eingerechnet. "Unser Journal soll ein Epoche machendes Werk sein, und alles, was Geschmack haben will, muß uns kaufen und lesen", schreibt Schiller an den Freund Körner. Wenn der hochfliegende Plan gelingen soll, darf Goethe unter den Beiträgern der "Horen" nicht fehlen.
Die briefliche Einladung zur Mitarbeit erfolgt am 13. Juni 1794, vier Wochen danach kommt es zur ersten Begegnung, wenig später ist Schiller bei Goethe in Weimar zu Gast. Er bleibt vierzehn Tage. Fast könnte man diesen Aufenthalt mit einer Hochzeitsreise vergleichen. Danach ist ein Bund fürs Leben geschlossen.
Hundert Seiten legt Rüdiger Safranski zwischen die Stuttgarter Begegnung und jenes erste Treffen am 20. Juli 1794 in Jena. Hundert Seiten lang nimmt er sich Zeit, die Vorgeschichte jener Begegnung zu erzählen, sie zu inszenieren. Differenziert zeichnet er die Wege, die beide bis dahin zurückgelegt haben, beschreibt und analysiert ihre Karrieren und Charaktere. Nie verfällt er in den onkelhaften Ton des vermeintlich allwissenden Biographen, nie ins unangemessen Schwärmerische. Mit feinem dramaturgischem Geschick setzt er seine zahlreichen Quellen ein, unter denen der 1824 von Goethe selbst herausgegebene Briefwechsel naturgemäß die wichtigste ist.
Bevor er im fünften Kapitel dann endlich die Juli-Begegnung von 1794 schildert, lässt er das vierte mit einem klassischen Cliffhanger enden. Nachdem er die für das Werk wie für das Wesen dieser beiden Dichter so zentralen Begriffe der Freiheit, der Natur und der Schönheit verhandelt hat, kommt er auf Schillers im Frühjahr 1793 geschriebene Abhandlung "Über Anmut und Würde" zu sprechen. Jene Passagen, in denen von den "Natur-Genies" die Rede ist, ließen sich durchaus auch als Kritik an Goethe lesen, und der Betroffene selbst hat dies auch getan, wie er später bekannte: "Gewisse harte Stellen sogar konnte ich direkt auf mich deuten, sie zeigten mein Glaubensbekenntnis in einem falschen Licht." Und darum, so lässt Safranski dieses Kapitel enden, "lag diese Abhandlung ,Über Anmut und Würde' einer Annäherung noch im Wege. Doch nur noch für ein Jahr." Dann folgt das nächste Kapitel.
Safranski, der Bücher über Schopenhauer, E. T. A.Hoffmann, Schiller, die Romantik, Nietzsche und Heidegger vorgelegt hat, schreibt für ein gebildetes Publikum, nicht für Fachleute. Er seziert seinen Gegenstand, und er verführt seine Leser, ihm dabei zu folgen, nicht atemlos, aber nie ohne Vergnügen. Souverän verfügt er über die Quellen, und nur selten präsentiert er seine Funde und Überlegungen allzu mundgerecht. Gelegentlich, wenn er die Gegensätze zwischen den Dichtern herausarbeitet, um das nicht nur glückliche, sondern eben auch überaus erstaunliche, nahezu rätselhafte Ereignis dieser Freundschaft deutlich werden zu lassen, wird auch manches überzeichnet. Aber Safranski verklärt seine Helden nicht, und so wird auch nicht verschwiegen, dass Schillers Betragen gegenüber Goethes familiären Verhältnis wenig herzlich war, während Goethe, der sonst allen Beschwernissen konsequent aus dem Weg zu gehen pflegte, sich geradezu rührend um Gesundheit und Wohlergehen des Freundes kümmerte. Dass Schiller, der auf der sozialen Stufenleiter nach oben geheiratet hatte, während Goethes Beziehung zu Christiane Vulpius ein Skandalon blieb, die Gefährtin seines Freundes über Jahre hinweg vollständig ignorierte, wirft eben auch ein Licht auf den Dichter der Freiheit, der zeit seines Lebens vergeblich von dem träumen sollte, was Goethe vergleichsweise früh erreicht hatte: von finanzieller Unabhängigkeit.
Wohltuend ist, wie Safranski das anekdotische Material, das sich ihm aufgedrängt hat, in Schach hält. Das legendäre nächtliche Gelächter der beiden, als sie in den "Xenien" gemeinsam gegen die Feinde zu Feld zogen, die fauligen Äpfel in Schillers Schreibtischschublade, die Spielzeug-Guillotine, die Goethe Schillers Sohn als Geschenk mitbringt, der vermeintliche Schädel des Freundes, den Goethe ein Jahr lang in seinem Haus verbirgt wie Jahrzehnte zuvor, als er nach dem Zwischenkieferknochen suchte, einen Elefantenschädel, all das kommt vor, drängt sich aber nie vorlaut ins Zentrum dieses Buches.
Hier steht Safranskis fruchtbares, nie endendes Erstaunen über diese einzigartige Freundschaft, die als Zweckbündnis begann, um rasch in ein "auf wechselseitige Perfektibilität gebautes Verhältnis" zu münden, wie Schiller schrieb. Safranski nennt es ein wenig prosaischer ein Bündnis "zur wechselseitigen Hilfe bei der Arbeit an sich selbst, ein gemeinsames Unternehmen zur Selbststeigerung". Dass dieses Unternehmen, das weniger auf Gemeinsamkeiten als auf "einige Controvers", auf Differenzen und Meinungsverschiedenheiten, aufgebaut war, zum Fundament der Weimarer Klassik werden konnte, darin liegt seine historische Bedeutung. Dass seine zentralen Fragen die von Freiheit, Selbstbestimmung und ästhetischer Erziehung sind, darin liegt seine Aktualität.
Rüdiger Safranski: "Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft". Hanser Verlag, München 2009. 344 S., geb., 21,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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"Rüdiger Safranski erzählt souverän und unterhaltsam von der Freundschaft zwischen Goethe und Schiller." Hubert Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.09